Kreishaus (1): Phormidium

Begonnen von Michael Plewka, August 21, 2012, 18:57:30 NACHMITTAGS

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Michael Plewka

hallo zusammen,

nicht jeder hat immer die Gelegeneit, solch tolle Feuchtbiotope, wie sie erst kürzlich von Steffen Clauss, Frank Fox oder immer wieder von Angie Opitz vorgestellt wurden/werden, aufzusuchen und Proben zu nehmen.
Auch kann ich mich  noch daran erinnern, dass vor ca. 1 Jahr jemand hier die ernst gemeinte Frage gestellt hat: "Wo finde ich Mikroorganismen?"

Deshalb  also hier  ein Bericht über ein anderes "Biotop", von dem aus ich einige interessante Beobachtungen machen konnte.
Wegen eines Behördengangs musste ich das sog. Kreishaus in unserer Kreishauptstadt aufsuchen, einen Betonbau aus den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts. Vor diesem Gebäude befindet sich ein Platz, auf dem meterhohe, ehemals  vermutlich poppig bunt gestrichene Betonkuben den damals vermutlich  gewünschten Aufbruch in ein neues Zeitalter symbolisieren sollten. Die Frage "Ist das Kunst oder kann das weg" muss in beiden Fällen klar mit einem ausdrücklichen  "Nein!" beantwortet werden, ist doch der ehemalige Farbanstrich einem blaugrünen Schleim gewichen, der mein biologische Interesse weckte. Ich vermutete Cyanobakterien (im weiteren salopp als auch "Cyanos" bezeichnet), die immer auch einen  Lebensraum für einige andere, teils  hochspezialisierte Organismen bereitstellen.

Da ich nicht auf einen solchen Fund vorbereitet war, diente ein in der Gosse liegender Kronverschluss einer Bierflasche als Behältnis für den Schleim, den ich von dem Beton abkratzte.


Eine erste Durchmusterung unterm Mikroskop  zeigte neben den Cyanos eine große Anzahl von Einzellern, aber auch Rädertieren (mehr dazu später) .




Bei den Cyanos handelt es sich mit großer Wahscheinlichkeit um eine Phormidium-Art, erkennbar an der Schleimhülle um die Trichome:




Um die Rädertiere aus dem Cyanodickicht herauszuholen, wurde ein Teil des Schleims  zusammen mit Volvic in ein verschließbares Probengefäß  gegeben  und kräftig geschüttelt, so dass eine Suspension entstand. Die Suspension wurde in eine Petrischale geschüttet und sollte zur weiteren Probenentnahme dienen.  Als ich nach der mikroskop. Untersuchung der ersten Probe  die Petrischale erneut aufsuchte,  war ich ziemlich überrascht, wie sich die Suspension verändert hattte. Hier zwei Bilder dazu (ich habe diese Prozedur mehrfach durchgeführt, immer mit demselben Ergebnis):





Die Cyanos aggregieren. Das geht  (relativ) schnell; zwischen den beiden Fotos liegen ca 40min.  Mag sein, dass dieses Phänomen den "alten Hasen" hier bekannt ist, für mich jedenfalls war es neu und faszinierend. 

Ursache hierfür ist eine photophobische Reaktion, die für Phormidium nachgewiesen ist. Die Eigenschaft dieser Organismen, eine für sie optimale Beleuchtungsstärke aufzusuchen, kann sogar dazu benutzt werden, eine Kolonie derart  mit einem FilmNegativ zu belichten, dass die Cyanobakterien sich zu einem  "Positiv"  formieren. Zu sehen ist dies auf dem Titelblatt der Zeitschrift Biologie unserer Zeit (BiuZ Vol14 Nr.3 (1984)).


beste Grüße Michael Plewka

Holger Adelmann

Dieses Phänomen ist in der Tat faszinierend, lieber Michael.
Vielen Dank für den spannenden Bericht.

Was passiert denn weiter mit dem Agglomerat? Trennen sich die Algen wieder?
Weiss man wie diese Zusammenballungen physikalisch funktionieren?
Bestimmt sind auch chemische Botenstoffe beteiligt.
Verrückt und faszinierend !

Herzliche Grüsse
Holger

Michael Plewka

hallo zusammen,
@ Holger:

lt.der mir zur Verfügung stehenden Literatur ist der Mechanismus, wie sich Phormidium bewegt, noch nicht geklärt (Stand: 1984)
Eine andere Frage ist die Phototaxis selbst, d.h. also die Wahrnehmung des Lichts, was das Thema des mir vorliehenden Artikels ist.

Im Gegensatz zu den Eugleniden mit ihren speziellen Lichtrezeptor /  Rezeptorpigmenten funktioniert die Phototaxis  bei Phormidium auf der Basis der Photosynthese.

Der einfachste denkbare "Mechanismus" wäre die lichtabhängige Bereitstellung von ATP für Bewegungsvorgänge. 

Es funktioniert aber anders, wobei Analogien zu Nervenzellen  erkennbar sind.
Offenbar bewirkt das Plastochinon-Redox-System innerhalb des Photosystems  einen Protonengradient über der Thylakoidmembran, somit also ein (schwaches) Potential. Dieses wirkt wiederum auf Membranproteine, welche den Ca2+-Einstrom regulieren. Die Belichtung der Zellen hat also einen Ca2+-Einstrom zur Folge, was zum einen einer Potentialänderung über der Zellmembran entspricht, aber auch einer Signalverstärkung .
Die solchermaßen bewirkte Signalverstärkung erfolgt  offenbar mit einer bestimmten Kennlinie mit einem Schwellwert, ab dem das Trichom entweder hin- oder aber  zurückbewegt wird. In der Gesamtheit der Trichome ergibt sich somit also eine wechselseitige Abschattung, die zu einem Gleichgewichtszustand führt.

Deshalb hat sich an der  Form des fotografierten Lagers auch nichts nenneswertes innerhalb einiger Tage verändert, außer dass sich andere Algen ebenfalls vermehrt haben, was wiederum Auswirkungen auf die OrganismenZusammensetzung der Probe hatte (mehr dazu später).

beste Grüße Michael Plewka



Monsti

Hallo Michael,

wie immer klasse Fotos! *Daumenhochsmiley*

Und Du hast Recht: Man muss nicht unbedingt exklusive Feuchtbiope vor der Tür haben - selbst im kleinsten Wassertrog lassen sich interessante Organismen finden.

Liebe Grüße
Angie