Eine seltene Schalenamöbe: Lecythium spinosum

Begonnen von Eckhard, September 13, 2012, 18:11:28 NACHMITTAGS

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Eckhard

Hallo,

am Wochenende habe ich auch eine merkwürdige Schalenamöbe gefunden. Vielen Dank an Ferry für die Bestimmung! Ich habe versucht, etwas mehr über diese gestachelte Amöbe und ihre Entdecker herauszufinden:

Am 20. Dezember 1900 erhielt der "Zoologische Anzeiger" einen längeren Brief von Robert Lauterborn, der in Heidelberg Zoologie und Botanik (u.a. bei Otto Bütschli) studiert hatte.

ZitatIn dieser vorläufigen Mittheilung möchte ich die Aufmerksamkeit der Hydrobiologen auf eine Lebensgenossenschaft mikroskopischer Süßwasserorganismen lenken, die einen geradezu erstaunlichen Reichthum an seltenen und interessanten Thieren aufweist. Ich nenne diese Genossenschaft nach ihrem Aufenthaltsort die sapropelische.
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In jenen kleinen, meist stark mit Schilfrohr bewachsenen Teichen und Tümpeln, deren Spiegel eine grünende Decke von Wasserlinsen (Lemna) überzieht ... finden wir den Boden meist von einer oft sehr mächtigen lockeren Schlammschicht bedeckt, die sich fast völlig aus faulenden Pflanzenresten (besonders abgestorbenen, gebleichten Lemna-Pflänzchen) zusammensetzt.   
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Nach unten zu nimmt der Schlamm eine tintenschwarze Färbung an und entwickelt einen sehr starken Geruch nach H2S. Im Laufe der beiden letzten Jahre habe ich in der Umgebung von Ludwigshafen am Rhein etwa 6 Gewässer von der eben geschilderten Beschaffenheit untersucht und in sämmtlichen überall eine sehr characteristische Thierwelt gefunden. Ich bin fest überzeugt, daß wir es hier mit einer wohlumgrenzten Lebensgenossenschaft zu thun haben, die ganz bestimmte Anforderungen an ihre Umgebung stellt und sich auch anderwärts sicher ebenfalls überall da nachweisen lassen wird, wo die entsprechenden Lebensbedingungen zusammentreffen.

Es folge eine Beschreibung häufig in diesem Milieu vorkommender Lebewesen, u.a. auch von Pamphagus armatus, einer von Lauterborn neu entdeckten Art:

ZitatPamphagus armatus nov. spec.
Körper beuteiförmig. Die Schalenhaut auf ihrer ganzen Oberfläche mit nach hinten gekrümmten zugespitzten Stacheln bedeckt.
Länge 45 — 70 µm lang, 32 µm breit 

1901 erfolgt die offizielle Beschreibung als Pamphagus armatus (Lauterborn).

In seinem Werk "Faune Rhizopodique" erwähnt Penard, er hätte diese Art einmal 1890 bei Wiesbaden gefunden und halte sie für Trinema spinosum (Penard). Penard zeigt auch eine Zeichnung (Seite 572). 1908, Robert Lauterborn ist mittlerweile außerordentlicher Professor in Heidelberg, erscheint in der "Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie" der 5te Teil seiner "Protozoen-Studien", diesmal mit dem Thema "Zur Kenntnis einiger Rhizopoden und Infusorien aus dem Gebiete des Oberrheins". In dieser Schrift ist auch eine ausführlichere Beschreibung von Pamphagus armatus enthalten sowie ein paar deutliche Seitenhiebe Richtung Penard!

ZitatGestalt beutelförmig, zusammengedrückt, vorn etwas verbreitert und mehr oder weniger abgestutzt. Die elastische Schalenhaut ist auf ihrer ganzen Oberfläche mit zahlreichen ziemlich langen, nach hinten gekrümmten, spitzen Stacheln bedeckt. Weichkörper, die Schale meist völlig erfüllend, bisweilen hinten etwas abgehoben. Kern kugelig, mit feinmaschigem Gerüstwerk und zahlreichen Vakuolen, dem Hinterende genähert.

Länge 45-70 µm, 32 µm breit

Vorkommen: Meist sapropelisch, besonders im kalkreichen Schlamm zerfallener Charta-Rasen. In verschiedenen Teichen in der Umgebung von Ludwigshafen aber immer nur vereinzelt.

Die vorliegende Artist durch die Bewehrung mit kräftigen, nach hinten gekrümmten Dornen mit keiner anderen Art der Gattung zu verwechseln. Penard hat allerdings (1902) in breiter Ausführung es als möglich hingestellt, dass ein von ihm 1890 unter dem Namen Trinema spinosum nach einem einzigen Exemplar beschriebener Rhizopode vielleicht mit Pamphagus armatus  identisch sein könnte. Wenn aber die von ihm in seinem großen Werke S. 572 Fig. 12 wiedergegebene flüchtige Skizze auch nur einigermaßen den tatsächlichen Verhältnissen entspricht, erscheint mir eine derartige Identifizierung völlig ausgeschlossen.
...
Ich muss darum auch an der spezifischen sowie generischen Verschiedenheit beider Formen festhalten.


Pamphagus armatus von Lauterborn gezeichnet

Zum Vergleich die Zeichung von Penard: http://www.arcella.nl/lecythium-spinosum

Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte! 1915 bestimmt Cash in "British Freshwater Rhizopoda and Heliozoa" (Band 3, Platte L) die Art als Lecythium spinosum (=Pamphagus armatus, Plagiophrys armatus)! Seitdem ist Ruhe ;D und der aktuell gültige Name ist Lecythium spinosum! Anscheinend kommt die Art nur vereinzelt vor, ich habe keine Artikel oder Bilder gefunden. Leider zeigten meine beiden Exemplare keine Filopodien.


40x, DIK


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Hier noch eine Vergrösserung:


Crop

Im unteren Teil der Amöbe sieht man ein paar Nahrungsreste. Der Kern ist oben rechts gut zu erkennen.

Auf Ferrys toller Webseite ist mehr über Lecythium zu lesen: http://www.arcella.nl/lecythium

Herzliche Grüsse
Eckhard
Zeiss Axioscope.A1 (HF, DF, DIK, Ph, Pol, Epifluoreszenz)
Nikon SE2000U (HF, DIK, Ph)
Olympus SZX 12 (HF, DF, Pol)
Zeiss Sigma (ETSE, InLens SE)

www.wunderkanone.de
www.penard.de
www.flickr.com/wunderkanone

Ferry

Lieber Eckhard,

Das ist doch toll, dass Du diese seltene Amöbe so SUPER fotografiert hast. Leider wissen doch séééééééhr wenig Tümpler wie wunderbar diese Entdeckung ist! Ich hab dieses Tier nur einmal gefunden, um 1980, wenn ich noch keine Kamera auf meine Mikroskop hatte. Für mich eine gute Gelegenheit auf Deine Fund ein gutes glas Whiskey zu trinken  ;D

Herzliche Grüße und vielen dank für diese Dokumentation!


Ferry
www.arcella.nl
www.natuurfotografie.info

Rolf-Dieter Müller

Lieber Eckhard,

wenn auf Deine Entdeckung von einem bekannten und anerkannten Experten schon ein Glas Whiskey getrunken wird, dann ist es schon etwas Besonderes.

Leider sehe ich Deinen Beitrag erst jetzt, da ich zu sehr mit eigenen beschäftigt bin, aber abgesehen von Deinen wie immer lebendig wirkenden Bildern gefällt mir die dazugehörige textliche Erläuterung. Und dieses ist mir dann auch ein Glas wert.

Viele Mikrogrüße
Rolf-Dieter

Michael Plewka

hallo Eckhard,

auch von mir nachträglich Gratulation zu Deinem Fund. Vor allem aber Dank für die sehr schöne Dokumentation mit den Literaturzitaten. Sehr schön. Bei den Fotos gefällt mir (wie auch bei Histiobalantium) die Ausschnittsvergrößerung am besten (Begründung an anderer Stelle).

beste Grüße Michael Plewka