Blick in ein Ganglion der Wintermücke

Begonnen von Jürgen H., Februar 25, 2009, 22:30:40 NACHMITTAGS

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Jürgen H.

Liebe Mikrogemeinde,

angeregt durch Bewies wunderschönes Bild mit einer Golgi Färbung hier etwas viel simpleres: Ein Querschnitt durch ein Thorakalganglion der Wintermücke.



Bei den Insekten besteht das Nervensystem ja aus dem eigentlichen Gehirn, das im Kopf über dem Schlund liegt und einer Kette von Ganglien, die strickleiterartig längs der Körperachse im Körper aufgereiht liegen und durch Konnektive, Nervenbahnen verbunden sind. Von den Ganglien führen Nervenbahnen zu den Muskeln, zu ihnen hin Nervenbahnen der peripheren Sinnesorgane. Die wohl ursprünglich für jedes Körpersegment gesondert vorhandenen Ganglien werden bei den Insekten in unterschiedlicher Weise verschmolzen. Es gibt Insekten, bei denen die Verschmelzung soweit fortgeschritten ist, dass alle Ganglien einen einheitlichen mit dem Gehirn verschmolzenen Komplex bilden.

Die Zellkörper der Nervenzellen sind bei den Insekten an der elektrischen Informationsverarbeitung nicht beteiligt. Damit sie besser von der Hämolymphe ernährt werden können, sind sie nach außen verlagert. Dementsprechend sind sie im Bild besonders im unteren Bereich des quergeschnittenen Ganglions zu sehen. Dort ist auch ein dünnes quergeschnittenes Häutchen sichtbar, dass das Ganglion umschließt. Es bildet eine Barriere zwischen der Hämolymphe und dem zentralen Nervensystem, die selektiv auf die aus der Hämolymphe eindringenden Stoffe wirken kann. Zentral im Ganglienkörper befindet sich das sogenannte Neuropil, also neuronale Fortsätze der Zellkörper. Hier finden die Interaktionen zwischen den Nervenzellen an Synapsen statt. Nach Dettner Lehrbuch der Entomologie,  kann jede der Nervenzellen tausende! Synapsen aufweisen. Etwas oberhalb der Ganglienmitte verläuft von links oben gebogen in Richtung Mitte quer ein Verbindungsstrang, wohl eine sogenannte Kommissur, die die beiden Seiten des Ganglions neuronal verbindet.

Unter dem Ganglion der bedauerlich zertrümmerte Chitinpanzer. Zwischen ihm und dem Ganglion ein paar Fettzellen, rechts im Bild einige Muskelzellen und quergeschnittene kleine Tracheen.

Der Schnitt ist etwa 8 mü stark, in Paraffintechnik ausgeführt. Färbung in Hämatoxylin Ehrlich Eosin Y.

Kommentare und Kritik sind willkommen.

Mikrogrüße

Jürgen Harst

Fahrenheit

Hallo Jürgen,

Bild und Erläuterung sind wie immer sehr informativ.
Wenn ich das richtig sehe, ist die Anzahl der Nervenzellen im Ganglion nicht so furchtbar hoch und der grösste Teil der Masse wird vom Nervengeflecht eingenommen. Das hätte ich so nicht gedacht.

Vielen Dank!
Jörg
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Jürgen H.

Hallo, Jörg:

So gering ist die Zahl gar nicht. Bei der Honigbiene wird die Zahl aller! Nervenzellen auf ca. 850.000 geschätzt, bei der Küchenschabe auf ca. 1.200.000.

Gegenüber der Anzahl beim Menschen ist das natürlich nichts. Hier musst Du um ein paar Potenzen hochgreifen. Etwa 10 hoch 12 Nervenzellen im Gehirn sollen es sein, wobei die übrigen Nervenzellen offenbar noch gar nicht mitgezählt sind. So steht es im besagten Dettner.

Aber dennoch: Für die kleinen Insekten ist es schon eine erstaunliche Zahl. Und sie befähigen sie offensichtlich zu staunenswerten Leistungen.

Mir ist z.B. ein Rätsel, wie es die kleinen Stelzmückchen schaffen, sich über das Jahr punktgenau abends an ein und derselben Stelle zum Tanzstelldichein einzufinden. Sie haben offensichtlich ein gutes räumliches Orientierungsvermögen, müssen bestimmte Landmarken in ihrem millimetergroßen Köpfchen abgespeichert haben.
Ich habe das vor drei Jahren beobachtet. Immer wenn ich daran dachte, sah ich sie an der gleichen Stelle in meinem Garten. Und im nächsten Jahr waren sie wieder da. Am selben Ort. Vielleicht ist es eine für Mücken augenfällige Stelle...

Mikrogrüße

Jürgen Harst

bewie

Hallo Herr Harst,

auch ein schönes Bild, das einen guten Überblick über die Struktur des Ganglions gibt. Was die Anzahl der Nervenzellen betrifft: Insekten bringen in der Bilderkennung und der Geländeorientierung ja offenbar eine Leistung, an die moderne Computer nicht rankommen. Kleine Geschichte am Rande: Wir haben mal eine Hornissenkönigin, die gerade anfing, die erste Wabe zu bauen, aus einem Nistkasten in unserem Garten ausquartiert und sie ein paar Kilometer weiter wieder fliegen lassen. Sie setzte sich dort erst mal in einen Baum, nach dem Stress musste sie sich wohl erst ausruhen. Als wir zurückkamen, war sie aber schon wieder da und danach durfte sie dann auch bleiben und am Nest weiterbauen:




Sie hat mit ihren Nachkommen den Meisenkasten vollgebaut und dann ein Filialnest angelegt. Gestochen worden ist nie jemand, obwohl wir oft bis auf einen Meter ans Flugloch herangegangen sind.

@Fahrenheit: Das Nervengeflecht besteht ja auch zu einem gewissen Teil aus Nervenzellen, auch wenn sie an dieser Stellen als Fortsätze ziemlich dünn und lang gezogen sind. Insofern kann man dieses Volumen nicht komplett von den eigentlichen Nervenzellen getrennt betrachten. In diesen Faser-Räumen finden sich auch nicht nur lange Leitungen, sondern die eigentlichen Verschaltungen zwischen den Dendriten und Axonen, dort sind die Schaltstellen, mit denen das Gehirn arbeitet. Die dicken Neuron-Körper sind eigentlich nur die Versorgungsbasis für das zugehörige Nervengeflecht und in gewissem Maß Integratoren für die Aktivitäten am Dendritengeflecht, das sie dann pberhalb einer gewissen Reizschwelle als Impulse an ihr Axon weitergeben.

Schöne Grüße
Bernd


Jürgen Ibs

Hallo,

das sind beeindruckende Bilder und Erkentnisse. Hornissen sind übrigens entgegen landläufiger Meinung sehr viel friedlicher als Wespen und bringen nicht ständig Menschen und Pferde um, auch wenn die Blöd-Zeitung das zuweilen behauptet. Mir bekannte Bauern schätzen sie sogar so sehr, dass sie sich über Nester in oder an den Scheunen freuen, weil sie die Wespen im Zaum halten, Menschen hingegen wenig aggressiv begegnen.

Jürgen

PS Zur Bilderkennung (hier: meine Haut) und Raumorientierung: Leider sind diese Fähigkeiten bei der Stechmücke und der Gnitze so gut ausgeprägt, dass sie mich jedes Jahr wieder ohne Mühe fast überall finden und piesacken. Die wissen immer, wann der blöde Tümpler am Abend kommt ... ;)
Ein freundschaftliches "du" ist immer willkommen - nicht nur dadurch ist das benachbarte Skandinavien vorbildlich.

Meine Vorstellung:
http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=34.0

Fahrenheit

Hallo Zusammen!

hier passt der Thread von Bernd (Nervenzelle aus dem Kleinhirn) ja schön rein. Was sich dort an einer einzelnen Zelle schon erahnen lässt, zeigt sich beim Insektenganglion aufgrund der geschickten räumlichen Anordnung noch mal in aller Deutlichkeit: ein Großteil der 'Nervenmasse' wird nicht vom Zellkörper eingenommen, sondern von den Dendriden und Axonen.

Was die kleinen Flieger aus dieser 'Wetware' herausholen, ist wirklich immer wieder erstaunlich. Aber es ist im Kleinen wie im Großem: das Netzwerk machts  ;D

Auch wenn es im letzten Sommer bei uns einige Zwischenfälle mit Hornissen gegeben hat (die in seriöseren Medien dargestellt wurden als in der "Blöd"): ich kann Herrn Ibs und Bernds Darstellung nur bestätigen: wir hatten vor einiger Zeit über mehrere Jahre hintereinander Hornissennester in der Füllung der Gartenhaustür.
Als Flugloch diente das Schlüsselloch. Das hatten wir nach innen hin ab geklebt - in der Enge des Häuschens war uns die Gefahr von Missverständnissen zu groß. Zum Auf- und Abschließen haben wir immer kurz mit dem Schlüssel an die Tür geklopft, geschaut, dass das Loch frei ist und dann um geschlossen. Passiert ist nie etwas.

Schöne Grüße
Jörg
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bewie

Hallo,

das Loblied auf die Hornissen kann ich nur bekräftigen: Seit dem oben geschilderten Erlebnis hatten wir immer wieder mal Hornissennester und ich habe mich jedes mal drüber gefreut. Es hat nie einen Stich gegeben, allenfalls sind die Nestwächter mal penetrant um mich herumgeflogen, wenn ich zu nahe am Nest war. Aber es ist einfach interessant, zu beobachten, die die Brummer am Eingang das Nest bewachen, die Ankömmlinge kontrollieren und außerdem als lebende Ventilatoren das Innenklima regeln. Die Königin selbst verzichtet offenbar ganz auf Aggressionen, solange sie alleine ist. Wie das vorgestellte Bild schon vermuten lässt, kann man in diesem Stadium gut auf 20 cm rangehen und fotografieren.

Schöne Grüße
Bernd