Grün und ekelig.....einfach nur zum Heulen!

Begonnen von olaf.med, November 10, 2012, 11:25:22 VORMITTAG

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olaf.med

Ich habe wirklich schon viel gesehen, aber das übertrifft alles bei weitem. Hier sieht man was der entsetzliche Schaumstoff aus den 1960ern in Verbindung mit subtropischem afrikanischem Klima anrichten kann :'( :'( :'(. Dieser hervorragende U-Tisch hat absolut keine Gebrauchsspuren und wurde möglicherweise niemals benutzt - und ist nun doch völlig versaut. Die malachitgrüne Farbe der Zersetzungsprodukte wundert mich sehr, normalerweise hinterläßt der Schaumstoff eine dunkelgraue klebrige Masse. Hier ist offensichtlich die Verchromung durchkorrodiert und das Kupfer aus dem Messing hat zur Bildung von "Grünspan" geführt. Der Belag läßt sich mechanisch zwar schwer aber doch rückstandslos entfernen. Dann bleiben schwarze Narben zurück. Die vernickelten Stahlschrauben sind völlig durchgerostet.

Wie schon gesagt, einfach nur zm Heulen... Bitte um Mitleid beim Betrachten der Bilder.

Herzliche Wochenendgrüße,

Olaf







Gerne per Du!

Vorstellung: http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=4757.0

... und hier der Link zu meinen Beschreibungen historischer mineralogischer Apparaturen:
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Peter V.

#1
Lieebr Olaf,

glaub mir, Du hast mein vollstes Mitleid!!! Da ich Dich kenne, kann ich mir Deinen Schock beim Öffnen dieser Kiste vorstellen. Auch ich habe hier einige Kästen mit dieser schaumig-schmierigen Ausgeburt der teuflischen Alchimistenküche aus den 60er herumliegen.

Aprops Alchimistenkürche und etwas ot: Gestern kam bei mir die Frage auf, warum die Triebe vieler alter und auch jahrzehntelang nicht bewegter Messingmikroskope meist tadellos laufen, hingegen fast alle nicht ständig benutzten Mikroskope ab den Sechzigern (bis in die heutige Zeit hinein!) nach ein paar Jahren völlig verharzt sind.
Gab es früher bessere Schmiermittel oder wurden die Triebe möglichweise gar nicht geschmiert?

Hezrliche Grüße
Peter
Dieses Post wurde CO2-neutral erstellt und ist vegan. Für 100 Posts lasse ich ein Gänseblümchen in Ecuador pflanzen.

ortholux

Olaf,

Du mußt jetzt ganz stark sein! Deine Befürchtung, daß die Nickelschicht Löcher hat, ist nämlich richtig. Hier ein gereinigter U-Tisch, dem das gleiche Schicksal widerfuhr:



Aber glaube mir, ich bin ganz bei Dir. Ich bekam die Tage ein Konvolut super gepflegter Ortholux-Teile, welche in den 60er Jahren feinst säuberlich in z.T. eigens dafür angefertigten Pleixglas-Kisten aufbewahrt wurden.

Seither allerdings nicht mehr benutzt:



Ich habe versucht, den Schmodder mit Xylol zu entfernen, was auf verchromten Flächen und Linsen super funktioniert. Der Lack eines Revolvers wurde allerdings etwas angegriffen.

Sollen wir uns heute abend mit einer Flasche Rotwein in den Schlaf heulen?

Mitfühlende Grüße
Wolfgang

Peter V.

Hallo,

dem späteren Chemie-Nobelpreisträger und "Vater der Makromoleküle" Herrmann Staudinger wurde seinerzeit von einem Kollegen gesagt:

"Sie haben früher so schöne Arbeiten auf dem klassisch organischen Gebiet gemacht; nehmen Sie diese wieder auf und vergeuden Sie Ihre Zeit nicht mit der Schmierenchemie".

Offenbar hatte diese Bezeichnung zu ihrer Zeit durchaus ihre Berechtigung!  >:(

Herzliche Grüße
Peter
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olaf.med

Lieber Wolfgang und Peter,

Danke für Euer Mitgefühl. Dieses Phänomen ist aber schon etwas Besonderes. Der dunkelgraue Schmodder ist ja tatsächlich löslich, wie ich in der Vergangenheit sehr oft erfahren habe, aber hier handelt es sich um feste kristalline Reaktionsprodukte, die man nur rein mechanisch entfernen kann. Aber, lieber Wolfgang, Du hast tatsächlich recht: das Ding ist vernickelt und nicht verchromt, was die spätere Bearbeitung deutlich erfreulicher gestaltet. Ich hatte mich, mit Tränen-umflortem, noch immer Rotwein-geschwängertem Blick täuschen lassen. 

Gruß, Olaf
Gerne per Du!

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Florian Stellmacher

Liebe Leidensgenossen,

ich habe ebenfalls solche Katastrophen erlebt: Ein 6fach-Revolver vom Leitz Orthoplan mit einem kompletten Satz Plan APOs, versunken in der grauen Vormals-Schaumstoff-jetzt-Pampe-Substanz. Völlig rückstandsfrei konnte ich das auch mit Xylol nicht entfernen, vor allem unten an den Objektiven ist das Metall angegriffen.

Ein Phasenkontrastkondensor von Olympus entging offenbar nur knapp diesem Schicksal; hier war die originale Holzbox mit grünem Schaumstoff ausgeschlagen, der sich in gleicher Weise zersetzt hat. Aber hier konnte ich den Pamps komplett entfernen.

Bei so einer Preziose wie dem U-Tisch tut es natürlich noch viel viel mehr weh - grauenhaft! Aber Olaf hat ja schon mehr als eine Handvoll Wunder vollbracht - ich bin gespannt auf das Ergebnis der Restaurierung!

Herzliche Grüße,
Florian
Vorwiegende Arbeitsmikroskope:
Zeiss Axioskop 2
Olympus BHS (DL, Pol, Multidiskussionseinrichtung)
Zeiss Axiophot (DIK und AL-Fluoreszenz)
Zeiss Axiovert (Fluoreszenz)
Wild M400 Fotomakroskop (DL, DF, AL, Pol)

ortholux

Zitat von: olaf.med in November 10, 2012, 13:37:03 NACHMITTAGS
....aber hier handelt es sich um feste kristalline Reaktionsprodukte, die man nur rein mechanisch entfernen kann...

Kannst Du das nicht auf den Spindeltisch schnallen und nachsehen, was das genau ist ;)?

Kann man Vernickelung flicken oder muß das ganz ab und neu gemacht werden?

Viele Grüße
Wolfgang

olaf.med

Hallo Wolfgang,

schön wär's, aber die Kristalle sind zu klein und schlecht für den Spindeltisch. Mit einer Röntgen-Phasenanalyse wäre es sehr einfach, aber meine Gandolfi/Debye-Scherrer Einrichtung wurde abgebaut und der Generator aus Sparsamkeitgründen stillgelegt. Das hat man vom Wegfall der Studiengebühren...

Schönen Abend,

Olaf
Gerne per Du!

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Hugo Halfmann

Lieber Olaf,

mein Beileid !  :'( :'( :'( Das ist echt der GAU bei so einem schönen und teuren Stück.

Auch in der Numismatik fast jegliches Plastik aus den 60er / 70er Jahren wegen seines Säuresgehalts berüchtigt und gefürchtet. Führt bei allen Stücken zu ähnlichen Ergebnissen...einfach gruselig.

Viel Erfolg beim restaurieren !




Viele Grüße aus dem Bergischen Land

Hugo Halfmann

TPL

#10
Lieber Olaf,
auch für mich ist es ein Grauen, solch ein schönes Stück (und die von Wolfgang gezeigten) durch eine schlampige Materialauswahl vor der möglichen Lebensdauer zugrunde gerichtet zu sehen. Auch ich habe, als ich noch auf Leitz-Geräte zu achten hatte, mit diesem Problem zu tun: sorgfältig im werkseitig gelieferten Verpackungsmaterial versorgte Auflicht-Illuminatoren, Diskussionsbrücken, UD-Tische mit allen Objektiven (Plural!), Phako-Einrichtungen, ... alles Schrott! Und so gingen sie denn leider vor ihrer Zeit den Weg alles Irdischen... :'(.

Mitfühlende Grüße
Thomas

PS: Einen kleinen Seitenhieb kann ich Dir (und Wolfgang, und anderen Leitz-Freunden) leider nicht ersparen: es mag noch so viele Dinge geben, die Zeiss nicht optimal gelöst hat (Delamination, Objektivzentrierung ::)), aber so einen groben und systematisch betriebenen Unfug haben die der Nachwelt erspart: bis in die 1960er Jahre wurde durchweg Filz eingesetzt. Danach kamen Schaumstoffe nur über ein darauf laminiertes (hässliches) Kunstleder mit den Geräten in Kontakt, das zumindest nach meiner Kenntnis keine Schäden angerichtet hat. Dauerhafter war allerdings der Filz, der auch in den Kästen meiner Zeiss-Winkel-Geräte (die mindestens 65 Jahre alt sind) stabil und ansehnlich geblieben ist.

Peter V.

Hallo,

besonders ärgerlich ist in diesen Fällen, dass ein schlampiger "Pfennigsartikel" in der Lage war, Werte im Tausenderbereich über die Jahre zu zerstören.
Aber das ist immer das Dilemma: Langzeitschäden erkennt man eben leider erst....nach langer Zeit!
Übriegns möchte ich zur Vorsicht mahnen: Selbst modernere Schaumstoffe neigen noch zu diesem Verhalten. Ich habe die Tage bei einem Mikrofreund noch eine bereits in Auflösung begriffene Schaumstoffeinlage aus einem Fotokoffer ( ca. 10 - 15 Jahre alt ) gesehen.

Herzliche Grüße
Peter
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Klaus Herrmann

Hallo Schmierentheater-Geschädigte.

Die Segnungen der frühen Schaumstoffchemie habe ich auch schon verschiedentlich von schönen Leitz-Teilen entfernt. Auch Olympus ist betroffen und seltener Zeiss, weil die - nicht, weil sie es besser wussten, sondern einfach aus Gründen der "Wertanmutung" wie Thomas schon beschrieb - noch zusätzlich verkleidet haben.

Dieses Elend hat auch die Automobilindustrie getroffen, die sich natürlich ebenfalls begeistert auf die neuen Polyester-Polyurethan-Schaumstoffe gestürzt hat. Leider hat man erst nach Jahren gemerkt, dass Polyester-PU´s nicht beständig sind. Die Ester-Bindung hydrolisiert und das Polymer zerfällt zu der bekannten schwarzen Schmiere. Die dann natürlich auch noch sauer reagiert und Metalle angreift.
Erst mit der neuen Generation der Polyether-PU´s hat man diese  Schaumstoffe hydrolysebeständig gemacht. Die Polyester-PU-Schaumstoffe nimmt heute keiner mehr.

Das ist das Problem der Beständigkeitstests, genauso das Problem der Tests auf Nebenwirkungen bei Arzneimittel oder auch der Umweltverträglichkeit.

Hat man richtig getestet, lange genug, alles bedacht? Ein Risiko, dem wir immer ausgesetzt sind!
Mit herzlichen Mikrogrüßen

Klaus


ich ziehe das freundschaftliche "Du" vor! ∞ λ ¼


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TPL

Hallo Klaus,
danke für die fachlichen Hintergründe.
In Anbetracht der "eingepackten" Werte halte ich es grundsätzlich für dumm, Materialien nach einem vermeintlichen Vorteil im Pfennig/Cent-Bereich auszuwählen, für die es überhaupt keine Langzeit-Erfahrung gibt. Na gut: Filz sieht tooootal altbacken aus. Aber es hat sich in mehreren Jahrzehnten (eher Jahrhunderten) bewährt. Da geht es überhaupt nicht an, ein bereits in den 1970er Jahren mehrere 1000 DM teures Gerät in einem auf Langzeitbeständigkeit ungeprüften (weil zu jungen) Material unterzubringen.

Natürlich haben auch Filz, Leder, Holz, Kork, Papier und andere traditionelle Materialien ihre Nachteile. Aber diese richten zumindest nicht so nachhaltig und systematisch das ihnen "schutzbefohlene" Gerät zugrunde.


derda

Diese Bilder erzeugen Emotionen. Im Grunde genommen sind es doch nur ausgepolsterte Transportboxen. Welcher Hersteller konnte ahnen, daß einige Transporte Jahrzehnte dauern?
Selbst wenn jetzt das eine oder andere Gerät vor dem Verfall gerettet wird, was passiert mit ihm? In den meisten Fällen landet es danach wieder in einer Schublade und kommt vielleicht erst als Nachlass wieder zum Vorschein.
Noch schlimmer steht es mit dem Wissen um diese Geräte. Mechanisch ist ein solcher Tisch ja schon ein Kunstwerk. Leider können mit ihm die wenigsten umgehen.

Vielleicht sollte deshalb dem Wissensverfall genauso entgegengetreten werden, wie dem reinem Materialverlust. Sich mit seinem Mikroskop zu beschäftigen hilft übrigens auch gegen Verharzung und Vergreisung.

Viele Grüße

Erik