historische Mikroskope für Gehirnschnitte und die Lehre

Begonnen von Dr. Timo Mappes, Januar 07, 2013, 01:05:19 VORMITTAG

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Dr. Timo Mappes

Liebe Leser,

über die Weihnachtsfeiertage konnte ich ein paar längst fällige Diskussionen antiker Mikroskope ergänzen und möchte hier ein paar besondere Hervorheben.
An dieser Stelle möchte ich meinen besonderen Dank Florian Stellmacher aussprechen, dieser organisierte die Leihgabe eines historischen Präparats für die hier zu sehenden Fotografien und ermöglicht damit aus der Zeit vor Ende des Ersten Weltkriegs stilecht alle wesentlichen deutschen Mikroskopstative für die Untersuchung von Organschnitten, besonders des menschlichen Hirns, auf der Webseite der Allgemeinheit zu präsentieren:

(1) das Schlittenmikroskop nach Johann Eberhard Nebelthau von Ernst Leitz Wetzlar um 1905:


(2) für höhere Vergrößerungen und mit vereinfachtem Abbe'schen Beleuchtungsapparat ausgestattet das Mikroskop für die Untersuchung von Gehirnschnitten von Ernst Leitz Wetzlar aus dem Jahre 1917:


(3) das neuwertige Stativ für Gehirnschnitte mit vollständigem Abbe'schen Beleuchtungsapparat von Carl Zeiss Jena aus dem Jahre 1911, geliefert an die Anatomie der Universität Tübingen und offenbar verwendet von Korbinian Brodmann (1868-1918), welches durch idealistische Vermittlung bereits vor einiger Zeit in die Sammlung gelangte:


(4) für die Lehre im Allgemeinen und bei schwachen Vergrößerungen eingesetzt wurde das aus der Zeit um 1865 stammende Engell's Patent-, Schul- u. Salon-Mikroskop, hier ausgestatte mit einem zusätzlichen Tischstativ:

Viel Freude bei der Lektüre, beste Grüße
Timo Mappes
Prof. Dr.-Ing. Timo Mappes
Deutsches Optisches Museum
Carl-Zeiss-Platz 12
07743 Jena

*************************
privat:
Museum Optischer Instrumente
www.musoptin.com

Die erste vollillustrierte deutschsprachige Seite zur Geschichte der Mikroskope für die Wissenschaft im 19. & frühen 20. Jahrhundert

purkinje

#1
Hallo Herr Mappes,

seit einiger Zeit bin ich bereits ein Fan Ihrer schönen Webseiten. Natürlich interessieren mich als nervenheilkundlich Tätigen, der selbst ein paar tausend Gehirnschnitte angefertigt hat, diese Mikroskope besonders!
Sehr schön auch der versilberte Schnitt durch beide Gehirnhälften den Florian Ihnen vermitteln konnte! Man hat mit derartigen Schnitten nicht nur die einzelnen Arten und Formen der Nervenzellen sondern auch die Verbindungen zwischen den einzelnen Hirnregionen erstmals zu beschreiben versucht- also lange vor den elektrophysiologischen oder gar kernspintomografischen Untersuchungen hierzu.

Anmerken möchte ich zu dem Absatz über Korbinian Brodmann auf Ihrer Seite, dass es keinesfalls "überraschend" war, dass seine Arbeiten als Habilitation an der Humboldt Universität abgelehnt worden ist. Hatte er sich doch mit seinem dortigen Chef Oskar Vogt schon überworfen und war 1910 defakto gekündigt worden!
Da kommen wir zu dem gezeigten Mikroskop zurück: es könnte ein Geschenk zu seiner später in Tübingen erfolgte Habilitation (1911) gewesen sein, übrigens hatte er sich dort mit den bereits vormals abgelehnten Arbeiten aus der Berliner Zeit habilitiert!
Das würde vielleicht auch erklären, weshalb das Gerät in so formidablen Zustand ist (eher Vitrine als Labor?).

Sie schreiben schließlich er habe kurz vor seinem plötzlichen und tragischen Tode im August 1918 einen Ruf an die LMU München erhalten; das stimmt zwar formal, jedoch war es Emil Kraepelin selbst, der ihn an die 1917 von König Ludwig III gegründete "Deutsche Forschungsanstalt für Psychiatrie" holte. Diese wohl zur damaligen Zeit, als die meisten psychiatrischen Kliniken noch "Irrenanstalten" und deren Ärzte "Irrenärzte" hießen, europaweit modernste und aufstrebenste Forschungsanstalt auf psychiatrischem Gebiet, war also nicht ein x-beliebiger Ort für eine Berufung! Später wurde dieses Institut in die Kaiser-Wilhelm- Gesellschaft (1924) eingegliedert und später zum heute noch bestehenden Max-Planck-Institut für Psychiatrie.

Wir haben also ein Mikroskop eines, wie ich meine der bedeutendsten Gehirnanatomen vor uns, nachdem bis heute die verschiedenen Gehirnareale histologisch unterschieden werden können (Brodmannsche Areale oder Felder).
Beste Grüße

Dünnschliffbohrer

Lieber Herr Mappes,

Ich möchte mich dem Lob voll und ganz anschließen. Für Leitz gibt es zwar das Buch von R. Beck, aber für die vielen anderen Hersteller und Modelle findet man in der (zumindest mir zugänglichen Literatur) nur Bruchstückhafte Informationen. Da muss ja sehr viel Rechercheaufwand dahinterstehen, zumal die meisten der Firmen wohl längst erloschen sind. Es würde mich sehr freuen, wenn Sie mittelfristig die Informationen ihrer Internetseite (und evtl. mehr) in Buchform herausbringen würden.

Ein bischen schade finde ich, das meine Lieblinge, die Stemi´s, in Ihrer Sammlung bisher noch so schwach vertreten sind. Immerhin haben sie sich heutzutage einen gleichrangigen Platz neben den herkömmlichen Durchlichtmikroskopen sowohl bei den Herstellern, als auch auf Anwenderseite erobert.

Aber das wird durch die vergleichsweise hohe Zahl der frühen Polarisationsmikroskope ausgeglichen.

Viele Grüße und ein an "neuen" Mikroskopen reiches Jahr 2013 - Dsb.
"Und Gott sprach: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei; und er schuf um ihn Laubmoose und Lebermoose und Flechten und ein Mikroskop!"
[aus: Kleeberg, Bernhard (2005): Theophysis, Ernst Haeckels Philosophie des Naturganzen,  S. 90]

Florian Stellmacher

Lieber Timo,

da ist es, das wunderbare Foto des Nebelthau-Mikroskops, unter dem der bewusste Großschnitt liegt! Es war mir eine Freude, diesen Schnitt leihweise zu organisieren - mal davon abgesehen, habe ich hierdurch sehr interessante neue Kontakte nach Hamburg knüpfen können, von denen ich hoffe, dass sie noch große Früchte tragen werden.

Ich finde es großartig, wenn Sammler etwas gemeinsam organisieren oder gestalten können!

Herzliche Grüße,
Florian

Vorwiegende Arbeitsmikroskope:
Zeiss Axioskop 2
Olympus BHS (DL, Pol, Multidiskussionseinrichtung)
Zeiss Axiophot (DIK und AL-Fluoreszenz)
Zeiss Axiovert (Fluoreszenz)
Wild M400 Fotomakroskop (DL, DF, AL, Pol)

ortholux

Lieber Timo,

tja - schade, daß es das "Nebelthau" nicht in schwarz gibt.
Aber auch in Messing gibt's schöne Sachen. Danke für die Einführung.

Viele Grüße
Wolfgang

purkinje

Hallo an alle historisch an der Gehirnforschung Interessierten,
ein Filmtipp:
zur Zeit aber nur noch wenige Tage (bis nächsten Mittwoch!) ist in der arte Mediathek der Film "Poll" von Chris Kraus bei halbwegs vorhandener Internetverbindung (es gibt auch eine Version mit kleinerer Auflösung: SQ unten anklicken) ansehbar:
http://videos.arte.tv/de/videos/poll--7247638.html

Ein Mikroskop gibt es nur ganz kurz in der Kulisse zu sehen  ???, aber sehr eindrückliche Bilder, welche m.E. sehr gut die Bedingungen und die  heute schon befremdlichen Umstände der noch jungen Hirnforschung zu Beginndes 20. Jh illustriert!
Diese sind manchmal schon (für Nicht-Mediziner) gewöhnungsbedürftig, aber aus den historischen Quellen kann man entnehmen, dass es sich so oder so ähnlich vielerorts zugetragen hat.
Meines Wissens der einzige Spielfilm der sich (in einer Nebenstory) mit diesem Thema befasst.
Auch ansonsten ein, am estnischen Schauplatz an der Ostsee gedrehter, sehr epischer und mehrfach preisgekrönter Film.