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Killer

Begonnen von Michael Plewka, Februar 25, 2013, 22:46:20 NACHMITTAGS

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Michael Plewka

hallo zusammen,

zur Zeit untersuche ich einige Baummoos-Proben; dort finde ich verschiedene Rädertiere aus der Familie Dicranophoridae. Eine Art ist Encentrum lutra, ein wahrer Killer unter den Rädertieren. Ungemein beweglich, ständig aktiv und auf der Suche nach etwas Fressbarem greift das Viech  alles an, was nicht bei 3 auf dem Baum ist.....;-)   obwohl: es gibt auch Ausnahmen.

Rädertiere der Gattung Encentrum haben einen Kauer, der aus dem Körper herausschnellen kann. Pinzettenartige Klauen ergreifen die Beute oder aber Algenzellen und zerren diese in den Körper:





Das folgende Bild zeigt E. lutra, das dabei ist,ein Rädertier  (Bryceella stylata)  zu verschlingen. Der Fuß mit den Zehen schaut noch heraus (rechts):




Ca 1 min später ist Bryceella im Magen gelandet. Der linke Pfeil weist auf die Cilien am Kopf. Diese haben  noch über eine halbe Stunde später geschlagen.  Rechter Pfeil weist auf die Zehen der Beute.



In einem weiteren Encentrum-Viech war eine Cephalodella als Beute. Linker Pfeil: Kauer der Beute; rechter Pfeil: Zehen:



Die Reaktion auf bdelloide Rädertiere ist unterschiedlich: einige werden zwar attackiert; aber nicht gefressen;  bei anderen wendet sich Encentrum sogar nach Begegnung/ Berührung  ab (geben möglichweise   diese bdelloiden einen Schutzstoff ab?).


Auch einige Ciliaten werden angegriffen.  Leider war der Blitz nicht schnell genug nachgeladen, um das Ergreifen einer Frontonia  festzuhalten, hier aber das Ergebnis einer solchen Attacke: der Kauer des Encentrum schlägt ein Loch in die Frontonia; diese stößt jede Menge Trichocysten aus, die man rechts oben im Bild sieht:




Frontonia entkommt, verliert aber jede Menge Cytoplasma. Die Trichocysten zeigen bei Encentrum  eine deutliche Wirkung: der Kopf wird mehrfach hintereinander eingezogen und wieder ausgefahren, der Vergleich mit einem Hund, der in ein Wespennest gebissen hat, drängt sich mir auf:

Seltsamerweise werden andere Ciliaten wie z.B. Blepharisma hyalinum überhaupt nicht angegriffen, auch wenn es zu einer Berührung kommt.

beste Grüße Michael Plewka

the_playstation

Danke und Hallo,

Klasse Bilder und eine tolle Beschreibung der Beobachtung.
Sie zeigen, wie spannend Mikroskopieren sein kann.
Wie eine Safari in Afrika oder ein Tauchgang an einem Riff.

;D ;D ;D aus Hamburg, Jorrit.
Die Realität wird bestimmt durch den Betrachter.

Gerald

#2
Hallo Michael,

vielen Dank für den sehr interessanten Bericht. Es ist schon faszinierend, welche Nischen als Lebensräume erobert werde. Es muss schon ein extrem schneller Wechsel zwischen freuchten und trockenen Milieu sein.

Aber hast Du bei den Baummoos-Untersuchungen auch die Frontonia und Blepharisma gefunden?

Ich habe Blepharisma japonicum und B. americana in Kultur und diese Einzeller schon öfters anderen Ein- oder Mehrzellen als Futter angeboten. Diese werden nur sehr wenig oder garnicht angenommen. Zum Beispiel nahmen die Bursarias die Blepharismen americana (obwohl sie die optimale Größe haben) nur einmal auf und dann nicht mehr. Ggf. haben Blepharismen einen chemischen Abwehrstoff - ich habe allerdings diesbezüglich noch nichts darüber gelesen.

Viele Grüße

Gerald

Manfred Melcher

Hallo Michael,

vielen Dank für diesen spannenden Beitrag aus dem Reich der Jäger- und Gejagten. Da kann kein Fernseh-Programm mithalten! Deine Beiträge regen zum Nachvollziehen an und enthalten immer Details die zumindest mir bisher unbekannt waren. Ich freue mich schon auf Deinen nächsten Beitrag.

Liebe Grüße

Manfred

Monsti

Hallo Michael,

na, da schlagen doch die Tümplerherzen wieder höher! Interessante Doku und schöne Bilder!

Liebe Grüße
Angie

Michael Plewka

hallo zusammen,

vielen Dank für die netten Kommentare!

Als Taucher kann ich die Assoziation gut nachvollziehen....

zu Geralds Fragen: Die Frontonia Art (sehr klein) und das, was ich für Blepharisma hyalinum halte
(Bild hier:http://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenProtista/source/Blepharisma%20hyalinum.html )


befinden sich auch in der Probe. Die Vermutung einer chem. Abwehr liegt nahe, zumindest aber, dass einige Viecher -aus der Wahrnehmung der anderen Organismen heraus- "schlecht" riechen. Wie unterschiedlich bestimmte Stoffe wahrgenommen werden, kann ich auch bei unserem Kaninchen festestellen. Dieses lässt sich gerne streicheln, aber wehe, ich habe zuvor eine Orange geschält (einen Geruch, den ich sehr gern mag);  da setzt sofort ein Fluchtreflex ein.

Bezüglich der Mikrowelt habe ich ebenfalls keine Literatur zu der chem. Wahrnehmung; m.E. deuten aber viele meiner eigenen Beobachtungen genau darauf hin. Ich wage mich sogar soweit vor und stelle die Hypothese auf, dass die Evolution der Tümpler-Organismen genau in diese Richtung: chemische Kommunikation, besonders hoch entwickelt ist.

beste Grüße Michael Plewka


Gerald

Hallo Michael,

mir ist das Fundmilieu noch nicht ganz klar. Liege ich bei Baummoos hier richtig: http://de.wikipedia.org/wiki/Baummoos? Ist das Baummoos im Wasser und hast Du es dann ausgespühlt und ausgedrückt?

Noch eine Beobachtungen bezüglich Wahrnehmung und chemischer Abwehr: ich habe mal Amöben gleichzeitig mit Paramecium bursaria und Blepharisma americana füttern wollen (um ein bisschen Farbe in die Bilder zu bekommen). Die Amöben haben sich mit Paramecium vollgestopft, aber nicht ein Blepharisma aufgenommen. Obwohl P. bursaria wesentlich agiler als Blepharisma sind.

Bei den Kulturversuchen der Bursaria truncatella hatte ich ja wie geschrieben auch keinen nachhaltigen Erfolg mit Blepharisma. Interessant wäre es, ob die Bursaria die "Erfahrung" mit der Zellteilung weitergibt.

Viele Grüße

Gerald

Michael Plewka

hallo Gerald,

gut, dass du nachfragst!!
Dass die Flechte Pseudevernia als Baummoos bezeichnet wird, habe ich nicht gewusst (würde ich aber so nicht machen). Diese Flechte war deshalb nicht gemeint, sondern eine gänzlich unspezifische Mischung  von Moosarten (es sind wohl mehrere) an Baumstämmen, in diesem konkreten Fall ca. 80 Jahre alter (geschätzt) Rotbuchen in unserem "Busch" in der  Nachbarschaft.
Die Bezeichnung "Baummoos" finde ich als Angabe zum Habitat vieler Arten bdelloider Rädertier im Standardwerk von DONNER (1965). Die englische Übersetzung (zum Habitat von E. lutra) lautet "moss on tree", womit  keinesfalls Flechten gemeint sind.

Die genauen Moosarten des Bewuchses kenne ich nicht (ich kann es mir aus zeitlichen Gründen leider nicht leisten, bezüglich der Moose ein weiteres Bestimmungs-Fass auffzumachen (Hilfe, Herr Kaiser ;-)      ); es sind aber wahrscheinlich mehrere Arten.

Ich glaube aber, dass sich jede(r) Leser(in) unter der Bezeichnung für das Habitat nun etwas vorstellen kann, und ich kann nur dazu raten, auch mal eine solche Probe zu untersuchen. Wichtig ist mir hierbei die Abgrenzung dieses Habitats gegenüber Tümpel-Proben. In der Literatur wird für Encentrum- Arten nämlich überwiegend ein permanent aquatisches Millieu angegeben, was für das "Baummoos", wie du schon richtig bemerkt hast,  definitv nicht zutreffend ist. Hier wechseln Phasen  von Nässe , Trockenheit und Kälte deutlich extremer als in anderen Nassbiotopen.
Als ich das Moos gesammelt habe, erschien es (wegen des Frosts?) pulvertrocken. Es wurde dann mit ein wenig Pulverschnee versetzt, das Ganze bei ca 10 Grad 2 Tage stehen gelassen. Die abtropfende Flüssigkeitwurde mikroskopiert.

Wie unterschiedlich die Beobachtungen in solchen Proben sind, hat sich bei der Untersuchung einer vermeintlich ähnlichen Probe von einer ca 30m entfernt stehenden, gleich großen Rotbuche herausgestellt.  Diese Probe enthielt überhaupt keine E. lutra, dafür jedoch mindestens 8 unterschiedliche bdelloide Rädertierarten (die ich leider nur z.T. identifizieren kann) in deutlich größerer Anzahl.
In letzterer Probe fand ich auch  in großer Menge (ca 50 pro Wassertropfen unter dem Deckglas) dieser Gebilde (??Entwicklungsstadien eines Mooses??), die in der anderen Probe völlig fehlen:



Ich bin deshalb sicher, dass man in diesen Proben noch jede Menge überraschender Funde machen kann.

Die Frage nach der chemischen Interaktion zwischen Blepharisma und anderen Protisten ist hochinteressant. Da du ja solche Organismen in Kultur hast, bin ich auf deine weiteren Beobachtungen diesbezüglich sehr gespannt und hoffe, dass du uns davon berichten kannst.

beste Grüße Michael Plewka


Monsti

Hallo Michael,

das letzte Foto zeigt m.E. tatsächlich vegetative Entwicklungsphasen eines Mooses. Ich beobachte diese Triebe in den Präparaten immer wieder, meist an Sphagnen.

Viele Grüße
Angie

Michael Plewka

#9
hallo Angie,

vielen Dank für den Hinweis. Um ein Missverständnis auszuräumen: bei den von mir so ungenau charakterisierten Moosen handelt es sich nicht um Sphagnen; auch Lebermoose würde ich jetzt erst mal ausschließen. Ich habe diese Gebilde auch nicht an Moosen gefunden, sondern nur in den oben beschriebenen Moosproben, d.h. in der Flüssigkeit verteilt.  In den 3 Wochen, in denen ich diese Probe aufbewahre, finde ich die Gebilde weiterhin, ohne dass eine Veränderung (Zellteilung/ Absterben) erkennbar ist.  Vielleicht handelt es sich ja um aerophytische Algen, wobei ich im "Syllabus" von ETTL/ Gärtner auch nicht fündig geworden bin. Ich stelle das "Rätsel" einfach mal unter Bestimmungshilfe ein....

beste Grüße Michael Plewka