Liebe Freunde historischer Mikroskope!
Bei dem Mikroskop, das ich heute vorstellen möchte, handelt es sich um ein frühes binokulares Mikroskop aus England, das 1868 gefertigt wurde.
Die Firma Crouch wurde 1865 als H & W Crouch in London gegründet. Ab 1868 hieß die Firma H. (für Henry) Crouch. Crouch produzierte neben Mikroskopen, die einen exzellenten Ruf genossen, auch andere optische Instrumente. Der 1866 erschienene
Catalogue of Achromatic Microscopes, Telescopes, Race & Marine Glasses, etc. umfasste 24 Seiten. Crouch bediente mit seinen Instrumenten zwar gehobene Ansprüche, keines der Mikroskope zielte jedoch in das z.B. von Ross, Beck oder Powell & Lealand versorgte oberste Marktsegment. Gleichwohl waren die von Crouch angebotenen Stative und Optiken von hervorragender Qualität. Die früheste von Bracegirdle nachgewiesene Seriennummer ist die 315, meines trägt die Nummer 849 [1]. Weitere Mikroskope dieses Typs stehen z.B. in der Billing’s Collection in Washington oder bei arsmachina.com.


Mein Crouch wird in
Hogg’s The Microscope, New Edition von 1867, [2] in der Appendix beschrieben. Hier heißt es:
„The instrument manufactured by Mr. H. Crouch, London Wall, possesses many important advantages as a cheap microscope. First it combines perfect optical performance with good workmanship in its construction of the stand. It is well balanced, and stands firmly in any position. The polariscope can be used (the analyser being adapted to binocular) with the 2-inch [objective]. The Stage is of a new construction, giving universal movement of 1 ½ inch in extend. The condenser is on a separate stand, and the accessory apparatus can be adapted in any time, without returning the instrument to the maker’s hands.
The latest improvement effected in this cheap instrument is the adaptation of a concentric rotating stage, a most convenient and useful addition. This stage is an adaptation of Naches principle, and consists of: a lower plate or stage attached to stand in the ordinary manner, with fitting beneath to receive the accessory illuminating apparatus. [There] is an upper plate rotating centrically with optic axis of the microscope. [There] is a plate of polished glass let in and secured to upper surface of […] spring attached to outer edge of the plate […] and rotating with it, having as the outer extremities projecting “ivory” points […]. The object carrier, consisting of another plate of polished glass, mounted in brass frame, having an attachment for holding the object. […] the brass frame is kept in contact with the circular plate […], thus securing a beautiful smooth and delicate – though firm – adjustment, which admits of an object being found with extreme facility under the highest powers […]”
Aus Hogg, The Microscope

Der drehbare Gleittisch, aus Hogg, The Microscope

Der Gleittisch an meinem Mikroskop
Hoggs Beschreibung hebt bereits die wesentlichen Vorzüge des Mikroskops hervor, nur die Tatsache, dass es sich um ein
binokulares Mikroskop handelt, findet hier keine besondere Würdigung. Entsprechende Instrumente wurden nämlich bereits ausführlich in diesem Werk besprochen. Crouch’s Cheap Binocular Microscope besitzt einen Binokulartubus nach Francis (Herbert) Wenham (1824 – 1908). Dieser technische Universalist, von Haus aus Marineingenieur, war u.a. Konstrukteur bei der Firma Ross, London. Hier entwickelte er neben wichtigen mechanischen Verbesserungen des Mikroskop-Stativs auch mehrere Verfahren für binokulares Mikroskopieren.
Aus heutiger Sicht erscheint die Entwicklung des Binokulartubus (erste Versuche gehen ja bereits zurück in das 17. Jh.) recht naheliegend. Von der Warte eines Mikroskopikers des 19. Jh. aus betrachtet ist es jedoch kaum vermittelbar, warum man mit beiden Augen in das Mikroskop blicken können sollte. Wenham schwebte hier ein stereoskopisches Sehen vor. Erst später entwickelte er auch Mikroskope, die das gewöhnliche binokulare Mikroskopieren, das wir heute kennen, realisieren. [3] Das Herzstück des Wenhamschen Biokulartubus ist das Wenahm-Prisma, von dem es diverse verschiedene Versionen gibt. Eine ist unten abgebildet. [4]

Beispiel eines Strahlengagnes beim Binokulartubus nach Wenham, aus Beale: How to Work With The Microscope
Bei meinem Mikroskop ist, so wie es sich dann auch zunächst durchgesetzt hatte, das Prisma so gestaltet, dass ein Tubusrohr gerade verläuft, so wie bei einem normalen monokularen Mikroskop, das andere Tubusrohr ist winkelversetzt angelötet. Die Strahlengänge werden unter Beibehaltung des Sehwinkels durch das Prisma zusammen geführt. Das Prisma ist am unteren Ende des Tubus in einen Schacht eingeschoben, Wird es entfernt, ergibt sich die Möglichkeit, das Mikroskop als monokulares Mikroskop zu betreiben, was bei höheren Vergrößerungen unumgänglich ist.

Einschub des Wenham-Prismas

Das Wenham-Prisma
Das Stativ des Mikroskops folgt dem üblichen Lister Limb-Prinzip. Der Tubus wird mit Zahn und Trieb grob fokussiert, die Feinfokussierung geschieht über ein kleines Stellrad vorne am Tubus, das auf einen unsichtbaren Innentubus wirkt. Alles ist mit äußerster Präzision gefertigt und läuft auch heute noch ohne jedes Spiel (ganz anders als es zumeist bei Bar Limb Stativen der Fall ist). Die Bezeichnung „Cheap“ suggeriert in gewisser Weise, dass es sich um ein kleines Mikroskop handelt. Dies ist auf den ersten Blick nicht so, erst wenn man das „Original“, Wenhams Binokularmikroskop von Ross daneben stellt (so stehen sie bei mir in verwandtschaftlicher Beziehung vereint), erkennt man, dass es ein ganzes Stück kleiner ist. Dies bedeutet jedoch auch, dass der maximal einstellbare Augenabstand für heutige Mikroskopiker arg gering ist – ich zumindest muss schon ein Wenig schielen, um mit beiden Augen hinein zu sehen. Der gläserne Gleittisch hat inzwischen kosmetische Mängel, man könnte fast sagen, dass die Klebung delminiert ist, auch ist ein Gleitfuß des Objekthalters verloren gegangen, die Funktion ist aber nach wie vor gegeben, der Tisch funktioniert tatsächlich verblüffend sanft und präzise. Eine Besonderheit stellt der invers montierte typische Y-förmige „claw foot“, der dem Mikroskop eine besondere Dynamik verleiht: Es wirkt so, als wolle auch der Fuß nach vorne, auf das Objekt, deuten. Entsprechend gestaltete Mikroskope gibt es z.B. auch von Beck, sie sind jedoch eher selten anzutreffen.
Die optische Qualität des Mikroskops ist tadellos, es ist eine Freude, damit zu mikroskopieren. Der stereoskopische Eindruck ist jedoch nur begrenzt plastisch, echte Stereomikroskope (Greenough, Galilei) liefern ein deutlich räumlicheres Bild. Der Beleuchtungsapparat besteht aus einem bulles eye condensor mit höhenverstellbarem Stativ sowie einer drehbaren Lochblendenscheibe. Damit ist der Standard damaliger englischer Mikroskop erfüllt.
Das Mikroskop kommt in einem Mahagonikasten mit diversen Objektiven, jeweils in handgravierten canisters, zwei Okularpaaren, stage forceps, life box und in Kork gefasstem Polarisator; lediglich der Analysator ist nicht mehr vorhanden. Der Schlüssel des Kastens ist noch im Original erhalten, was eher selten vorkommt.
Ich konnte das Mikroskop 2007 auf einer Londoner Antiquitätenmesse erstehen.
Herzliche Grüße,
Florian
[1] Bracegirdle, B: Nores on Modern Microscpe Manufacturers, Oxford 1996, S. 25 f
[2] Hogg, J: The Microscope, New Edition, London and New York, 1867, S. 746 ff
[3]
http://www.armchair.com/sci/wenham.html[4] Beale L.: How to Work With The Microscope, Pall Mall 1865