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Brachonella spiralis

Begonnen von Martin Kreutz, Januar 21, 2014, 20:05:50 NACHMITTAGS

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Martin Kreutz

Liebes Forum,

ich habe mich viele Jahre mit dem Faulschlamm im Abflusskanal des Simmelriedes beschäftigt. Diesen muss man sich als etwa 4 m breiten und 20 m langen Wassergraben vorstellen, der mit Falllaub komplett gefüllt ist. Dieser Schichten von Falllaub, in verschiedenen Zersetzungsstadien und Tiefen, beherbergen hunderte Arten von Ciliaten. Fast alle sind hochspezialisiert, wie Metopus, Caenomorpha oder Cirranter. Die Viecher aus dem Schlamm (genauer gesagt zersetztem Pflanzenmaterial) zu isolieren, ist oft nicht einfach. In diesen Proben findet man auch oft Brachonella spiralis, einem stattlichem Verwandten von Metopus. Die Gattung Brachonella wurde 1964 von JANKOKSKI eingeführt. Er grenzt Brachonella von Metopus auf Grund folgender Merkmale ab:

- vorderer Körperabschnitt größere als der hintere
- Die adorale Membranellenzone verläuft spiralförmig im Uhrzeigersinn und nicht schräg oder abgeknickt wie bei Metopus.

Brachonella spiralis wird mit ca. 100 µm recht groß für einen Faulschlammbewohner und hat beim schwimmen ein typisches Erscheinungsbild, welches durch sein dichtes Wimpernkleid geprägt ist. Die Zelle dreht sich beim schwimmen ständig und man kann die Details nur schwer erkennen. Im Vergleich zu diversen Metopus Arten ist Brachonella spiralis häufiger untersucht worden, weil diese Art auch häufiger vorkommt und auch nicht ganz so deckglasempfindlich ist. Hier zwei Zeichnungen von Brachonella spiralis von Kahl (wahrscheinlich nach Lebendbeobachtung) und von Dragesco-Kerneis (nach fixiertem Material):



Auch ich finde Brachonella spiralis sehr häufig in meinen Proben. Ich denke in anderen Faulschlammproben aus der oberen Blätterschicht wird es ähnlich sein. Der ca. 80 -140 µm lange Ciliat hat ein etwas plumpes Erscheinungsbild, weil ihn der lange Endstachel von Brachonella darwini fehlt. Der vordere Teil ist ebenfalls kompliziert geformt und Brachonella typisch. Der Ciliat schwimmt langsam und gleichmäßig und rotiert dabei um die eigene Achse. Er ist ebenfalls gelblich oder bräunlich gefärbt und besitzt fast immer einen auffälligen Pigmentfleck auf bräunlichen Granula im Kopfbereich. Die adorale Membranellenzone zieht auch hier von der Scheitelgegend bis hinunter zum Übergang in den verjüngten Teil in einem vollständigen 360° Umlauf. Die adorale Membranellenzone (AZM) ist sehr breit. Sie mündet in der rechts sitzenden Mundöffnung, vor der eine undulierende Membran steht (UM) und keine Plasmamembran, wie bei Brachonella darwini. Am Hinterende steht ein Büschel von verlängerten Caudalcilien (CC). Hier Aufnahmen eines frei schwimmenden Exemplars:


PW = perizonales Wimpernband
UM = undulierende Membran
AZM = adorale Membranellenzone
CC = Caudalcilien

Bei einem anderen, ebenfalls frei schwimmenden Exemplar, hatte ich noch etwas mehr Glück, weil sich das Exemplar netter Weise immer wieder dem Decklas näherte. Dadurch war noch etwas mehr Auflösung drin:



Ma = Makronukleus
Mi = Mikronukleus
UM = undulierende Membran
AZM = adorale Membranellenzobe
SB = symbiontische Bakterien
   
Auch Brachonella spiralis ist dicht angefüllt mit symbiontischen Bakterien, die man auf obigen Aufnahmen auch teilweise schon erkennen kann. Ich war gespannt zu sehen, ob sie auch als Agglomerate vorliegen. Dazu habe ich mehrere Exemplare zerquetscht. Hier der noch nicht gespreitete Zellinhalt:



Um die einzelnen Bakterien genau zu sehen, muss man etwas mehr Druck ausüben. ES ergibt sich ein völlig anderes Bild als bei Brachonella darwini. Es liegen definitiv keine funktionellen Aggregate vor, sonderen solitäre Bakterien. Allerdings kann man auch hier zwei unterschiedliche Arten erkennen. Die großen Bakterien sind 5-8 µm lang mit gerundeten Enden, welche oft kurze Ketten bilden mit deutlich sichtbaren Querwänden. Zusätzlich sind sehr kleine, nur ca. 4 µm lange Bakterien zu erkennen, die einen Durchmesser von weniger als 1 µm haben:



Obwohl die Bakterienzusammensetzung optisch ähnlich zu der von Brachonella darwini ist, kann es sich um ganz andere Arten handeln. Das kann lichtmikroskopisch nicht entschieden werden. Zumindest scheinen die Methanogenen ganz anders organisiert zu sein, als in Brachonella darwini.

Abschließend möchte ich noch auf die oben vielzitierte deckglasempfindlichkeit dieser Arten zurückkommen. Ob sie durch den hydrostatischen erzeugten Druck des Deckglases ausgelöst wird oder durch die geringere ,,vertikale Bewegungsfreiheit" kann ich nicht genau sagen. Sie führt zumindest in den meisten Fällen dazu, dass man folgendes zu Gesicht bekommt, als ein schön drapierter Ciliat, der fotografiert werden möchte:



Dies ist das Resultat der schlagartig ausgestoßenen Mucocysten bei gleichzeitiger Schrumpfung und Denaturierung des Ciliaten, welche als einsetzende Encystierung gedeutet wird. Dies kann meiner Ansicht nach jedoch nicht sein, weil auch viele Exemplare dabei auslaufen oder sich später auflösen. Diese selbstzerstörerische Reaktion ist seltsam. Andere Ciliaten mit Extrusomen und/oder Mucocysten können diese lokal über einen begrenzten Bereich ausstoßen und schwimmen in der Regel danach weiter. Warum bei Metopus und Verwandten eine so heftige Reaktion einsetzt ist schwer zu erklären. Welcher biologische Nutzen dahinter steht, bleibt auch schleierhaft.

Schönen Abend!

Martin

Lit.:

- Foissner, W., Berger, H. & Kohmann, F. (1992): Taxonomische und ökologische Revision der Ciliaten des Saprobiensystems. – Band II: Peritrichia, Heterotrichida, Odontostomatida. – Informationsberichte des Bayer. Landesamtes für Wasserwirtschaft, 5/92: 1–502.

- Jankowski, A. W. (1964a): Morphology and evolution of Cilioph-
ora. The new system of sapropelebiotic Heterotrichida. Zool. Zh., 43:503-517 (in Russian with English summary).

- Jankowski, A. W. (1964b): Morphology and evolution of Ciliophora III. Diagnoses and phylogenesis of 53 sapropelebionts, mainly of the order Heterotrichida. Arch. Proristenk., 107: 185-294.

- Kahl, A. (1932): Urtiere oder Protozoa. I. Wimpertiere oder Ciliata (Infusoria). 3. Spirotricha. – Tierwelt Dtl., 25: 399–650.

koestlfr

Hallo Martin!

Wieder sehr lehrreich und faszinierend! Ich freu mich schon auf deinen nächsten Beitrag!

Liebe Grüße
Franz
Liebe Grüße
Franz

Jan Kros

Hallo Martin
ich schliesse mich Franz an
herzlichen Gruesse
Jan

Holger Adelmann

Toller Beitrag, lieber Martin (auch der Verlinkte).
Ich freue mich, wieder Beiträge von Dir zu sehen.

Herzliche Grüsse,
Holger