Zoologie: Mitteldarm einiger Insekten

Begonnen von Jürgen H., Oktober 13, 2013, 20:50:27 NACHMITTAGS

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Jürgen H.

Liebe Mitmikroskopiker,

Heute möchte ich ein paar Bilder des Mitteldarms verschiedener Insekten zeigen:

Zur besseren Präparation, vor allem um das leidige Schneideproblem durch Chitin zu umgehen, habe ich den Mitteldarm einer Wespe herauspräpariert:



Der Darm liegt im Alkohol und ist durchs Stereomikroskop photographiert.
Die Schläuche, die sich vor allem oberhalb des Darms zeigen, sind Malphigische Gefässe, die dem Darm anhängen, weil sie u.a. aus der Hämolymphe Abfallstoffe herausfiltern, die ins Darmlumen entsorgt werden. Schon bei diesem Photo erkennt man eine "geringelte" Struktur der Darmwand und ganz feine weißliche Streifen, die längs des Darms laufen. Was es damit auf sich hat, zeigt sich im nächten Bild. Die Schnittrichtung ist durch den roten Strich angezeigt:



Das Darmlumen dieses in Gill II (Danke Klaus!) gefärbten Schnittes ist mit L bezeichnet. Links und rechts des Darmlumens wird der Aufbau der Darmwand sichtbar, der zottig in das Lumen hereinragt und Grund für die ringelige Erscheinung im ersten Bild ist. Die oberflächenvergrößernde Wirkung ist sofort einsichtig, oder? Mit LM habe ich die längs des Darms verlaufende Muskulatur bezeichnet, die sich in den Schnitten natürlich wegen ihrer Feinheit immer nur stückweise zeigt: die feinen weißlichen Streifen aus dem ersten Bild! Und in den Zotten selbst läuft die Quermuskulatur QM. Auf diese Weise kann der Darm sowohl in Längsrichtung zusammengezogen werden als auch abschnittweise eingeschnürt werden. Dieses Prinzip ist bei den Insekten also ganz ähnlich verwirklicht, wie beim Rattendarm, den Ronald nebenan so vorzüglich zeigt, oder wie bei uns Menschen.





Diese Bild zeigt nun den herauspräparierten Mitteldarm einer Biene. Hier sind die Malphigischen Gefässe - das Gefussel oben rechts im Bild - wesentlich dünner. Ob sich hier ein Unterschied zwischen dem Allesverwerter Wespe und dem Vegetarier Biene zeigt? Die folgenden Bilder zeigen den histologischen Aufbau.






Und zum Abschluss ein paar Bilder des Mitteldarms vom wesentlich größeren Insekt carausius morosus:

Hier ist schön das feine Rhabdomer Rh zu erkennen, das lumenwärts den Darmzellen aufsitzt. ZKB wird ein Zellkern der lamina propria sein, deren Bindegewebe im letzten Bild aufgrund der verwendeten Azanfärbung intensiv blau gefärbt ist. TR verweist auf eine der vielen Tracheen, die der Versorgung des Darms dienen. Und M ist wieder ein quer geschnittener der Darmperistaltik dienender Muskel. Auffällig sind  bei allen Darmbildern die großen, die sekretorische Funktion der Darmzellen anzeigenden Zellkerne. Denn die Zellen dienen nicht nur der Resorption der Nahrungsstoffe, sondern auch der Sekretion zum Aufbereiten der Nahrung im Darm.

Viel Freude beim Ansehen wünscht

Jürgen




Florian Stellmacher

Lieber Jürgen,

selten hat mir ein Blick über den Tellerrand der Säuger so gefallen! Vielen Dank!

Auch und gerade die Stereomikroskop-Fotos sind interessant und tragen erheblich zum Verständnis bei.

Herzliche Grüße,
Florian
Vorwiegende Arbeitsmikroskope:
Zeiss Axioskop 2
Olympus BHS (DL, Pol, Multidiskussionseinrichtung)
Zeiss Axiophot (DIK und AL-Fluoreszenz)
Zeiss Axiovert (Fluoreszenz)
Wild M400 Fotomakroskop (DL, DF, AL, Pol)

Fahrenheit

Lieber Jürgen,

vielen Dank für Deinen interessanten Beitrag! Ich habe mir erlaubt, dem Titel ein "Zoologie" voran zu stellen.

Herzliche Grüße
Jörg
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Arbeitsmikroskop: Leica DMLS
Zum Mitnehmen: Leitz SM
Für draussen: Leitz HM

reblaus

Hallo Jürgen -

als jemand, der die Insekten nach der Diss vor 45 Jahren schmählich verlassen hat, beglückwünsche ich Dich zu Deinen tollen Arbeiten. Ich erfreute mich schon immer daran, obwohl es mir als Schwabe schwer fällt, in vorzeitige Lobeshymnen auszubrechen.

Viele Grüße

Rolf

Jan Dunst

Lieber Jürgen,

vielen Dank für deinen Beitrag. Insektendärme sind interessanter als man denkt...  natürlich wegen den unterschiedlichen Ernährungsweisen der jeweiligen Arten generell, aber auch innerhalb einer Art kommt es teilweise zu einem massiven Umbau im Laufe des Lebens. Man denke nur an Schmetterlinge, die fressen einem in der Larven Phase buchstäblich die Haare vom Kopf und bestehen eigentlich nur aus einem wandelden Darm, nach der Metamorphose süffeln die Adulti aber nur noch kleine Mengen an Nektar.

Viele Grüße und besten Dank für den tollen Beitrag,
Jan

Jürgen H.

Vielen Dank, Florian, Jörg, Rolf, und Jan für eure Worte. Mich faszinieren die vielfältigen Lösungen, die Insekten im Laufe der Evolution entwickelt haben, immer wieder. Ich hoffe auch in  diesem Zusammenhang, dass ich demnächst auch einmal einen guten Schnitt durch den Pylorus erwische.

Auf ein Problem bin ich außerdem bei den Fotos am Stereomikroskop gestoßen. Ich erfreue mich an einem Leitz Elvar mit Fototubus, wofür ich zu großem Dank verpflichtet bin. Das ist ein ganz wunderbares Gerät, und zwar auch, weil es etwas ungewöhnlich für ein Stereomikroskop aussieht. Auf den Fototubus habe ich meine Nikon Coolpix 4500 über ein Leitz Periplan angeschlossen. Offensichtlich ist aber das Ofenrohr zur Einstieghülse für das Photookular zu lang. Gibt es so etwas in verschiedenen Größen?

Ihr merkt: Von diesem Bereich habe ich nicht allzu viel Ahnung.



Schöne Grüße

Jürgen

Ronald Schulte

Jürgen,

Ein fantastischen Beitrag und ein Meisterstück von Preparierung, Toll!
Das Prinzip ist also ungefähr gleich wie bei Wirbeltieren sehe ich.
Schleimbecherzellen kann ich hier jedoch nicht entdecken. Weist du warum die scheinbar nicht benötigt sind? Was ich aber nicht begreife sind: "die sekretorische Funktion der Darmzellen anzeigenden Zellkerne.". Ja ich sehe die feine Rote Körnchen in die Kerne aber das die ein sekretorische Funktion haben! Wie Funktioniert denn das?

Auch lese ich das du jetzt mit Haematoxyline nach Gill färbst. Die gebrauche ich auch gerne und Färbt Prima.
Warum weis ich nicht aber mein 'Gill' gebrauche ich jetzt schon ein Jahr und trübt sich nicht. Ich habe es diesen Sommer mal Filtriert aber war eigentlich nicht unbedingt nötig.

Ich werde mich zukünftig auch mal was Insekten Preparieren denke ich.

Gruße Ronald
Mikroskope:
Leitz Orthoplan (DL, AL-Fluoreszenz und Diskussionseinrichtung).
Leica/Wild M715 Stereomikroskop.
Mikrotom:
LKB 2218 Historange Rotationsmikrotom.

Holger Adelmann

#7
Toll Jürgen,
Du weisst ja, dass ich mich immer sehr über Deine Insektenhistologie freue.
Ich finde es, gerade im Vergleich mit Ronald's Säuger-Histologie, spannend zu sehen, wo die Natur funktionelle Notwendigkeiten physiologisch-anatomisch ähnlich bzw. völlig anders gelöst hat.
Herzliche Grüsse
Holger


Jürgen H.

Lieber Ronald,

Schleimproduzierende Becherzellen habe ich bisher in meinen Präparaten noch nicht gefunden. Ich meine gelesen zu haben, dass es Becherzellen bei einigen Insekten, z.B. den Odonaten geben soll, bin mir aber nicht sicher.

Becherzellen haben ja die Funktion, den Darm zu schützen, indem sie Schleim produzieren, der den Selbstverdau des Darms verhindert. Bei den Insekten gibt es eine interessante andere Schutzvorrichtung des Darms: die peritrophische Membran. Peritrophisch: aus dem Altgriechischen peri um/herum und trophein ernähren, also frei übersetzt den Nahrungsbrei umhüllende Membran. Die peritrophische Membran ist ein Schlauch, der den Nahrungsbrei umhüllt, so dass die Nahrungspartikel keinen unmittelbaren Kontakt zu den resorbierenden Darmzellen erhalten. Der Schlauch besteht aus einem ganz feinen lichtmikroskopisch wohl kaum aufzulösenden siebartigen Geflecht, durch das die aus dem Nahrungsbrei herausgelösten Nährstoffe an die Darmzellen gelangen.

Die eigentlichen Sekrete der Darmzellen werden im Zusammenwirken mit dem Zellkern aber nicht in den Kernen, sondern im Zellplasma aus den Zellorganellen rauhes endoplasmatisches Reticulum und dem Golgiapparat gebildet. Im Zellplasma zeigen sich dann lichtmikroskopisch sichtbare Vakuolen, die mit den Sekreten gefüllt sind.

Diese Sekrete werden entweder durch den Mikrovillisaum in das Darmlumen entlassen. Interessanterweise bleiben dabei dabei die Sekrete zunächst in Kugelform zusammen, bevor sie sich auflösen. Warum dies so ist, weiß ich nicht. Vielleicht handelt es sich auch um einen Schutzmechanismus zugunsten der Darmwand?

Oder die gesamte Zelle samt Zellkern löst sich auf, womit auch die gebildeten Sekrete ins Darmlumen gelangen. Vom ersten Fall habe ich irgendwo ein schönes Präparat, dass ich heraussuchen muss.

Gill ist eine wunderbare kontrastreiche Färbung, besser als das sonst von mir verwendete Hämtoxylin nach Ehrlich (das jedenfalls nach einiger Zeit ausflockt und filtriert werden muss)

Lieber Holger,

Freude und Staunen zu erzeugen ist ja das Mikroskopikers Lieblingsbeschäftigung! Danke für Deinen Beitrag.

Schöne Grüße

Jürgen

Ronald Schulte

Jürgen,

Danke. Das Gill färbt sich bei mir auch sehr schon und kannst du eventuell auch sehr einfach selber herstellen. Wenn du das Rezept haben mochtest gebe ich es gerne ab.

Grusse Ronald
Mikroskope:
Leitz Orthoplan (DL, AL-Fluoreszenz und Diskussionseinrichtung).
Leica/Wild M715 Stereomikroskop.
Mikrotom:
LKB 2218 Historange Rotationsmikrotom.

Jürgen H.

Liebe Mitmikroskopiker,

wie versprochen, noch zwei Bilder vom Mitteldarm der Stabheuschrecke carausius m. mit lebhafter Sekretion.

Hier zunächst eine "Übersicht" mit dem 20er photographiert:



INT ist natürlich das Integument, LM die bereits angesprochene längs des Darms verlaufende Muskulatur, RM die rings um den Darm zur Einschnürung gedachte Muskulatur, FK etwas Fettkörper, TR eine Große Trachee, die im Thorax verläuft und eine kleine innerhalb des Darmgewebes.
SK zeigen schließlich Sekrettropfen der hier außerordentlich starken Sekretion.

Oben habe ich von Zotten gesprochen. Das ist etwas schief ausgedrückt. Den Abschnitt, den ich hier zeige, muss man sich als Schnitt durch eine von vielen vielen Wülsten vorstellen, die hintereinander ringförmig im Inneren des Darms verlaufen. Diese Wülste sehen allerdings dann jede für sich recht zottig aus.

Etwas näher herangezoomt (mit dem 40er) zeigt sich folgendes Bild:



Weshalb die Tropfen, bei anderen Insekten förmliche Kugeln mit anscheinend granulärem Inhalt,  solange erhalten bleiben, wüsste ich gern.


Lieber Ronald, vielen Dank für Dein Gill Angebot. Das Rezept kenne ich allerdings und bin auch für die nächste Zeit versorgt.

Schöne Grüße

Jürgen

Ronald Schulte

Jürgen,

Sehr interessant. Jetzt kommt aber eine, wahrscheinlich, dumme Bemerkung! Ich sehe kein Blutzellen und keine Blutgefäße; stimmt das und werden die Nahrungsstoffe dann durch die Tracheen abgeführt? Wenn das so ist hat man dann eine Art von an- und abfuhrenden Tracheen?

Grusse Ronald
Mikroskope:
Leitz Orthoplan (DL, AL-Fluoreszenz und Diskussionseinrichtung).
Leica/Wild M715 Stereomikroskop.
Mikrotom:
LKB 2218 Historange Rotationsmikrotom.

Jürgen H.

Lieber Ronald

Blutzellen gibt es schon den Insekten. Sie sind nicht so zahlreich, wie bei uns Menschen. In meinem vorletzten Bild finde ich in der Tat nur eine, nämlich oberhalb der großen Trachee.

Insekten haben keine Blutgefäße. Alle Organe schwimmen vielmehr in der Hämolymphe, die einige verschiedene Blutzellen enthalten und die die Organe ernährt. Die Malphigischen Gefäße und auch der Fettkörper filtern aus der Hämolymphe Schadstoffe aus.

Die Hämolymphe wird durch verschiedene Mechanismen im Fluss gehalten, insbesondere durch das Herz, das bei den Insekten ein langer dorsal liegender Schlauch mit diversen Öffnungen, ist, mit dem die Hämolymphe vom Abdomen Richtung Kopf gepumpt wird. Diaphragmen, dünne im Abdomen aber auch in den Beinen aufgespannte Häute, steuern den Hämolymphfluss.

Die Tracheen dienen auschließlich der Sauerstoffversorgung bzw dem Abtransport von Kohlendioxyd und enthalten daher gerade keine Hämolymphe. Sie haben über die Stigmen - verschließbare Öffnungen im Integument -  Verbindung mit der Außenluft. Die Tracheen verzweigen sich in feinste Tracheolen, die den Sauerstoff zu den einzelnen Organen transportieren. Die Tracheen dienen gleichzeitig - Nebenfunktion - auch dazu, die Organe an ihrem Platz zu halten.  Der Austausch von Sauerstoff und Kohlendioxyd wird z.B. dadurch erreicht, dass durch ein Ineinanderschieben und Auseinanderziehen der Körpersegmente des Abdomens (vergleichbar unseren Rippenbewegungen) Druckunterschiede erzeugt werden, die sich über die Hämolymphe auch den Tracheen mitteilt.


Schöne Grüße

Jürgen

Jan Dunst

Liebe Insektenfreunde,

nach Rücksprache mit Jürgen wurde mir gestattet zwei passende Bilder anzufügen.

Ich bitte die Qualität zu entschuldigen, diese Fotos sind eigentlich Handy-Schnappschüsse die während einer Präparation von Larven des Tabakschwärmers entstanden sind. Ich denke aber ein paar interessante Dinge sind trotzdem zu erkennen.

Zunächst ein Bild einer Larve kurz vor der Verpuppung. Die Larve ist am Rücken längs geöffnet, die Cuticula wurde weggespannt. Was zuerst auffällt ist das in großer Menge vorkommende weisse "Zeug". Dies ist der Fettkörper, zunächst natürlich ein Speicherorgan für Nährstoffe, aber auch ein synthetisches Organ für verschiedene Stoff wie z.B. antimikrobielle Stoffe. Kurz vor der Verpuppung hat sich die Larve natürlich vollgefuttert um genug Nährstoffe für die Metamorphose zu haben. In der Mitte prominent zu sehen der noch geschlossene Mitteldarm an den fächerförmig die Tracheen ansetzen. Richtung Cuticula bündeln diese sich zu den Atemöffnungen (Stigmen). Aufliegend auf dem Darm sieht man bräunlich malphigische Gefäße. Beim genauen hinschauen sieht man auch das die Cuticula aus zwei Schichten besteht, die obere ist die schon teilweise abgestoßene alte Cuticula der Larve, die untere die neue der Puppe.




Im zweiten Bild sieht man ein Tier das frisch im letzten Larvenstadium ist, ebenfalls aufpräpariert. Deutlich sichtbar das hier noch kaum Fettkörper vorhanden ist. Das Innere ist etwas durcheinander da bereits der Darm längs geöffnet wurde um Gewebe zu entnehmen. Deutlich sieht man die von Jürgen angesprochenen "Wülste". Im Kopfbereich sind deutlich größere "Wülste" vorhanden weiter hinten. Der Darminhalt wurde übrigens entfernt, dies klappt manchmal recht einfach da die peritrophische Membran den Inhalt wie ein Säckchen umgibt, mit etwas Glück kann man diesen als ganzes entfernen.



Ich hoffe die ausführlichen Erklärungen von Jürgen und seine tollen Schnitte anschaulich unterstützen zu können.

Viele Grüße,
Jan

Jürgen H.

#14
Ganz herzlichen Dank, lieber Jan, für diese anschaulichen Bilder, die den Sachverhalt viel besser verdeutlichen als jede Beschreibung!

Darf ich direkt Fragen zu Deiner Präparation stellen? Offenbar liegt unter dem Tier ein Tuch oder Filterpapier o.ä. . Was hat es damit auf sich? Du hältst das Tier damit feucht? Was ist unter dem Tuch, oder worin stecken die Nadeln fest? Geschwärztes Paraffin? Welche Nadeln verwendest Du? Hast Du eine Bezugsquelle?

Warscheinlich kennst Du das hier:

http://parasitologie-wenk-renz.de/rw/index.html

Schöne Grüße

Jürgen