Zwei Meilensteine der Mikroskopentwicklung

Begonnen von Dr. Timo Mappes, April 16, 2009, 19:12:08 NACHMITTAGS

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Dr. Timo Mappes

Liebe Leser,

wieder einmal möchte ich Sie auf die Reise in die apparative mikroskopische Vergangenheit nehmen und Sie hiermit herzlich einladen, zwei aktuelle Ergänzungen der Sammlung zu besuchen.

(1) das größte Mikroskopstativ des Herstellers Simon Plössl in Wien – gebaut um 1840 und denkbar umfangreich in der Ausstattung.


Dieses Mikroskop verfügte bereits vor nun fast 170 Jahren über einen integrierten Kreuztisch und verschiedene Techniken der Beleuchtung (wenn auch fast keine Möglichkeit zu einer sinnvollen Blendung):


(2) ein sehr viel jüngeres Instrument von Winkel-Zeiss aus dem Jahre 1925.


Zu seiner Zeit stellte dieses Instrument das Highend-Gerät der Mineralogen dar – mit synchroner Drehung von Polarisator und Analysator und der Möglichkeit, alle nur erdenklichen Nebenapparate mit diesem Polarisationsmikroskop zu verwenden (der konstruktive Nachfolger dieses Instruments ist auf den Seiten ebenfalls zu sehen, beide Mikroskope verfügen über das Objektive für Achsenwinkelbestimmungen mit der Numerischen Apertur von 1,52 sowie den zugehörigen Kondensor):


Für heute Abend viel Freude bei der Lektüre, beste Grüße

Timo Mappes
Prof. Dr.-Ing. Timo Mappes
Deutsches Optisches Museum
Carl-Zeiss-Platz 12
07743 Jena

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privat:
Museum Optischer Instrumente
www.musoptin.com

Die erste vollillustrierte deutschsprachige Seite zur Geschichte der Mikroskope für die Wissenschaft im 19. & frühen 20. Jahrhundert

hinrich husemann

Wieder "Spitze", Herr Mappes! Optik-Historie vom Feinsten!
Begeisterte Mikrogrüsse
H. Husemann

wilfried48

Hallo,

dem kann ich nur beipflichten, fantastisch !

ich kann mich auf ihrer Museumsseite immer wieder über Stunden verlieren

insbesondere die Lebensgeschichten die zu manchen Mikroskopen hinzurecherchiert wurden sind spannend.

Gruss

Wilfried
vorzugsweise per Du

Hobbymikroskope:
Zeiss Axiophot,  AL/DL/Ph/DIC/Epi-Fl
Zeiss Axiovert 35, DL/Ph/DIC/Epi-Fl
Zeiss Universal Pol,  AL/DL
Zeiss Stemi 2000 C
Nikon Labo-/Optiphot mit CF ELWD Objektiven

Sammlung Zeiss Mikroskope
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=107.0

TPL

Sehr schön und bewundernswert, Herr Mappes!
Ihre Seiten sind eine Augenweide und die Texte dazu ein Genuss.
Vielen Dank, dass Sie diese Schätze mit uns "teilen".
Schönen Gruß, Thomas P.

PAKRO

Hallo Herr Dr. Mappes!

Dem bereits geschriebenen kann ich mich nur anschließen! Eine wirklich sehr schöne und
interessante Sammlung.

Was mich besonders interessieren würde welches das erste Binokulare-Mikroskop war,
bzw. von welchem Unternehmen es auf den Markt gebracht wurde?


Beste Grüße

Peter

Dr. Timo Mappes

Liebe Leser,

vielen herzlichen Dank für Ihre begeisterten Kommentare – es freut mich sehr zu wissen, dass die Texte & Bilder so gut aufgenommen werden, und die Webseite offenbar regelmäßig besucht wird. Nur zu gerne teile ich mein Wissen über die Instrumente; wie bereits mehrfach erwähnt, helfe ich soweit möglich immer bei der Bestimmung antiker Mikroskope. Darüber hinaus suche ich natürlich auch stets nach Ergänzungen für die Sammlung und bin für jeden Hinweis & jedes Angebot per email oder PN dankbar.

Beste Grüße
Timo Mappes

Zur Frage ad Binokularmikroskope

Die erste Konstruktion eines Binokularmikroskops geht auf Prof. John Leonard Riddell (1807-1865) an der University of Louisiana in New Orleans zurück und datiert auf den 01. Oktober 1852, veröffentlicht im Januar 1853 [1, 2]. Dieses Instrument wurde nach Riddells Angaben von J. & W. Grunow, New Haven, Connecticut gebaut.
Francis Herbert Wenham (1824-1908) veröffentlichte 1853 ebenfalls seine erste (später in verbesserter Form sehr verbreitete) Konstruktion eines binokularen Mikroskopes, datiert auf den 25. Mai 1853, in der zugehörigen Veröffentlichung [3] dankt er der Firma Smith & Beck in London für die Unterstützung beim Bau des Instruments.
Bereits 1854 folgte der Mikroskophersteller Camille Sébastien Nachet (1799 - 1881) in Paris ebenfalls mit einer eigenen Konstruktion [4].

Referenzen

[1] J. L. Riddell: Notice of a Binocular Microscope. American Journal of Science and Arts 15 (1853): 68
[2] J. L. Riddell: On the BinocularMicroscope. New Orleans Medical and Surgical Journal 10 (1853-54): 321-327
[3] F. H. Wenham: On the Application of Binocular Vision to the Microscope. Transactions of the Microscopical Society of London (1853): 1-13
[4] C. S. Nachet: On a Microscope adapted for Anatomical Manipulations, and on a Binocular Microscope. Quarterly Journal of Microscopical Science 2 (1854): 72-74
Prof. Dr.-Ing. Timo Mappes
Deutsches Optisches Museum
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PAKRO

Hallo Herr Dr. Mappes!

Vielen Dank für Ihre Ausführungen, ich hätte nicht gedacht das die Entwicklung der Binokularmikroskope
schon auf das 19. Jahrhundert zurückgeht.


Beste Grüße

Peter

Robert Götz


Nach dem "Handbuch zur Geschichte der Optik" von E.-H. Schmitz wurde das erste binokulare Mikroskop 1677 von
Cherubin d'Orleans gebaut. Es waren allerdings zwei Einzelmikroskope in einer gemeinsamen Fassung, also noch ohne
Prismen. Im Deutschen Museum in München ist ein etwas späteres Exemplar davon zu sehen.




Bernhard Kaiser

Guten Morgen Herr Dr.Mappes,

wir hatten kürzlich über Mikroskope von Bryologen im 19. Jhd. geschrieben.

In der Hedwigia habe ich folgenden Artikel gefunden:

Gottsche, C.M.
Über die Cuticula der Scapania-Arten.

Hedwigia 5. Band (1866) S.17.

Darin heißt es:

"Für diejenigen Lebermoosfreunde, die ihre Exemplare untersuchen wollen, führe ich an,daß ich hierbei mich eines großen Plößl (Object. 5+6+7 und Ocular 1=320/1 und Ocular 2= 500/1) bedient habe".

Gehört zwar nicht direkt zu diesem Thema, aber sicher von Interesse.

Mit freundlichen Grüßen
Bernhard Kaiser


Dr. Timo Mappes

Lieber Herr Kaiser,

Danke für den Hinweis – das Thema passt hervorragend, denn bei dem gezeigten Mikroskop handelt es sich ja tatsächlich um ein solches großes Plößl, wenn auch in der Bauart von 1840 und nicht aus der Zeit um 1866. Damals (1866) bediente man sich allerdings bereits zunehmend fester Systeme, Carl Moritz Gottsche (1808-1892) beschreibt jedoch noch die Objektive alter Bauart, wie sie ab dem zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts von Georg Simon Plößl (1794-1868) und Friedrich Wilhelm Schiek (1790-1870) angeboten wurden. Man kann sich unter Gottsches Instrument daher durchaus ein dem hier gezeigten sehr ähnliches Mikroskop vorstellen, welches entsprechend lange im Gebrauch war.

Zur Veröffentlichung der mit den Instrumenten gewonnenen Erkenntnisse bediente man sich verschiedener Zeichenapparate – da der hier gezeigte Sömmering'sche Spiegel vor allem von Plößl verbreitet und über 50 Jahre angeboten wurde, habe ich gerade eben die Beschreibung des Nebenapparates in die Diskussion des Instruments (mit drei zeitgenössischen Quellen) eingefügt.

Herr Götz hat natürlich Recht, binokulare Mikroskope als die Kombination zweier Mikroskope unter einem festen Winkel zueinander wurden bereits sehr viel früher als 1852 eingeführt. Ich hatte mich in meiner Beschreibung auf binokulare Instrumente bezogen, die sich verschiedener Prismenkombinationen bedienen und damit die direkten Vorläufer der heutigen Mikroskope darstellen. Es sei hier noch vermerkt, dass die oben erwähnten Gebrüder Grunow aus Berlin stammen und in die USA ausgewandert sind.

Beste Grüße
Timo Mappes
Prof. Dr.-Ing. Timo Mappes
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Alfons Renz

Lieber Herr Mappes,

Es freut mich, dass dieses schöne und selten komplette Plössl Mikroskop in Ihren guten Händen gelandet ist und von Ihnen so kompetent dokumentiert wurde! Wie Sie wissen, besaß der von Ihnen zitierte Tübinger Botaniker Hugo von Mohl ebenfalls ein solches 'Großes Plößl', das heute noch vorhanden ist:



Die bescheidene Qualität des Bildes bitte ich zu entschuldigen ... es entstand vor vielen Jahren.

Dass Mohl mit diesem Mikroskop auch geforscht und die Verwendung der jeweils benutzten Objektive genau dokumentiert hat, geht aus dieser Zeichnung hervor:



In Mohls winziger Schrift kann man entziffern: Plössl (5-7) Amici Stativ. Mohl konnte sich die besten Mikroskope der damaligen Zeit leisten.

Vielleicht kann ein Leser dieses Forums auch den Namen der gezeichneten Pflanze entziffern: "Septeis ?? japonica?" und die Zeichnung interpretieren? Ich nehme an, die Zeichnung diente als Vorlage einer späteren Veröffentlichung.

Mit besten Grüßen aus Tübingen,

Alfons Renz


Klaus Henkel

Lieber Herr Renz,

vielen Dank für Ihre Abbildung des schönen Plössl-Instruments. Es kamen mir zuerst die drei "Spinnenbeine" in die Augen, noch bevor ich woanders hingeschaut oder einen Text gelesen hatte. Nobert rief ich aus, doch niemand hörte es, ich war alleine. Tatsächlich ähneln sich manche Instrumente des Pommern Nobert und des Plössl. Man möchte manchmal nicht glauben, daß diese filigranen Gebilde genügend Standfestigkeit hatten, um in irgendeiner Weise nützlich zu sein. - Die Zeiten und die Ansprüche an die Mechanik sind heute eben andere. Gerade bei den mechanischen Teilen zeigt sich, daß wir heute zu viel massiveren und grobschlächtigeren Formen gekommen sind, weil wir die Anforderungen an die Handarbeit-Präzision von damals aus Gründen der Lohnkosten gar nicht mehr erfüllen könnten. Wäre mein Steckenpferd nicht die Mikroskopie an und für sich und die einiger bot. Organismen im besonderen, dann wäre ich sicherlich gerne Sammler von "Messingmikroskopen" geworden.

Das schöne Wöhler-Mikroskop, das Sie im Bild zeigen, ist mir Anlaß, wieder einmal darauf hinzuweisen: In Hessen war die Tubuslänge anders, aber nicht nur diese. Manche Hufeisen-Mikroskopfüße von Leitz sehen so aus wie die von Kaps, Wöhler, Wenzl, Seibert usw. Ganz bestimmt haben im Lauf der Jahrzehnte mindestens 5 Wetzlarer Mik.hersteller auch als verängerte Werkbank von Ernst Leitz gearbeitet. Man möchte geradezu behaupten, die hessisch-thüringische Grenze markierte innerhalb Deutschland die Grenze zwischen 170 und 160 mm. Nachdem die Carl-Zeiss-Stiftung nach dem WW2 die Fertigung in Göttingen im alten Winkel-Betrieb und in Oberkochen wieder aufgenommen hatte, gerieten diese traditionellen Grenzziehungen völlig durcheinander.

Man darf fragen, was solche Reminizenzen an längst vergangene Mikrokopiker-Herrlichkeit heute noch bedeuten. Doch täuschen wir uns nicht. Gerade die Mikroskopie ist eine Branche, die sehr stark international ausgerichtet ist. Was heute in Deutschland durch DIN genormt wird oder von deutschen Herstellern als Quasi-Norm vorgegeben wird, findet Gehör und wird sofort, schneller als bei uns, in China und Indien in die Tat umgesetzt.

Beste Grüße
KH

Rolf-Dieter Müller

Zitat von: Alfons Renz in April 18, 2009, 17:30:38 NACHMITTAGS
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Vielleicht kann ein Leser dieses Forums auch den Namen der gezeichneten Pflanze entziffern: "Septeis ?? japonica?" und die Zeichnung interpretieren? Ich nehme an, die Zeichnung diente als Vorlage einer späteren Veröffentlichung.
Mit besten Grüßen aus Tübingen,
Alfons Renz

Hallo Herr Renz,

ich möchte zur Beantwortung Ihrer Frage mit einem ersten Vorschlag zum Pflanzennamen beginnen.

Könnte es Sophora japonica (Japanischer Schnurbaum) heißen?

Viele Mikrogrüße
Rolf-Dieter Müller