Scenedesmus quadricauda, Feuerwerk bei gekreuzten Nicols

Begonnen von Carlos, Mai 20, 2014, 20:01:31 NACHMITTAGS

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Carlos

Hallo liebe Freude der Mikroskopie,
Anbei beschreibe ich ein beobachtetes Phänomen, das ich mir nur schwer erklären kann:
Ende April habe ich an der  Anlegerstelle der Höchster Mainfähre im Uferbereich eine Mainwasserprobe gezogen, um sie unter dem Mikroskop zu betrachten. Die Probe sah, dem Augenschein nach, uninteressant aus. Wie so oft war ich dann, nach Fraktionierung der Probe (Sedimentation zur Abtrennung von schweren Bestandteilen wie Sand etc. mit der untersten Fraktion und des Überstandes mit hauptsächlich frei schwimmenden Mikroorganismen) von der Vielfalt unterschiedlichster Mikroorganismen in der Mittelfraktion unter dem Mikroskop, darunter unterschiedlichste Kiesel- und Grünalgen. Stark vertreten waren dabei  Algen des Typs ,,Scenedesmus quadricauda". Diese Probe habe ich dann von Zeit zu Zeit immer mal wieder untersucht.
Aus spielerischem Interesse habe ich auch eine Probe (nach drei Wochen) unter linearpolarisiertem Licht (Durchlicht) bei unterschiedlicher Stellung der Polfilter betrachtet. Um möglichst viele Objekte überschauen zu können, habe ich zunächst ein 10:1 Objektiv und ein 10 x  Periplan- GF benutzt. Auf diese Weise waren im Sichtfeld ca. 100 Objekte (Mikroorganismen) überschaubar. Wie zu erwarten, wurde das Sichtfeld dunkler je näher die Kreuzstellung der Polfilter erreicht wurde, die Konturen der meisten Objekte verschwanden. In Kreuzstellung war das Sichtfeld praktisch schwarz. An wenigen Stellen des Sichtfeldes waren jedoch kleine, leuchtende Bereiche zu sehen. Einige davon ,,flackerten". 
Beim Übergang zu stärkeren Objektiven (25:1 und 40:1) und nach geringfügiger Öffnung der Kreuzstellung war erkennbar, dass Licht von  kleinen, im Inneren bestimmter Mikroorganismen gelegenen Kügelchen stammte. Nicht wenige der Kügelchen sendeten stark ,,flackerndes" Licht aus. Der Eindruck entstand, in den Zellen würde ein Feuerwerk abgebrannt.
Fast alle Algen des Typs ,,Scenedesmus quadricauda" zeigten dies Phänomen sehr ausgeprägt mit mehreren, flackernden Leuchtpunkten pro Zelle . Bei weiterer Öffnung der Kreuzstellung und damit Aufhellung des Gesichtsfeldes wurden Zellstrukturen erkennbar deutlich bevor das Lichtphänomen verschwand. Die ,,kugeligen, z.T. flackernden" Lichtquellen ließen sich jedoch nicht eindeutig Zellstrukturbestandteilen zuordnen.
Über mehrere Tage konnte ich dieses Phänomen beobachten, sowohl in einem stets feucht gehaltenen Objektträger mit Vertiefung, (mit großem Deckglas abgedeckt, 2x täglich mit ein bis zwei Tropfen Wasser versorgt) wie auch in neu angesetzten Proben.
Bei Wiederholung des Versuches jetzt nach 6 Wochen allerdings zeigen die neu angesetzten Proben das Phänomen nicht mehr, obwohl die Kultur nicht abgestorben erscheint. Algen des Typs ,,Scenedesmus quadricauda" sind reichlich vorhanden, trotz Suche konnte ich bei keiner das Leuchten unter gekreuzten Nicols mehr erkennen.
Für mich ist dieses ,,Licht"- Phänomen überraschend, neu und schwer erklärbar. Ich gehe jedoch davon aus, das Fachleute dieses Forums das Phänomen kennen und erklären können. Ich bin gespannt auf Eure Antworten!
Mit freundlichen Grüßen
Carlos bzw. Rainer

Detlef Kramer

Hallo Rainer,

da Du kein Foto präsentierst, dafür aber eine sehr genaue Beschreibung, hier meine Mutmaßung: Stärkekörner oder Amylosplasten. Die sind dann während der langen Zeit der Hungersnot (Lichtmangel) aufgebraucht worden.

Herzliche Grüße
Detlef
Dr. Detlef Kramer, gerne per DU

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ruhop

Hallo, Rainer.

Ich sehe das auch so wie Detlef.

War das eine Schöpf- oder Netzprobe?

Schönen Gruß aus dem Hintertaunus.

Carlos

Hallo Detlef, hallo Holger,

Das Lichtphänomen habe ich sowohl als Einzelbilder wie auch als Video aufgenommen (10x Periplan GF als Prospektiv mit digitaler ToupTec CMOS Okularkamera). Trotz mäßiger Qualität zeigen die Einzelbilder zwar die ,,Lichtpunkte" innerhalb der Zellen, jedoch erst im Video sieht man das ,,Flackern" der einzelnen Lichtpunkte und die Unterschiede in deren Frequenz. (Bilder und Video habe ich bei Photobucket hochgeladen, weis aber nicht, wie jetzt die Bilder und das Video in den Beitrag einstellt werden. Ich arbeite daran.)   
Zur besseren Erklärung auch ohne Bild und Video: In meinem Beitrag ging es mir gerade um das ,,Flackern" der in der Zelle relativ ortsfesten Lichtquellen, mit Frequenzen deutlich unter einer Sekunde. Ein derartiges Phänomen unter gekreuzten Nicols  kann ich mir nur dadurch erklären, dass kleine, optisch anisotrope Zellbereiche relativ schnell oszillierende Bewegungen ausführen. Das könnten natürlich Amyloplasten oder Stärkekörnchen sein, jedoch ohne oszillierende Bewegung käme es m. E.  nicht zum Flackern. Derartige Bewegungen in den Zellen konnte ich aber weder im Durchlicht noch im Phasenkontrast beobachten. 
Zur Probenahme und -aufbewahrung: Es war eine einfache Schöpfprobe (ca. 500 ml), die  bodennah an der mit Pflastersteinen befestigten Anlegestelle der Höchster Fähre gezogen wurde. Die Temperatur des Mainwassers war entsprechend der Jahreszeit noch niedrig. Aufbewahrt wurde die aufbereitete Probe bei Zimmertemperatur (ca. 22°C)  an hellem Standort. Lichtmangel für das jetzt nicht mehr reproduzierbare Phänomen  kann m. E. ausgeschlossen werden. Wahrscheinlicher erscheint mir eine Veränderung des Milieus bzw. der Wachstumsbedingungen (PH, verfügbare Düngestoffe, Kohlendioxidgehalt im Wasser) durch höhere Temperatur und hohes Lichtangebot und damit erhöhter Bioaktivität.
Ursprünglich ging ich davon aus, dass das Phänomen ,,flackernder Lichtpunkte" bei gekreuzten Nicols zumindest von ,,Tümplern" schon oft beobachtet wurde. Dies scheint jedoch nicht der Fall zu sein.   
Mit freundlichem Gruß
Carlos bzw. Rainer

Eckhard

Hallo,

Natürlich kennt fast jeder Tümpler die "flackernden Lichtpunkte". Das sind doppelbrechende Körnchen im Plasma. So etwas gibt es bei vielen Protozoon.

Herzliche Grüsse,
Eckhard
Zeiss Axioscope.A1 (HF, DF, DIK, Ph, Pol, Epifluoreszenz)
Nikon SE2000U (HF, DIK, Ph)
Olympus SZX 12 (HF, DF, Pol)
Zeiss Sigma (ETSE, InLens SE)

www.wunderkanone.de
www.penard.de
www.flickr.com/wunderkanone

Carlos

#5
Hallo Eckhard,
Vielen Dank für Deine Antwort. Ich hoffe, mit dem von mir gebrauchten Begriff ,,Tümpler" nicht falsch verstanden worden zu sein. Für mich sind Tümpler unter den Mikroskopikern Leute die aufgrund ihres Fachwissen Proben dort ziehen, wo sie bestimmte Organismen gehäuft vermuten, jedoch wissen und hoffen, dass sie Überraschungen erleben können. Für mich ist der Begriff Tümpler nicht abwertend sondern im Gegenteil... .  Angeregt durch Beitrage hier im Forum von Tümplern zu Kieselalgen habe ich  ,,meine Mainwasserprobe" gezogen, um Kieselalgen unterschiedlichster Art zu finden. Das war auch erfolgreich. Die Überraschung war dann das ,,Feuerwerk" von Scenedesmus quadricauda.  Ja, unter gekreuzten Nikols ,,torkelnd" umherschwimmende Protozoon zeigten im Mikroskopbild (auch in meiner Probe)  z.T.  ein interessantes, flackendes Lichtbild, (wenn sie doppelbrechende Bestandteile enthalten). Sie huschen wie ,,Flugzeuge mit blinkenden Positionslichtern" durch das Sichtfeld. Dies kann ich mir auch erklären. Hier ist die Bewegung der Protozoon m. E. für das ,,Flackern" der Lichtpunkte verantwortlich. Aber bei den unbeweglichen Zellen von  Scenedesmus quadricauda?,  ohne im Durchlicht und selbst im Phasenkontrast (natürlich ohne gekreuzte Nikols) keine entsprechende Plasmabewegungen im Inneren der Zellen zu erkennen? Hierfür habe ich keine Erklärung. Zwischenzeitlich habe ich auch Scenedesmus quadricauda in der ursprünglichen  Mainwasserprobe ,,reanimieren" können (Zusatz von Wasser zum Verdünnen und  zum Ausgleich des Verdunstungsverlustes in der Probe). Jetzt ,,Flackern" die Zellen unter gekreuzten Nikols wieder. Für mich unerklärlich.(Leider kann ich immer noch nicht Videos in Beiträge einstellen, um das Phänomen zu zeigen.)  
Mit freundlichem Gruß
Carlos / Rainer  

Eckhard

Hallo Carlos,

Das ist die Brownsche Bewegung.

Herzliche Grüsse,
Eckhard
Zeiss Axioscope.A1 (HF, DF, DIK, Ph, Pol, Epifluoreszenz)
Nikon SE2000U (HF, DIK, Ph)
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Oecoprotonucli

#7
Hallo Carlos, Hallo Eckart, Hallo Alle,

ob und wie stark eine Brown'sche Molekularbewegung im Cytoplasma die Ursache sein kann, weiß ich nicht, jedenfalls ist es ja wohl so, dass schon kleinste Positions- oder Winkeländerungen eine Veränderung des Lichteinfalls und damit der Lichtrichtungen und Polarisation bewirken können und damit zu dem beschriebenen Flackern führen könnten. Einerseits könnte es ja sein, dass sich Deine Scenedesmus doch unmerklich ein bißchen insgesamt bewegen, andererseits gibt es im Cytoplasma natürlich Bewegungsprozesse (dort gibt es ja das sogenannte Cytoskelett, das z.B. Zellorganellen transportieren kann). Es gibt auch Definitionen von "Leben", die "Bewegung" als Lebenskriterium mit einbeziehen (und das heißt nicht, dass diese Bewegung äußerlich erkennbar ganze Zellen bewegen muss).

In der Zelle ist fast immer "was los", wenn es sich nicht gerade um Ruhe- und Dauerstadien, kryokonservierte oder eben tote Zellen handelt.

Übrigens sind z.B. Viren u.ä. nach solch einer Definition (die auch z.B. einen [eigenen] Stoffwechsel und die Organisation als Zelle voraussetzt) keine Lebewesen. Worüber man sich natürlich streiten könnte.

Viele Grüße

Sebastian
Ich benutze privat:
Leitz SM-Lux mit (LED-) Durchlicht und Phaco-Ausrüstung (ca. 1975-77)
Hensoldt Wetzlar Stereomikroskop DIAMAL (1950er Jahre)