Hauptmenü

eristalis pertinax

Begonnen von Jürgen H., Juni 09, 2014, 20:01:48 NACHMITTAGS

Vorheriges Thema - Nächstes Thema

Jürgen H.

Liebe Mitforisten,

zunächst eine kleine Geschichte: Bei Kaffeetrinken vor zwei Wochen auf unserer Terrasse fiel mir eine recht große Schwebefliege auf,  die ein bemerkenswertes Verhalten zeigte. Sie schwebte lange Zeit über einem gelbblättrigen  Strauch in etwa  2,5 Meter Höhe, stets in gleicher Höhe, stets in gleicher Ausrichtung des Körpers. Dann flog sie plötzlich und sehr schnell nach schräg oben weg, kehrte aber nach wenigen Metern Flug wieder wie an einem Gummiseil gezogen wieder exakt an die gleiche erste Schwebeflugstelle zurück. Der Vorgang wiederholte sich mindestens 10 Mal, wobei der Wegflug in verschiedene Richtungen, doch stets nach schräg oben geschah und der Rückflug von dann unterschiedlicher Richtung stets an jedenfalls annähernd die gleiche Stelle erfolgte,  bis ich kurz entschlossen zu meinem Insektennetz griff. Ich wollte das Tierchen untersuchen. Eine kurze Bestimmung ergab eristalis pertinax, eine schöne in Waldnähe häufige Schwebefliege, die große Bienenähnlichkeit besitzt und zwar ein Männchen.



Ein Schnitt durch die Augenregion in Azanfärbung sieht so aus:



Ich habe ein wenig im Netz über das merkwürdige Verhalten ergoogelt und fand meine Beobachtungen hier bestätigt:
http://link.springer.com/article/10.1007/BF00623930#page-1

Ich glaube allerdings nicht, dass die Tierchen Insekten jagen, wie dort beiläufig bemerkt ist. Diese Schwebefliege kann nicht an irgendwelchen Insekten als Nahrung interessiert sein. Hierzu fehlen ihr die Mundwerkzeuge: Sie sind ähnlich denen der Stubenfliege als leckende gebaut:



Außerdem zeigt ein Blick in den Darm (Hämatoxylin Ehrlich mit Azophloxin) schnell die wahre Nahrung der Tiere auch unabhängig von Büchern und Tante GOOGLE. Ich weiß nicht, ob man hiernach die Pflanzen bestimmen könnte, von denen die Pollen stammen?



Sehr schön zu sehen ist die peritrophische Membran im Querschnitt, die die Pollen im Darmlumen umhüllt.

Ich vermute, dass diese männliche Schwebefliege sich über der auffällig gelben Stelle positioniert um anfliegende Weibchen zu begatten. Gelb als gewöhnliche Pollenfarbe könnte die Tiere anziehen. Fliegt ein Insekt vorüber, wird geprüft, ob es sich um ein Weibchen gleicher Art handelt. Eine Bestätigung für diese Annahme habe ich aber im Netz nicht gefunden.

Schöne Grüße ins Forum

Jürgen

hebi19

in Comix stand früher:   UUUAAAAAAAAHHHHHHHHHHFFFFFFFFFGGGGGGRRRRR........

Für mich ist nicht mehr die Frage ob, sondern nur noch wann und welche Uni Dir die Ehrendoktorwürde verleiht.
Die Insektenpräparator-OberInnungsmeister-Würde auf jeden Fall  !!!!

In Ehrfurcht
Martin
Grüße von
Martin alias hebi19

Motic BA-300, div Lomo, Stereo-Mikroskop noname

rekuwi

Lieber Jürgen,

da schließe ich mich den Worten von Martin gerne an!
Ich finde es traurig daß Dein interessanter Beitrag so sang- und klanglos hier langsam im Orkus versickert. Denn solch eine Arbeit muß unbedingt mehr gewürdigt werden!!!
Vielen Dank für diese Einblicke in den Aufbau des Insektenkörpers.

Als ganz junge Frau hatte ich mal ein kleines Rätselerlebnis mit winzigen Mückchen. Ich lag bäuchlings in der Sonne in einem großen wilden Gartengelände und entdeckte vor meiner Nase drei Insektchen die direkt vor meinen Augen ein merkwürdiges "Spiel" trieben. Eines saß über eine längere Zeit auf einem Stein. Zwei andere saßen nebendran, flogen aber ab und zu auf um in einer anderen Position wieder ganz in der Nähe zu landen. Diese beiden wippten dann beständig mit den Flügeln auf und ab. Das ging sicher weit über 10 Minuten hin. Ob die wohl um die Gunst eines Weibchens buhlten? Irgendwann wurde mir eine Bauchlage zu unbequem und ich brach die Beobachtung ab. Weißt Du Näheres über das Verhalten so kleiner Mückchen?

Herzliche Grüße
Regi

Monsti

Lieber Jürgen,

spannende Bilder! Wie man so was macht, ist mir natürlich ein Rätsel ...  :o

ZitatDiese Schwebefliege kann nicht an irgendwelchen Insekten als Nahrung interessiert sein.

Damit liegst Du natürlich richtig. Alles Syrphidae ernähren sich von Nektar und Pollen. Nur als Larven leben sie räuberisch. Schwebfliegen suchen vor allem Korbblüten-, Dolden- und Kardengewächse auf. Lippen- und Schmetterlingsblütler werden gemieden. Nur die Schnauzenschwebfliege Rhingia campestris kann aufgrund ihres langen Rüssels auch an Blüten mit langen Röhren saugen.

Übrigens sah ich schon öfters Eristalis-Männchen, die sich auf Weibchen einer anderen Eristalis-Art stürzten.

Herzliche Grüße
Angie

Ronald Schulte

Jürgen,

Sehr schöne Bilder. Was ist aber ein peritrophisches Membran? Das meine ich auch in mein Larve zu sehen!

Grüße Ronald
Mikroskope:
Leitz Orthoplan (DL, AL-Fluoreszenz und Diskussionseinrichtung).
Leica/Wild M715 Stereomikroskop.
Mikrotom:
LKB 2218 Historange Rotationsmikrotom.

Jürgen H.

Lieber Martin,

da machst Du mich verlegen.... Aber danke für Deine Worte!

Liebe Regi,

War es ein Wippen oder eher ein Flügelzittern? Im letzteren Fall könntest Du eine Stelzmückenart beobachtet haben. Balz ist das bei denen kaum. Die Männchen schwärmen vielmehr wie bei den Stechmücken. Eine Erklärung für Deine Beobachtung habe ich nicht. Ich könnte mir vorstellen, dass die Bewegungen dazu dienen, das "Blut", die Hämolymphe  zu verteilen. Eine Balz mit Flügelbewegungen kennen allerdings auch einige Insekten....

Liebe Angie, eine Dankeschön auch an Dich für Deinen Beitrag!

Lieber Ronald,

die peritrophische Membran ist ein sehr dünnes Chitinhäutchen, dass den Nahrungsbrei siebartig umhüllt und die Darmzellen schützt aber doch die mit den Darmsekrten erschlossenen Nähstoffe zu den Darmzellen hindurchlässt. Der Mitteldarm besitzt keine schützende Cuticula und braucht daher eine Schutzvorrichtung vor mechanischen Verletzungen durch feste Nahrungsteile. Es geht also offenbar nicht um einen Schutz vor dem Selbstverdau der Darmzellen, wie bei der Glykokalyx, die Du so schön im Präparat gezeigt hast.

Schöne Grüße

Jürgen

Eckhard

Hallo Jürgen,

Danke für den schönen Beitrag!

Herzliche Grüsse,
Eckhard
Zeiss Axioscope.A1 (HF, DF, DIK, Ph, Pol, Epifluoreszenz)
Nikon SE2000U (HF, DIK, Ph)
Olympus SZX 12 (HF, DF, Pol)
Zeiss Sigma (ETSE, InLens SE)

www.wunderkanone.de
www.penard.de
www.flickr.com/wunderkanone

Stefan K.

Halo Jürgen,

für mich als Entomologie-begeisterten natürlich ein besonders interessanter Beitrag. Bei uns im Garten fliegen dieses Jahr auch recht viele Exemplare dieser Art. Das von dir beschriebene Verhalten konnte ich auch bereits beobachten.

Mit freundlichen Grüßen,
Stefan

rekuwi

Lieber Jürgen,

danke für Deine Anregung mit den Stelzenmücken. Diese Mückchen die ich beobachtete waren wirklich sehr klein, knapp 4 mm soweit ich mich erinnere. Und es war wirklich ein Flügelheben- und senken. Aber es gibt so viel Unbekanntes in der Natur, nicht weiter schlimm wenn dieses Rätsel ungelöst bleibt. ;)

herzliche Grüße
Regi

Jürgen H.

Lieber Stefan,

ich wäre froh, wenn in unserem Garten noch einmal eine eristalis p. auftauchen würde. Ich habe gelesen, dass die beim waagerechten Flug himmelwärts gerichtete Augenregion Besonderheiten aufweisen soll, die das Beobachten überfliegender Objekte erleichtern soll, funktional offenbar ähnlich wie bei der Kriebelmücke (Simuliumarten). Ich werde sehen, ob sich ein weiteres Tier finden lässt.

Und ergänzend zu meinem obigen Beitrag habe ich bei der Literaturrecherche noch etwas Interessantes gefunden: Eine verhältnismäßig junge Entdeckung (1995), von Srinivasan zum Anflugverhalten einiger Insekten. Das Ziel verfolgende Insekt fliegt so, dass es sich aus Sicht des verfolgten Objekts immer an gleicher Stelle befindet. Das verfolgte Insekt sieht also keine Bewegung des verfolgenden, sondern nur ein ständiges Anwachsen seines Bildes. Möglicherweise wird so ein Fluchtreflex vermieden. Onkel Wiki stellt diese "motion camouflage" hier http://www.google.de/imgres?imgurl=http%3A%2F%2Fupload.wikimedia.org%2Fwikipedia%2Fcommons%2F1%2F1a%2FMotion_Camouflage_Principle.jpg&imgrefurl=http%3A%2F%2Fen.wikipedia.org%2Fwiki%2FMotion_camouflage&h=720&w=960&tbnid=gCyPI_xm9PYGnM%3A&zoom=1&docid=uuDwd5sjbX69yM&ei=MqOeU4mUCcm7Pd2WgLgH&tbm=isch&client=firefox-a&iact=rc&uact=3&dur=704&page=2&start=28&ndsp=36&ved=0CK0BEK0DMC4 vor und liefert dazu ein schönes erhellendes Bild. Ein weiteres noch besseres Bild aus dem Netz sieht so aus:



Je mehr man sich mit der Natur beschäftigt, desto mehr gerät man ins Staunen.

Schöne Grüße

Jürgen