Die Fotografie der Interferenzbilder – oder: die Passion des SchokoladenfabrikantenZur Zeit boomt ja die Fotografie von Achsenbildern in diesem Forum regelrecht, daher möchte ich gerne etwas über die historische Entwicklung dieser Technik loswerden. Verzeiht mir bitte, wenn es ein etwas längerer Erguss wird, aber die Eigendynamik.....
Interferenzbilder sind für die mineralogische Diagnostik unverzichtbar, da sie die Symmetrie der Kristalle widerspiegeln und damit die Bestimmung des jeweiligen Kristallsystems ermöglichen. Über diese Art der Beobachtung habe ich vor Jahren schon einmal einen Beitrag verfasst (
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=10953.0), aus dem man technische Details entnehmen kann.
Vor ein paar Tagen hätte ich noch schreiben können „vor genau 200 Jahren“, heute ist es also 201 Jahre her, dass
Sir David Brewster, ein schottischer Physiker (1781 – 1868) Interferenzbilder untersuchte, einachsige von zweiachsigen unterschied und die Erscheinungen richtig interpretierte.
Zur Beobachtung von Interferenzfiguren wurden spezielle Apparaturen, die
Polariskope nach Nörrenberg oder nach Groth entwickelt, erst im ausgehenden 19. Jahrhundert wurden Amici-Bertrand-Linsen integraler Bestandteil von Polarisationsmikroskopen und die eigenständigen Polariskope wurden überflüssig.
Zu Brewsters Zeit gab es natürlich noch keine objektive Darstellung (Fotografie) solcher Phänomene, also musste man sie zeichnen. Eine der ältesten Darstellungen stammt aus einer Arbeit von Brewster aus dem Jahre 1817, in der er die optischen Anomalien des Minerals Apophyllit beschreibt (
Account of a remarkable structure in apophyllite, with observations on the optical pecularities of that mineral. Royal Society Transactions, Vol. IX). Das einachsige Interferenzbild des Apophyllits ist links im Bild zu sehen.

Wunderschöne kolorierte Darstellungen findet man in den englischen Büchern aus der viktorianischen Zeit, als man Salonmikroskopie an solchen Objekten zum reinen Amüsement betrieb. Die folgende Darstellung ist dem berühmten Buch
Light – a course of experimental optics von Lewis Wright aus dem Jahre 1882 entnommen. D, E und F sind Interferenzfiguren, E und F sogar schon von Kombinationspräparaten aus übereinandergestapelten Kristallplatten – diagnostisch völlig unbrauchbar, aber wunderschön anzusehen.

Gute Zeichnungen von Interferenzfiguren mit ihren sehr speziellen Besonderheiten gab es etwa ab dem vierten Quartal des 19. Jahrhunderts. Eine hervorragende Zusammenstellung, die sogar die Dispersionsarten in monoklinen Kristallen zeigt, findet man in Groth (1905):
Physikalische Krystallographie.

Um 1900 gewann die Fotografie als objektive Darstellungsmethode eine immer größere Bedeutung in den Naturwissenschaften, und so lag es nahe auch Interferenzfiguren so darstellen zu wollen. Eine glückliche Fügung wollte es, dass der berühmte Göttinger Mineraloge und Kristalloptiker
Theodor Liebisch (1852 – 1922) Hans Hauswaldt für solche Aufgaben begeistern konnte. Daraus resultierte ein bahnbrechendes und einzigartiges Werk, das über Jahrzehnte das Maß der Dinge blieb, der dreibändige
Atlas der Interferenzerscheinungen an doppelbrechenden Krystallplatten im convergenten polarisierten Licht.
Johann Christian Albert (Hans) Hauswaldt (1851 -1909) war Kaufmann und Königlicher Kommerzienrat im Familienunternehmen
Zichorien-, Schokoladen-, Zuckerwaren- und Biskuitfabriken Johann Gottlieb Hauswaldt in Magdeburg. Der gut gehende und überregional bedeutende Betrieb schuf die finanziellen Voraussetzungen dafür, dass der naturwissenschaftlich höchst interessierte Hauswaldt sich umfangreichen Forschungen als Privatgelehrter hingeben konnte.
Über ihn schreibt Liebisch im Vorwort zum ersten Band des Atlas:
….äusserte ich Herrn Hauswaldt in Magdeburg den Wunsch, seine bewährte Kunstfertigkeit in photographischen Aufnahmen auf die Interferenz-Erscheinungen an doppelbrechenden Krystallen auszudehnen. Von dem lebhaften Interesse und dem unermüdlichen Eifer, mit denen sich Herr Hans Hauswaldt diesen Wunsch in den Jahren 1897 – 1901 erfüllt hat, giebt der vorliegende Atlas, dessen Tafeln eine Auswahl der Aufnahmen in Autotypie wiedergeben, ein beredtes Zeugnis.Der Atlas erschien im Selbstverlag von Hauswaldt in Magdeburg und gehört zu den kostbarsten bibliophilen Raritäten auf diesem Gebiet. Über die Höhe der Auflage gibt es keine Information, aber sie wird wenige hundert Exemplare nicht übertroffen haben.

Die großformatigen Werke mit 25 x 32 cm sind lose Blatt Sammlungen von kartonstarken Einzelblättern, die mit Pergamentpapier-Auflagen geschützt sind und jeweils einer gehefteten Einführung und Beschreibung der Blätter. Sie befinden sich in einem Leinen-bezogenen Behälter, der mit wunderschönen Jugendstil-Motiven mit Goldeinlagen geprägt ist.
Der eigentliche Atlas besteht aus drei Lieferungen: 1902 mit 33 Tafeln, 1904 mit 80 Tafeln und 1907/1908 mit 72 Tafeln. Zusätzlich erschien 1909 noch eine Ergänzung in den Abhandlungen der Kaiserlichen Leopoldinisch-Carolingischen Deutschen Akademie der Naturforscher von Vorländer, D. und Hauswald, H.:
Achsenbilder flüssiger Kristalle mit 19 Tafeln.
Die Hauswaldtschen Interferenzbilder sind in ihrer Qualität, besonders der Klarheit und der Sauberkeit unübertroffen! Sie wurden alle auf Perutz Silbereosin-Platten im Format 9 x 12 cm angefertigt, da sich dieses Material in langen Testreihen als das geeignetste erwiesen hatte. Für die meisten Abbildungen wurde eine spezielle Natrium-Lampe benutzt, die mit Spiritus und Sauerstoff betrieben wurde. Der Docht der Lampe musste für konstante Bedingungen von Hand nachgeregelt werden. Die Belichtungszeiten betrugen bis zu 60 Minuten pro Aufnahme!

Der gesamte Versuchsaufbau war auf einer optischen Bank montiert und 1,5 m lang, wobei der Abstand vom Präparat zur Filmebene 65 cm betrug. Als Polarisator diente ein großes Glan-Thompson Polarisationsprisma, der Analysator war eine hellgrüne Turmalinplatte die ein verzerrungsfreieres Bild als ein Calcit-Prismenpolarisator liefert. Diese Einrichtung soll später an das Physikalische Institut in Breslau gegangen sein, aber Details sind nicht bekannt. In der folgenden Skizze des Versuchsaufbaus von Siedentopf, einem Mitarbeiter von Zeiss/Jena die die optischen Komponenten geliefert haben, ist die Lage des Präparats zwischen den zwei hochaperturigen optischen Systemen von mir mit einem roten Pfeil und die der Polarisatoren mit grünen Pfeilen markiert worden.

Neben der perfekten Fotografie und dem apparativen Aufbau sind die Interferenzfiguren natürlich von der Qualität der verwendeten Präparate abhängig. Diese zum Teil außergewöhnlichen und sehr kunstvoll angefertigten Kristallschliffe wurden fast ausnahmslos von der Firma Dr. Steeg & Reuter in Bad Homburg speziell für Hauswaldt gefertigt. Diese Firma war in der Zeit zwischen etwa 1870 und 1950 der weltweit führende Lieferant auf diesem Gebiet (eine umfangreiche Darstellung findet man hier:
ftp://ftp.min.rub.de/pub/Medenbach/Forum/S&R%20Gesamt.pdf). Glücklicherweise sind ein großer Teil der Präparate sowie die Fotoplatten Hauswaldts erhalten und befinden sich heute im Naturkundemuseum der Humboldt-Universität in Berlin. Beispiele dieser Kork-gefassten Präparate sieht man hier:

Für seine außergewöhnlichen Leistungen auf dem Gebiet der Kristalloptik wurde Hans Hauswaldt im Jahre 1902, direkt nach Erscheinen der ersten Lieferung seines Atlas, von der Universität Göttingen mit der Ehrendoktor-Würde ausgezeichnet.