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Ludio parvulus

Begonnen von Martin Kreutz, Mai 05, 2015, 20:56:38 NACHMITTAGS

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Martin Kreutz

Liebes Forum,

wie ich vor einiger Zeit hier vorstellte, unterscheide ich 4 Schwierigkeitsgrade, um einen Ciliaten abzulichten. Darin gehen die Größe ein, die Schwimmgeschwindigkeit und die Deckglasempfindlichkeit. Hier möchte ich ein Objekt der Klasse 4 vorstellen, also sehr schwierig zu fotografieren. Es handelt sich um Ludio parvulus, der von Penard 1922 erstmals beschrieben wurde. Hier eine Zeichnung von Kahl von 1935:



Der nur 30 µm lange Ciliat besitzt 2 dorsale, lange Dornen und einen weiteren langen Dorn an der linken Körperseite. Kahl hat diese sehr exakte Zeichnung sicher an fixiertem Material erstellt. Er schreibt selbst:"sehr schnell, fast schnellend.... schwer festzulegen". Auch ich musste diese Erfahrung machen. Bei Kontakt mit dem Deckglas deformiert sich die Zelle sofort und platzt. Also ein kleines, unangenehmes Objekt. Zudem findet man diesen Ciliaten, zumindest in meinem Fundgebiet, nicht sehr häufig. Bereits 1998 habe ich mich an dieses Objekt gewagt (noch Analog), mit folgendem Resultat:



Diese Aufnahmen habe ich auch in PM Vol. 3 verwendet. Damals konnte ich diesen extrem schnellen Schwimmer nur mit dem 40X Objektiv erfassen. Wegen dem geringen Bildausschnittes des 100X Objektives ist die Verfolgung von Ludio sehr schwierig und zerrt an den Nerven. Versuche, den Ciliaten festzulegen, sind völlig zwecklos. Man muss frei schwimmende, ungestörte Exemplare einfangen. Inzwischen konnte ich meine Technik dies bezüglich optimieren. Mein heutiges Vorgehen ist etwas unkonventionell, da ich zwischen dem 10X und 100X Objektiv sehr schnell wechsel (das Deckglas ist dabei bereits komplett mit Öl bedeckt), um in "Falkentechnik" das Objekt mit dem 10X zu erspähen und durch sehr schnelles umschalten auf 100X das Objekt in das Blickfeld zu bekommen (man muss vorhalten, wie bei einem Gewehr). Nur so lässt sich Ludio für wenige Sekunden ins Fadenkreuz bringen und dort halten. Der Rest ist Materialschlacht. Die folgenden Fotos mit Ölimmersion sind so entstanden:


MA = Makronukleus
MO = Mundöffnung
PW = perizonale Wimpernreihen
LD = linker Dorn
DD1 = dorsaler Dorn 1
DD2 = dorsaler Dorn 2
CS = caudale Spitze

Die Fotos bestätigen Kahl's sehr genauen Beobachtungen. Viel Spass beim anschauen!

Martin








Klaus Henkel

Zitat von: Martin Kreutz in Mai 05, 2015, 20:56:38 NACHMITTAGS

wie ich vor einiger Zeit hier vorstellte, unterscheide ich 4 Schwierigkeitsgrade, um einen Ciliaten abzulichten. Darin gehen die Größe ein, die Schwimmgeschwindigkeit und die Deckglasempfindlichkeit. Hier möchte ich ein Objekt der Klasse 4 vorstellen, also sehr schwierig zu fotografieren. Es handelt sich um Ludio parvulus, der von Penard 1922 erstmals beschrieben wurde. Hier eine Zeichnung von Kahl von 1935: [ ... ]

Wegen dem geringen Bildausschnittes des 100X Objektives ist die Verfolgung von Ludio sehr schwierig und zerrt an den Nerven. Versuche, den Ciliaten festzulegen, sind völlig zwecklos. Man muss frei schwimmende, ungestörte Exemplare einfangen. Inzwischen konnte ich meine Technik dies bezüglich optimieren.

Mein heutiges Vorgehen ist etwas unkonventionell, da ich zwischen dem 10X und 100X Objektiv sehr schnell wechsel (das Deckglas ist dabei bereits komplett mit Öl bedeckt), um in "Falkentechnik" das Objekt mit dem 10X zu erspähen und durch sehr schnelles umschalten auf 100X das Objekt in das Blickfeld zu bekommen (man muss vorhalten, wie bei einem Gewehr). Nur so lässt sich Luido für wenige Sekunden ins Fadenkreuz bringen und dort halten. Der Rest ist Materialschlacht. Die folgenden Fotos mit Ölimmersion sind so entstanden: [ ... ]

Die Fotos bestätigen Kahl's sehr genauen Beobachtungen. Viel Spass beim anschauen!

Martin

Lieber Martin!

Wenn ich Deine Fotos und vor allem auch Deine eigenen Kommentare zur Anatomie und Fotografie bedenke, kommt mir in den Sinn, daß Du einen weiten Weg zurückgelegt hast. Die Begeisterung, mit der ich damals in Bodman Deine dunkle "Schiefe Mondsichel" begrüßt habe, spüre ich auch heute wieder bei Deinen Aufnahmen und Deinen Kommentaren. Bleib dran zu rufen, ist überflüssig, Du kommst sowieso nicht davon los.

Danke dafür, daß wir daran teilnehmen dürfen.

KH

Ernst Hippe

Lieber Martin,
im "wir" von KH fühle ich mich besonders eingeschlossen, weil ich ja etliche Jahre deinen Weg begleiten durfte. Also hier nochmals ein Extradank und weiter viele erfreuliche Erfolge!
Ernst
Gruß Ernst Hippe
Vorstellung:Hier klicken

A. Büschlen

Hallo Martin,

ich kann bei Ciliaten überhaupt nicht mitreden.
Aber deine Dokumentationen lese ich immer wieder gerne und mit Interesse. Du schreibst für mich als Laie verständlich und du beschreibst deine Arbeitsweise nachvollziehbar.

Gruss Arnold
Schwerpunkt z.Z.:
- Laub- und Lebermoose.
- Ascomyceten als Bryoparasiten.

Monsti

Hallo Martin,

mein Glückwunsch zu diesen klasse Fotos!

Zitat4 Schwierigkeitsgrade, um einen Ciliaten abzulichten. Darin gehen die Größe ein, die Schwimmgeschwindigkeit und die Deckglasempfindlichkeit.

Und was ist mit jenen Viechern, die fast nie frei schwimmend zu beobachten sind, sondern sich im Detritus tummeln? Isolierst Du sie vorher? Kann es sein, dass Ciliaten mitunter auch extrem lichtempfindlich sind? Mir fällt nämlich immer wieder auf, dass sich bestimmte Spezies sofort auflösen, sobald ich sie im Fokus habe.

Herzliche Grüße
Angie

Jan Kros

Lieber Martin
ich schliesse mich Klaus Henkel an
liebe Gruesse
Jan

Martin Kreutz

#6
Hallo zusammen,

@ meine Weggefährten: Ja, ich kann mich auch an mein erstes Bodman Treffen gut erinnern. Das war am 2-8. Okt. 1993. Damals habe ich viele Leute kennengelernt, die meine spätere Entwicklung stark beeinflusst haben und die auch hier im Forum mitmischen. Ernst, Du darfst Dich besonders angesprochen fühlen. Ich denke da an unsere vielen Telefonate und Treffen im laufe der Jahre.

@ Angie: ich vergaß zu erwähnen, dass Ludio, wie so viele andere interessante Ciliaten, im Faulschlamm beheimatet ist. Das macht die Sache nochmal schwieriger. Die Detritusteilchen, welche die Schichtdicke versauen, muss man vor der Fotosession natürlich los werden. Ich verwende meist meine altbewährte Objektträgertechnik, mit der ich die "flüssige Phase" von der "festen Phase" abtrenne. Mit etwas Übung klappt die sehr gut. Sie ist auch sehr schonend für die Viecher. Eine Sieb-Passage überstehen viele Arten nicht. Hier ein paar Fotos meiner Objektträgermethode:


 



Eine Lichtempfindlichkeit von Ciliaten konnte ich bisher nicht feststellen. Hast Du einen Wärmeschutzfilter im Strahlengang. Sollte drin sein. Aber ich persönlich glaube eher, dass man eine vermeintliche Lichtempfindlichkeit bei den Ciliaten zu erkennen glaubt, weil sie sowieso sehr empfindlich bezüglich Isolierung und Deckglas sind. Viele Vertreter von Metopus platzen schon, obwohl noch kein Deckglas aufliegt. Das liegt am Sauerstoffzutritt über die offene Wasseroberfläche. Verfolgt man ein Exemplar in einem frisch aufgebrachten Tropfen, platzt es schon nach wenigen Sekunden. Man kann dann glauben, dies geschähe nur, weil man das Exemplar gerade betrachtet und könnte die Beleuchtung in Verdacht haben. Aber alle anderen Exemplare im Präparat platzen genauso schnell, auch wenn sie gerade nicht beobachtet werden. Das ist meine Interpretation des Effektes.

Martin









Monsti

Hallo Martin,

tut mir leid, dass ich erst jetzt auf Deine ausführliche Antwort reagiere. Ich bekam aus unerfindlichen Gründen keine E-Mail-Benachrichtigung.

Vielen Dank für die klasse Veranschaulichung Deiner Detritus-Reduzierungsmethode. Das werde ich natürlich ausprobieren, wobei ich mich bei solchen Sachen immer etwas "patschert" anstelle ...

Seltsam, dass Du den Licht-Effekt nicht bestätigen kannst. Viele Ciliaten und Rädertiere flüchten sofort, sobald sie sich im Lichtkegel befinden. Wärme wird zumindest bei der Lichtquelle nicht erzeugt. Ich habe eine LED-Beleuchtung. Oder entsteht die Wärme durch die Optik?  ??? Bitte lach' nicht, ich habe wirklich keine Ahnung.

Herzliche Grüße
Angie

Martin Kreutz

Hallo Angie,

ich kenne nur einen einzigen Protisten, der nachweislich lichtempfindlich ist und über den ich hier im Forum auch schon berichtet habe:

http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=6532.0

Ansonsten, wie gesagt, kann ich das nicht bestätigen. Aber ich will es auch nicht komplett ausschließen. Vielleicht können andere Forummitglieder oder Mitleser über ihre Erfahrungen berichten. Jedenfalls erzeugt die Optik keine Wärme, das ist schonmal sicher! Wärmestrahlung kann nur von der Lampe und vom Betrachter kommen. Man muss bedenken, dass die Infrarotstrahlung, die man selbst abstrahlt, theoretisch durch die Okulare und schließlich vom Objektiv auf das Objekt fokussiert werden kann. Jedoch halte ich den Effekt für vernachlässigbar, weil die Körpertempertur nur wenig über der Raumtemperatur liegt, im Gegensatz zu einer 3000 Grad heißen Glühwendel am anderen Ende des Strahlenganges. 

Schönen Abend!

Martin


Monsti

Hallo Martin,

danke für Deine Antwort und für den Link. Und ja, bei Rhizopoden konnte ich diese Lichtempfindlichkeit auch schon beobachten - interessanterweise aber noch nie bei den Heliozoen.

Zitatweil die Körpertempertur nur wenig über der Raumtemperatur liegt

Du meintest doch sicher die Hauttemperatur, oder?  ;)

Das mit der Lichtreaktion werde ich weiter beobachten.

Auch Dir einen schönen Abend und herzliche Grüße
Angie

Rawfoto

Hallo Martin

Sehr beeindruckende Fotos! Danke fuer Deinen Beitrag ...

Liebe Gruesse

Gerhard
Gerhard
http://www.naturfoto-zimmert.at

Rückmeldung sind willkommen, ich bin jederzeit an Weiterentwicklung interessiert, Vorschläge zur Verbesserungen und Varianten meiner eingestellten Bilder sind daher keinerlei Problem für mich ...

Bernhard Lebeda

Zitat von: Martin Kreutz in Mai 18, 2015, 19:58:10 NACHMITTAGS
H
Ansonsten, wie gesagt, kann ich das nicht bestätigen. Aber ich will es auch nicht komplett ausschließen. Vielleicht können andere Forummitglieder oder Mitleser über ihre Erfahrungen berichten.



Hallo Angie und Martin

ich tümpel ja nun auch schon über 12 Jahre, aber so eine direkt beweisbare (!) lichtempfindliche Reaktion von Ciliaten oder Rädertieren ist mir nie begenet!

Natürlich bewegt sich das Gesindel, z.T so dass beobachten schwerfällt, das kennen wir ja. Aber wie um Himmels Willen soll nachgewiesen werden, das alles ruhig vor sich hin dümpelt und sich im Schatten aalt, solange sich die Organismen neben dem "Ereignishorizont" des Objektivs befinden, um dann verschreckt vor dem Licht zu flüchten sobald sie ins Bild kommen  ??? Das scheint mir aber eine gewagte Hypothese.


Viele Mikrogrüße

Bernhard

Ich bevorzuge das "DU"

Vorstellung

Eckhard

Hallo in die Runde,

erstmal Glückwünsche an Martin für die schönen Fotos. Bei Amöben gibt es durchaus lichtempfindliche Arten. Ein paar Beispiele: ein ruhendes Cochliopodium wird durch das Mikroskoplicht sofort in Bewegung gesetzt. Rizamoeba zieht sofort alle Pseudopodien ein und versteckt sich unter seinem Detritushaufen. Biomyxa vagans zieht sich zu einer Kugel zusammen.

Herzliche Grüsse,
Eckhard
Zeiss Axioscope.A1 (HF, DF, DIK, Ph, Pol, Epifluoreszenz)
Nikon SE2000U (HF, DIK, Ph)
Olympus SZX 12 (HF, DF, Pol)
Zeiss Sigma (ETSE, InLens SE)

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www.penard.de
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Tobse

Hallo Zusammen,

und vielen Dank an Martin Kreutz für die interesannten Beiträge die hier immer wieder eingestellt werden.

Ich meine schon dass sie Lichtempfindlich sind, auch deshalb weil ich einen Unterschied festgestellt habe wie stark beleuchtet wird oder ob die Großfeldleuchte drin ist - die finden sie angenehmer.
Ich bin ja Laie, könnte mir aber vorstellen dass es in diesen Dimensionen nicht unbedingt ein extra Sinnesorgan für die Lichtempfindlichkeit braucht, es ist ja schon ein Ordentlicher Lichtstrom der bei höherer Aperatur durch den Organismus hindurch geht, und viel Kraft hat so ein kleines Ding ja nicht... könnte mir also vorstellen dass es vieleicht einfach einen Energieschub kriegt und dadurch eben schneller schwimmt.

Viele Grüße
Tobias

Eckhard

Hallo,

Zitatkönnte mir also vorstellen dass es vieleicht einfach einen Energieschub kriegt und dadurch eben schneller schwimmt.

Wunderbar!

Herzliche Grüsse,
Eckhard Völcker
Zeiss Axioscope.A1 (HF, DF, DIK, Ph, Pol, Epifluoreszenz)
Nikon SE2000U (HF, DIK, Ph)
Olympus SZX 12 (HF, DF, Pol)
Zeiss Sigma (ETSE, InLens SE)

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