Bestimmung von Ciliaten bis zur Art?

Begonnen von JB, Mai 14, 2015, 02:42:40 VORMITTAG

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JB

Hallo Forum,

Nachdem die Diskussion hier http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=23028.0 nicht weiter gekommen ist, kann jemand Literatur empfehlen, mit der man freilebende Ciliaten einigermassen sicher bis zur Gattung oder Art bestimmen kann? Da es etwa 5,000 beschriebene freilebende Ciliatenarten gibt, ist mir natuerlich klar, dass kein einzelnes Buch alle Arten abdecken kann  ;)


Ich kenne u.a die folgenden, weiss aber nicht, ob die fuer "gut" eingeschaetzt werden:

Curds, C.R. (1982) British and other freshwater ciliated protozoa. Part I
Curds, C.R. (1983) British and other freshwater ciliated protozoa. Part II

- Bestimmung bis zur Gattung; groesstenteils ohne Silbermethoden



Berger (1999ff); mehrere Monographien zu Untergruppen http://www.protozoology.com/publications/#Anker107721

Protozoenfauna; mehrere Baende http://www.nhbs.com/series/41205/protozoenfauna




CMB

Moin,
neben dem Kahl, würde ich den 4 bändigen Atlas : Taxonomische und ökologische Revision der Ciliaten des Saprobiensystems von Foissner empfehlen, damit kommt man ziemlich weit, abschliessend ( für alle Ciliaten)ist auch der natürlich nicht... Aber mit diesen beiden Büchern kommt man nach intensiver Einarbeitung sehr weit.

Geuss
CMB

JB

Hallo CMB,

Wenn ich das Konzept des Foissners richtig verstanden habe (einige Baende habe ich), dann werden nur ausgewaehlte Arten (aber sehr ausfuehrlich) behandelt. Gut geeignet, um die taxonomisch wichtigen Merkmale zu lernen, aber nicht fuer die Bestimmung, weil es Vollstaendigleit vortaeuscht. Liege ich da falsch? Ich habe noch keine explizite Stellungnahme dazu gelesen.

Beste Gruesse, Jon

CMB

Moin Jon,
mit Deiner Beschreibung des Anwendungsbereiches für den Foissner hast Du Recht,
darauf hatte ich ja  auch hingewiesen. In der Praxis hat sich allerdings für mich gezeigt, dass es wirklich nur selten vorkommt, dass man mit beiden Werken zusammen bei Proben aus heimischen Gewässern nicht weiterkommt.

Da noch immer neue Arten entdeckt werden, wirst Du ein  vollständiges Werk naturgemäss nicht finden, weil es es nicht geben kann. Bei diesem Anspruch bieten nur noch Datenbanken einen Fortschritt. Ob man wirklich diese Vollständigkeit braucht, muss jeder selbst entscheiden.
Grüsse sendet
CMB

Klaus Henkel

#4
Zitat von: JB in Mai 14, 2015, 13:27:30 NACHMITTAGS
Hallo CMB,

Wenn ich das Konzept des Foissners richtig verstanden habe (einige Baende habe ich), dann werden nur ausgewaehlte Arten (aber sehr ausfuehrlich) behandelt. Gut geeignet, um die taxonomisch wichtigen Merkmale zu lernen, aber nicht fuer die Bestimmung, weil es Vollstaendigleit vortaeuscht. Liege ich da falsch? Ich habe noch keine explizite Stellungnahme dazu gelesen.

Beste Gruesse, Jon

Guten Tag Jon!
Foissner et al. täuschen nichts vor, denn die "Unvollständigkeit" ist beabsichtigt. Es werden nur Arten beschrieben, die für eine Wassergütebestimmung nach dem gängigen Saprobiensystem wichtig sind.


  • Foissner, W.; Blatterer, H.; Berger, H.; Kohmann, F.: Taxonomische und ökologische Revision der Ciliaten des Saprobiensystems. Band I: Cyrtophorida, Oligotrichida, Hypotrichia, Colpodea. Band II: Peritricha, Heterotrichida, Odontostomatida. Band III: Hymenostomata, Prostomatida, Nassulida. Band IV: Gymnostomatea, Loxodes, Suctoria. Bayrisches Landesamt für Wasserwirtschaft (Herausgeber und Verlag), München 1991 bis 1995. ----- Ein weltweit einzigartiges, unvergleichliches Werk. Die Qualität und Genauigkeit von Beschreibungen und Fotografien sind überragend. Die Qualität des Drucks beispielhaft. Je Band etwa 500 Seiten und 1300 Abb. DIN A4, Vierlochheftung im stabilen Plastikordner. Preis je Band ca. 130 DM. In Anbetracht der Einzigartigkeit des Werks, das für viele Jahrezehnte das Standardwerk bleiben wird, sehr preiswert.   *
Quelle: Die Mikrofibel.

Irgendeine Vollständigkeit war nicht beabsichtigt, das überstiege die Lebenszeit mehrerer Forschergenerationen. Sie verlangen zu viel, Jon!

Grüße
KH


Rene

#5
Hi Jon, you should see speciation as a continual process, and there is no hard boundary to find in and between species. CMB's weiterkommen is the Stichwort, and his suggestion of Kahl with Foissner is hard to beat. Curd gives some extra info (as does Carey for marine ciliates), but does not add much to Kahl. Keep the fun in it, the search for the 'right' name sometimes becomes a pursuit to the holy grail O:-)

Best wishes, Rene.

Bernhard Lebeda

Zitat von: JB in Mai 14, 2015, 13:27:30 NACHMITTAGS
Hallo CMB,

Wenn ich das Konzept des Foissners richtig verstanden habe (einige Baende habe ich), dann werden nur ausgewaehlte Arten (aber sehr ausfuehrlich) behandelt. Gut geeignet, um die taxonomisch wichtigen Merkmale zu lernen, aber nicht fuer die Bestimmung, weil es Vollstaendigleit vortaeuscht. Liege ich da falsch? Ich habe noch keine explizite Stellungnahme dazu gelesen.

Beste Gruesse, Jon

Hallo Jon

ich schließe mich der Meinung der erfahreneren Kollegen an: damit liegst Du zumindest nicht ganz richtig!

Band 4 enthält einen sehr guten und umfassenden Bestimmungsschlüssel, der allerdings auch dieses ergänzende Buch einschließt:

http://www.bestellen.bayern.de/application/applstarter?APPL=STMUG&DIR=stmug&ACTIONxSETVAL%28artdtl.htm,APGxNODENR:3771,AARTxNR:lfw_was_00014,USERxBODYURL:artdtl.htm%29=X


dessen Anschaffung sehr angeraten ist!!


Damit (und dem Kahl natürlich) sollte zumindest für den Amateur(!) das Thema Ciliaten weitesgehend abgedeckt sein.

Viele Mikrogrüße

Bernhard
Ich bevorzuge das "DU"

Vorstellung

JB

Hallo Bernhard,

Danke erst einmal fuer die Einschaetzungen. Darum geht es mir ja, und das ist sehr interessant. Die Baende von Kahl sind also noch viel in Gebrauch.

Zu den Baenden von Foissner (Vol 1-4) kenne ich folgende Beschreibung: "This treatise comprises 4 volumes with about 500 pages each and describes in detail the morphology and ecology of about 300 species listed by SLADECEK et al. (1981) as indicators of water quality."

Also 300 Arten in 4 Baenden, von etwa 5000 beschriebenen freilebenden Arten, das sind 6%.

Beste Gruesse, Jon

Klaus Henkel

Zitat von: JB in Mai 14, 2015, 19:10:18 NACHMITTAGS

Zu den Baenden von Foissner (Vol 1-4) kenne ich folgende Beschreibung: "This treatise comprises 4 volumes with about 500 pages each and describes in detail the morphology and ecology of about 300 species listed by SLADECEK et al. (1981) as indicators of water quality."

Also 300 Arten in 4 Baenden, von etwa 5000 beschriebenen freilebenden Arten, das sind 6%.


Jon, vielleicht wollen Sie es ja gar nicht verstehen - aber ich bin hartnäckig und geduldig:

Die "restlichen 94 %" sind für die Beurteilung der Wasserqualität durch die (bayerischen) Wasserwirtschaftsämter, also des Saprobitätsindex, des Trophiegrads von Oberflächengewässern und für toxikologische Untersuchungsmethoden und für ökomorphologische Untersuchungen ohne bzw. nur von geringer Bedeutung. Deshalb waren sie für die Veröffentlichung des Foissnerschen Gesamtwerks nicht relevant. Dieses Werk ist ein vollendetes Hilfsmittel für die angewandte! Wissenschaft in Klär- und Wasserwerken, für die Binnenfischerei etc. pp. Es ist für Fachleute geschrieben, nicht für Amateure, die schon bei der ersten Differentialdiagnose zweier Arten schlapp machen.

Man muß bei solchen Arbeiten allerhöchster Qualität immer fragen: cui bono?! Ihre kritischen Anmerkungen sind unangemessen. Das was Ihnen offenbar vorschwebt, gibt es nirgends auf der Welt, in keiner Sprache. Wozu auch, für Hobbymikroskopiker?

Also gemach!

KH

JB

#9
Hallo KH,

Sie schreiben an mir vorbei. Mir geht es um die restlichen 94+ %. Nicht um die Analyse von Wasserqualitaet, sondern darum, eine beliebige Art auch sicher bestimmen zu koennen. Nicht angewandt, (nicht systematisch korrekt,) sondern taxonomisch korrekt. Das geht nur mit einem vollstaengigen Schluessel. Wie Sie schreiben, und wie ich vermutete, sind die bei Foissner nicht abgedeckt. Das das so ist, ist ja keine Kritik am Autor oder am Buch, sondern nur eine Feststellung.

Zitat von: Klaus Henkel in Mai 14, 2015, 22:55:16 NACHMITTAGS
Das was Ihnen offenbar vorschwebt, gibt es nirgends auf der Welt, in keiner Sprache. Wozu auch, für Hobbymikroskopiker?

Was mir vorschwebt gibt es doch, sogar auf deutsch: Kahl (1930-35): Wimperntiere oder Ciliata. Tierwelt Deutschlands 18, 21, 25, 30; warum soll es so etwas nicht geben?

Tierwelt Deutschlands http://www.goeckeevers.de/verlag/dahl.html
Süßwasserfauna von Mitteleuropa http://www.springer.com/series/7966
Protozoenfauna http://www.nhbs.com/series/41205/protozoenfauna
Berger http://www.protozoology.com/publications/#Anker107721
Die Käfer Mitteleuropas http://www.springer.com/series/7983
Faune de France http://www.faunedefrance.org/Accueil
Faune d'Italia http://www.comitato.faunaitalia.it/Volpubb.html
Synopses of the British Fauna http://www.field-studies-council.org/publications/synopses-of-british-fauna.aspx

- alles vollstaengige Bestimmungsschluessel.

Monsti

Hallo Jon,

nochmals: einen Bestimmungsschlüssel, der die in Mitteleuropa vorkommenden Ciliaten vollständig abdeckt, wird es niemals geben. Auch Kahl ist nicht vollständig, zumal in der Zwischenzeit unzählige Arten eingeschleppt bzw. neu entdeckt wurden.

Herzliche Grüße
Angie

JB

Hallo Angie,

und weil das so ist, waere es interessant zu wissen, wie man am besten vorgehen sollte. Anscheinend ist der Prozess genauso umstaendlich, wie bei anderen Protozoen auch.

1) mehrere Exemplare beobachten
2) Gattung bestimmen
3) evt. Silberfaerbung, je nach Gattung
4) Art bestimmen entweder mit aktuellen Buechern (Berger; Protozoenfauna) oder mit Primaerliteratur (Artbeschreibungen; Revisionen wenn vorhanden); je nach Gattung

Aber aussschliesslich mit Foissner die Art zu erraten funktioniert nicht. Dann doch lieber mit Kahl arbeiten und mit der Restunsicherheit leben. Welche Prozentzahl der Arten ist bei Kahl eigentlich nicht abgedeckt? Gibt es da belastbare Zahlen?

Beste Gruesse, Jon

CMB

Hallo Jon,

im Foissner ist ein rund 100 Seiten starker Schlüssel, der viele der Grossgruppen erschliesst und auch unter der Zielrichtung des Atlas bis hinunter zur Art eine Bestimmung ermöglicht. Raten ist da nicht nötig...

Gruss
CMB

JB

#13
Hallo CMB,

Dann sind es also doch mehr als 300? Den Band habe ich gerade nicht zur Hand. Wenn Sie ihn gerade da haben, wie viele Arten von Paramecium sind beispielsweise darin aufgeschluesselt oder welche Hinweise werden gegeben?

Bei Kahl sind es 11 Arten (mit einigen Unsicherheiten und einigen Arten in Brackwasser)
Bei de Puytorac (1994) II,2 sind es 6 Arten (inkl. einer Art aus Thermalquellen)
Bei Fokin (2010) sind es 15 (16) Arten (inkl. 4 Brackwasserarten); davon 8 Suesswasserarten aus Europa

Beste Gruesse, Jon

Monsti

Hallo Jon,

ZitatWelche Prozentzahl der Arten ist bei Kahl eigentlich nicht abgedeckt? Gibt es da belastbare Zahlen?

Das wird Dir niemand genau beantworten können. Hier ein Bericht zum Thema (im weiteren Sinne): http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/unentdeckte-arten-nie-gesehen-und-schon-ausgestorben-a-781929.html

Zitatwie viele Arten von Paramecium sind beispielsweise darin aufgeschluesselt

Bei Foissner werden vier Paramecium-Arten ausführlich behandelt: P. caudatum, P. aurelia-Komplex, P. bursaria und P. putrinum/trichium. Erwähnt bzw. vergleichend beschrieben (z.B. Größe, Form, Vorkommen) werden darüber hinaus aber auch noch einige weitere Arten. Allein die Beschreibung von P. putrinum umfasst inkl. Tabellen, Zeichnungen und Fotos 8 Din A4-Seiten.

Herzliche Grüße
Angie