Ein unscheinbarer Nematode aus dem Moos: Plectus spec.

Begonnen von Ole Riemann, Juni 29, 2015, 18:13:40 NACHMITTAGS

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Ole Riemann

Hallo liebe Foristen,

ich möchte hier einige Fotos eines unscheinbaren Nematoden vorstellen, den ich regelmäßig in Moosbüscheln z.B. auf Betonmauern finde. Es handelt sich um eine Plectus-Art; genauer kann ich die Art nicht eingrenzen.

Auf den ersten Blick sieht so ein Nematode wenig attraktiv aus - eben ein kleines, nicht ganz 1mm messendes Würmchen, das zudem noch die Probe durch peitschende Bewegungen in Unruhe versetzt. Wenn man jedoch genauer hinschaut und das Exemplar durch leichten Deckglasdruck festklemmt bzw. durch Erwärmen in eine Art Starre versetzt, kann man zahlreiche interessante Einzelheiten des Körperbaus erkennen. Wenn man sich dann noch vergegenwärtigt, unter was für widrigen Bedingungen diese Tiere leben und überleben können, wird die Sache vielleicht noch interessanter. Ich finde Plectus-Exemplare vor allem in Moosbüscheln, die vollkommen ausgetrocknet vorliegen und Wind und Sonne ausgesetzt sind. Die Nematoden (und mit ihnen Tardigraden und bdelloide Rotatorien) liegen die meiste Zeit ihrer Lebensspanne in einem Zustand latenten Lebens vor, um dann, wenn die Moospolster feucht sind, zu reger Bewegung zu erwachen. Meist reichen wenige Minuten in der wassergefüllten Petrischale, um eine reiche Beute an diesen Moosbewohnern zu erhalten.

Abbildung A der folgenden Tafel zeigt ein lebendes Weibchen, Abbildung D ein Männchen (leicht gequetscht), das ich mit 4%-igem Formol fixiert und in Glycerin zum Dauerpräparat verarbeitet habe.

B und C zeigen Einzelheiten des weiblichen Geschlechtstraktes, der große Teile der Leibeshöhle des Nematoden ausfüllt. Beiderseits der schlitzförmigen Vulva (Vu) erstrecken sich die Ovarialschenkel, in denen die Eizellen abgeschnürt und mit Dottermaterial und der Eischale versehen werden. In unterschiedlichen Schärfeebenen lässt sich jeweils eine große Eizelle (Ez) in jedem der Ovarialschenkel erkennen. Ein drüsig wirkendes Gewebe dichter an der Vulva liegend deute ich als sekretorisch tätigen Uterusabschnitt (Ut) - bei manchen Nematoden ist so eine Differenzierung bekannt und dient der Absonderung von Schalensubstanz für die Eier. In Abbildung C erkennt man kleine Zellkerne (Dreiecke), die möglicherweise zu noch wenig differenzierten Eizellen gehören.

D und E bilden ein fixiertes und als Dauerpräparat verarbeitetes Männchen ab. Auffällig ist der männliche Spicularapparat, der bei der Begattung eingesetzt wird und durch die ausstoßbaren Spicula (Sp) die Vulva zum Übertritt der Spermien offen hält. Das Gubernaculum (Gb) stellt eine Führungsstruktur für die Spicula dar; die ventralen präkloakalen Supplemente (Dreiecke in E) sind akzessorische Strukturen, die für die Bestimmung wichtig sind.  



In der folgenden Tafel zeige ich einige weitere interessante bzw. charakteristische anatomische Strukturen. A, B, C und F zeigen verschiedene Schärfeebenen und Strukturen des Pharynx (der in der Nematodenkunde etwas inkonsequent Ösophagus genannt wird). In B und C kann man als Teil des Nervensystems den Nervenring erkennen, der den Ösophagus schlaufenförmig umgibt (gestrichelte Ellipse in C). Der Ösophagus wird von traubenförigen Zellen flankiert, die vermutlich Ösophagusdrüsen darstellen (Öd). Das Exkretionssystem mündet über einen vielfach gewundenen Gang auf der Ventralseite in Höhe des Nervenringes (A, Dreieck). Die optischen Anschnitte des Gangsystems habe ich mit * markiert. In C ist außerdem ein Teilstück dieses schlauchförmigen Systems sichtbar (Dreieck).

Abbildung F zeigt eine hohe Vergrößerung des Ösophagus-Endbulbus, der kutikuläre Einlagerungen aufweist. Sie erinnern ein wenig an den Kauapparat der bdelloiden Rädertiere und dienen vermutlich zum Zerreiben der aufgenommenen Nahrungsbestandteile. Die Kutikula von Plectus ist geringelt (D und E). Außerdem tritt eine auffallende laterale Differenzierung in Form eines Seitenfeldes auf (Sf). Das Amphid (chemosensorisches Kopforgan der Nematoden) weist eine kleine, schlaufenförmige Öffnung auf (Am in E); die 4 Kopfborsten (Kb in E) sind hornförmig. Der Anheftung an das Substrat dienen einzellige Schwanzdrüsen (Sd in G)



Alle Aufnahmen sind am Zeiss Standard WL mit DIK enstanden. Als Kamera habe ich eine Canon EOS 100D verwendet; als Projektiv kam ein Leitz Periplan 10x sowie als Relais-Optik das Canon 40mm Pancake zum Einsatz.

Viele Grüße

Ole

ruhop

Hallo, Ole.

Beeindruckende Fotos mit hervorragender Legende zeigst Du da. So etwas sieht man leider nur selten hier. Damit muß man sich nun einmal abfinden, es werden ja auch nur noch selten Fotos von Cladoceren gezeigt, von Copepoden schon garnicht(die muß man zur Bestimmung ja auch meist noch präparieren). Also, nicht verzagen, wenn das Echo auf diese schönen Fotos nicht so enthusiastisch ist.

Schönen Gruß aus dem Hintertaunus

Holger

Ole Riemann

Hallo Holger,

vielen Dank für Deine Rückmeldung und schön, dass die Dokumentation Dir gefällt. Es ist mir natürlich bewusst, dass so ein kleiner Wurm nicht unbedingt alle Mikroskopiker interessiert, was ich voll und ganz nachvollziehen kann. Dafür sind die persönlichen Vorlieben zu vielfältig und es gibt ja viele Felder, auf denen wir Mikroskopiker aktiv sein können.

Ich persönliche betreibe die Mikrofotografie primär mit dokumentarischem Interesse und möchte meine Untersuchungsobjekte möglichst naturgetreu und in ihrem ganzen Reichtum an Strukturen darstellen. Auch die unscheinbaren und unauffälligen Organismen sind lohnende Objekte, wenn man genau hinschaut - von der ökologischen Bedeutung beispielsweise der Nematoden ganz zu schweigen. Es freut mich dann umso mehr, wenn der eine oder andere von uns ähnliche Interessen hat.

Viele Grüße

Ole

anne

Hallo Ole,


sehr informative Doku aus der ich viel lernen konnte.
Mir waren diese Objekte bisher immer zu aktiv um sie zu fotografieren.
Aber das mit dem Erwärmen werde ich bei der nächsten Gelelgenheit auch einmal testen.
Vielen Dank fürs Teilen.

lg
anne

Michael

Hallo Ole,

Glückwunsch zu den tollen Fotos und der gelungenen Dokumentation. Ich freue mich jedes mal über Deine Beiträge - sie zeigen mir immer wieder, welche wunderbaren Lösungen der Natur die Mikroskopie veranschaulichen kann.

Danke,

Michael
Gerne per Du

Michael

Hallo Ole,

ich muss mich nochmal melden, da mir erst beim zweiten Lesen aufgefallen ist, dass Du das Dauerpräparat in Glyzerin eingedeckt hast.
Da mich diese Methode auch reizen würde, ich aber immer vor dem Aufwand zurückgescheut bin, wollte ich nachfragen, ob Du dabei auf Schwierigkeiten gestossen bist? Wie hast Du das Präparat abgedichtet? Muss man das Präparat dauerhaft waagrecht lagern? Vielleicht könntest Du ein paar Worte darüber schreiben?

Dein Beitrag ist genau die Art von Beitrag, bei denen ich immer wieder bedauere, dass sie früher oder später in den Tiefen des Forums verschwinden und schwer wieder aufzufinden sind. Ich weis nicht, wie andere darüber denken, aber in meinen Augen wäre es sehr wünschenswert, wenn solche systematischen Beiträge auch als PDF-Datei vorlägen. Man könnte dann problemlos Ausdrucke machen bzw. den Beitrag in seinem persönlichem Archiv ablegen.
Ich möchte deshalb diese Gelegenheit nutzen und anregen, dass systematische Beiträge vielleicht auch als PDF zu Verfügung gestellt werden - wenn der Aufwand dafür vertretbar ist. Es würde mich interessieren, ob das auch für Andere wünschenswert wäre?

Viele Grüße,

Michael
Gerne per Du

Ole Riemann

Hallo Michael,

Glycerin-Dauerpräparate zu erstellen, ist i.d.R. keine große Angelegenheit. Man muss nur abwägen, ob es sich für die Objekte, die man untersuchen möchte, lohnt. Gegenüber dem Lebendpräparat ist damit immer ein gewisser Qualitätsverlust verbunden. Die Gewebe werden weniger transparent und man hat immer Schwierigkeiten bei weichhäutigen Organismen, die sich bei der Fixierung kontrahieren. Nematoden sind für diese Präparate aber ideal geeignet und die Beschreibung neuer Arten erfolgt in der Regel auf der Basis solcher Präparate, die dann als Belegexemplare z.B. in Museen hinterlegt werden.

Wenn Du mehr über die Technik wissen möchtest, kann ich Dir gerne ein PDF eines alten Mikrokosmos-Artikels schicken, in dem ich die Prozedur am Beispiel von marinen Nematoden geschildert habe.

Hier in Kurzform: Fixieren der Organismen in ca. 4%-igem Formol - Überführung in ein Gemisch aus Wasser, Ethanol und Glycerin - Nach Verdampfen des Wassers und Ethanols Überführen in frisches, reines Glycerin - Auftragen eines Rahmens aus Bienenwachs/Paraffin auf einen Objektträger, in der Mitte ein winziger Tropfen Glycerin mit dem einzubettenden Objekt - Auflegen eines Deckglases und Umschmelzen des Objekts auf einer Heizplatte - Versiegelung des Präparats mittels Nagellack - fertig! Ja, die Präparate lagere ich waagerecht in aufrecht gestellten Kästen für Objektträger.

Ich finde Deinen Vorschlag, Beiträge dauerhafter auffindbar zu halten, gut. Mir geht es auch so - manche Dinge würde ich gerne immer wieder mal lesen und finde sie dann aber nicht mehr bzw. sie geraten einfach in Vergessenheit.

Viele Grüße

Ole


A. Büschlen

Hallo Ole,

deinen Beitrag hat mich sehr angesprochen und mit Interesse habe ich heute morgen deine Anleitung umgesetzt: Ich holte ein Moospolster vom einem Baum an meinem Arbeitsweg und nach kurzer Zeit fand ich eine schöne Anzahl Tardigraden in der Petrischale. Dein Verfahren ist einfach und reproduzierbar.

Besten Dank.

Gruss Arnold
Schwerpunkt z.Z.:
- Laub- und Lebermoose.
- Ascomyceten als Bryoparasiten.
- Nikon Optiphot I mit HF, DIC.
- Nikon Microphot mit HF, Pol.
- Zeiss Standard Universal mit HF, Ph, Pol.
- Wild M3Z mit Ergotubus.
- Nikon SMZ-U Zoom 1:10 mit ED Plan Apo 1x.

Michael

Hallo Ole,

vielen Dank für Deine Antwort. Der Trick mit dem Paraffinrand hat mir noch gefehlt. Wenn es Dir keine Mühe macht, würde ich mich über die PDF mit dem Artikel freuen. Meine Mailadresse: Mueller@DMS-Soft.de.

Ich denke, ich werde mich mal an ein Glycerinpräparat wage.

Grüße,

Michael
Gerne per Du