Pleurotaenium: Mißbildung vererbt?

Begonnen von Ernst Hippe, Juni 20, 2009, 15:31:05 NACHMITTAGS

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Ernst Hippe

Hallo Zieralgenfreunde,

Desmidiaceen sind bekannt für die schöne Symmetrie ihrer Halbzellen. Gelegentlich gibt es auch unsymmetrische Mißbildungen, z.B. bei Pleurotaenium. In einer der Schwemm-Proben fand ich nun einen seltenen Teilungszustand, bei dem die Mißbildung offenbar vererbt wird. Es muß also nicht nur eine Störung der Teilung, sondern auch ein Gendefekt vorliegen:



Ob sich das bei weiteren Teilungen wiederholen würde?
Obj. 10x, unvollständig mit Combine gestackt.
Gruß Ernst Hippe
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Lenzenweger

Lieber Ernst,
die Zelle  v o r  der Teilung war eine ganz normal ausgebildete, d.h. absolut symmetrische Zwlle, wie an den beiden äußeren Zellhälften ersichtlich ist  Erst die im Verlauf der Teilung gebildeten jungen Zellhälften zeigen diese ballonförmig aufgeblähte, absolut untypische Morphologie Die Ursache dafür muß daher ein Ereignis im Verlauf der Kernteilung sein und nicht unbedingt eine genetische Disposition. Aus einer Teilung einer der mißgebildeten Zellen können daher durchaus eine unsymmetrische Zelle und eine normale, also symmetrische Zelle hervorgehen.
Herzliche Grüße
Rupert   

Ernst Hippe

Lieber Rupert,

vielen Dank für die einleuchtende Klarstellung - ich hätte selber darauf kommen können. Jedenfalls will ich in der Probe nach weiteren ähnlichen Vorgängen suchen.
Gruß Ernst Hippe
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bewie

Hallo Herr Hippe,

ich verstehe zwar nicht viel von Zieralgen, aber solche Teilungsformen von Pleurotaenium habe ich mal ziemlich häufig (tagsüber) in einer Probe gesehen, die eine Weile im Zimmer stand. Anfangs waren die nicht vorhanden. Ich hatte daher den Verdacht, dass es an Umweltbedingungen liegen könnte, die den Teilungsstoffwechsel und damit den Zellaufbau beeinträchtigen. Also beispielsweise veränderter pH, eine verschobene Salzzusammensetzung oder geänderte Gasdruckverhältnisse. Das ist jetzt zwar eine reine Hypothese, aber eines wissen wir ja: Die Parameter der Probe ändern sich, wenn das Probenglas eine Weile herumsteht, und das hat zumindest auf die Zusammensetzung der Gattungen und Spezies in der Probe deutliche Auswirkungen.

Schöne Grüße
B. Wiedemann

Ernst Hippe

Hallo Herr Wiedemann,

Ihre Annahme mit den chemischen Veränderungen der Probe treffen sicher oft zu. In diesem Fall sind sie sogar sichtbar als Ausfällung zahlreicher winziger Kristalle:



Allerdings habe ich Mißbildungen auch oft schon in frischen Proben gefunden. Auch die Gewässer können ja im Chemismus durch Temperatur- und Zuflußänderungen schwanken.
Gruß Ernst Hippe
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bewie

Hallo Herr Hippe,

wenn die Missbildungen auch in frischen Proben zu finden sind, widerspricht das natürlich meiner Überlegung zu Veränderungen im Probenwasser. Aber nach meinem Verständnis müsste es einen äußeren Trigger geben, denn anders kann man das mehrfache und gleichzeitige Auftreten relativ gleichförmiger Missbildungen bzw. Veränderungen (jedenfalls in meiner damaligen Probe) kaum erklären. Vielleicht liegt die Ursache bereits im Ursprungsgewässer, das - wie Sie schreiben - ja auch Schwankungen unterliegt? Die Genetik mag insofern eine Rolle spielen, als sie Varianten produzieren könnte, die gegenüber gewissen Rahmenbedingungen labiler sind als andere. Damit lässt sich erklären, dass es nicht alle Algen trifft. In der Medizin sind jedenfalls erbliche Veränderungen bekannt, die erst unter entsprechenden Rahmenbedingungen auffallen oder kritisch werden.

Aber das ist in Bezug auf die Algen jetzt natürlich alles nur Spekulation, bestenfalls zur Hypothesenbildung verwendbar. Aber in jedem Fall ein interessantes Thema!

Schöne Grüße
Bernd

Lenzenweger

Lieber Ernst
Mißbildungen sind an sich bei den Zieralgen keine besondere Seltenheit. So habe ich in Freilandmaterial auch schon sogenannte "triradiate Formen" bei den Euastren den Xanthidien, den Cosmarien und sogar auch bei Micrasterias gefunden, natürlich aber immer nur vereinzelte Zellen zwischen normalen Zellen. Eine ganz besondeere Form der Mißbildung ist auch die sogenennate Doppelkopfbildung, bei der etwa die Apikallappen einer Zelle  verdoppelt sind oder die Mißbildung durch fehlerhafte oder fehlende Ausbildung des Septums im Anfangstadium einer Teilung. Das Ergebnis ist dann eine Zelle, bei der zwischen den normalen Zellhälften ein mehr oder weniger symmetrisches Zwischenstück eingeschoben ist, das aus den  neu zu bildenden Zellhälften hervorgegangen ist. Eine solche Zelle hat logischerweise dann auch zwei Zellkerne. Es ist auch zu bedenken, dass solche Asymmetrien bei den Zieralgen, bedingt durch ihr spiegelbildgleiche Anordnung der Zellhälften, auch ganz besonders auffallen, was bei anderen Algen nicht in dieser auffallenden Form in Erscheinung tritt. Aus Kulturen kenne ich diese morphologischen Veränderung, die da so weit gehen können, dass die ursprüngliche Form der Zellen nicht einmal mehr zu erahnen ist und Nachbestimmungen daher aussichtslos sind. Da mag sehr wohl der instabile Chemismus des Nährmedium, oder eine nicht entsprechende Beleuchtunmg der Kuötur eine Rolle spielen, für das Freiland trifft dies allerdings wohl nicht zu, da mögen andere Ursachen (z. B. mechanische Störung während der Anfangsphase einer Teilung) ausschlaggebend sein.
Herzliche Grüße
Rupert. 

Ernst Hippe

Lieber Rupert,
danke für die wohl abschließende Zusammenfassung. Gerade bei Desmidiaceen sind mir solche Abweichungen immer wieder aufgefallen, deutlich mehr als z.B. bei protococcalen Grünalgen, die ja oft auch recht symmetrisch sind.Vielleicht sind die D. empfindlicher gegen Umwelteinflüsse?
Man könnte versucht sein, im Laufe der Zeit ein Monstrositäten-Kabinett zusammen zu fotografieren.
Herzlichen Gruß

Ernst
Gruß Ernst Hippe
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