Nematoden - alles andere als einförmige Würmer

Begonnen von Ole Riemann, Februar 01, 2016, 18:00:32 NACHMITTAGS

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Ole Riemann

Liebe Tümpel- und Kleinstorganismen-Interessierte,

die Winterzeit bietet meistens nur eine magere Ausbeute an frischem Material aus den umliegenden Gewässern. Ich habe mich daher in der letzten Zeit u. a. mit marinen Nematoden beschäftigt, die in meiner Sammlung fixiert als Dauerpräparate in Glycerin vorliegen. Alle der folgenden Aufnahmen stammen von solchem Material.

Anhand der Fotos möchte ich illustrieren, dass Nematoden alles andere als einförmig sind - sie bieten dem Mikroskopiker einen erstaunlichen Reichtum an Strukturen im Detail. Ich habe mich bemüht, vor allem bestimmungsrelevante Merkmale darzustellen und diese knapp kommentiert.

Manche Arten sind schon habituell auffällig und leicht zu erkennen - wie Nematoden der Gattung Metepsilonema, die auf Stelzborsten (Dreiecke) raupenähnlich schreiten (A). Die Form des chemosensorischen Seitenorgans (Amphid) ist für die exakte Bestimmung sehr wichtig und zeigt eine Fülle unterschiedlicher Ausprägungen (B, C). Auch die Struktur des Pharynx (D-F), die An- oder Abwesenheit eines Endbulbus und die Lage des Nervenringes um den Pharynx (F) spielen eine Rolle.




Nematoden zeigen unterschiedliche Ernährungsweisen, die sich in der Struktur und Funktion ihrer Mundhöhlen und Bezahnungen widerspiegeln. Die folgenden Fotos demonstrieren unterschiedliche Formen der Zahnbildung und verschieden weite Mundhöhlen. Es gibt eine umfassende deskriptive, aber auch experimentelle Literatur, die die verschiedenen Formen der Nahrungsaufnahme bei Nematoden in Beziehung zur Vielfalt der Struktur der Mundhöhlen setzt. Teilabbildungen E und F zeigen darüber hinaus lange Borsten, die - in mehreren Kreisen angeordnet - ebenfalls für die Taxonomie eine bedeutende Rolle spielen.




Besonders wichtig für Artbeschreibungen und die exakte Identifizierung sind Männchen, die sich schon auf den ersten Blick anhand kutikularisierter Harstrukturen des Genitaltraktes zu erkennen geben (sp=Spiculum und gb=Gubernaculum in A, B). Bei manchen Teilgruppen treten auch knopfförmige Strukturen vor dem männlichen Genitaltrakt, so genannte Supplemente, auf (Dreiecke in C). Auch die Form der Ovarien (gestreckt, umgeschlagen) und die Reifungsrichtung der weiblichen Keimzellen ist bei der Bestimmung zu beachten (D, ez=Eizelle, Dreiecke verweisen auf die Kerne von noch unreifen Eizellen). Die Kutikula der Nematoden kann oberflächlich glatt, geringelt, aber auch von markanten Querreihen (F) und Punktierungen (E) überzogen sein, zwischen denen sich noch feine Poren finden lassen.




Einzelheiten zur Biologie der Arten, zur Herstellung der Präparate oder zur Bestimmung kann ich bei Interesse gerne noch nachreichen.

Viele Grüße

Ole


liftboy

Hallo Ole,

oh ja! Bitte!!
Gerade die "Ruhigstellung" dieser munteren Gesellen ist nicht einfach.
Wäre schon interessant, da näheres zu hören.

Grüße
Wolfgang
http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=785.msg3654#msg3654
LOMO-Service
Das Erstaunen bleibt unverändert- nur unser Mut wächst, das Erstaunliche zu verstehen.
Niels Bohr

the_playstation

Zitat von: liftboy in Februar 01, 2016, 18:14:51 NACHMITTAGS
Hallo Ole,

oh ja! Bitte!!
Gerade die "Ruhigstellung" dieser munteren Gesellen ist nicht einfach.
Wäre schon interessant, da näheres zu hören.

Grüße
Wolfgang
Hallo Wolfgang, hallo Ole.
Absolut. So gute DIK Bilder sind nur schwer herstellbar. Wirklich gelungen bei den Zuckungen.

Liebe Grüße Jorrit.
Die Realität wird bestimmt durch den Betrachter.

hebi19

Lieber Wolfgang, lieber Jorrit

Jetzt mal ehrlich - ich habe gelesen:
"Ich habe mich daher in der letzten Zeit u. a. mit marinen Nematoden beschäftigt, die in meiner Sammlung fixiert als Dauerpräparate in Glycerin vorliegen"

bei fixierten Dauerpräparaten in Glycerin dürfte die Ruhigstellung und das Zucken von recht untergeordneter oder zumindest lange zurückliegender Bedeutung sein ...  ;D

Grüßle aus Franken

Martin - der die Präparate trotzdem bewundert !!
Grüße von
Martin alias hebi19

Motic BA-300, div Lomo, Stereo-Mikroskop noname

Bernhard Lebeda

Zitat von: hebi19 in Februar 01, 2016, 19:47:38 NACHMITTAGS

Jetzt mal ehrlich - ich habe gelesen:
"Ich habe mich daher in der letzten Zeit u. a. mit marinen Nematoden beschäftigt, die in meiner Sammlung fixiert als Dauerpräparate in Glycerin vorliegen"

bei fixierten Dauerpräparaten in Glycerin dürfte die Ruhigstellung und das Zucken von recht untergeordneter oder zumindest lange zurückliegender Bedeutung sein ...  ;D


Ja Martin, fällt man denn den Kollegen so in den Rücken, indem man sich ALLES durchliest?  ;)

Lieber Ole

wieder ein super Beitrag. Hab gerade erst wieder ausgiebig Nematoden beobachtet, und allzuviel weiß ich nicht darüber.

Besten Dank!!

Viele Mikrogrüße

Bernhard
Ich bevorzuge das "DU"

Vorstellung

reblaus

Lieber Ole -

vielen Dank für diesen Beitrag und die notwendige Verbreiterung unserer Wissensbasis. Endlich frischt jemand die verschütteten Reste meines Zoologiestudiums  wieder auf!

Viele Grüße

Rolf

Ralf Feller

Hallo Ole,
eine tolle Dokumentation, danke!
Wie hast Du die Nematoden denn fixiert?

Gruß, Ralf

Ole Riemann

... vielen Dank für das Interesse!

Wie Martin schon gesagt hat, sind alle Objekte fixiert und im Dauerpräparat eingeschlossen gewesen, als sie fotografiert wurden. Damit gab es keine Probleme mit Bewegungsunschärfen.

@Ralf: Als Fixativ nutze ich generell das altbewährte Formol (ca. 4%ig). Die fixierten Objekte werden danach in ein Ethanol/Wasser/Glycerin-Gemisch überführt, das dann einige Tage stehen bleibt, so dass das Wasser und der Alkohol verdampfen und die Tiere in reinem Glycerin vorliegen. Der Einschluss zum Präparat erfolgt dann in frischem, reinen Glycerin.

@Bernhard: Schön, dass Du Dich auch für Nematoden interessierst. Was hast Du beobachtet, Proben aus dem Süßwasser?

Viele Grüße

Ole


limno

#8
Lieber Wolfgang,
uuiiih,da hat Dich der Bernhard aber neckisch naßgemacht ;D ;D!
Das Rezept zur "Stilllegung" von Nematoden sollst Du aber haben, klaro! Es steht im Streble /Krauter 10. Auflage S.193 93(oben). Die Wärmefixierung bei 40-50°C habe ich jedoch noch nicht selbst ausprobiert. Die Essigälchen gibt's im Netz auf Seiten für Aquarienfutter. Im Streble/Krauter  steht die Anzucht auf S. 22. So hat man stets Nematoden vorrätig.
Wurmige Grüße
Heinrich
So blickt man klar, wie selten nur,
Ins innre Walten der Natur.

Bernd Kaufmann

Hallo Ole,

das sind wunderbare Bilder und eine lehrreiche Dokumentation. Vielen Dank dafür!

Zum Ethanol/Wasser/Glycerin-Gemisch noch zwei Fragen: Meinst Du jeweils gleiche, oder sind es unterschiedliche Anteile? Mit Wasser meinst Du vermutlich destilliertes Wasser?
Viele Grüße
Bernd ©¿©
www.aquamax.de
Lieber per Du.

liftboy

Hallo Heinrich,

in der dritten Auflage ab S.93

Grüße
Wolfgang
http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=785.msg3654#msg3654
LOMO-Service
Das Erstaunen bleibt unverändert- nur unser Mut wächst, das Erstaunliche zu verstehen.
Niels Bohr

Michael L.

Hallo Ole,

Wieder ein schöner Beitrag. Metepsilonema Ist das eine Gattung aus der Sandlückenfauna? Ich meine diese dort mal gefunden zu haben.

Viele Grüße,

Michael

Bernhard Lebeda

Zitat von: Ole Riemann in Februar 02, 2016, 07:06:54 VORMITTAG
..
@Bernhard: Schön, dass Du Dich auch für Nematoden interessierst. Was hast Du beobachtet, Proben aus dem Süßwasser?




nun, ich bin ja reiner Süßwasseranwohner ;)  Im genannten Fall waren die Nemis aus Moosproben vor meinem Haus. Ich werd mal ein paar Fotos versuchen.

Viele Mikrogrüße

Bernhard
Ich bevorzuge das "DU"

Vorstellung

Ole Riemann

Hallo Bernd, Michael und Bernhard,

habe gerade geschaut: das Mischungsverhältnis Wasser (Leitungswasser):Ethanol (rein):Glycerin ist 5:4:1. Wichtig ist, dass zu Beginn nicht zu viel Glycerin vorliegt, da die Tiere sonst artifiziell schrumpfen können, d.h. das Glycerin muss langsam in die fixierten Gewebe eindringen.
Ja, Metepsilonema stammt aus dem marinen Sandlückensystem (List auf Sylt).
Lieber Bernhard, gerne Fotos - in meinen Moosproben finde ich in aller Regel nur Plectus mit Klappenapparat im Pharynxbulbus.

Viele Grüße

Ole


Michael Müller

Hallo Ole,
Dein hervorragender Beitrag passt wunderbar zu meinen aktuellen Beobachtungen der Tierwelt in Moospolstern -  auch wenn meine Bildqualität und Fachkenntnis meilenweit hinter Deiner zurückbleibt.
Vielen Dank fürs zeigen!

Da hier die Möglichkeiten zur "Beruhigung" der Nematoden zur Beobachtung angesprochen wurden, möchte ich dazu auch meinen Senf dazugeben:
Man kann Nematoden problemlos mit ca. 2%-4% MgCl2-Lösung zur Beobachtung betäuben. Setzt man sie in Wasser zurück, werden sie wieder aktiv.
In Anlehnung an die von Ole für das Sandlückensystem geschilderte Methode der Probengewinnung gehe ich bei Moosproben folgendermassen vor:
Eine Priese Moos wird für einige Minuten in 4% MgCl2-Lösung gelegt und umgeschüttelt. Nematoden, Rädertiere und Tardigraden werden betäubt, verlieren den Halt und sedimentieren am Boden des Gefäßes. Der Bodensatz wird abgefiltert und in reines Wasser gebracht oder nach Absaugen der Magnesiumchlorid-Lösung stark mit Wasser verdünnt. Die Tiere werden dann wieder aktiv und können problemlos beobachtet werden.

Viele Grüße,

Michael
Gerne per Du