Mikrobiologie - aber makroskopisch : eine Winogradsky-Säule

Begonnen von hebi19, Februar 20, 2016, 15:56:09 NACHMITTAGS

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hebi19

Liebe Freunde der Mikrobiologie

Mein erster Versuch Mirkobiologie mit makroskopischen Auswirkungen zu zeigen war mit den chinesischen 1000-jährigen Enteneiern ja wahrscheinlich ein flop, weil wohl keine Mikrobilologie im Spiel ist.

In einigen meiner Bücher zur Mikrobiologie (siehe Litraturhinweis am Ende dieses Beitrags) ist die Winogradsky-Säule beschrieben.
In Ihr werden anoxygene phototrophe Bakterien angereichert. Man kommt damit zu solch "Exoten" wie Schwefelpurpurbakterien, schwefelfreie Purpurbakterien, grüne Schwefelbakterien und schwefelfreie Grüne Bakterien und auch noch Heliobakterien, welche Bacteriochlorophyll besitzen und damit CO2 assimilieren können.

Seit ich das erste Mal von so einer Säule und seinen Bewohnern gelesen habe hat mich das Thema nicht mehr los gelassen und heute habe ich meine erste Winogradsky-Säule angesetzt. Ich weiß zwar noch nicht, wie erfolgreich das Experiment ausgeht, will Euch aber mal von Anfang an teilhaben lassen. Dann muß vielleicht nicht jeder sowas ansetzen. Heute war ein günstiger Tag für den Ansatz, da meine Liebste nicht zu Hause ist.

Da die anzureichernden Bakterien neben dem fehlenden Sauerstoff H2S benötigen, muss dieses in der Säule erzeugt werden. Hierzu wird Teichschlamm mit verschiedenen Zusatzstoffen versetzt und mit einer Wassersäule überschichtet. Zur genauen Theorie der sehr interessante Winogradsky-Säule verweise ich auf eine Suche im Internet oder auf die unten aufgeführte Literatur.
Ich verwende als Säule eine zylindrische Glasflasche mit ca 6 cm Durchmesser und 25 cm Höhe (ursprünglich für Olivenöl) - vorher gut gereinigt.

Dann habe ich hinein:
ein knapper Esslöffel Calciumcarbonat in Form von "Korallenbruch" wie er als Bodengrund in Meerwasseraquarien verwendet wird:


etwas Gips - ca ein gehäufter Teelöffel


Nägel für die Eisenversorgung - ich hatte grade keine Späne


zur Eiweißversorgung war grad etwas Hühnerhaut und kleine Fleischabschnitte vom morgigen Hühnerfrikassee "zur Hand"


und "frischer schwarzer, schlickiger Schlamm" aus den tieferen Lagen eines Wiesengrabens


Ich habe erst eine knapp fingerbreite Schicht Shlamm eingefüllt, dann die "Zutaten" und dann dick mit Schlamm aufgefüllt.
Um über dem Schlamm beim Auffüllen einen möglichst klaren Wasserkörper zu bekommen habe ich noch eine ca 3mm dicke Schicht Lavasplit (Winterstreugut) eingefüllt und dann mit Wasser aus dem Wiesengraben aufgefüllt.

Das Ergebnis sieht aktuell so aus:


Die Säule steht am Fenster meines Arbeitszimmers hell aber ohne Sonne.
Jetzt heißt es mindestens 2 bis 3 Wochen warten.
Werde über die Entwicklung berichten, sobald man etwas erkennen kann.

Grüße aus einem vergraupelten Franken

Martin

Literaturhinweise:

[1] Steinbüchel.Oppermann-Sanio.Ewering.Pötter, Mikrobiologisches Praktikum, Versuche und theorie - 2.Auflage Springerverlag - Ab Seite 90
[2] Betsey Dexter Dyer, A Field Guide to Bacteria - diverse Kapitel

und jede Menge Einträge im Netz
Grüße von
Martin alias hebi19

Motic BA-300, div Lomo, Stereo-Mikroskop noname

Werner


...Heute war ein günstiger Tag für den Ansatz, da meine Liebste nicht zu Hause ist...

Kommt mir irgendwie berkannt vor.

Gruß   -   Werner

WinfriedK

#2
Noch ohne eigenen Ansatz, dafür aber mit schönen fremden Bildern:



Hier gibt es noch mehr, sogar ein geniales Time-Laps-Video!:

http://stiftung-france.de/forum/viewtopic.php?f=89&t=673&sid=14dae892c10857a1fffc67b9ae8da3c2

Schmodder habe ich schon gesammelt, eine schöne Flasche auch, muß nur noch befüllen ..

Dünnschliffbohrer

Hallo Martin,

die Winogradsky-Säule finde ich auch sehr interessant. Sulfatreduzierende Bakterien (und oxidierende) sind ja auch geologisch sehr wichtig, siehe Pyritbildung in Sedimenten. Deshalb möchte ich es auch irgendwann einmal ausprobieren.
Aber ehrlich gesagt, dein Ansatz kommt mir etwas übertrieben vor: soviel Gips (ich hätte maximal eine kleine Messerspitze genommen) und die ganzen Eisennägel. Wenn ich an den Strand gehe, kann ich im Schlick das ganze in natura beobachten. Das Wasser ist brackisch, also vergleichsweise sulfatarm, und das bischen Eisen ist ubiquitär überall im Sediment. Und der Schwefelkreislauf läuft sehr gut, manchmal sieht man sogar die typischen lachsroten Schwefelpurpurbakterien auf der Sedimentoberfläche, fast wie bei einem Farbstreifensandwatt. Da werden wohl nur geringste Stoffmengen umgesetzt, bzw. die Bakterien gedeihen bereits bei geringsten Konzentrationen von Sulfat- und Eisenionen. Stammt dein Ansatz in dieser Form aus der Literatur? Hab jetzt nicht alles gelesen, vgl. aber auch die Kapitel zum Thema von unserem Forumsmitglied Heribert Cypionka in seinem Lehrbuch.

- Dsb.
"Und Gott sprach: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei; und er schuf um ihn Laubmoose und Lebermoose und Flechten und ein Mikroskop!"
[aus: Kleeberg, Bernhard (2005): Theophysis, Ernst Haeckels Philosophie des Naturganzen,  S. 90]

hebi19

Hallo Dünnschliffbohrer

Du hast wahrscheinlich recht, dass ich bei der Menge etwas übertrieben habe.
Vom Gips habe ich deutlich weniger drin als auf dem Foto zu sehen. Im "Steinbüchel" stehen 5 g - waren bei mir wohl mehr. Nägel habe ich mehr genommen, weil 2 g Feilspäne stehen und ich da keine hatte - ich dachte, da kommts hauptsächlich auf die Oberfläche an.
Ich kam mehr vom Buch von Betsey Dexter Dyer - die schreibt auf Seite 155 gar nicht zimperlich: "...add a few spoonfuls of calcium sulfate...."

Bis heute hat sich die Wasserzone deutlich geklärt, fast ungefärbt und glasklar. Aus dem Schlamm kamen einige wenige ganz kleine Gasblasen.
Ich bin ab morgen früh bis Donnerstag auf Dienstreise. Werde mal sehen, ob man am Wochenende schon was fotografierwürdiges findet.

Martin
Grüße von
Martin alias hebi19

Motic BA-300, div Lomo, Stereo-Mikroskop noname

hebi19

Erste Zwischenbilanz nach 10 Tagen - ohne Foto, weil eigentlich noch nichts so "fotowürdiges" entstanden ist.

Die anfangs sehr klare Wasserzone ist inzwischen schwärzlich eingetrübt und es entstehen etliche Gasblasen. Komischerweise abe scheinbar kein Überdruck. Es ist unter der Folie ja nur eine ganz kleine Luftblase. Es ist bisher kein Wasser durch den Verschluß mit Frischhaltefolie (4fach) nach außen gedrungen. Bei leichten Klopfen lösen sich aus der Schlammzone Gasblasen und steigen nach oben. Aktuell mit/durch Folienverschluß keine Geruchsbelastigung.

Bin gespannt wie es weitergeht.

Martin
Grüße von
Martin alias hebi19

Motic BA-300, div Lomo, Stereo-Mikroskop noname

Oecoprotonucli

Hallo Martin,

sehr anregender Versuch... aber warum willst Du das nur makroskopisch anschauen, wie es da vor sich hingammelt? Kann man nicht mit unterschiedlich langen Pipetten Proben entnehmen und diese mikroskopieren, um anzuschauen, welche kleinen Parties da abgehen? Bakterien sind vielleicht etwas klein, aber da müssten sich doch auch Bakterienfresser herumtummeln, in mancher Schicht (Ciliaten?).

Viele Grüße

Sebastian
Ich benutze privat:
Leitz SM-Lux mit (LED-) Durchlicht und Phaco-Ausrüstung (ca. 1975-77)
Hensoldt Wetzlar Stereomikroskop DIAMAL (1950er Jahre)

Michael L.

Hallo in die Runde,

klar kann man Proben nehmen und die mikroskopieren, wenn man Bohrungen im Gefäß hat kann man auch Hähne einbauen, z.B. Luer Anschlüsse, und aus unterschiedlichen Tiefen Proben ziehen. Ich habe Säulen die schon mehrere Jahre alt sind und sich immer wieder etwas verändern und interessante Muster zeigen. Wenn man Elektroden einbringt und mehre Säulen wie Batterien verschaltet kann man sogar LEDs zum leuchten bringen, die Bio Batterie :-)

Viele Grüße,

Michael

hebi19

#8
Hallo Sebastian

Die mikroskopische Betrachtung steht bei mir schon auf der todo-Liste wenn sich deutlich etwas gebildet hat.
Vielleicht bin ich bis dorthin mit meiner Fotografiereinrichtung auch soweit, dass ich sogar ein Bild hier reinstellen kann.
Allerdings habe ich an meinem aktuellen Mikroskop (Motic 300) kein Immersionsobjektiv - da dürften die Bakterien recht klein ausfallen.

Und mit Eukaryoten dürfte es sehr mau aussehen. Den "Aufwand mit der Säule" betreibe ich ja um gerade die anoxischen Bedingungen für die Purpur- und sonstigen Bakterien zu schaffen. Diese Bdingungen und der Schwefelwasserstoff dürfte so jedem höheren Leben "den Garaus machen".
Da Bakterien im Mikroskop meist "wenig hergeben" ist das Experiment von mir deshalb hauptsächlich wegen der makroskopischen Wirkung gestartet.



hallo Michael

Danke für deine Anregung. Das mit der Bio-Batterie habe ich auch bereits gelesen. Mit Batterien bestreite ich meinen Lebensunterhalt, da ist die Motivation dafür in der Freizeit eher geringer  ;D - vielleicht probier ichs aber trotzdem aus.


@all:  die Wasserphase wird immer schwärzer und an den Glaswänden glaube ich stellenweise ein metallisches Schimmern festzustellen.
Zum Fotografieren aber noch zu undeutlich.

Grüße
Martin
Grüße von
Martin alias hebi19

Motic BA-300, div Lomo, Stereo-Mikroskop noname

Oecoprotonucli

Hallo Martin,

ich kann mir andererseits nicht vorstellen, dass komplett und in allen Schichten bei so etwas keinerlei Eukaryonten (Protozoen u.a.) vorkommen werden. Irgendwo habe ich auch gestern beim Stöbern in der Literatur etwas von Bakteriophagen gelesen (womit wohl kaum die Viren gemeint waren und auch keine Immunzellen, ich tippe am ehesten auf Protozoen), die in der Säule vorkommen sollen. Sicher wären aerobe Bedingungen besser für sie, aber schauen würde ich an Deiner Stelle schon einmal. Es gibt ja da bestimmt auch einige, die "widrige Bedingungen" vertragen und die Bakterien als Futter ausznutzen.

Viele Grüße

Sebastian
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Hensoldt Wetzlar Stereomikroskop DIAMAL (1950er Jahre)

WinfriedK

#10
ZitatDie anfangs sehr klare Wasserzone ist inzwischen schwärzlich eingetrübt und es entstehen etliche Gasblasen.

Bei mir auch.

Warum muß man eigentlich die Säule oben verschließen?

Darf auch keine Luft oben zwischen Flüssigkeitsoberfläche und Verschluß sein?

Mein Ding ist oben (erstmal) offen.
Da bildet sich eine ölig schimmernde Kahmhaut - vornehm Biofilm.
Da tobt sicherlich das Bakterienleben.

Oecoprotonucli

#11
Zitat von: WinfriedK in März 02, 2016, 21:30:12 NACHMITTAGS
Darf auch keine Luft oben zwischen Flüssigkeitsoberfläche und Verschluß sein?

Hallo Winfried,

also nach dem, was ich gestern da so zu diesen Säulen (ja: Plural) überflogen habe, sind der Phantasie - bzw. den Fragestellungen keine Grenzen gesetzt, ich hatte Schemata mit reichlich Luft oben gesehen, man will ja auch eine aerobe Schicht haben. Bzw. das kann man sich eben aussuchen, genauso, wie die spezifischen Zugaben wie Gips (Kalziumsulfat) oder verschiedene Fleischreste bzw. tote Tiere.

Man "darf" also wohl alles.

Der Schlamm sorgt in den unteren Schichten für Luftabschluss. Und oben sollte man verschließen, wenn man eben ein abgeschlossenes System haben möchte, das quasi nur mit dem auskommt, und (evtl. zyklisch) umsetzt, was sich von vorneherein im Gefäß befindet.

Viele Grüße

Sebastian
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Oecoprotonucli

Zitat von: Safari in März 02, 2016, 22:46:50 NACHMITTAGS
Jetzt wird mir klar, warum so viele Männer unter Brücken schlafen.

Tja, aber wenn man dann erdöl-abbauende Bakterien isoliert und wirtschaftlich nutzt (oder solche, die Erdöl aus organischer Substanz in kurzer Zeit entstehen lassen), zieht man ganz schnell wieder von der Brücke in die Villa und ist wieder ganz gefragt. Gibt es da nicht eine Fernsehsendung, "Vom Spinner zum Gewinner"...

Besten Gruß

Sebastian
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WinfriedK

#13
Der Winogradsky Report - ein laienhafter Selbstversuch

Das Spargelglas



Schon ein bißchen differenziert ..

Mehr Infos hier:
http://stiftung-france.de/forum/viewtopic.php?f=89&t=673&p=2500&sid=04c2ffa62e7fe4a5c04fc224cb674f6d#p2500

Puhh, jetzt weiß ich auch, warum man es verschließen MUß: es stinkt!

Ich hätte es gerne zum Schluß kunterbunt, fürchte aber, es werden am Ende nur 50 shades of black.

Oecoprotonucli

Hallo Winfried,

das sieht mir nach etwas zu viel Wasser und zu wenig Sediment aus. Und sehr viel Luft obendrüber...  ;)

Aber vielleicht ist das Geschmackssache und nicht definiert (müsste man mal bei Winogradsky und Konsorten genauer nachlesen)

Viele Grüße

Sebastian
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