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Viren...

Begonnen von Christian3000, April 03, 2016, 15:19:42 NACHMITTAGS

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Christian3000

Liebe Mikroskopiker,

nachdem Jorrit mit dem schönen Thema "Schmetterlingsschuppen" ein kleines REM-Fieber ausgelöst hat (nicht nur bei mir wie mir scheint) ;), möchte ich als Kontrast hier mal zwei Aufnahmen aus einem historischen TEM (Transmissions-Elektronenmikroskop) zeigen.

Es handelt sich um Viren, die man ja lichtmikroskopisch nicht mehr erfassen kann. EDIT: stimmt so nicht mehr, s.u.!

Auch diese Aufnahmen stammen aus meiner Studienzeit und wurden an einem phantastischen Gerät von Carl Zeiss, dem EM-9, hergestellt. Dieses Gerät hatte den Charme der 50er und basiert natürlich noch auf Röhrentechnik, wie Oma's Dampfradio - dieses Gerät des Botanischen Instituts der LMU München war soviel ich weiß das erste an einer deutschen Hochschule angeschaffte Elektronenmikroskop überhaupt. EDIT: unsicher, s.u.!

Um Fotos anzufertigen wurde der Negativfilm in einem Wechselmagazin in das Vakuum gebracht und direkt vom Elektronenstrahl belichtet - ein mechanisches Sahnestück.

Beide Aufnahmen wurden per Negativkontrastierung mit PWS (Phosphorwolframsäure) dargestellt: Virensuspension wird auf eine hauchzarte Folie auf einem Trägernetzchen (=Objektträger im TEM) gebracht, es wird ein Tropfen Kontrastmittel aufgebracht, nach einigen Minuten abgesaugt und das Netzchen getrocknet. Das Kontrastmittel enthält elektronendichtes Metall, hier war es Wolfram, es sind aber auch Blei, Osmium und Uran üblich. Das elektronendichte Metall absorbiert Elektronen und erscheint daher dunkel. Es umgibt die darzustellenden Partikel, welche sich dadurch hell abheben.

a) Das TMV - Tabakmosaikvirus
Es handelt sich um 18nm dicke und 300nm lange Röhrchen, die eine Vielzahl an Kulturpflanzen befallen und verursacht Flecken auf den Blättern, die sog. Mosaik-Krankheit. Es ist sehr einfach aufgebaut, eine (+)-Einzelstrang-RNA mit nur 4 Genen, umgeben von Hüllproteinmolekülen. Dieses Virus war das erste jemals beschriebene Virus, an ihm wurde erstmals eine nicht durch Bakterien übertragene Krankheit nachgewiesen (siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Tabakmosaikvirus).

TEM, PWS-Negativkontrast, 120000x (bei 20cm Bildbreite):



b) Der T4-Phage
Es handelt sich um ein Virus, das Escherichia coli - Bakterien (also eines unserer Darmbakterien) befällt. Das Erbmaterial ist doppelsträngige lineare DNA, die ca. 300 Gene trägt. Es besitzt im Vergleich zu obigem TMV einen sehr komplexen Aufbau: Ein abgewandelter ikosaedrischer Kopf, darauf folgt ein kurzer, dünner Kragen, dann das dickere Schwanzstück an dessen Ende die Schwanzfasern sitzen. Dramatisch kann man sich die Infektion vorstellen: Es docken zuerst die Schwanzfaserenden am Bakterium an, das Ende des dicken Schwanzstückes durchbricht mit Enzymen die Bakterienzellwand, schließlich wird die DNA in die Bakterienzelle injiziert (https://de.wikipedia.org/wiki/T4-Phage).

Der Kopf des Virus misst 111nm x 48nm, das Schwanzstück 113nm x 16nm.

TEM, PWS-Negativkontrast, 285000x (bei 20cm Bildbreite):


Viele Grüße und noch einen schönen Sonntag,
Christian
Vorstellung: click

wilfried48

#1
Hallo Christian,

vielen Dank für die schöne Einführung in die TEM Nostalgie.

Aber das kann ich so nicht stehen lassen:

Zitat
...an einem phantastischen Gerät von Carl Zeiss, dem EM-9, hergestellt. Dieses Gerät hatte den Charme der 50er und basiert natürlich noch auf Röhrentechnik, wie Oma's Dampfradio - dieses Gerät des Botanischen Instituts der LMU München war soviel ich weiß das erste an einer deutschen Hochschule angeschaffte Elektronenmikroskop überhaupt.

Das EM9 war nur das erste Elektronenmikroskop von Zeiss mit elektromagnetischen Linsen.
Davor gar es aber noch das EM7 und  EM8 von AEG-Zeiss die allerdings noch elektrostatische Linsen hatten und auch schon Viren auflösen konnten.
Und nicht zu vergessen die Elmiskope von Siemens, ebenfalls schon mit magnetischen Linsen als industrielles Produkt des ersten Elektronenmikroskops des Erfinders und Nobelpreisträgers Ernst Ruska.
Ich selbst habe noch 1979 als Doktorand am Institut für Angewandte Physik der Uni Tübingen mitgeholfen ein altes EM8 für das Technik Museum in Mannheim wieder betriebsfähig zu machen. Es wurde dort jahrelang betriebsfähig vorgeführt, steht heute aber leider nur noch im Archiv.

viele Grüsse
Wilfried

vorzugsweise per Du

Hobbymikroskope:
Zeiss Axiophot,  AL/DL/Ph/DIC/Epi-Fl
Zeiss Axiovert 35, DL/Ph/DIC/Epi-Fl
Zeiss Universal Pol,  AL/DL
Zeiss Stemi 2000 C
Nikon Labo-/Optiphot mit CF ELWD Objektiven

Sammlung Zeiss Mikroskope
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=107.0

Rawfoto

Hallo Christian

Weiter so, die Bilder sind eine Bereicherung weil wir so etwas nicht alle Tage zu sehen bekommen ...

Danke & liebe Grüße

Gerhard
Gerhard
http://www.naturfoto-zimmert.at

Rückmeldung sind willkommen, ich bin jederzeit an Weiterentwicklung interessiert, Vorschläge zur Verbesserungen und Varianten meiner eingestellten Bilder sind daher keinerlei Problem für mich ...

Christian3000

#3
Hallo Wilfried,

danke für den Hinweis! Man hatte uns im Praktikum 1995 recht stolz das bereits damals antike EM-9 als das erste EM, das von einer Uni angeschafft wurde, präsentiert. Ob es wirklich deutschlandweit oder doch nur bayernweit der Fall war, kann ich nicht sagen, vielleicht letzteres. Jedes Jahr zum Praktikum kam Prof. Schötz trotz Ruhestands noch an die Uni, um den TEM-Teil des Praktikums an "seinem" Gerät persönlich abzuhalten; er hatte das EM in den 50ern am Botanischen Institut angeschafft. Das ist wohl wahr Nostalgie.

Richtig, es gab schon vorher kommerzielle EMs, das erste EM auf dem Markt war das EM-9 nicht.

Viele Grüße,
Christian

Edit: Beim Flottmachen des EM8 wäre ich auch gern dabei gewesen...stelle ich mir sehr interessant vor...
Vorstellung: click

wilfried48

#4
Hallo Christian,

vielleicht war ja nicht das erste EM an einer Uni sondern das erste Zeiss EM9 an einer Uni gemeint. Das könnte ja dann passen und wäre Ende der 50er Jahre gewesen.

siehe auch:
http://www.zeiss.de/corporate/de_de/geschichte/technische-meilensteine/elektronenmikroskopie.html

viele Grüsse
Wilfried
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wilfried48

#5
Zitat von: Christian3000 in April 03, 2016, 16:58:37 NACHMITTAGS

Edit: Beim Flottmachen des EM8 wäre ich auch gern dabei gewesen...stelle ich mir sehr interessant vor...


Hallo Christian,

das war nicht weiter schwierig, da das Institut damals von Prof. Möllenstedt geleitet wurde, der Ende der 40er Jahre bei den Süddeutschen Laboratorien in Mosbach das EM8 mitentwickelt hatte. Und vor allem gab es noch dessen Techn. Assistentin Eva Schleich, das ist das junge Mädchen das man in der ersten Nachkriegsausgabe der Brockhaus Enzyklopädie unter dem Stichwort Elektronenmikroskop an einem EM8 sitzen sieht.
Die kannte sich natürlich am EM8 bestens aus und wusste vor allem wie man "Elektronenlinsen kocht".
Bei den alten elektrostatischen EM-Mikroskopen musste man alle paar Wochen die elektronenmikroskopische Säule komplett zerlegen und die Keramikisolatoren der Linsen ausbauen und in konzentrierter Schwefelsäure auskochen ("Elektronenlinsen kochen"), um sie von den braungelben Oberflächenbelägen zu befreien, die sich in den schlechten öldampfhaltigen Vakua bildeten und Hochspannungsüberschläge verursachten.
Und dann hatte man ja auch noch die elektronische und mechanische Institutswerkstatt im Rücken.
Frau Schleich, eine der weingen Zeitzeugen der Geschichte der Elektronenmikroskopie, ist leider im März dieses Jahres 86-jährig verstorben.

viele Grüsse
Wilfried


vorzugsweise per Du

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Heribert Cypionka

ZitatEs handelt sich um Viren, die man ja lichtmikroskopisch nicht mehr erfassen kann.

... und das kann ich so nicht stehen lassen  ;):

Bei uns im Labor werden tagtäglich Viren im Lichtmikroskop gezählt. Natürlich sind sie kleiner als die berühmte Abbesche Auflösungsgrenze des Mikroskops. Aber man braucht dazu keines der neuen Mikroskope mit Superresolution. Im Gegenteil, wir blenden beim Zählen die Objektive sogar ab, verringern dadurch die Auflösung, um den Kontrast zu verstärken. Möglich wird die Zählung durch das Teufelszeug SybrGreen, das sich an die DNA lagert und sie im bei kurzwelliger Anregung zum Leuchten bringt. Selbst ein einzelnes DNA-Molekül lässt sich so sichtbar machen.

Hier die Aufnahme eines durch Bakteriophagen lysierten Bakteriums. Der leuchtende Punkt in der Mitte lokalisiert das Bakterium, das Gespinst freigesetzte DNA aus dem Chromosom, die meisten der auszumachenden Pünktchen dürften Viren sein. Um nur die Viren zu zählen, wird die Probe durch ein 0,1 µm-Filter geschickt, was hier nicht geschehen ist.



Beste Mikrogrüße

Heribert Cypionka

Christian3000

Hallo Wilfried,

vielen Dank für die Hintergrundinfos, die man sonst wohl kaum mitbekommt; "Elektronenlinsen kochen" hört sich nach einem weniger angenehmen Wartungsschritt an!

Hallo, Heribert,

da hab' ich gleich wieder etwas dazugelernt! Vielen Dank für die Aufklärung und das faszinierende Bild!

Viele Grüße und einen schönen (Rest-)Abend,
Christian
Vorstellung: click

l'œil armé

Moin,

vielleicht doch noch eine kurze geschichtliche Ergänzung:

1957 brachte der Bundespräsident Heuss anlässlich seines Besuchs in der Türkei das damals nagelneue ZEISS EM9 als Gastgeschenk mit. Dieses Gerät wurde von einem Techniker der Firma ZEISS in Oberkochen bis Anfang/Mitte der 1990er Jahre durch jährliche Servicebesuche in betriebsfähigem Zustand gehalten. Soweit ich weiß wurden in dieses Gerät die allerletzten in Oberkochen noch vorhandenen EM9-Ersatzteile verbaut. Danach war bei ZEISS endgültig Schluss mit dem EM9 und auch der letzte damit wirklich vertraute Servicetechniker im Ruhestand.

Freundliche Grüße

Wolfgang
"Du" fänd' ich absolut in Ordnung

das schönste: Zeiss Lumipan
das liebste: Leitz Ortholux/Panphot
das beste: Zeiss Axiomat

Ich bin übrigens keineswegs mit meinem Umfang an Intelligenz zufrieden; ich bin lediglich froh, mit meiner Dummheit so weit gekommen zu sein.

Eckhard

Hallo,

Ich finde immer merkwürdige, klitzekleine Lebewesen im REM, die ich nicht identifizieren kann. Gibt es bei Viren ein paar typische Formen wie bei Bakterien oder sehen die alle unterschiedlich aus?

Herzliche Grüße
Eckhard
Zeiss Axioscope.A1 (HF, DF, DIK, Ph, Pol, Epifluoreszenz)
Nikon SE2000U (HF, DIK, Ph)
Olympus SZX 12 (HF, DF, Pol)
Zeiss Sigma (ETSE, InLens SE)

www.wunderkanone.de
www.penard.de
www.flickr.com/wunderkanone

Heribert Cypionka

ZitatGibt es bei Viren ein paar typische Formen wie bei Bakterien oder sehen die alle unterschiedlich aus?

Hallo Eckhard, natürlich gibt es verschiedene Morphotypen (mit und ohne Schwanz, fädige, verschiedene Größenklassen) auch bei den Phagen und die sind auch "art"spezifisch (obwohl es natürlich keine Arten sind) stabil. Meist sind sie aber so klein, dass sie selbst im TEM nur schwer zu detektieren sind. REM-Aufnahmen kenne ich nicht. http://www.pmbio.icbm.de/projects/phages.htm

ZitatVergleichsmöglichkeiten Sybr und Hoechst einzuschätzen?

Hallo Paramecium, die Hoechstfarbstoffe kenne ich leider nicht aus der Praxis. Wenn sie besser für die DNA-basierten Zählungen wären, würden wir sie verwenden. DAPI fluoresziert schwächer als SybrGreen, von dem es Variationen I (für DNA) und II (für RNA) gibt. SybrGold verwenden wir zum Färben von Gelen. Es soll 25-100x sensitiver sein als Ethidium-Bromid...

MfG

H.C