Entwicklungsbiologie eines Nematoden (Diplogaster cf. rivalis)

Begonnen von Ole Riemann, Mai 22, 2016, 11:59:59 VORMITTAG

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Ole Riemann

Liebes Mikro-Forum,

ich möchte einige Beobachtungen zur Embryonalentwicklung des Nematoden Diplogaster cf. rivalis vorstellen. Ich hatte die Aufnahmen schon mal im Tümpler-Forum eingestellt, aber vielleicht ist diese Dokumentation auch für den einen oder anderen hier von Interesse. Mich haben die Beobachtungen besonders deswegen begeistert, weil ich selten so direkt einen biologischen Elementarprozess, die Embryonalentwicklung eines Vielzellers, in vivo habe verfolgen können.

Nematoden sind für die Entwicklungsbiologie wichtige Modellorganismen geworden, da sie sich leicht züchten und experimentell manipulieren lassen. Beim klassischen Modellnematoden Caenorhabditis elegans kennt man alle Entwicklungsschritte von der Eizelle bis zum fertigen Jungtier. Dabei ist klar geworden, dass die Entwicklung bei C. elegans streng determinativ abläuft, d.h. das Entwicklungsschicksal aller Blastomeren, die aus den ersten Furchungsteilungen der befruchteten Eizelle hervorgehen, ist exakt festgelegt.

Die von mir gefundenen Tiere leben in dichten Matten von teilweise verrottendem Algenmaterial (u.a. Spirogyra), das ich auf der Oberfläche treibend fand. Diplogaster rivalis hat einen für rhabditide Nematoden typischen Pharynx, der in klar unterscheidbare Abschnitte unterteilt ist (Proc=Procorpus, Metac=Metacorpus, Isth=Isthmus, Bul=Bulbus). Caudalwärts schließt sich das Intestinum (Int) an, kopfwärts die Mundhöhle (Mdh), die einen auffallenden dorsalen Zahn (dZ) sowie kleinere subventrale Zähnchen aufweist (svZ). Die Kutikula des Nematoden ist schwach geringelt, das Amphid (Amph) zumindest bei Weibchen ein nur wenig auffallendes Oval. Hinter dem Anus (An) schließt sich ein langer, fein zulaufender Schwanzabschnitt an.



In meinen Proben habe ich ausschließlich fertile Weibchen (und Juvenile) gefunden. Schon bei schwacher Vergrößerung fällt auf, dass der Wurm dicht mit Entwicklungsstadien erfüllt ist, die in beiden Uterusschenkeln hintereinander liegen und von einer Proliferationszone (Pz) in Richtung Vulva (Vu) sequentiell reifen. Die Proliferationszone ist gekennzeichnet durch zahlreiche kleine Kerne der prospektiven Eizellen, die in einer syncytialen Plasmamasse liegen und noch nicht voneinander durch Zellgrenzen abgesetzt sind. Die reifen Eizellen (EZ) sind dicht mit Vesikeln erfüllt. Die Stadien der Embryonalentwicklung, bei der man eine Proliferations- und eine Morphogenese-Phase unterscheiden kann, lassen sich in der Richtung der fortschreitenden Differenzierung unmittelbar ablesen. In der Phase der Proliferation kommt es zur raschen Zellvermehrung; in der anschließenden Morphogenese zur Ausbildung der fertigen Organsysteme und zur Bildung der wurmförmigen Körpergestalt.

Aus der befruchteten Eizelle entwickelt sich über ein 4-Zellstadium eine Blastula, deren einzelne Blastomeren (Blm) in einem frühen Stadium noch deutlich unterscheidbar sind. Über rasche Furchungsteilungen entstehen die Blastula und Gastrula (Blast/Gast), die ich aber nicht im Einzelnen unterscheiden konnte. Interessanterweise führen die Zellteilungen der Proliferationsphase nicht etwa zu einer Volumenzunahme des Embryos – die ungefurchte Eizelle ist kaum kleiner als ein weit fortgeschrittenes Entwicklungsstadium. In späten Stadien der Morphogenese erkennt man bei den jungen Nematoden schon die kutikularen Differenzierungen der Mundhöhle (Pfeile). An günstigen Stellen des Präparates sieht man auch die feine Embryonalhülle, die die Embryonen umgibt. Bemerkenswert finde ich, wie stark das Intestinum an den Rand der Leibeshöhle gedrängt wird. Möglicherweise sind die trächtigen Weibchen schon in einer Phase ihres Lebenszyklus, in der die Nahrungsaufnahme gegenüber der Reproduktion in den Hintergrund getreten ist.





Viele Grüße

Ole

limno

#1
Hallo Ole,
was Du da zeigst, ist ganz ohne Zweifel interessant, verständlich dargestellt und wirklich ein Fest für die Augen!
Wie hast Du ihn bestimmt? cf.heißt ja, dass die Bestimmung nicht 100%ig sicher ist.  Ich habe zwar den "Meyl" über freilebende Nematoden, aber bis dato noch keinen bestimmt, weil das sicher nicht so trivial ist. Dein DIK ist für hydrobiologische Bilder wirklich sehr geeignet, und stellt zarte Strukturen auch so dar. Wirklich fantastisch gelungen!
Viele Grüße
Heinrich
So blickt man klar, wie selten nur,
Ins innre Walten der Natur.

Jürgen H.

Lieber Ole,

Herzlichen Dank für diesen informativen Beitrag und die wunderschönen klären Photos zur Embriogenese! Einfach Spitzenklasse....

Schöne Grüße

Jürgen

Alfons Renz

lieber Ole,

Das sind wirklich ganz phantastische Bilder der intrauterinen Embryonalentwicklung bei Nematoden, wie man sie in ganz ähnlicher Form auch bei Filarien findet. Nur dass dort circa 1000 dieser Larven ("Mikrofilarien") pro Weibchen und Tag geboren werden.

Vor einiger Zeit habe ich dazu die Entwicklungsstadien und ihre pathologischen Degenerationsformen gezeichnet sowie die entsprechenden deutschen Namen verwendet, die im übrigen auch sinngemäß in der angelsächsischen Literatur verwendet werden (morulae, tadpole, horseshoe, 'pretzel', coiled / stretched microfilaria):



Damals hatte ich leider kein DIK-Verfahren zur Verfügung.

Herzliche Grüße,

Alfons

Ole Riemann

... vielen Dank für Eure freundlichen Rückmeldungen.

@Heinrich: für die Bestimmung bzw. den Versuch einen näheren Eingrenzung verwende ich Tom Bongers: De Nematoden van Nederland - auf Holländisch, aber mit vielen Zeichungen und Fotos, so dass man auch ohne Sprachkenntnisse des Holländischen weiterkommt. Wenn man den Text laut liest, erschließt sich einem (mir als Norddeutschem allemal) sinngemäß auch einiges. Dieses Buch ist für limnische und terrestrische Nematoden, z.B. im Boden, sehr hilfreich. Von Meyl kenne ich nur die knappe Einführung in der Kosmos-Reihe.

@Alfons: herzlichen Dank für die tolle Ergänzung mit Zeichnungen der Embryonalentwicklung bei Filarien. Ich vermute, die Gonade bei so kleinen Arten wie Diplogaster rivalis (ca. 3-4 mm) weist keine Rhachis wie bei Deinen Objekten auf. In welchem Zusammenhang hast Du Filarien untersucht? Ist das eine Darstellung für ein Manuskript? 

Viele Grüße

Ole

Alfons Renz

Lieber Ole,

Bei den Onchozerken handelt es sich um eine sehr stark an die parasitische Lebensweise angepasste Gruppe von Filarien. Die uns speziell interessierenden Arten O. volvulus beim Menschen (=> Flußblindheit, Onchozerkose in Afrika und Lateinamerika) und O. ochengi im Afrikanischen Zebu-Rind (=> Rinderonchozerkose, Tiermodell) leben eingeknäuelt in subkutanen bzw.  intradermalen Knoten. Die Weibchen werden bis zu 60 cm lang, die zeitlebens mobilen Männchen messen nur wenige cm.

Wir haben damals Chemotherapie-Versuche im hierfür entwickelten O. ochengi Rindermodell gemacht. Und dabei übrigens auch einen ganz neuen Ansatz zur Chemptherapie gefunden: Nämlich durch Abtötung der symbiontisch in der Hypodermis vorkommenden Endobakterien (Wolbachien) durch Antibiotika (Tetrazyklin). Um die Wirkung der verschiedenen Medikamente auf die Würmer vergleichen zu können, konzentriert man sich auf die Beweglichkeit der Männchen und, als sensitivster Parameter, die Embroygenese in den Weibchen. Die Chemotherapie sollte zu einem erhöhten Anteil pathologisch veränderter Embryonalstadien führen. Der Degenationstyp L"  ist z.B. charakteristisch für Mikrofilarien, die durch Therapie mit Ivermektin (für dieses Medikament gab es den Nobelpreis im letzten jahr!) schon im Uterus abgetötet werden.

Um nun normale von 'pathologisch-veränderten' degenerierenden Embryonalstadien unterscheiden zu können, bedarf es klarer Kriterien ('normal' <=> 'pathologisch'), anhand derer eine Entscheidung bei der routinemäßigen Auswertung ('Embryogramm') zu treffen ist.

Die Abbildung habe ich an einem langweiligen Nachmittag in Kamerun mit Tusche auf Schöllers Zeichenkarton entworfen. Als simple Labor-Vorlage. Aber nichts hält so lange wie ein Provisorium...

Die Lage der Ovarien verdeutlicht die zweite Zeichnung:



Wobei man sich vor Augen halten muss, dass die reifen Mikrofilarien nur 280 µm lang sind und das Weibchen nur knapp 1/4 mm stark ist, bei einem Verhältnis Durchmesser zu Länge von weniger als 1: 1000. Deshalb der Name 'Fadenwürmer', Filarien (die Familie wurde vom Tübinger Zoologen Gmelin ca. 1790 so benannt). Das Interessante dabei ist, dass die Spermien den weiten Weg von der ganz nahe am Vorderende gelegenen Vulva bis dem dem im hinterste Ende des Weibchens gelegenen Ovidukt durch amöboide Bewegung mühsam 'zu Fuß' zurück legen müssen. Spermien von Nematoden besitzen nämlich kein Flagellum, mit welchem sie sich schnell schwimmend den Oozyten nähern könnten.

Deshalb - und aus anderen Gründen - dauert bei Filarien alles etwas länger. Somit auch kein Wunder, dass die Würmer bis zu 15 Jahren leben. Aber ein großes Problem bei der Bekämpfung, da diese sich über Jahrzehnte dahin zieht. Und die Mittel unter Umständen schneller erschöpft sind als die unverwüstlichen Würmer.

Wenn ich Ihre Bilder sehe, wird mir wieder schmerzlich bewusst, wie viel mehr man sehen und beschreiben könnte. Wenn man nur die Zeit hätte...

Näheres zur Feldarbeit über die Onchozerken der Rinder und des Menschen unter: http://www.riverblindness.eu.

Herzliche Grüße,

Alfons

Ole Riemann

Lieber Alfons,

herzlichen Dank für Deine interessanten Ergänzungen - dann bist Du ja ein richtiger Spezialist auf diesem Gebiet. Toll, wie man über das Forum so kundige Experten kennen lernt. Den weiterführenden Link schaue ich mir noch in Ruhe an.

Beste Grüße

Ole