Ein Zufallsfund: Die Süßwassermeduse Craspedacusta sowerbii

Begonnen von Ole Riemann, August 16, 2016, 07:54:34 VORMITTAG

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Ole Riemann

Liebe Forumsteilnehmer,

ich möchte hier von einem Sommerausflug der etwas anderen Art berichten. Eigentlich hatten wir lediglich vor, an einem Badesee in der Nähe von Würzburg - einem Baggersee parallel zum Main - den sonnigen Feiertag zu verbringen. Ich hatte gelesen, dass das Wasser dieses Gewässers auch in den Sommermonaten von guter Qualität sei und dass man gelegentlich dort die seltenen Süßwasserquallen Craspedacusta sowerbii gefunden habe.

Quallen - also die freischwimmende Geschlechtsgeneration im Lebenszyklus vieler Nesseltiere - werden von Polypen gebildet, die am Boden leben und sich ungeschlechtlich vermehren. Die Quallen bilden Keimzellen aus, die meist im freien Wasser die Befruchtung durchführen. Hieraus geht eine freischwimmende Larve hervor, die sich nach einiger Zeit im Plankton am Gewässergrund bzw. auf Substraten festsetzt, eine Metamorphose durchläuft und sich zum Polypen umwandelt. Hiermit ist der Lebenszyklus geschlossen. Normalerweise verbindet man mit Quallen das Leben im Meer - es gibt jedoch auch einige wenige Hydrozoen, die im Süßwasser lebende Medusenstadien hervorbringen.

Dazu gehört auch die Art Craspedacusta sowerbii, die nach Mitteleuropa wohl aus dem asiatischen oder südamerikanischen Raum eingeschleppt wurde. Im Internet findet man die Angabe, dass sie 1880 zum ersten Mal in Europa gefunden wurde. James de Carle Sowerby entdeckte sie in den Royal Botanic Gardens in London in Seerosenbecken mit Pflanzen, die aus Brasilien stammten. In Mitteleuropa findet man sie heute in warmen, sauberen Seen und Teichen in der Uferzone. Während der Polyp ein unscheinbares Wesen von wenigen Millimetern Länge darstellt und ein ebenso unscheinbares Leben am Grund des Gewässers führt, ist die Meduse eine aufällige Erscheinung von ca. 2,5 cm Schirmdurchmesser, die sich in typischer Manier der Quallen durch pulsierende Bewegungen des Schirmes an der Wasseroberfläche bewegt.

Die folgende Abbildung zeigt den idyllischen, schilfumstandenen Baggersee (bei Erlabrunn, Nähe Würzburg) und im Hintergrund eine charakteristische Weinlage auf Muschelkalk. Der Main liegt zwischen dem See und den Weinbergen. Als Limnologe ist man vorbereitet und hat immer etwas zum Schöpfen und Fischen dabei - so konnte ich gleich die erste Meduse am Rand des Sees abschöpfen. Dieses Exemplar blieb nicht das einzige. Bei genauerem Hinsehen ließen sich die zarten Hydromedusen immer wieder in der Nähe der Ufervegetation erkennen.



Es gelang mir, eine Meduse unbeschadet nach Hause mitzunehmen und in eine rechteckige Blumenvase als Mikroaquarium mit dunklem Hintergrund zu überführen. Für die Fotografie habe ich dann von zwei Seiten beleuchtet. Die folgenden Aufnahmen entstanden mit einem Canon-Makroobjektiv 50mm bei Blende 2,8 auf einem Stativ. Dies kann man sicherlich noch optimieren, ich war aber froh, den seltenen Fund überhaupt brauchbar dokumentieren zu können. Die Meduse von Craspedacusta sowerbii schwimmt rasch pulsierend, verharrt aber immer wieder regungslos mit abgestreckten Tentakeln und abgeflachtem Schirm (D), so dass man relativ gut fotografieren kann. An der Unterseite des Glocke erkennt man den gelappten Magenstiel (Ms). Auffällig sind die 4 Radialkanäle (Rk in A), also zum Glockenrand ziehende Abschnitte des Magens. An diesen Radialkanälen entwickeln sich bei Hydromedusen die Gonaden. Ich deute daher die weißlichen Massen an den Radialkanälen bei meinem Exemplar als Keimzellen. Am Rand der Glocke setzen die Tentakel an, von denen ich lange, kräftige und kurze, feine erkennen konnte (Ten1 und 2 in B). In Seitenansicht tritt die konvex geformte Exumbrella in Erscheinung (Exu in B). Das Velum (Ve in C) springt als Saum am unteren Rand der Glocke hervor und dient dazu, bei Kontraktion der Muskulatur am Glockenrand den Vorschub zu vergrößern, indem es den Querschnitt reduziert, durch den das Wasser aus dem Raum unterhalb der Medusenglocke herausgepresst wird. Es verstärkt damit den Rückstoß.



Nach der makroskopischen Inspektion habe ich einen der kräftigen Tentakel abgezupft und die Nesselkapseln mikroskopisch untersucht. Zumindest auf den Tentakeln habe ich nur typische Penetranten, also Durchschlagskapseln, gefunden, die dem Erbeuten von planktischen Kleinkrebsen und Rotatorien dienen. Die Kapseln mit dem spitzen Stilett und dem deutlich sichtbaren Faden an seiner Basis sind länglich-oval und messen gut 15 µm. Ihre Anordnung auf dem Tentakel bildet ausgeprägte Querwülste (A). Im stärker gequetschten Präparat (C) löst sich der Gewebeverband auf, und man erkennt, wie die Nesselkapseln in einzelne Ektodermzellen eingebettet sind und sie weitgehend ausfüllen.



Mich würde sehr interessieren, ob der eine oder andere Tümpler diese interessante Art auch schon einmal gefunden hat.

Viele Grüße

Ole

limno

Guten Morgen Ole!
Eine tolle Entdeckung, die Du da gemacht hast. Sowas würde ich auch mal gern unter dem Mikroskop haben. Aber am Fundort ist das Mikroklima wahrscheinlich wärmer und deshalb günstiger als bei mir in Oberbayern.
Die Dokumentation ist wieder mal 1A! 8)
Schwebende Grüße
Heinrich
P.S. sowerbyi statt sowerbii
So blickt man klar, wie selten nur,
Ins innre Walten der Natur.

Carsten Wieczorrek

Hallo,

diese Qualle ist vor ca. 3 Wochen massenhaft im Fühlinger See in Köln aufgetreten. Ob sie zur Zeit dort noch zu finden sind, weiss ich aber nicht.

Carsten
Für's grobe : GSZ 1
Zum Durchsehen : Amplival Hellfeld, Dunkelfeld, INKO, Phasenkontrast
Zum Draufsehen : Vertival Hellfeld, Dunkelfeld
Zum Polarisieren : Amplival Pol u Auf-/Durchlicht
Für psychedelische Farben : Fluoval 2 Auflichtfluoreszenz
Für farbige Streifen : Epival Interphako

Rawfoto

Hallo Ole

Toller Fund, der Trick bei der Makroaufnahme ist die Tiefe des Aquariums zu beschränken - mit einer Glasscheibe - dann kann sich das Objekt bei der Frontalansicht nicht bequem in die Seitenposition drehen (natürlich ohne zu quetschen, da muss schon ein Freiraum für Bewegung bleiben). Wenn Du dann die Seitenansicht brauchst werden zwei Begrenzungen seitlich eingeschoben ...

Liebe Grüße & danke für den tollen Beitrag

Gerhard
Gerhard
http://www.naturfoto-zimmert.at

Rückmeldung sind willkommen, ich bin jederzeit an Weiterentwicklung interessiert, Vorschläge zur Verbesserungen und Varianten meiner eingestellten Bilder sind daher keinerlei Problem für mich ...

ruhop

Hallo, Ole.

Es gibt so einige Organismen, deren Namen fast immer in populären Bestimmungsbüchern wie z. B. dem "Tümpelbach" (Was lebt in Tümpel, Bach und Weiher) oder auch dem "Wassertropfen" auftauchen, ohne daß einer der Leser ein derartiges Individuum jemals zu Gesicht bekommt. Das ist z. B. mit den Diatomeen Acanthoceras zachariasii und Rhizosolenia longiseta der Fall. Und eben auch mit Craspedacusta. Daß Du jetzt nicht nur einfach den Fund hier meldest sondern auch noch einige erläuternde und hervorragende Fotos präsentierst ist natürlich besonders lobenswert. Vielen Dank dafür

Holger

Ernst Hippe

Hallo Ole,
danke für diesen schönen Fundbericht! Ich habe die Meduse leider noch nie gefunden, wohl aber zwei Varianten des Polypenstadiums, die früher als eigene Arten geführt wurden, in einem Aquarium. Näheres siehe MIKROKOSMOS 2004 Heft3 S.141ff.
Gruß Ernst Hippe
Vorstellung:Hier klicken

Gerald

Hallo Ole,

Glückwunsch zu diesem tollen Fund - ich bin ja fast ein bisschen neidisch  ;). Leider habe ich die Süßwassermeduse noch nie gefunden, doch immer wieder darüber gelesen. In dem Buch "Süßwasserfauna von Mitteleuropa 1/2+3 Cnidaria: Hydrozoa Kamptozoa von T. Holstein / P Emschermann" ist sie gut beschrieben.

Vielen Dank für die tolle Dokumentation und den sehr guten Bildern der Nematocyten.

Viele Grüße

Gerald

Stefan K.

Hallo Ole,
vielen Dank für die wundervolle Darstellung dieses einzigartigen Geschöpfs. Ich habe diese Qualle selbst vor etwa einem Monat beim GEO-Tag der Artenvielfalt in der Wahner Heide bei Troisdorf entdecken können. Ein Bericht über den GEO-Tag und die vielen spannenden Funde wird in der Septemberausgabe des Magazins GEO erscheinen.

Viele Grüße,
Stefan

Ole Riemann

Dear all,

herzlichen Dank für die Rückmeldungen, Fundhinweise, technischen Tipps und Literaturhinweise. Schön, dass wir so eine kundige Community hier haben.

Ole