Ausflug in die Mikrochemie 2.0

Begonnen von Reinhard, August 21, 2016, 23:22:08 NACHMITTAGS

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Reinhard

Hallo Mikrofreunde,


ich hoffe, es ist kein größeres Ärgernis, wenn ich in diesem Forum erneut einen Beitrag vorstelle, der das Gebiet der Chemie beinhaltet; das erlaube ich mir auch nur, weil es zum einen eine Chemie unter dem Mikroskop ist
und ich zum anderen weiß, das  hier eine breite, solide wissenschaftliche Basis vertreten ist.
Es geht also um das Thema "Mikrochemie".

Die Mikrochemie (als Oberbegriff) ist ein heutzutage weitgehend verlassenes Gebiet der Chemie, das sich mit der Analyse (und der Synthese) von bis zu mikroskopisch kleinen Substanzmengen befasst.
Sie hatte ihre große Zeit etwa zwischen den Zwanziger- und Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts und wurde dann zunehmend durch physikalische Analysemethoden verdrängt.
Während es in der Anfangszeit oft um die einfache chemische Analyse von Vorgängen in Pflanzen und Lebewesen ging, entwickelte sich die Mikrochemie dann schnell zu einem umfassenden eigenständigen Teil der Chemie,
mit Einschluss nicht nur qualitativer, sondern auch quantitativer Verfahren und  der Entwicklung eines umfangreichen eigenständigen Instrumentarium, abhängig von den jeweils zu behandelnden Substanzmengen.
Dafür stehen Namen wie Emich, Donau, Benedetti-Pichler, Korenman, Alimarin und viele andere.

Während für die Mikrochemie als solche (je nach Definition Stoffmengen von etwa 10-1000 ug)  überwiegend Mikrospitzbecher, Mikropipetten, Analysenwaagen und überwiegend noch das unbewehrte Auge zum Einsatz kamen,
benötigte man für noch geringere Substanzmengen, insbesondere in der "Ultramikrochemie" (UMC), Kapillargefäße, Mikroskope, Manipulatoren und hochempfindliche Waagen,
die zumindest in der Anfangszeit auf dem Einsatz eines Quarzfadens aufbauten.

Die Ultramikrochemie wurde im wesentlichen Anfang der 1940-Jahre anlässlich der erstmaligen Darstellung des künstlichen Elementes Plutonium und der Erforschung seiner chemischen und physikalischen Eigenschaften
durch Glenn T. Seaborg, B.B.Cunningham, u.a.in der Universität von Chikago ("MetLab") entwickelt und bei der rasch folgenden Entdeckung und Isolierung weiterer "Transurane" zur Blüte gebracht.
Der Substanzmengenbereich, in dem sich die UMC bewegt, wird unterschiedlich definiert, liegt aber etwa im Bereich zwischen wenigen Mikrogramm (ug) und dem Nanogrammbereich.

Entscheidend ist aber: Im Gegensatz zur sog. "Spurenanalyse", bei der diese geringen Substanzmengen in größeren, meist problemlos zu handhabenden Lösungsmittelmengen vorliegen, ist es die Aufgabe der (Ultra-)Mikrochemie
die Konzentration der Stoffe der Makrochemie (also etwa 0,1-1N) beizubehalten; das heißt, im Falle der Ultramikrochemie Flüssigkeitsmengen von bis zu wenigen Mikrolitern (uL) zu verwenden
und damit die bekannten chemischen Methoden verwenden zu können.
Darüber hinaus unterscheidet sie sich von anderen Mikromethoden, wie Tüpfelanalyse und Nachweisen auf dünnen Fäden dadurch, daß hier kontinuierliche Arbeitsschritte mit kontrolliertem Erhitzen,
Fällungen, Zentrifugationen u.a. durchgeführt werden können.
Das ist, wie zu erwarten, mit großen Problemen verbunden, die zum Teil physikalischer Natur (Kapillarkräfte; relative Oberflächenvergrößerung der Gefäße und ihre Auswirkungen)
zum Teil technischer Natur (Anfertigung von immer kleineren Gerätschaften wie Mikromesspipetten, Ultramikrowaagen usw.) sind.

Mit tatkräftiger Unterstützung hier aus dem Forum versuche ich seit einiger Zeit, einen "Abglanz" der (Ultra-)Mikrochemie bei mir auferstehen zu lassen und dabei zumindest in einen Grenzbereich zu gelangen.

Die Arbeitsbasis ist auch für mich dabei die Kombination aus Mikroskop und Manipulator(en), ohne die das Einführen der Mikrometer- dicken Pipettenspitzen in die Kapillargefäße unmöglich wäre.
In den einen Manipulator oder eine andere Basis wird das Kapillargefäss eingespannt, mit dem anderen, in den eine Kapillarpipette eingespannt ist, wird über eine Mikrometerspritze sowohl eine Flüssigkeitsmenge
(im nL bis uL-Bereich) eingebracht, wie auch wieder abgezogen.





Als Reaktiongefäße benutze ich selbst angefertigte Kapillargefäße mit Durchmessern von 0,8 - 1,6 mm und Längen von etwa 1-3 cm und andere überwiegend selbst aus Glasröhrchen angefertigte Mikrobehälter.



Da ich (bisher) keine Möglichkeiten habe, die enormen Kapillarkräfte (chemisch) zu bändigen, bin ich gezwungen, nach Einbringen der Flüssigkeiten in den Randbereich der Kapillare,
diese immer wieder kurz zu zentrifugieren, um die Flüssigkeit nach "unten" zu befördern.Dazu müssen die winzigen Gefäße in Zwischenhülsen gebracht werden. Diese werden auch verwendet, um den Inhalt zu erhitzen.



So lassen sich chemische Verbindungen durch den bekannten oder abgewandelten "Trennungsgang" trennen und gesondert, entweder bereits im Kapillar-Gefäß oder auf Objektträgern, nachweisen.
Dadurch werden gegenseitige Beeinflussungen der Elemente beim Einzelnachweis vermieden.
Einzelnachweise  entweder dann durch Farbreaktionen (im Gefäß) durch Kristalldiagnostik (Gefäß oder OT) oder selten durch Fluoreszenz.

Auch wenn mein "workflow" noch alles andere als  zufriedenstellend ist, möchte ich diese Methode hier anhand eines ersten Beispieles vorstellen und hoffe, daß sich zumindest
die "chemisch Angehauchten" in diesem Forum angesprochen fühlen.

Als ideale Testobjekte für die Mikrochemie habe ich mir zunächst Minerale ausgesucht, die nicht nur oft von bestechender Schönheit, sondern auch von ebensolcher chemischer Zusammensetzung sind und als jemand,
der schon mit eigenen Händen in der Schmiedestollenhalde in Wittichen (Schwarzwald), wenn auch erfolglos


(Dank an Jürgen Greiner für das Bild, das kurz vor dem Bau von Stollen in der Halde entstand :-))))

"gewühlt" hat, habe ich mich hier für das Mineral "Mixit" entschieden, das im wesentlichen die Formel: Cu6Bi(AsO4)3(OH)6. 3H2O  hat. Das heißt, es enthält die Elemente Kupfer, Wismut und Arsen als Hauptinhaltsstoffe.
Diese Elemente sind typisch für die, die in den vielen Mineralen der Schmiedestollenhalde bei Wittichen (Schwarzwald) vorkommen.



Von diesem Mineral landeten einige Kristallnadeln (ineinander verfilzt) in meinem 1mm-Gefäß.



Aufgrund einer Volumenmessung (Okularmikrometer) habe ich ein Gewicht der Kristalle von etwa 3-5 ug angenommen. Diese Nadeln werden mit etwa 0,5 uL konz.HCl und leichtem Erwärmen in einem Heizblöckchen
[Idee und Durchführung: Olaf] aufgelöst.



Sodann mit etwa 0,5 uL konz.NH4OH neutralisiert: Bi fällt als weisses Bi(OH)3 aus und wird abzentrifugiert.
Die Lösung ist jetzt durch den Cu[NH4]-Komplex blaugefärbt, was eigentlich schon als Nachweis für Cu gilt, während der weisse Niederschlag auch z.B. Al oder Cr bedeuten könnte und deshalb als Cs3Bi2J9-Kristall nachgewiesen wird.
Dennoch auch Nachweis des Cu als "Tripelnitrit".



Im unteren Kap.Gefäß Fällung des Überstandes mit KNO2 und Pb-acetat. Es fällt das braunschwarze Tripelnitrit (PbCu-TN)



Die typischen Kristalle des Tripelnitrites, hier als Kupfernachweis.



Der Nachweis des Wismut (Bi) als rotorangener Komplex aus Cäsium, Wismut und Jod



Schliesslich noch der (schwierige) Nachweis des Arsens als NH4-molybdatoarsenat Der weiße Fleck oben ist der NH4-Molybdat-Kristall.



Nun will ich nicht weiter den chemischen Ablauf erörtern, deshalb hier nur die Bilder der Kristalle, die sich letztendlich ergeben.

Zum Schluss mein Dank an Olaf (Medenbach) für die Planung und Konstruktion von Kapillarbasis, Mikrometerspritze, Heizblöckchen und viele anderen Instrumenten und an alle Jungens,
die alles aus ihren Kosmos-Chemiekästen für mich herausgeholt haben, was nur möglich war, hier aber nicht genannt werden möchten. ;-)))



viel Spaß

Reinhard

seit wann ist Kunst ein Fehler ?



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Johann_M

Hallo Reinhard,

das war für mich eine abenteuerliche und interessante Reise mit Dir als Fremdenführer.

Vielen Dank dafür und liebe Grüße,
Johann

Michael L.

Hallo Reinhard,

ein sehr interessanter Beitrag! Dürfte eine echte Geduldsprobe sein die winzigen Mengen sauber zu handhaben. Gerne mehr Beiträge zum Thema.

Viele Grüße,

Michael

the_playstation

Hallo Reinhard.

Ich hoffe, Du mußtest nicht niesen. ;) Faszinierende Dokumentation. Ich finde klasse, daß Du die Behälter einfach aus Glasröhrchen erschmolzen hast. :) Gefällt mir.

Liebe Grüße Jorrit.
Die Realität wird bestimmt durch den Betrachter.

hajowemo

Lieber Reinhard,
du hast uns mit deiner Dokumentation einen tollen Einblick in deine Welt ermöglicht.
Das schreit förmlich nach mehr.
Herzlichen Dank für die geleistete Arbeit.
Liebe Grüße
Jochen
Vorstellung
Homepage www.mikroskopie-hobby.de
Gerne per "Du"
Man sieht nur mit dem Herzen gut.
Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.

Reinhard

Hallo zusammen,

freut mich, daß es Euch angesprochen hat.
Die Schmiedestollenhalde bei Wittichen birgt noch viele interessante Herausforderungen  ;)

viele Grüße
Reinhard
seit wann ist Kunst ein Fehler ?



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the_playstation

Hallo Reinhard.

Da bin ich gespannt. Hier im Norden gibt es nur Moore, Moorleichen und Moorplankton. ;)

Liebe Grüße Jorrit.
Die Realität wird bestimmt durch den Betrachter.

HDD

Hallo Reinhard

Ein sehr interessanter Beitrag, an dem man erkennen kann was dabei herauskommt, wenn der Feinmechanikus und der Chemiker sich verstehen. Da bekommt man richtig Lust es nachzumachen und mitzuspielen. ;D

Danke für diesen schönen Beitrag und herzliche Grüße
Horst-Dieter

Peter V.

Lieber Reinhard,

Du kannst gern mehr solcher Beiträge bringen!!! Es ist immer interessant, nicht nur etwas über Miokroskope, sondern auch deren Anwendung in speziellen (Rand-)gebieten zu lesen.

Herzliche Grüße
Peter
Dieses Post wurde CO2-neutral erstellt und ist vegan. Für 100 Posts lasse ich ein Gänseblümchen in Ecuador pflanzen.

reblaus

Hallo Reinhard -

ein ganz tolles Gebiet, mit dem Du das Forum hier bereicherst - meine Gratulation!

Viele Grüße

Rolf

P.S.: Mit Wehmut erinnere mich das an mein chemisches Großpraktikum vor nunmehr 51 Jahren und der Ambrosiadüfte, die während der (NH4)2S- und der H2S-Gruppe im Saal schwebten und den Teilnehmern in öffentlichen Verkehrsmitteln die Leute vom Leib hielten. Aber Deine Mikroverfahren sind ja praktisch geruchlos...

hinrich husemann

Hallo Mikro-Chemiker,
die Reblaus-Erinnerungen kann ich voll teilen, meine liegen aber noch etwas weiter zurück. Ein Klassiker für dieses Gebiet war das Buch von Wilhelm Geilmann "Bilder zur qualitativen Mikroanalyse anorganischer Stoffe". Ich habe noch die 2. Auflage von 1954, Verlag Chemie.
Tempora mutantur ...
Freundliche Mikrogrüße
H. Husemann

Reinhard

#11
Hallo Horst-Dieter, Peter und Rolf,

vielen Dank für Euer Interesse an diesem mikroskopischen Randgebiet und für die "Anfeuerung" meiner Bemühungen!  ;)

Ich habe noch einiges "in petto". Insbesondere die Schmiedestollenhalde, die ja wohl als eine Art "Gral" der Mineralsammler gilt, hat noch viele, hochinteressante Minerale zu bieten; einige davon
sind sogar in der Lage, mit kleinen Heliumkernchen nur so um sich zu werfen.  ;D ;D
Rolf hat natürlich recht, daß die Mengen sowohl der Minerale als auch der Reagentien, mit denen ich arbeite, sehr weit unterhalb der Mengen liegen, bei denen eine Gefahr bzgl. Giftigkeit oder auch
"Heliumkernabgabebereitschaft" bestehen. Ebenso gibt es keinerlei Geruchsbelästigung. Dennoch wende ich (aus alter Gewohnheit) alle Sicherheits- und Entsorgungsverfahren an, die auch bei größeren Mengen
anzuwenden wären, so z.B. das Fällen der Mikrogramm-Mengen der Schwermetalle als vollkommen unlösliche (und damit unbedenkliche) Sulfide. (mit TAA) In einigen Jahren werde ich dann vielleicht mal ein Gramm davon zusammenhaben und es vorschriftsmäßig entsorgen lassen.
Auch muss man bedenken, das die von mir untersuchten Stoffmengen (etwa bis zu 20 Mikrogramm) jeweils nur ein winziger Bruchteil der Stoffmenge sind, die jeder ambitionierte Sammler als Kristallstufe auf dem Nachttisch stehen hat und die er unbehandschuht
immer wieder in die Hand nimmt.

viele Grüße
Reinhard
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Reinhard

#12
Hallo Herr Husemann,

der "Geilmann" liegt natürlich immer bereit.
Daneben der "Bilderatlas zur qualitativen anorganischen Mikroanalyse" von (Prof.Dr.Dr.) Hans Keune (Leipzig 1967) mit einer
handschriftlichen Widmung an einen Prof. Dr. Tzsrharh (?schlecht lesbar) in Halle.
Mitauslöser für diese Beschäftigung waren aber auch die Abhandlungen von Herrn Dr.Rosenfeldt (Mikrogruppe Hamburg) "Atlas der mikrochemischen Nachweise der Elemente" (2011) !
sowie "The Journals of Professor Glenn T. Seaborg 1939-1946" in denen er extrem detailliert die Darstellung des Elementes Pu mithilfe ultramikrochemischer Verfahren beschreibt.
Verfahrenstechnisches highlight: Dr.Hamed M. El-Badry: "Micromanipulators and Mikromanipulation" (1963), das mir zeigt, wohin die Reise noch gehen kann. ;) (sofern Olaf M. noch "mitspielt" )

viele Grüße
Reinhard
seit wann ist Kunst ein Fehler ?



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Carsten Wieczorrek

Hallo Reinhard,

ein sehr schöner Bericht.

Solange ich ein Labor habe, helfe ich gerne, so es geht. Wenn ich denn helfen konnte...
Fragen kostet ja nix.

Weiter so (aber nur mit Bericht).

Carsten
Für's grobe : GSZ 1
Zum Durchsehen : Amplival Hellfeld, Dunkelfeld, INKO, Phasenkontrast
Zum Draufsehen : Vertival Hellfeld, Dunkelfeld
Zum Polarisieren : Amplival Pol u Auf-/Durchlicht
Für psychedelische Farben : Fluoval 2 Auflichtfluoreszenz
Für farbige Streifen : Epival Interphako

Reinhard

Hallo Carsten,

danke für Dein erneutes Unterstützungsangebot.
Deine schon früher zur Verfügung gestellte Mini-Chromatographie-Einrichtung ist ja auch schon im Einsatz, z.B. bei der Trennung von (Mikromengen an) Metalldithizonaten in CHCl3 auf den kleinen Platten.

viele Grüße
Reinhard
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