Drosophila Genetik, der Versuch einer Einführung

Begonnen von Jan Dunst, August 26, 2016, 20:11:49 NACHMITTAGS

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Jan Dunst

Liebe Mikroskopie Freunde,

Fängt man als Wissenschaftler neu in einem Drosophila Labor an, bekommt man relativ schnell Kreuzungsschemata vorgesetzt die etwa so aussehen können:



Als Neuling sitzt man dann davor und kratzt sich am Kopf, und kratzt sich am Kopf und kratzt sich am Kopf. Helfen tut es nicht.

Die schwarzbäuchige Taufliege (D. melanogaster) wird seit über einem Jahrhundert in Labors zur Forschung eingesetzt. Spricht man im Bekanntenkreis & Familie das man Grundlagen Forschung an einer Fliege betreibt, wird man meist belächelt und nicht wirklich für voll genommen. Nichtsdestotrotz wurden seit 1910 sieben Personen die an Drosophila geforscht haben & weiterhin forschen mit dem Nobelpreis ausgezeichnet (T. Morgan 1910, H. Muller 1946, E. Lewis, C. Nüsslein-Volhard, E. Wieschaus 1995, R. Axel 2004 und J. Hoffmann 2011). Angefangen in der Grundlagenforschung zur Genetik, zu modernen Genetik Screens, Embyronalentwicklung und bis hin zu fundamentalen Mechanismen des Immunsystems hat diese Forschung immer Einzug in die direkte Anwendung in der Medizin am Menschen gehabt.

In diesen über hundert Jahren an Forschung haben sich die Drosophilisten zu einem sehr... speziellen Völkchen entwickelt. Ein paar Grundlagen zur Genetik möchte ich hier heute anhand einiger Fotos vorstellen.

Im Moment kann man sich die Gen-Forschung an Drosophila so vorstellen: Nehmen wir an es gäbe keine Autos auf der Welt. Dennoch ist eine Blaupause für einen Autobau bekannt. Man ist demnach in der Lage ein funktionstüchtiges Auto zu bauen und zu benutzen. Jedoch hat man keinerlei Vorstellung von der Funktion der einzelnen Teile. Was nun folgt ist sozusagen Reverse-Engineering: Man lässt gezielt einzelne Teile weg und schaut was sich ändert. Lässt man einen Reifen weg, sieht man das das Auto kaum noch zu fahren ist. An der Form erkennt man das es weitere Reifen im Auto gibt. Lässt man alle vier weg, fährt das Auto überhaupt nicht mehr. Lässt man den Ersatzreifen weg, passiert erstmal nichts, man denkt das dieses Teil nutzlos ist. Hat man nun jedoch eine Reifenpanne mit diesem Auto, sieht man doch das der Ersatzreifen in speziellen Situationen nützlich ist.

So geht man auch bei Drosophila in genetischen screens vor. Man kennt die Blaupause (Genom Sequenz), man kennt das funktionierende Modell in diversen Situationen (Fliege, hungernde Fliege, infizierte Fliege usw.) und nun fängt man an Teile (Gene) auszuschalten und anhand Ähnlichkeiten zu klassifizieren (Reifen & Ersatzreifen). Früher ging das ungezielt mit mutagenen Chemikalien (ethyl methan suphonate), welche zufällige Mutationen in der DNA auslösten. Die Fliegen die nun komisch aussahen oder bspw. anfällig für Bakterien waren wurden ausgewählt und es wurde versucht diesen Phenotyp auf ein Gen zurückzuführen. So wurden und werden übrigens die meisten konventionellen Nutzpflanzen erzeugt, und ob das nun besser ist als gezielte Mutagenese wie heutzutage möglich ist fraglich, aber gehört nicht hierher. Später gab es andere Möglichkeiten in Drosophila gezielt einzelne Gene auszuschalten indem ,,springende Gene" eingesetzt wurden (Transposons), und nach Monaten bis Jahren konnte man gezielt ein Gen ausschalten. Heutzutage geht das in wenigen Wochen, CRISPR/Cas9 ist ja schon fast jedem bekannt.

Hat man nun einen Mutanten für ein Gen, möchte man diesen auch über die Generationen behalten und mit anderen Mutanten kombinieren. Hier fängt nun die eigentliche Fotogeschichte an.

Schauen wir uns zunächst eine Wild-Typ Drosophila (1) an: Wir sehen ein männliches Exemplar mit großen roten Augen, hübschen langen ,,Haaren" auf Rücken und Kopf, ein paar ,,Haare" seitlich am Körper, schön ausgeformte Flügel und lange Beine. Die schwarzen Bürsten an den Vorderbeinen (leider unscharf) sind übrigens männliche Spezialitäten. Hiermit werden Weibchen bei der Balz gekämmt, gesäubert und umgarnt bis sie Paarungsbereit sind. Ein hübsches Exemplar also.

1:



Schauen wir uns das nächste Exemplar (2) an, sehen wir am Körper selbst keine Unterschiede. Jedoch fallen sofort die weißen Augen auf. Dieser Drosophila Stamm ist schon sehr lange bekannt doch erst seit einiger Zeit war es möglich an diesem Fliegenstamm das Gen zu identifizieren, welches die Rotfärbung der Augen veranlasst, es wird ,,white" oder kurz ,,w" genannt.

2:



Die nächste Fliege ist ein Doppelmutant (3). Wir sehen sofort das der Genotyp hier erneut ,,white" sein muss. Doch auch der Körper ist deutlich blasser und gelblich. Dieser Phenotyp wird ,,yellow" oder ,,y" genannt. In Kombination also ,,yellow-white", und da wir faul sind kurz ,,yw".

3:


Diese Fliege (4) hier zeigt wieder einen anderen Phenotyp. Wir sehen aber den gelben Körper. Weiterhin sehen wir geschwungene Flügel. Der Flügel Phenotyp wird ,,curly" oder ,,Cy" genannt. Wir sehen das die Augen rot sind, ich behaupte jedoch das wir hier dennoch eine ,,white" Fliege haben.

4:



Wie oben schon genannt sind Drosophilisten schlaue Leute. Irgendwann kam jemand auf die Idee die Zielgene zu mutieren indem man ein anderes Gen einfach mitten in das Zielgen ,,implantiert" und das ursprüngliche somit zerstört. Da man für die Mutagenese immer diese eingefügten Gene in Embryos injizieren muss, und danach dann in tausenden von Fliegen nachschauen musste ob diese das Gen auch aufgenommen hatten, kam jemand auf eine clevere Idee. Warum nimmt man nicht das Gen das rote Augen macht, nutzt dieses zum Zerstören von anderen Genen, injiziert es in Fliegen mit weissen Augen und schaut dann einfach später welche injizierten Fliegen rote Augen haben. Hier kann man dann sicher sein das sich das ,,Zerstörer" Gen eingepflanzt hat und diese Fliegen findet man auch schnell mit einem Mikroskop.

So einen Fall haben wir hier (5). Wir haben eine Fliege mit weissen Augen ,,w", gelbem Körper ,,y", geschwungenen Flügeln ,,Cy" und einem eingesetzten Gen für rote Augen ,,w+". Zusätzlich zu ,,w+" ist an dieses ,,Insert" noch ein fluoreszierendes Protein (GFP) unter der Kontrolle des Aktin Promotors eingefügt. Der volle Genotyp lautete also: y,w; CyO (ActGFP). Mit Kommatas trennt man übrigens Gene auf demselben Chromosom, mit Semikolon trennt man Chromosomen (y,w auf dem ersten, der Rest auf dem zweiten). Zum Beweis hier ein Fluoreszens Bild angeregt mit blauem Laser:

5:



Rein zur Veranschaulichung noch ein paar weiter Bilder. Zunächst ein weiterer Augen Phenotyp (6), diesmal nicht die Farbe, sondern die Form. Das Gen hier wird ,,Bar" genannt und befindet sich auf dem X-Chromosom. Ein Drosophila Männchen hat ein X-und ein Y-Chromsom, es zeigt daher den vollen Phenotyp, Augen in Stäbchen Form. Beim Weibchen links ist nur eins von zwei X-Chromosomen betroffen, die unmutierte Variante ,,rettet" den Phenotyp teilweise. Hier sehen wir ein Auge in Nierenform.

6:



Zur weiteren Veranschaulichung wie weit man es treiben kann eine Fliege mit 6 veränderten Phenotypen (Bild 7): Man sieht ,,w" und ,,Cy" wie schon bekannt. Die Augen sind in Tropfenform auch genannt ,,Droplet" oder ,,Dr". Die Flügel-Enden sind nicht schön rund, sondern Zackig, genannt ,,Serrate" oder ,,Ser". Weiterhin haben wir plötzlich ganz kurze Stoppel-Haare auf dem Rücken und dem Kopf, ,,Stubble" bzw. ,,Sb". Schaut man genau hin sieht man an der Seite über dem zweiten Beinpaar zusätzliche, dunklere Haare, genannt ,,Stenopleural" oder ,,Sp". Das letzte was dem aufmerksamen Betrachter aufällt ist der deutlich kürzere und dickere, tonnenförmige Körper – ,,Tubby" oder ,,Tb". Der gesamte Genotyp also: w;CyO/Sp;Dr/Sb,Ser,Tb. Viele dieser Mutationen sind nicht homozygot lebensfähig, die Chromosomen Paare (bspw. X und X) trennt man mit /.

7:



Wie man an dem letzen Bild (8) noch sehen kann sieht man manche dieser Mutationen schon in Larven bzw. im hier gezeigten Puppen Stadium. Links eine ,,Tb" Puppe, rechts ein Wild-typ. Sollte man in diesen Stadien arbeiten gibt es weitere Marker.

8:



Mit diesem Wissen kann man nun auch erneut das Kreuzungs-Schema betrachten und sieht das man hier Fliegen erhält die entweder heterozygot oder homozygot für das ,,parkin" Gen sind. Zusätzlich sieht man das zusätzlich andere Mutationen oder ,,Tools" in diesem Fliegenstamm eingebracht hat, und diese durch Kreuzungen mit den Fliegen mit Marker durch die Generationen folgen kann indem man die Nachkommen je nach Bedarf anhand dieser Marker auswählt.

Zur Technik:
Mikroskop: Leica M205 FA
Kamera: Leica DFC 7000 T
Ich bin mir sicher dass man mit dem Equipment auch ästhetisch anspruchsvollere Bilder hinbekommt, zum Zeigen der Biologie sind meine jedoch ausreichend. Ich hoffe es war interessant und spannend, und ich freue mich auf etwaige Fragen.


Viele Grüße und ein schönes Wochenende,
Jan

PS: Es dauert etwas 6 Monate bis man einigermassen in die Tiefen der Drosophila Genetik & Kreuzungen vorgedrungen ist. Und jeden Tag wächst das Staunen was hier möglich ist.

anne

Hallo Jan,

ein wunderbarer Beitrag der an vergangene Zeiten und das Thema Vererbungslehre im Bio-LK erinnert.
Vielen Dank für diesen tiefen Einblick.

lg
anne

ruhop

Hallo, Jan.

Sehr informativ und für Altbiologen wie mich auch noch sehr lehrreich. Vielen Dank!!

Schönes Wochenende

Holger

Jürgen H.

Lieber Jan,

ganz herzlichen Dank für Deinen umfangreichen, ebenso interessanten wie außergewöhnlichen Beitrag.

Allerdings versuche ich immer noch vergebens, die Kreuzungsschemata zu Beginn Deines Beitrags in irgendeinen Zusamenhang zu dem nachfolgenden bebilderten Text zu bekommen. Besteht überhaupt ein solcher ZUsammenhang?

Die Fotogeschichte soll offenbar Kombinationen von verschiedenen Mutanten untereinander oder von Mutanten mit Wildtypen dokumentieren? Sie zeigen aber immer nur beispielshaft ein Ergebnis aus einer Kreuzung eines Wildtyps mit einem Mutanten oder von zwei Mutanten, so dass die Bilder nicht zueinander und auch nicht in Beziehung zu dem anfänglichen Kreuzungsschemata in einer Beziehung stehen?

Schöne Grüße

Jürgen


Jan Dunst

Liebe Anne & Holger,

vielen Dank für eure netten Worte.


Lieber Jürgen,

ich denke ich habe mich im Eingang vielleicht etwas missverständlich ausgedrückt. Es besteht kein Zusammenhang des gezeigten Schemas mit den späteren Bildern. Ich wollte mit dem Schema nur einen Eindruck vermitteln wie hieroglyphisch es aussehen kann. Die Bilder zeigen in der Tat nur die verschiedenen Marker.

Viele Grüsse,
Jan