Botanik: Ein invasiver Neophyt: Das Drüsige Springkraut ! *

Begonnen von Schrodt, August 25, 2016, 14:08:12 NACHMITTAGS

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Klaus Henkel

Zitat von: Herbert Dietrich in August 26, 2016, 17:49:11 NACHMITTAGS

Rhizome bildet das Springkraut keine, es ist einjährig.

Herzliche Grüße

Herbert

Lieber Herr Dietrich!
Danke für die Berichtigung. Das war eine dumme Verwachsung meinderseits!

Ebenso herzlich!
KH

Gunther Chmela

Liebe Forumsleser, ich erlaube mir ein paar Anmerkungen zu Impatiens glandulifera.

Falls man sich wundert, wieso eine Pflanzenart, die bereits so lange Zeit bei uns eingebürgert ist, in den vergangenen Jahren "plötzlich" eine derart aggressive Ausbreitungstendenz und Bestandszunahme zeigt - nun, Kalamitäten entwickeln sich praktisch immer logarithmisch (oft sogar überlogarithmisch). Nach langer Zeit der Unauffälligkeit, während der der Bestand kaum merklich zunimmt, nimmt die Kurve der Populationsgröße oft recht schnell einen immer steiler werdenden Verlauf, ohne daß man einen direkten Auslöser für diese Beschleunigung erkennt. Und Impatiens glandulifera ist eine Kalamität!

Zumindest im südlichen Bayern, aber wahrscheinlich auch anderswo, scheint eine wie auch immer geartete Bekämpfung oder Zurückdrängung inzwischen unmöglich. Es gibt kaum einen Waldrand, ein Bachtal, eine Uferböschung, ein unbebautes Gelände, das nicht mehr oder weniger vollständig mit dieser Art überwuchert ist. Das betrifft inzwischen auch die niedrigeren Regionen der Alpentäler. Darunter auch nahezu unzugängliche Gebiete. Auch Naturschutzgebiete sind vielerorts bereits teilweise zugewuchert. So sind oft wertvolle Standorte seltener Pflanzenarten ernsthaft bedroht. Viele Arten können dem Konkurrenzdruck der invasiven Art nicht standhalten.

Betrachtet man einmal die näheren Umstände, so ergeben sich vor allem zwei Gesichtspunkte:

Zum einen ist Impatiens glandulifera eine Pflanzenart mit einer geradezu phänomenalen Toleranzbreite in Bezug auf Bodenbeschaffenheit (Wasser, Nährstoffe, mineralische Zusammensetzung) und Kleinklima. Es werden sonnige, halbschattige und sogar schattige Standorte besiedelt. Nur extrem trockene, sonnige Hanglagen scheinen bisher verschont zu sein (aber die findet man in Südbayern ohnehin nicht). Blühfähigkeit und Samenproduktion sind extrem. Man kann beobachten, daß sogar abgeschnittene oder ausgerissene blühende Pflanzen noch im Vertrocknen Samen ausbilden! Die Samen werden aus den reifen Kapseln mehrere Meter weit ausgeschleudert. An Bachläufen werden sie u.a. auch durch das Wasser weitergetragen.
Praktisch keine indigene (ursprünglich einheimische) Pflanzenart weist eine derartige Konkurrenzfähigkeit auf.

Zum andern das Umfeld, die äußeren Umstände. In unserer industriegerecht ausgeräumten Agrarlandschaft gibt es keine Wiesen mehr, sondern nur noch Grasäcker. Und es gibt Maisfelder! Letztere nehmen inzwischen 30% der Ackerfläche in Bayern ein. Was das mit dem Springkraut zu tun hat? Direkt wohl nicht, aber indirekt umso mehr. Die Wiesenblumen, Acker-"Unkräuter" usw. sind (wären) auf allerletzte Rückzugsgebiete angewiesen - Grabenböschungen, Waldränder, lichte Waldsäume usw. Die beherrscht aber inzwischen der aggressive Neophyt, der allein durch seine Masse und seine Wuchshöhe nichts anderes aufkommen läßt.
Die bunten Wiesen voller Blumen, die ich als Kind nicht anders kannte, gibt es nicht mehr. Nun könnte man sagen, schade, aber was soll's - wir leben auch ohne Blumenwiesen. Schon, aber es gibt auch keine Schmetterlinge mehr; viele der Wiesenpflanzen waren die Futterpflanzen ihrer Raupen, die Blüten Nektarquellen für die Falter. Und es gibt viele andere Insekten nicht mehr (die nur weniger auffallen).
All diese Insekten sind - waren! - Nahrung für viele Singvögel. Weiterdenken ist erlaubt! Der bereits erschreckend schnell fortschreitende Artenschwund hat aber keineswegs nur einen ästhetischen Aspekt! Uns droht ein zunehmender Verlust an genetischem Potential.
Und an all dem ist also das Springkraut schuld? Nein! Das Springkraut ist an gar nichts schuld. Das Springkraut zu bekämpfen - wenn es denn möglich wäre - wäre sicher nicht falsch, doch es wäre nur das Bekämpfen eines Symptoms, dem Symptom einer viel tiefer sitzenden Krankheit. Es dürfte nicht schwer sein, auch hier weiterzudenken.

Gunther Chmela

MikroTux

Hier an der Rems ist mir vor ~4 Jahren erstmals die bunten Ufer durch das Springkraut aufgefallen. Einige Bachläufe waren komplett damit markiert. Ich hatte mit einer aggresiven Ausbreitung gerechnet, nachdem was man über die Pflanze so hört. Die kann ich aber nicht feststellen, ohne explizit Beobachtungen dazu gemacht zu haben. Ich besuche die Stellen jedoch regelmäßig und nach meinem Gefühl eher rückläufig, einige bunte Bezirke ja, die  befürchtete Übernahme sehe ich aber nicht. Wobei ich nicht weiß, ob es von der Stadt bekämpft wird.

cabo

#18
Zitat von: Gunther Chmela in August 26, 2016, 22:00:27 NACHMITTAGS
dem Symptom einer viel tiefer sitzenden Krankheit. Es dürfte nicht schwer sein, auch hier weiterzudenken.

Naja, die Krankheit ist die übermäßige Vermehrung einer Spezies, zu Lasten aller anderen Spezies. Eine interessante Variante eines Phänomens das schon wiederholt auf der Erde aufgetreten ist: Dem sogenannten "Faunenschnitt". Es gibt ja wohl keinen Zweifel daran, dass die Menschheit die nächste Ursache für eben eine solchen sein wird?

Fatalistische Grüße

Christian

rekuwi

Lieber Gunther,

Du sprichts mir aus der Seele. Genauso habe ich die Entwicklung vom Kindesalter bis heute erlebt. Wo sind unsere Blumenwiesen, unsere Insekten/Schmetterlinge geblieben. Dieses Jahr auf Wiesen und in Gärten nur ZWEI Tagpfauenaugen gesehen!!! Die Experten ermittelten einen Rückgang der Insekten, Spinnen u. ä. um 80% in den letzten Jahrzehnten.

Traurige Grüße
Regi

Herbert Dietrich

Liebe Regi,

mir geht es genau so, unsere Wiesen sind nur noch Grasfabriken, die schon gemäht werden, kaum dass die ersten Löwenzahnblüten erscheinen.
Pusteblumen? denkste. Unsere Äcker: Mais, unkrautfrei. Voriges Jahr vereinzelt Randstreifen mit verschiedenen Blumen, heuer habe ich das leider nicht mehr gesehen.
Im Garten steht meine Buddleja (Schmetterlingflieder) in voller Blüte: kaum mal ein Schmetterling zu sehen, voriges Jahr Distelfalter, Tagpfauenaugen, Kleiner Fuchs, Admiral,
Taubenschwänzchen. Bei den Schmetterlingen habe ich beobachtet, dass sich da starke und ganz schwache Jahre abwechseln.

Auch ich bin nicht glücklich über die Invasion des Springkrautes, aber lieber das, als sonst keine Blüten. Die Frühjahrsblüher trotzen bei uns dem Springkraut, dessen Keimlinge erscheinen
erst nach den Spätfrösten.

Herzliche Grüße

Herbert

Schrodt

Hallo Mikrofreunde ( mit dieser Anrede sind natürlich auch die Damen gemeint ! ),

es freut mich, dass über das Drüsige Springkraut eine so rege Diskussion entstanden ist.

Interessant ist für mich, dass am Hemer Bach im vorigen Jahr ein gemischter Bestand von Riesen-Bärenklau und Drüsigem Springkraut
vorhanden war. Die Stadt hat den Riesen-Bärenklau ( auch ein invasiver Neophyt ) so sorgfältig beseitigt, dass in diesem Jahr nur noch eine
Pflanze vorhanden war, dafür hat jetzt das Drüsige Springkraut das gesamte Gebiet erobert.

Zur weiteren Information über die " Naturschutzfachliche Invasivitätsbewertung gebietsfremder Gefäßpflanzen für Deutschland " hänge ich
einen Auszug von Unterlagen des Bundesamtes für Naturschutz an.

Mit herzlichen Mikrogrüßen
Jürgen aus Hemer











Fahrenheit

Lieber Jürgen,

vielen Dank für Deinen ausführlichen Beitrag, zu dem sich eine lebhafte Diskussion entwickelt hat. Ich habe ihn in die Liste Botanik übernommen.

Herzliche Grüße
Jörg
Hier geht's zur Vorstellung: Klick !
Und hier zur Webseite des MKB: Klick !

Arbeitsmikroskop: Leica DMLS
Zum Mitnehmen: Leitz SM
Für draussen: Leitz HM

JoHa

Zitat von: Klaus Henkel in August 26, 2016, 17:24:00 NACHMITTAGS
Daß Indisches Springkraut-Bestände auch im Ammergau vorkommen, ist mir neu. Nördlich des Ammersees, am Rand des Ampermoos kenne ich es auch.


Hallo Klaus!

Genauer in den Mooren um Bad Kohlgrub sowie Richtung Hörnle. Etwas weiter nördlich am Hohenpeißenberg findet man es sogar an schattigen Waldwegen entlang (vermutlich mit Forstfahrzeugen verschleppt)

Viele Grüße
Johannes