Abbildungsqualität Leeuwenhoek-Mikroskop vs. zusammengesetztes Mikroskop (hist.)

Begonnen von Lupus, Oktober 21, 2016, 20:33:19 NACHMITTAGS

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Lupus

Hallo,

es gab hier schon einmal zum Thema Leeuwenhoek-Mikroskop ein paar Threads. In dem Zusammenhang für die historisch Interessierten ein kurzer Beitrag zur optischen Qualität der damaligen Mikroskope:

Im 17. Jh. (bis ins 18. Jh.) gab es parallel zwei Bauformen von Mikroskopen, einteilige mit einer einzigen sehr kurzbrennweitigen Linse und zusammengesetzte mit Okular und Objektiv. Okulare und Objektive waren zu dieser Zeit auch nur einfache Linsen, seit dem Zeitgenossen von Leeuwenhoek, Huygens, gab es dann auch zweilinsige Okulare mit günstigeren Abbildungseigenschaften (Korrektur der sphärischen und chromatischen Aberration). Damals war bereits klar, dass die einteiligen Mikroskope bessere Abbildungseigenschaften hatten, und die erstaunlichen Entdeckungen und Zeichnungen von Leeuwenhoek, der vorzugsweise mit diesen arbeitete, beweisen dies. Die zusammengesetzten Mikroskope waren stattdessen bei den nicht so wissenschaftlich arbeitenden Zeitgenossen, reiche Bürger und Adlige, sehr beliebt, weil sie bequemer zu benutzen waren. Immerhin musste die Linse des einteiligen Mikroskopes wenige Millimeter vor das Auge gehalten werden. Bei der verwendeten, bis zu 300-fachen Vergrößerung, hatte so eine Linse immerhin weniger als 1 mm Brennweite! Der qualitative Unterschied beider Bauformen wird oft mit der schlechten damaligen Linsenqualität begründet, die sich bei mehreren kombinierten Linsen stärker auswirken würde als nur bei einer Linse. Das ist aber nicht schlüssig, da eine kurzbrennweitige Linse viel empfindlicher auf Fertigungsfehler reagiert als langbrennweitige. Wenn man die Abbildungsqualität beider Bauformen (mit idealen Linsen) durchrechnet, sieht man stattdessen, dass die Auflösung des zusammengesetzten Mikroskopes prinzipbedingt deutlich schlechter ist als die Einzellinse.

Ich habe interessehalber das Ganze für eine 200-fache Vergrößerung gerechnet, eine Kugellinse mit 1.25 mm Brennweite im Vergleich zu einem simplen Mikroskop aus 10x Huygens-Okular und Plankonvexlinse mit 10 mm Brennweite und optimaler Orientierung (Planseite zum Objekt). Das wichtigste Element ist die richtige Blende, das haben Leeuwenhoek und seine Zeitgenossen auch schon gewusst, bei optimaler Blende sind Linsenfehler und Beugungsunschärfe gleich groß. In der Grafik wird der Abbildungsfehler eines Objektpunktes verglichen, in drei Abständen von der optischen Achse (je 0° obere, 5° mittlere und 10° untere Reihe).

Bei monochromatischem Licht (linke Hälfte der Grafik) ist die Auflösung naturgemäß etwas besser und zeigt die sphärische Aberration und Koma. Immerhin hat das einfache Mikroskop auf der Achse eine doppelt so große Auflösung durch die mögliche relativ größere Blende und damit höhere NA. Das damals neben Tageslicht verwendete Öllampenlicht hatte kaum einen Blauanteil, und bei Verwendung grüner Glasfilter kam das Licht dem schon sehr nahe.
Bei weißem Licht ist das zusammengesetzte Mikroskop nochmals schlechter wegen der ausgeprägteren chromatischen Aberration (nur noch 1/3 der Auflösung des einfachen Mikroskpes). Bei beiden Mikroskopen muss etwas stärker abgeblendet werden. Der Nachteil der Einzellinse ist die viel stärkere Bildfeldkrümmung, was aber bei visueller Beobachtung von räumlichen Objekten nicht so problematisch ist. In der 4. Bildspalte ist ihre bessere Abbildung auf der gekrümmten Bildfläche zu sehen.



Die "guten" Abbildungseigenschaften von Kugellinsen haben immerhin zu interessanten Anwendungsexperimenten als Smartphone-Mikroskop geführt, dessen Bildqualität in Bildmitte einem einfachen Mikroskop kaum nachsteht.

Hubert

reblaus


Bob

Hallo Hubert, eine sehr interessante Betrachtung hast Du da angestellt. Was mich noch interessieren würde: Wie würde sich im Vergleich eine bi-konvexe Linse schlagen? Leeuwenhoek hat ja auch solche Linsen verwendet.
Es gibt Hinweise darauf, dass Leeuwenhoek auch mit geheim gehaltenen zusammengesetzten Mikroskopen gearbeitet hat. Hast Du eine Idee, welchen konstruktiven Weg er von seinen Einzellinsen ausgehend dorthin eingeschlagen haben könnte?

Viele Grüße,

Bob

Lupus

Hallo Bob,

ich gehe davon aus, dass er die bikonvexen Linsen eher für die schwächer vergrößernden Mikroskope verwendet hat, er produzierte ja eine breite Palette an Mikroskopen. Ich habe meine Zweifel dass man damals bereits Bikonvexlinsen um 1 mm Brennweite geschliffen hat, zusätzlich zum schleifen solcher minimaler Radien kommt noch das immer schwieriger werdende Zentrierproblem. Der Charme von Kugellinsen ist gerade die unkritische Verwendung durch deren Symmetrie. Und so musste er nichts anderes tun als aus hunderten Kugeln die wenigen brauchbaren zu selektieren.  ;)

Eine Kugellinse ist auch nur eine dicke Bikonvexlinse, aber die normale Bikonvexlinse hat etwa 20% schlechtere Auflösung auf der Achse. Das kommt von der ungünstigeren Aufteilung der Brechung auf die beiden Kugelflächen. Die Kugellinse ist sehr nahe am Objekt (ca. 1/3 der Brennweite, was deren größter Nachteil ist), dadurch erfolgt die erste Brechung mit den flacheren Winkeln der achsnahen Linsenfläche und daher einer geringeren sphärischen Aberration. Dafür ist aber die achsfernere Abbildung der Bikonvexlinse besser durch geringere Bildfeldwölbung und geringere Koma. Insgesamt jedenfalls ist sie auf der Achse immer noch deutlich besser als das zusammengesetzte Mikroskop. Und bei schwächer vergrößernden Mikroskopen ist die maximale Auflösung nicht das entscheidende Kriterium.

Bei seinen zweifellos auch verwendeten zusammengesetzten Mikroskopen dürfte es nach meiner Einschätzung keine Besonderheiten gegeben haben. Möglicherweise wollte er durch die Geheimniskrämerei davon ablenken, dass er seine Entdeckungen ganz einfach mit dem optimierten einfachen Mikroskop gemacht hat, da hätte vielleicht ein anderer ihm nacheifern können. Wissenschaftlich übrigens ein unseriöses Verhalten, da lobe ich mir seinen Zeitgenossen Robert Hooke, der sein Wissen geteilt hat. Die nächstbeste einfache Möglichkeit der Verbesserung des zusammengesetzten (nichtachromatischen) Mikroskops wäre die richtige Kombination zweier Plankonvexlinsen als Objektiv. Aber die wurde erst viele Jahre später eingesetzt - soweit bekannt.

Hubert




Lupus

Hallo,

noch eine Ergänzung zum Leistungsvergleich beider Mikroskoptypen:
Dass das einfache Mikroskop sogar bis fast zur Mitte des 19. Jh. eine höhere Auflösung hatte, wird durch einen Bericht des englischen Forschers William Wollaston (Namensgeber des gleichnamigen Polarisationsprismas) über sein darin vorgestelltes zweilinsiges Objektiv für ein einfaches Mikroskop an die Royal Society im Jahr 1828 bestätigt. Er schreibt darin: "With respect to the apparatus for magnifying, notwithstanding the great improvements lately made in the construction of microscopes, by the introduction of achromatic object-glasses, and the manifest superiority they possess over any single microscope, in the greater extent of field they present to view at once, whereby they are admirably adapted to make an entertaining exhibition of known objects, hardly any one of the compound microscopes which I have yet seen, is capable of exhibiting minute bodies with that extreme distinctness which is to be attained by more simple means, and which is absolutely necessary for an original examination of unknown objects. My experience has led me to prefer a lens of a plano-convex form......."

Kurz gesagt, er bestätigt dass die derzeitigen achromatischen Mikroskope bekannte Objekte durch ihr größeres Bildfeld schöner und als Ganzes präsentieren, dass jedoch die Auflösung zur Erforschung neuer Details bei einfachen Mikroskopen besser ist. Es war bekanntlich bis in die Anfangszeit von Zeiss großteils nur durch experimentieren möglich, Objektive zu verbessern. Und kombinierte achromatische Linsen bedeuten noch lange keine Verbesserung der anderen Bildfehler, im Gegenteil. Seine in dem Bericht vorgestellte "Lupe" beruht auf dem Konzept des Huygens-Okulares, mit dem sphärische Aberration und transversaler Farbfehler deutlich korrigiert wird, nur umgekehrt verwendet - siehe Bild. Der Linsenabstand war über ein Gewinde fein einstellbar.



Früher, 1812, beschreibt er im Detail sein sog. "periskopisches Mikroskop", zur Verbesserung des einfachen Mikroskopes, was nichts anderes ist als zwei zu einer Kugel zusammengesetzte sehr kurzbrennweitige Plankonvexlinsen mit zentraler Blende. Also eine Art Leeuwenhoeksche Kugellinse mit optimierter Blendenlage (später langbrennweitig und aus einer Kugel mit umlaufender Nut als Coddington Lupe bekannt geworden).

Folgendes Bild zeigt ähnlich der ersten Grafik einen Vergleich der Abbildung von Kugellinse, Wollastons periskopisches Mikroskop und sein späteres Dublett. Tatsächlich zeigt das neue Dublett bei optimierter Blende nochmals eine Auflösungssteigerung (siehe Steigerung der effektiven NA von 0.18 auf 0.22). Bei dem damals gerne verwendeten engbandigen, gefilterten Lichtspektrum kommt man sogar auf eine mögliche NA von 0.27. Damit wird jedenfalls die Auflösung des Auges bei der jeweils zugehörigen Vergrößerung ausgeschöpft. Rechts wieder die bessere Abbildung auf dem gewölbten Bildfeld. Da ist die Kugellinse mit zentraler Blende geradezu perfekt.



Hubert