Frage an die Schmetterlingsspezialisten

Begonnen von anne, Januar 27, 2017, 08:24:06 VORMITTAG

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anne

Hallo Foristen,

ich hatte in diesem Beitrag
http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=26416.msg198445#msg198445
Die Schuppen von Chapman´s Blue fotografiert.

Kann mit hier jemand über die Funktion der einzelnen Schuppen etwas sagen?
Es geht insbesondere um die kleinen braunen Schuppen, die zwischen den blauen Schuppen sitzen, sowie die längeren braunen Schuppen die man sieht.

Im Voraus vielen Dank!
lg
anne

Jürgen H.

Liebe Anne,

Ohne Schmetterlingsspezialist zu sein....die kleinen Schüppchen, die zwischen den großen Schuppen stecken, dürften Duftschuppen sein? Du hast also ein männliches Tier erwischt.


Schöne Grüße

Jürgen

anne

Lieber Jürgen,
ja es ist ein Männchen!
Von Duftschuppen habe ich auch schon gelesen, danke für den Tip!
Die langen Schuppen haben bestimmt mit dem Flugverhalten zu tun, oder?
lg
Anne

the_playstation

Hallo Anne.

Man muß aufpassen, allem einen Sinn oder eine Bedeutung beimessen zu wollen. Die Natur / Evolution entfernt nicht immer unbedingt alles Unnötige. Gene und Baupläne werden bei einem Nutzen eingeschaltet, oder ausgelassen. Aber ist etwas weder nützlich noch schädlich, ist das quasi egal und bleibt erhalten.

Schuppen können prinzipiell natürlich flugtechnisch oder vom Geräusch oder farblich sinnvoll sein. Auf dem Körper auch temperaturregulierend. Um z.B. vom Geräusch nicht so leicht entdeckt zu werden. Aber auch, um den Duft besser zu verteilen.

Aber ob das wirklich die wesentliche bzw wichtige Funktion ist, ist schwer zu sagen. Da sollte man egal ob als Leie oder auch als Fachmann vorsichtig sein, wenn man etwas entdeckt hat.

Liebe Grüße Jorrit.
Die Realität wird bestimmt durch den Betrachter.

Jürgen H.

Liebe Anne,

In Dettner/Peters Lehrbuch der Entomologie findet sich auf S. 23 ein schönes Bild von Duftschuppen des Bläulings, dass sich mit Deinem Verlinkten Bild ziemlich genau deckt. Du wirst dieses Bild leicht ergooglen können, wenn Du dettner entomologie duftschuppen eingibst. Dort ist auch gezeigt, dass die Gestalt der Duftschuppen sehr variabel ist. Es kommen auch sehr schlanke Duftschuppen vor. Die Autoren schreiben, dass die Strutur der Duftschuppen vermutlich! die Verdunstung fördert.

Die außerordentliche Leichtbauweise von den Schmetterlingsschuppen allgemein, die Dich ( und mich auch) so fasziniert und die in Deinen und Wilfrieds tollen Aufnahmen so schön dargestellt sind, zeigt sich in unterschiedlichsten Gestalten . Hierzu schreiben Dettner/Peters, dass die Schuppen bei den urtümlichen Schmetterlingen eher massive flächige Gebilde gewesen sein sollen. Die spätere Leichtbauweise hat sicher Vorteile für das Tier, und hat sich daher evolutionär ausgebildet, wobei die unterschiedlichsten Formen der Schuppen entstanden sind.

Dabei stellt sich die weitere faszinierende Frage, ob und inwieweit die Gestalt der Schuppen und die hiermit verbundenen unterschiedlichen Färbungen der Wahl des passenden Partners dienen könnten, die es ermöglicht, die eigene Art zu erkennen. Dazu  müsste das Auge des Schmetterlings zunächst natürlich ein entsprechendes Auflösungsvermögen haben. Schau hierzu einmal hier:

https://epub.uni-bayreuth.de/980/1/Diss_Helge_Knuettel_print_high-res.pdf#page71

Im übrigen hat Jorrit selbstverständlich Recht. Nicht jede Mutation ist sinnvoll und dennoch kann das erzeugte neue Merkmal erhalten bleiben.

Schöne Grüße

Jürgen


reblaus

Hallo -

eigentlich hat mir schon Jorrit das Wort aus dem Mund - äh die Feder aus der Hand genommen. Ach, tatsächlich tippe ich ja auf einer Tastatur ...

Als Jungbiologe hatte auch ich begierig in der Nachfolge von DARWIN et al. bei allen Strukturen und Funktionen von Lebewesen nach deren Nutzen für die Evolution gesucht, zumal diese im Gegensatz des Kreationismus im Konfirmandenunterricht standen.
Später erlaubt man sich dann eigene Gedanken wie: Welche Funktion haben die prächtigen Farben mancher Tiefseewesen wo es da unten doch stockdunkel ist? Aber ja! sagt der Theologe: Gott hat dafür anderen Tiefseebewohnern bei der Schöpfung ein Lichtlein mitgegeben und der Biologe sagt: Nein! Das war die Evolution. Und ein anderer Biologe sagt: Aber das Lichtlein dient doch in Wirklichkeit zum .... usw. usw.

In vielen Publikationen konnte man damals lesen oder vom Lehrer hören, dass Fledermäuse die Flugleistungen von Vögeln nicht erreichen könnten, weil sie mit ihrer primitiven Haut zwischen den Fingern, der Säugetierlunge und -muskulatur und den schweren Knochen, gegenüber den gefiederten Freunden mit ihrer Spezialgebläselunge, Superbrustmuskeln und superleichten Röhrenknochen im Nachteil seien.
Eigentlich hätte ich mir in Anbetracht der stundenlang vor meinem Fenster jagenden Gesellen auch schon damals eigene Gedanken machen können, noch bevor uns das Fernsehen mindestens zweimal im Jahr die Schwärme zeigt, die jede Nacht über Hunderte von Meilen aus ihrer Höhle zum Beuteflug aufbrechen.

Aber kommen wir zu den Schmetterlingen.

Die meisten von uns haben gelernt, dass deren Schuppen das Fliegen ermöglichen  - Beweis: Wenn ich dem Kleinen Fuchs die Schuppen abbürste, kann er das nicht mehr (vermutlich könnte das ein Mikroaerodynamker auch rechnerisch belegen).
Ich denke aber, wenn man einem Hornissenschwärmer Schuppen anmontieren würde, könnte der auch nicht mehr fliegen und auch das ließe sich mit Bernoulli belegen!

Man könnte problemlos einen dicken Wälzer mit diesen Problemen füllen, aber als letzte Frage kommt immer irgendwie heraus: Warum finden wir eigentlich etwas "schön"? Nicht nur die prächtigen Schmetterlingsfarben sondern auch die Struktur der Schuppen obwohl wie diese eigentlich erst seit etwa 80 Jahren so genau kennen?

Viele Grüße

Rolf



Lupus

#6
Hallo,

bei solchen Fragestellungen wird leicht Ursache und Wirkung vermengt. Die Schuppen, die sich vielleicht nur zum Erzeugen der Flügelfarbe entwickelt haben und da eventuell einen evolutionären Vorteil entwickelt haben, haben auch eine Wirkung auf die Aerodynamik. Das heißt aber nicht, dass dieser gleichzeitig auftretende Effekt Ziel dieser Entwicklung war sondern er könnte z.B. zufälligerweise auch Nachteile der großen Flügelflächen kompensiert haben.

Wissenschaftler wie der bekannte Bioniker Werner Nachtigall, der viel über die Aerodynamik des Vogelfluges geforscht hat, hat z.B. auch festgestellt dass durch die Mikrostruktur der Strömungswiderstand messbar (ich erinnere mich an eine einstellige Prozentzahl) gesenkt wird. Das würde erkären dass ein Schmetterling ohne Schuppen plötzlich Flugprobleme hat weil sein Flug der Änderung kurzfristig nicht mehr angepasst ist. Das heißt aber wie gesagt nicht, dass die Schuppen sich entwickelt haben um besser fliegen zu können. Sonst hätte vermutlich ein größerer Anteil der Fluginsekten Schuppenflügel.

Hubert

Klaus Herrmann

Mit herzlichen Mikrogrüßen

Klaus


ich ziehe das freundschaftliche "Du" vor! ∞ λ ¼


Vorstellung: hier klicken

Lupus

Ja, tut mir leid, hab mich "vertippt". Der heißt natürlich Nachtigall. Ich habe da mehrere sehr gute Bücher von ihm weil ich mich früher auch mit Aerodynamik beschäftigt habe. Seine Arbeiten sind sehr fundiert und lesenswert.

Hubert

anne

Hallo Foristen,

erst mal ganz herzlichen Dank!
Ich hatte mit einer Antwort in 3 Sätzen gerechnet, habe aus diesen Antworten aber wesentlich mehr gelernt!

Lieber Jürgen,
ja die Frage der kleinen Schuppen ist durch Deinen Literaturverweis geklärt, es sind Duftschuppen!

lg
anne

Jürgen H.

Lieber Hubert,

von einem "Ziel der Entwicklung" oder von einer Entwicklung, "um besser fliegen zu können", wäre wohl eher ein kreationistischer Ansatz, oder? Es müsste ja einer dasein, der dieses Ziel verfolgt.

Wenn wir von diesem Ansatz vorsichtig nicht ausgehen, dann gibt es halt zufällig durch Mutation entstandene Varianten, die nützlich sein können, oder auch nicht. Sind sie nützlich, halten sie einem Evolutionsdruck eher stand.

Auch wenn nicht jede vorgefundene Struktur nützlich sein muss, frage jedenfalls ich mich dennoch  gerne, ob die Struktur einen Nutzen für das Tier haben kann. Die Fragestellung liegt wohl in der Natur des Menschen, die das Geschehen gerne begreifen, erklären möchte.

Zwei Beispiele:

Hier diese hübschen Härchen finde ich am Flügel von Simulium, nämlich an der Unterseite des Flügels nahe der Einlenkung des Flügels. Hübsch sind sie anzusehen, oder?



Eine Funktion der Haare kann ich hingegen nicht erkennen. Ob dies stimmt und ob diese Härchen, z.B. wie Achselhaare dem Tier irgendeinen Vorteil bieten, weiß ich aber nicht. In jedem Fall stellt sich mir aber automatisch die Frage nach eventuellen Vorteilen, einfach weil es uns Menschen zu eigen ist, Strukturen auf eine zwar zufällig entstandene aber doch vorhandene Zweckmäßigkeit zu untersuchen.

Die den tipulidae zugehörigen Mücken weisen auf ihren Flügeladern wie auch den Flügelflächen eine Behaarung mit unechten Haaren auf. Die Haare sind gerichtet, wie ich dies mit Pfeilen auf der Flügeloberfläche angezeigt habe, wobei die Haare selbst im Bild nicht erkennbar sind.



Ich bin nun kein Aerodynamiker. Aber nach dem Augenschein zu urteilen ist, die Gerichtetheit der Haare vermutlich aerodynamisch sinnvoll.

Lieber Rolf,

Zitataber als letzte Frage kommt immer irgendwie heraus: Warum finden wir eigentlich etwas "schön"?

Und dies ist eine wohl kaum zu beantwortende Frage, oder?

Ein Antwortversuch bezüglich der Struktur der Schuppen könnte das Staunen über die von uns Menschen künstlich kaum herzustellenden Feinstrukturen sein. Ich glaube, dass wir gerade komplexe Strukturen gerne sehen, weil sie unsere Sinnesorgane und unser Gehirn anregen. So wie wir uns - normalerweise - gerne bewegen, weil wir dazu unsere Gliedmaßen haben, so nutzen wir auch gerne unsere Sinne, weil wir sie haben und weil deren Nichtnutzung zum Verkümmern unserer Fähigkeiten führen würde. Ein teologischer Ansatz wäre demgegenüber, dass uns unsere Sinne und die Freude an der Wahrnehmung gottgegebene Geschenke sind.  Wie ein Geschenk - ob gottgegeben oder nicht - kann man unsere Sinne in jedem Fall empfinden; mir geht es gerade beim Mikroskopieren, oder z.B. auch beim Musizieren immer wieder so.

Schöne Grüße

Jürgen








Lupus

Hallo Jürgen,

ich gehe davon aus dass die Bemerkung über den kreationistischen Ansatz scherzhaft gemeint war.  :) Wenn nicht: Ich hätte "Ziel der Entwicklung" besser in Anführungszeichen setzen sollen, denn damit war lediglich die Abgrenzung zwischen dem Evolutionsvorteil eines farbigen Flügels gegenüber dem Vorteil besserer Aerodynamik gemeint.

Zu Deinen Haarbeispielen: Ich bin überzeugt dass alle diese Haare einen Nutzen haben und nicht nur ein unnützes Zufallsergebnis darstellen. Gerade bei Insekten ist das ein interessantes Thema, wie man an den zahlreichen schönen Aufnahmen im Fotoforum sieht ist fast kein Körperteil ohne "Haare". So wie manche zur Geschwindigkeitsmessung dienen wie Haare an den Facettenaugen, andere sind Schallsensoren, wieder andere messen die Gelenkstellung oder detektieren Geruchsstoffe. Und die von Dir beschriebenen Haare an den Flügeln könnten meiner Meinung nach eventuell dazu dienen, die Flügelanströmung z.B. für Flugmanöver zu erkennen. Das kann übrigens gleichzeitig für Schmetterlingschuppen gelten, die ja im Prinzip nichts anderes als umgewandelte Haare sind.

Hubert

Jürgen H.

Lieber Hubert,

Natürlich war aus Deinem Beitrag schon klar, dass Du keinen kreationistischem Ansatz das Wort reden wolltest. Aber das wollte doch auch keiner der Diskutanten, denke ich.

Eine neurologische Anbindung der Flügelhaare in meinem beiden Beispielen glaube ich allerdings nicht. Es sind in beiden Fällen unechte Haare, blosse Emergenzen. Ein durch sie erzeugter Luftwiederstand könnte vom Insekt jedenfalls unmittelbar an der Verformung der Haare nicht gemessen werden. Natürlich könnten sie anderweitig, z. B. Aerodynamisch bedeutsam sein.

Schöne Grüße

Jürgen

the_playstation

Wie gesagt. Man sollte da sehr vorsichtig sein. Selbst wenn man eine Übereinstimmung oder einen kausalen Zusammenhang gefunden hat.
Ob nun aerodynamisch, geräuschetechnisch, thermal, ...

Sensorisch und von den Farben her ist eine kausale Zuordnung sicher am ehesten möglich. Um Schall zu detektieren haben Schmetterlinge eine Membran im Brustbereich.
Wikipedia:
ZitatSchmetterlinge sind in der Lage zu hören. Ihre Ohren (Tympanalorgane) befinden sich entweder im hinteren Bereich des Thorax oder am Abdomen in einer von einer dünnen Membran bedeckten Grube. Diese Membran funktioniert ähnlich wie das menschliche Trommelfell. Evolutionär weit entwickelte Nachtfalter, wie beispielsweise Eulenfalter (Noctuidae) oder Bärenspinner (Arctiidae), sind auch im Ultraschallbereich sensibel, da ihre Hauptfeinde, die Fledermäuse, diese Signale zur Ortung nutzen. Wird ein Ortungston empfangen, lassen sich die Falter im Flug fallen, um der Erbeutung zu entgehen. Bärenspinner können sogar Ultraschallgeräusche abgeben. Da viele von ihnen giftig sind, assoziieren Fledermäuse diese Geräusche mit Ungenießbarkeit und lassen von den Faltern ab. 

Schmetterlinge haben nahezu überall Schuppen. Bis auf den Bereich der Augen.
Wespen dagegen kaum / viel weniger Haare, ... Nahezu nackt/kahl im Gegensatz zu Schmetterlingen.

Ein Wal hat Handknochen, ein rudimentäres Becken, .... obwohl Sie im Wasser ziemich unnütz sind. Er wird weder auf Füßen und Armen laufen noch etwas damit greifen.
Die Realität wird bestimmt durch den Betrachter.

VukMob

Leider bin ich kein Experte,aber ich bin mir sicher das du im Web sehr viele wissenswerte Infos zu deinen Fragen finden kannst!
Hasst aber auch hier die ein oder andere Antwort bekommen die dir sicherlich weiter geholfen hat :)
Bin selbst von den Schmetterlingen fasziniert,und ich hab' mir sehr gerne die Antworten hier durchgelesen.
Ich hab' hier gesehen ,genauer gesagt bei hagemann.de ,das mann unter anderem auch Schmetterlings Zuchtsets bestellen kann!
Es währe sicherlich sehr spannend den Schmetterlingen bei der Entwicklung zuzusehen!
Ist zwar eher für die Kinder gedacht,aber ich finde es auch sehr interessant :)

Nebenbei,sind super Fotos geworden :)


LG