Die Schalenamöbe Paulinella chromatophora

Begonnen von Bernd, April 15, 2017, 17:32:42 NACHMITTAGS

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Bernd

Liebes Forum,

Während der ,,Kornrade" hatte ich am letzten Wochenende aus dem großen Teich im Botanischen Garten Darmstadt eine Wasserprobe entnommen. Auf der Oberfläche des Teichs schwammen zahlreiche braune Flocken, die auf ein reichliches Vorkommen von Kieselalgen hindeuteten. Bei der mikroskopischen Untersuchung der Probe wurde diese Vermutung bestätigt. Es fanden sich aber auch viele Exemplare von der Schalenamöbe Paulinella chromatophora.

P. chromatophora ist das einzige Tier, das sich ausschließlich durch Photosynthese ernährt. Die Aufnahme von Nahrung ist nie beobachtet worden. Im Zellinneren liegen zwei von Blaualgen abstammende Chromatophoren, die außerhalb von P. chromatophora nicht lebensfähig sind, weil sie einen signifikanten Teil ihres Genoms an den Zellkern der Amöbe abgegeben haben. Somit entsprechen diese Chromatophoren den Chloroplasten der Pflanzen. Da P. chromatophora ihre Chromatophoren erst vor ca. 100 Mio. Jahren erworben hat, ist diese Amöbe zu einem Modellorganismus der Evolutionsforschung geworden.

Alles Wichtige über die Morphologie von P. chromatophora (Filiopodien, Zellkern, kontraktile Vakuole, Aufbau der Schale aus 5 Reihen sechseckigen Kieselsäure-Platten) findet sich in der äußerst präzisen und weitsichtigen Erstbeschreibung: Lauterborn, R. (1895) Protozoenstudien. II. Paulinella chromatophora nov. gen. nov. spec, ein beschalter Rhizopode des Süßwassers mit blaugrünen chromatophorenartigen Einschlüssen. Zoologischer Anzeiger 59, 537-544, Tafel 30. Die Arbeit ist frei zugänglich: http://www.biodiversitylibrary.org/bibliography/8942#/summary

Einen recht aktuellen Überblick über die Bedeutung von P. chromatophora für die Evolutionsforschung und Endosymbiontentheorie bietet Nowack, E. C. M. (2014) Paulinella chromatophora – rethinking the transition from endosymbiont to organelle. Acta Soc Bot Pol 83(4):387–397. Auch diese Veröffentlichung ist frei zugänglich: https://pbsociety.org.pl/journals/index.php/asbp/article/view/asbp.2014.049/0

Eine Beschreibung von P. chromatophora inklusive einer Kopie der Originalabbildungen von Lauterborn wurden hier im Forum vor einiger Zeit von Holger Adelmann veröffentlicht: https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?PHPSESSID=5anf338lfhdpc93sagsl4932b5&topic=5625.msg38197#msg38197

Bild 1 – 3: P. chromatophora mit den blaugrünen Chromatophoren



Bild 4: Der optischer Querschnitt zeigt den Aufbau der Schale aus 5 Reihen von Platten und die kreisrunden Chromatophoren

Bild 5 & 6: Zellteilung. Man beachte die Zellkerne


Bild 7: Fokus auf die Zelloberfläche. Hier sind die Filopodien und der Aufbau der Schale aus sechseckigen Platten zu sehen.


Viele Grüße
Bernd

Ernst Hippe

Hallo Bernd,
vielen Dank für die ausführliche Vorstellung! Der Fund scheint wirklich etwas Seltenes zu sein - ich hatte in etlichen Jahrzehnten nur einen einzigen, in einem Waldmoorteich. So würde ich mich interessieren, ob andere mehr Glück hatten.
Gruß Ernst Hippe
Vorstellung:Hier klicken

ImperatorRex

Hallo Bernd,
tolle und sehr interessante Doku, vielen Dank. Die Fotos sind Dir auch vortrefflich gelungen!
viele Grüße
Jochen

RainerTeubner

#3
Hallo Bernd,

das ist ein faszinierendes Thema!

Viele Grüße!

Rainer

Nachtrag: Heute (21.04.2017) waren auch noch einige Schalenamöben Paulinella chromatophora in den Auftriebflocken des Teichs im Botansichen Garten der TUD zu finden, neben vielen Diatomeen.
Mikroskop: Carl Zeiss Standard Universal
Bildbearbeitung: Gimp, Helicon focus und picolay
Kamera: Canon EOS 5D II

Winfried Hölz

Hallo Bernd,
phantastische Bilder! Ich hatte nur 1x vor vielen Jahren das Glück, Paulinella live zu sehen, und das nur im dicksten Detritus, daher die eher mittelmäßige Bildqualität.
Gruß  --  Winfried
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