Diatomeenwaage 2.0 von "lupus scientific instruments" Augsburg

Begonnen von Reinhard, Juni 17, 2017, 17:33:19 NACHMITTAGS

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Reinhard

Hallo Freunde,

vielleicht hat der eine oder andere vor einigen Wochen meine Versuche verfolgt, mithilfe der Teile eines Märklinkastens eine Waage zu bauen, mit der Gewichtsmessungen im µg-Bereich ermöglicht werden sollten.

https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=28646.msg213919#msg213919

Mit einiger Geduld habe ich mit ihr Messungen immerhin in mittleren zweistelligen µg-Bereich durchführen können, während Messungen darunter kaum möglich gewesen wären.

Die quantitative Mikro- und Ultramikrochemie wird aber erst dann wirklich "hübsch", wenn Gewichte im einstelligen µg Bereich und darunter darstellbar sind, also wenn auf gut deutsch Diatomeen wägbar werden. ;-)

Umso erfreulicher ist es, wenn ich jetzt qualifizierten Nachwuchs vermelden kann und zwar in Gestalt einer professionell ausgestatteten "micro-balance" , die mir ein Mitglied dieses Forums gebaut und zur Verfügung gestellt hat und die ich Euch nicht vorenthalten möchte.
Sie stammt komplett, wie sie ist, von Hubert (lupus) ! und ich habe bis zuletzt gezittert, daß er sie am Ende doch lieber selbst behalten will.  ;-))

Die Bilder sprechen für sich. Sie wurde in wochenlanger Arbeit entworfen (wobei ich denke, das ein Physiker wie Hubert zunächst alle nur denkbaren Berechnungen zur Waage und zur Biegung der eingesetzten Drähte durchgeführt hat) und dann handwerklich realisiert. Der Behälter besteht aus geeignetem Holz, das mit "Hammerschlaglack" in der Farbe des Hertel&Reuss- Mikroskops lackiert wurde.




Hier sieht man die wesentlichen Strukturen der Waage.
Auch sie beruht auf dem Prinzip, daß sich dünne Glas- oder Metallfäden unter Belastung in einem bestimmten Bereich linear abhängig und berechenbar durchbiegen.
Das Problem ist, die Materialeigenschaften so zu wählen, daß sich der gewünschte Arbeitsbereich optimal in der Durchbiegung "abbildet".
Dazu ist es notwendig, auch Ausschläge im µm (Mikrometer!)- Bereich sichtbar machen zu können.
Aus diesem Grund muß die Messung der Durchbiegung mit einem Mikroskop und einem Messokular (mit möglichst großer Mess-Strecke) erfolgen.



Hier sieht man einen der angefertigten Messfäden vor dem 10er Objektiv des von Hubert montierten Hertel&Reuss- Mikroskops.
Durch das kleine Fenster hinter dem Faden wird der Messbereich "erleuchtet".





Auf diesen Bildern sieht man die Vorrichtung zur Nullstellung und Justierung des Fadens, also etwas wie die "Tara-Taste", und die Beleuchtung.
Im unteren Bild ist die Abdeckung der Waage zu sehen, ohne die eine Messung kaum möglich wäre. (Luftstömung)






Auf diesen Bildern sieht man die "Beschickungsöffnung", durch die die Waagschale in die Ausbiegung des Fadens gehängt wird.
Auch die Waagschalen und deren Aufhängung, an denen ich schon verzweifelt war, wurden in akribischer Arbeit (mit eigens angefertigten Geräten) von Hubert angefertigt ebenso wie eine ganze Serie von Eichgewichten und Wägefäden unterschiedlicher Empfindlichkeiten (Wägebereiche)
siehe Bild




Die Waage, wie auch schon viele andere wundervolle Geräte, die für mich angefertigt wurden, zeigen mir, welches unerschöpfliche Potential in den Mitgliedern dieses Forums liegt.
Vielen Dank an Hubert, der meine mikrochemischen Bestrebungen mit dieser Waage in eine neue Dimension gebracht hat.

viele Grüße
Reinhard
seit wann ist Kunst ein Fehler ?



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reblaus

Hallo -

meine ehrfürchtigsten Glückwünsche an Wolfgang für seine bastlerische Jahrhundertleistung!

Dir, lieber Reinhard, viel Erfolg damit in der Mikrochemie und eine ruhige Hand beim Einhängen der Schälchen und Aufbringen der diatomeeoiden Pröbchen.

Ggf. zur Beruhigung:
Stufe 1: 1 Glas Pils
Stufe 2: 1 Flasche Burgunder
Stufe 3: Valium

Viele Grüße

Rolf

Michael L.

Hallo,

tolle Arbeit, wirklich beindruckend!!! Bitte weitere Berichte über den Einsatz bringen.

Ganz herzliche Grüße,

Michael

Reinhard

#3
Hallo Rolf,

das war Hubert (lupus)
Ich probiers erstmal mit dem Burgunder; wahrscheinlich kannst Du mir doch etwas empfehlen.

Hallo Michael,

ist in Vorbereitung.

viele Grüße
Reinhard
seit wann ist Kunst ein Fehler ?



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Wutsdorff Peter

Hallo Reinhard,
das ist ja eine beeindruckende Konstruktion.
Eine Bemerkung zur Linearität der Durchbiegung des Drahtes:
Wie schon vom Kollegen bemerkt, geht die Durchbiegung mit der vierten Potenz der Dicke und der dritten Potenz der Länge ein . Das aber ist die sog. lineare Balkentheorie. Sie setzt voraus, daß die Durchbiegung in der Größe der Drahtdicke liegt, was hier keinesfalls gegeben ist! Auch das Postulat von "Ebenbleiben der Querschnitte" (Bernoulli´sche Hypothese) vor und nach der Belastung ist bei großer Durchbiegung verletzt.
cf. I. Szabó: Einfuhrung in die Techn.Mechanik, Springer 7. Aufl.
Wenn es aber um kleine Differenzen der Belastung geht, kann in diesem Bereich, und nur in diesem, linearisiert werden.
Dann drängt sich schon eine Kompensationsschaltung auf, bei der elektr./magn. eine Kompensationskraft der Art aufgebracht wird, daß die Auslenkung des Drahtes ohne Diatomeen erreicht wird, ähnlich der Kompensationsschaltung bei Thermoelementen (Halbbrückenschaltung).
Zum Schluß noch eine dumme Frage: Was sagt es Dir, wenn Du weißt, das ein Diatomee (*) xx µg wiegt?

Gruß vom Inschenör Peter

(*) Ich hoffe, daß dies der richtige Singular ist








Reinhard

#5
Hallo Peter,

das mit der Wägung von Diatomeen ist und war natürlich nur ein Spaß!

Es geht in Wirklichkeit um die quantitative Bestimmung von Bestandteilen einer chem. Verbindung oder eines Gemisches,
z.B. wenn man ein Metall (Kation) in einem Mineral durch Ausfällen als unlösliche (charakteristische) Verbindung bestimmen will
und insgesamt für die Untersuchung nur ein winziges Kristallsplitterchen zur Verfügung hat.
Dann wird der Niederschlag gewaschen (z.B. mit 10 µl) und dann im oben gezeigten Aluschälchen (ggf. auch Platinschälchen) getrocknet und gewogen.

Die dabei verwendeten Mengen sind so klein, daß man sie mit bloßem Auge kaum noch sehen kann, deshalb wurde die quantitative Mikrochemie von den Chemikern des
MetLab (Pu-Darstellung 1942) als das "Wägen unsichtbarer Mengen mit unsichtbaren Waagen" bezeichnet, wobei sie mit letzterem den kaum sichtbaren Faden der oben vorgestellten Waage meinten.

https://www.mikrochemie.net/

viele Grüße
Reinhard


seit wann ist Kunst ein Fehler ?



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the_playstation

Hallo Reinhard.

So ein Hertel und Reuss Mikroskop habe ich auch. Beeindruckend, daß so eine "Drahtkonstruktion" so gut arbeitet.
Bei den Probegewichten. Wie verhindert man, daß da am Probegewicht was dranhängt, ...
Bei einem 1kg Gewicht ist ein Staubfusel ja nicht so kritisch. ;)

Liebe Grüße Jorrit.
Die Realität wird bestimmt durch den Betrachter.

reblaus

Hallo Reinhard -

wenn man Dich und Hubert unverwechselbar adressieren möchte ist man bei den aktiven Foristen (noch) in der glücklichen Lage meist ohne weitere Differenzierungen mit dem Vornamen auszukommen.

Deshalb ist es mir unerklärlich, dass ich Hubert mit Wolfgang verwechseln konnte und ich möchte mich hiermit dafür entschuldigen und meine Bewunderung unverdünnt an Hubert weiterleiten.
Zwar war ich selbst in jüngeren Jahren immer nur zu gröberen Konstruktionsarbeiten in der Lage, deshalb kann ich mir umso besser vorstellen, wieviel Adrenalin und ungehörige Worte der Schöpfer des Teils ausstieß, bis es endlich funktioniert hat und er nachts wieder ohne nervige Träume schlafen konnte!

Viele Grüße

Rolf


Lupus

Hallo Inschenör Peter,

ZitatWie schon vom Kollegen bemerkt, geht die Durchbiegung mit der vierten Potenz der Dicke und der dritten Potenz der Länge ein. Das aber ist die sog. lineare Balkentheorie. Sie setzt voraus, daß die Durchbiegung in der Größe der Drahtdicke liegt, was hier keinesfalls gegeben ist!
das Thema ist wesentlich komplizierter. Wie nichtlinear eine Biegefeder in der Praxis ist hängt auch vom Verhältnis Länge/Durchbiegung ab. Im vorgesehenen Messbereich ist so eine Konstruktion ziemlich linear.

Hallo Jorrit,

ZitatBei den Probegewichten. Wie verhindert man, daß da am Probegewicht was dranhängt, ...
Bei einem 1kg Gewicht ist ein Staubfusel ja nicht so kritisch. ;)
indem man sauber arbeitet. Und man sieht den Staub auf z.B. einem 200 µg Draht-Kalibriergewicht mit glatter Oberfläche sehr deutlich.

Hallo Rolf,

bitte keine unverdiente Bewunderung, dieses Messprinzip gehört zu den Grundlagen der Experimentalphysik. Der Vorteil: alles mechanisch, keine Elektronik. Funktioniert sofort. Ist nur ein Draht, der vor ein Mikroskop gehalten wird ;)

Hubert



Peter V.

Hallo,

ich hoffe, ich seid mir gewogen und beantwortet mir meine folgende Frage, die ich hier zu stellen wa(a)ge. Ich werde dazu auch meinen ganzen Charme in die Waagschale werfen.

Ich habe die Diskussionen um die "Diatomeenwaage" leider immer nur quer gelesen. Nun, da ich das fertige Ergebnis sehe, stelle ich mir die Frage, wie Ihr die Waage eicht.

1) Ich sehe ja gerade den imposanten Gewichtssatz und frage mich, womit denn nun genau diese Eichgewichte gewogen wurden?

2) Ihr habt ja die Aufnahmen im gewichtskasten nur nummeriert. Um welche Gewichte handelt es sich? Was ist z.B. in Kasten nur 1 und wieviel wiegt es?

3) Welche Rolle spielt eigentlich bei diesen minimalen Größenordnungen die Temperatur? Spiele da nicht shcon geringste Schwankunegn der Raumtemperatur eine Rolle?

Hezrliche Grüße
Peter

Dieses Post wurde CO2-neutral erstellt und ist vegan. Für 100 Posts lasse ich ein Gänseblümchen in Ecuador pflanzen.

Reinhard

#10
Hallo Peter,

ich will evtl. Antworten des Schöpfers (der Waage  ;) ) nicht vorwegnehmen.
Die Eichgewichte wurden so hergestellt, daß man (im Vertrauen auf Homogenität) längere Stücke Draht (Hubert hat dazu jeweils 1 m genommen) auf der empfindlichsten Waage, derer man habhaft werden kann)auswägt und dann per Längenmessung
unter dem Stereomikro kleine Portionen abteilt. Dann könnte man im Vertrauen auf die Statistik etliche Teilstücke mit der microbalance wägen, den Mittelwert errechnen und das Gewicht als Eichgewicht nehmen, das dem Mittelwert am nächsten kommt.
Hubert hat darüberhinaus auch Gewichtseinheiten ähnlich über die Fläche von Alu-Folie bestimmt.

Die Arbeitsgruppe um Seaborg hat darüberhinaus Gewichte noch unterhalb dieser Ebene dadurch bestimmt, daß man verdünnte definierte Lösungen geeigneter Salze in kleinsten Mengen auf Platinschälchen eingedampft hat und den (unsichtbaren) Rückstand
gewogen hat. So kommt man auch in den Nanogramm- Bereich! (Wahnsinn!)

Die Gewichte im Kasten fangen bei 100 µg an. Wenn hierfür dann der ganze Bereich des Objektmikrometers verwendet wird (und auch die Abschätzung der Zwischenräume noch vorgenommen wird) kommt man ohne weiteres in den einstelligen µg-Bereich.

Die Temperatur spielt in diesem Bereich eine mäßige Rolle, zumal, wenn sich diese über den Zeiraum der jeweiligen Messung nicht ändert. Das System ist ja durch die dichte Plexiglashaube bis auf die "Beschickungsöffnung" geschützt.
Weitaus störender sind natürlich Vibrationen, die alleine durch den vorsichtigen Griff an die Mikrometerschraube ausgelöst werden.
Dieses Problem, das natürlich mit (meinem) zunehmenden Alter nicht wirklich einer Minimierung zustrebt, wird durch einen ebenfalls altersbedingten Vorteil kompensiert: die Möglichkeit, zu warten!  :) 8)

p.s.:Die Leute, die sich im Nanogrammbereich bewegen, haben früher überlegt, die Temperatur des Wägeraumes auf 37°C zu erhöhen, um die zunehmende Erwärmung der Waage durch die Körpertemperatur des Wägenden zu umgehen.
Fiebernde wären dann wahrscheinlich durch eine Türautomatik außen vor geblieben.  ;D

viele Grüße
Reinhard
seit wann ist Kunst ein Fehler ?



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Peter V.

Hallo Reinhard und Hubert,

jedenfalls meine Hochachtung vor diesem ehrgeizigen Projekt. Das sieht man mal, was unser Forum ausmacht: Wir können alles, inklusive Hochdeutsch!

Herzliche Grüße
Peter
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Reinhard

Hallo Peter,

ja, vielen Dank auch   :-\ :'( :-\
dabei hatte ich mir mit dem Hochdeutsch so'ne Mühe gegeben!
;D ;D ;D

Reinhard
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Peter V.

Hallo Reinhard,

wieso traurige und weienende Smilies? Hast Du da etwas mißverstanden?

Herzliche Grüße
Peter
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Lupus

Hallo Peter,

wenn Du den ganzen Charme in die Waagschale wirfst ist die sofort kaputt und Reinhard hat ein echtes Problem  ;)

Nur zur Ergänzung zu den Ausführungen von Reinhard: Dieser "Gewichtssatz" ist eigentlich nur eine Aufbewahrungsbox für diverse Kleinteile wie Miniaturaufhängungen für Probenröhrchen und Waagschalen, die sind sonst durch jeden Windhauch gefährdet. U.a. auch für Gewichte. So imposant ist der Gewichtssatz also nicht.
Beim Thema relativer Genauigkeit muss man bei dieser Art Waage einige Abstriche machen. Moderne elektronische Waagen erreichen Problemlos eine maximale relative Messgenauigkeit von mehreren Zehnerpotenzen (Verhältnis Objektgewicht/Gewichtsauflösung). Das funktioniert u.a. durch elektronische Kompensation diverser Effekte.

Bei dieser Mikrowaage ist die Auflösung aber prinzipbedingt durch die Auflösung von Details im Gesichtsfeld des Okulars beschränkt. Daher ist die Genauigkeitsanforderung an ein Kalibriergewicht auch nicht so groß. Das 100 µg Gewicht ist übrigens aus Blattmetall zum vergolden, weil eine normale Alufolie dann schon etwas klein und ungenau zum zuschneiden wird.

Hubert