Diatomeen im Autoklav „aufschließen“

Begonnen von Carlos, Juli 04, 2017, 10:55:18 VORMITTAG

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Carlos

Hallo Diatomeen-Experten,
Um ,,saubere" Diatomeen-Schalen unzerstört zu erhalten, gibt es eine Vielzahl von erprobten Verfahren, allen gemeinsam ist der Einsatz von aggressiven Chemikalien (Säuren wie Salzsäure, Schwefelsäure, Salpetersäure und Oxydations-/,,Bleich"-Mittel wie H2O2, Kaliumpermanganat, Natriumhypochlorit). Für den ,,Hobby-Mikroskopiker" ist der Umgang mit diesen Chemikalien nicht unproblematisch, zudem sind viele dieser Chemikalien, vor allem in Kleinmengen, für Privatpersonen nur schwer zugänglich. Über die notwendige Labor-Infrastruktur verfügt der Hobby-Mikroskopiker in der Regel nicht, der Zeitbedarf für diese Verfahren ist zudem erheblich.
Ganz verzichten auf aggressive Chemikalien kann man wohl kaum, wenn die ,,Reinigung" der Diatomeen in einem vertretbaren Zeitraum erfolgen soll. Die Entfernung von störenden Carbonaten kann jedoch statt mit Salz- oder verdünnter Schwefelsäure auch mit Essigsäure und Zitronensäure erfolgen. Erheblich beschleunigt wird dies durch Temperaturerhöhung (Probengefäß z.B. Reagenz- oder Zentrifugenglas in einem leicht ,,köchelnden" Wasserbad). Durch diese Behandlung erfolgt nach meiner Erfahrung die nachfolgende Zerstörung der störenden, organischen Stoffe durch H2O2 wesentlich schneller und schonender. Offensichtlich wurden die organischen Stoffe im ersten Schritt ,,gegart". ( Und damit besser auflösbar, oxidierbar und abtrennbar.)
Noch schneller und schonender müssten m.E. diese Reinigungsschritte bei deutlich höherer Temperatur (150° bis 200°C) in einem kleinem ,,Druckreaktor" wie z.B. einem kleinen ,,Labor –Autoklav" oder einer ,,Wurtzschmitt-Bombe" mit wenigen ml Volumen durchführt werden können. (Der Umgang mit solchen ,,Kleinreaktoren" ist trotz des relativ hohen Drucks bei Temperaturen von 150°C bis 200°C und der entstehenden Gase unproblematisch, da ja nur sehr kleine Mengen eingefüllt werden. Ich denke daran, z.B. die verschlossene Wurtzschmitt-Bombe in einer offenen, mit Sand gefüllten Konservendose im Backofen ein bis zwei Stunden zu erhitzen, auf Raumtemperatur abkühlen lassen und mit entsprechendem Werkzeug dann die ,,Bombe" vorsichtig öffnen.)
Es würde mich sehr wundern, wenn Ähnliches nicht bereits durchgeführt worden wäre. Bevor ich mich daran mache, in den alten Bänden des ,,Mikro-Kosmos" danach zu suchen, meine Frage hier im Forum:
Hat jemand Ähnliches mal probiert? Kennt jemand entsprechende Literatur?
Gruß Carlos

Rene

Brrr.
Just keep it a bit longer at lower temperature. You can keep an eye on what happens in a sample...

nichts fuer ungut,
René

JB

Hallo,

Stoffe, die wie H2O2 explosiv Gase freisetzen koennen (hier O2), gehoeren nicht in Autoklaven ect.. Dafuer wurden die nicht konstruiert. Rene hat recht; einfach laenger warten!

Beste Gruesse,

Jon

anne

Hallo Carlos,
das Einzige was ich bisher gelesen/gehört habe ist, dass Aufschlüsse mit den harten Chemikalien in der Mikrowelle die Zeit verkürzen können.
Ansonsten bin ich zwar generell offen für Neues, möchte aber anmerken, dass Generationen von Diatomisten sicherlich schon einiges versucht haben und am Schluss jedoch die Reinigung mit harten Säuren für Diatomeenfrischmaterial der einzige Weg bleibt um die Schalen sauber zu trennen.
Und ansonsten, gilt auch hier der Grundsatz Gut Ding will Weile haben.
Lg
Anne

Bob

Hallo zusammen,

ich hatte Carlos so verstanden, dass er den Schritt mit der Essig- bzw. Zitronensäure im Autoklaven intensivieren möchte.
Besteht hier auch eine Gefahr?

@Carlos:
Ich finde Deine Idee interessant, weniger aggressive Substanzen zu nutzen, und ihre Wirksamkeit zu verstärken. Da ist bestimmt noch einiges möglich. Die gängigen Verfahren wurden ja von Leuten entwickelt, die oft hinsichtlich Ausbildung und Arbeitsumfeld aus einer ähnlichen Ecke kamen. Die Sorgen des Küchen-Diatomisten spielten keine Rolle, wenn beliebige Chemikalien + Labor + Erfahrung vorhanden waren.


Viele Grüße,

Bob 

momotaro

Hallo zusammen,

möglich ist alles, nur ein bisschen googeln:

"Diatom Cleaning by Nitric Acid Digestion with a Microwave Apparatus"
https://diatom.ansp.org/nawqa/pdfs/P-13-42.pdf

unter Druck: 1,4 bis 6,9 bar;

Cycle 1 - 25% power, 20 PSI, 5 min;
Cycle 2 - 80% power, 60 PSI, 5 min;
Cycle 3 - 90% power, 100 PSI, 20 min;

interessant zu lesen, der technische Aufwand ist jedoch beträchtlich.

LG
Momotaro




,,Die Kunst ist lang, das Leben kurz, das Urteil schwierig, die Gelegenheit flüchtig." — Johann Wolfgang von Goethe Wilhelm Meister's Lehrjahre (1786–1830)

JB

Hallo,

Chemikalien fuer den Aufschluss, wie verduennte Salzsaeure, verduenntes H2O2, Kaliumpermanganat oder Natriumhypochlorit (natuerlich nicht alle zusammenmischen  ;) ), lassen sich mit geeigneten Schutzmassnahmen (Schutzbrille, Handschuhe) gut und sicher handhaben.

Wenn man die aber erhitzt und/oder unter Druck setzt, koennen sie richtig gefaehrlich und unbeherschbar werden. Ich wuerde das sein lassen. Einfach Geduld!

P.S.: Funktionieren die Anleitungen mit Natriumhypochlorit (Chlorbleiche aus dem Supermarkt) bei Ihnen nicht? Die sind wirklich einfach nachzuverfolgen.

Beste Gruesse und viel Erfolg,

Jon

Bob

Hallo zusammen,

Forenkollege Sascha hat hier:
http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=729.0

kurz geschrieben, mit was er einen Mikrowellendruckaufschluss von Diatomeen gemacht hat.
Vielleicht kann er das Vorgehen ja noch näher beschreiben. Ich schicke ihm mal eine PN.
Eines ist sicher: Man sollte sehr genau wissen was man tut, wenn man reaktionsfreudige Stoffe in einen Druckbehälter bringt und erwärmt.
Eine küchentaugliche Methode kommt dabei wohl eher nicht heraus. Ich finde es trotzdem interessant, den Gedanken zu verfolgen, und die Möglichkeiten auszuloten.

Viele Grüße,

Bob

anne

#8
Hallo Bob,

in dem Buch Kieselalgen von Kurt Krammer wird betont, dass gerade die Diatomeenkunde von sehr vielen Amateuren vorangetrieben wurde und den Amateuren sehr viel verdankt.
Diese Amateure hatten sicherlich zum großen Teil kein Labor zur Verfügung.
Von allen Diatomeeninteressierten die ich kenne, kann keiner die Reinigung in einem Labor durchführen bzw. hat Zugang.
Ich reinige die Diatomeen in meiner Waschküche, ein sehr bekannter englischer Diatomist in seinem Gartenhaus, ander nutzen die Garage oder den Balkon und reinigen deshalb nur in der warmen Jahreszeit. Nigel Charles hat hunderte von Proben aus Oamaru in seinem Vorgarten gereinigt, Bernard Hartley hatte auch kein Labor zur Verfügung.
ich verstehe, dass Du nach einer ungefährlichen Methode suchst, aber Dein Eindruck, dass alle Diatomisten die Proben in Labors mit den dazugehörigen Einrichtungen reinigen können und konnten trifft nicht zu.

lg
anne

Carlos

Hallo zusammen,
Offensichtlich ist mein Beitrag missverständlich. Ich habe überhaupt nicht die Absicht derartige ,,Druck-Aufschluss-Methoden" durchzuführen. Auf diese Weise ein ,,neues" überlegenes Verfahren zu finden, halte ich für sehr unwahrscheinlich (und kann nur jedem aus vielerlei Gründen davon abraten).
Vielmehr geht es mir darum, zu erfahren, ob derartige Methoden von Anderen durchgeführt wurden und, wenn ja, mit welchem Ziel und mit welchem Ergebnis. Ich dachte dabei vor allem an entsprechende Beiträge in alten Bänden des  ,,Mikrokosmos" (etwa bis 1970). (Etwa ab 1970 hat sich die Haltung gegenüber der Chemie und chemischen Prozessen geändert. Der Zugang zu Chemikalien und der Umgang mit diesen wurde erheblich restriktiver gehandhabt.) Deshalb:
ZitatEs würde mich sehr wundern, wenn Ähnliches nicht bereits durchgeführt worden wäre. Bevor ich mich daran mache, in den alten Bänden des ,,Mikro-Kosmos" danach zu suchen, meine Frage hier im Forum:
Hat jemand Ähnliches mal probiert? Kennt jemand entsprechende Literatur?
hallo Bob
Zitatich hatte Carlos so verstanden, dass er den Schritt mit der Essig- bzw. Zitronensäure im Autoklaven intensivieren möchte.
Das trifft die Sache. Beide Säuren sind in der Lage zwei Aufgaben bei der ,,Reinigung" von Diatomeen-Proben zu erfüllen, die Umwandlung störender, fester Carbonate in gelöste Stoffe und die ,,Lysierung" störender, organischer Stoffe.  Letztere können dann wesentlich leichter sowohl von ,,Enzym-Cocktails"  in lösliche, abtrennbare Produkte umgewandelt wie auch von H2O2 (auch von << 30%ig) oder Kaliumpermanganat (so man es denn hat) zersetzt und damit abgetrennt werden.
Beobachtet habe ich, dass nach der ,,köchelnden Vorbehandlung" der ,,Bruchanteil" bei Behandlung von Diatomeen-Proben mit H2O2 deutlich gegenüber einer Probe ohne Vorbehandlung abnimmt, allerdings nach wie vor signifikant hoch ist (insbesondere bei großen ,,Pleurosigma angulatum" Diatomeen). (Langes ,,Köcheln" mit (neutralem) Wasser, auch ohne Säurezusatz, zeigt diese positive Wirkung auf die nachfolgende Reinigung mit H2O2, sie dauert jedoch deutlich länger.) Weiterhin ist es mir bisher nicht gelungen, die Schalen der Diatomeen hinreichend zu trennen.
Beim ,,leichten Köcheln" unter Normaldruck kann man nur auf 100°C kommen. Bekannt ist, dass die ,,Reaktionsgeschwindigkeit" und die ,,Säure-Aktivität" bei steigender Temperatur erheblich zunehmen. Höhere Temperaturen erreicht man mit flüssigem Wasser allerdings nur unter Druck. Meine Hoffnung war nun, dass diese Vorbehandlung bei höherer Temperatur und damit unter Druck (eventuell mit Zusätzen) bereits durchgeführt wurde und die positive Wirkung auf die Abtrennung störender Bestandteile bekannt und bereits beschrieben ist. Auch könnte dabei die Trennung der Diatomeen in zwei Schalen beobachtet worden sein.
Da ohnehin erprobte, chemische Verfahren seit langem hierfür erfolgreich eingesetzt wurden und die Chemikalien für Jedermann leicht zugänglich waren, fanden vermutlich  derartige Meldungen wenig Beachtung. 
Gruß Carlos

Bob

Hallo Carlos,

laut Wikipedia schafft ein Dampfkochtopf 0,8 Bar Überdruck und 116 °C. Das sollte reichen, um die Tauglichkeit des Prinzips zu überprüfen.
So ein Dampfkochtopf reduziert die Kochzeiten ja ganz erheblich, das könnte man eventuell so auf diese Anwendung übertragen.

Viele Grüße,

Bob

Rene

Laut the rule of thumb: a factor 2 in time with every 10 degrees C.

Top discussion, there is always something new that I learn during these sessions :-)

Rene

jochen53

Hallo,
die "Wurtzschmitt-Bombe" ist aus Nickel und dient ausschließlich zum alkalischen Schmelzaufschluß mit Natriumperoxid zur quantitativen Bestimmung von Halogenen, Schwefel, Phosphor und Silizium. Für saure Aufschlüsse ist sie definitiv nicht geeignet.
Alkalische Schmelzaufschlüsse zerstören natürlich Diatomeen.
In PTFE-Bomben, die sich in einer Schutzhülle befinden, kann man mit Mikrowelle oder einfach nur unter höherer Temperatur (Trockenschrank) einfach mit konz. Salpetersäure (65 %) aufschließen.
Die sog. "Piranha-Säure" (Peroxomonoschwefelsäure, H2SO5) müßte auch drucklos funktionieren, ist aber nur etwas für wirklich Hartgesottene. Zu 1 Vol.-Teil 30% H2O2 werden unter Kühlung 1 - 2 Vol.-Teile konz. H2SO4 (96 - 98 %) zugesetzt. Organische Substanzen werden davon rückstandsfrei oxidiert.
Dieses Mittel ist wirklich sehr gefährlich und ich möchte ehrlich gesagt damit lieber nichts zu tun haben.
Viel Grüße, Jochen (Chemiker).