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Meeresbiologische Ferien

Begonnen von Ole Riemann, August 23, 2017, 13:44:56 NACHMITTAGS

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Ole Riemann

Liebe Mikroskopie-Kolleginnen und -Kollegen,

wie jedes Mal im Sommer war ich auch dieses Jahr für einige Zeit mit Studenten und anschließend mit der Familie an der Nord- und Ostsee und habe Proben aus dem marinen Bereich genommen. Neben der Mikrofauna des Sediments ging es dieses Mal auch um die Lebewelt des Planktons. Ich möchte in der folgenden Zusammenstellung einige Objekte vorstellen – bekannte, aber auch weniger oft gezeigte Motive. Ich kann nur jedem Mikroskopiker empfehlen, in den Ferien am Meer ein Mikroskop dabei zu haben, denn der Reichtum auch des mikroskopischen Lebens im Meer ist jedes Mal aufs Neue beeindruckend. Alle Aufnahmen habe ich am kleinen Zeiss Standard 14 mit der Canon 700D aufgenommen. Manche Fotos sind Einzelbilder aus HD-Videosequenzen, die ich für Demonstrationszwecke aufgenommen habe. Die Bildqualität ist dann herabgesetzt, aber für mein Empfinden immer noch akzeptabel.

Zu Beginn nun einige Planktonorganismen, die ich alle in ufernahen Schöpfproben gefangen habe. In der Ostsee der Hohwachter Bucht war das Plankton dominiert von Dinoflagellaten unterschiedlicher Arten. Die zahlenmäßig und optisch auffälligste Art ist Ceratium spec., vermutlich C. tripos. Die linke Teildarstellung zeigt diese markante Art in einer Planktonprobe, ausgegossen in eine flache Schale, direkt auf den Objekttisch gestellt und mit dem 10fach Objektiv ohne Deckglas aufgenommen. Rechts dann als abgedecktes Präparat bei höherer Vergrößerung. Im lebenden Zustand und auf Videosequenzen konnte ich beide Geißeln – die abgestreckte Schwimmgeißel sowie die in der Querfurche verlaufende Steuergeißel – gut erkennen.



Neben den Dinoflagellaten stellten die Diatomeen die wichtigste Phytoplankton-Gruppe. Hier drei Arten – eine flache Coscinodiscus (oben links, Nordsee-Plankton List/Sylt), eine Kette von Chaetoceros-Zellen mit Schwebefortsätzen (rechts) sowie Ditylum brightwelli (unten links, im Teilungsvorgang), beide aus dem Ostsee-Plankton der Hohwachter Bucht.



Neben den Phytoplanktern bietet das Plankton des Meeres interessante Beobachtungen an Zooplanktern. Von der Mole im Lister Hafen auf Sylt konnten wir zahlreiche Exemplare der Appendicularie Oikopleura dioica fangen. Bei den Appendicularien handelt es sich um planktische Tunicaten (Manteltiere), die zeitlebens die für die Chordaten charakteristische, aber in der Regel nur in der Embryonalentwicklung ausgebildete Chorda dorsalis beibehalten. Die Appendicularien sind Filtrierer und fangen ihre Beute mit einem filigranen Schleimnetz. Anders als bei den Ascidien (Seescheiden), ihren sessilen Verwandten, ist bei den Appendicularien der Kiemendarm als Filtrationsorgan gering ausgebildet. Im Einzelnen lassen sich die folgenden Strukturen zuordnen: Schwanz mit Chorda dorsalis (Chd), Rumpf mit Resten der Filterstruktur (Fi), Statolith (ein kristalliner Körper, der der Orientierung im Schwerefeld der Erde dient, St), Mundöffnung (Mu), Magen-Darm-Trakt (Md) sowie die Gonadenanlage (Go).



Im Meeresplankton findet man in üppiger Fülle Entwicklungsstadien und Larven der unterschiedlichsten Organismengruppen, die im Adultstadium bodenlebend sind. Viele Polychaeten (Borstenwürmer) bilden Schwimmlarven aus, die lange Körperborsten tragen und als Nektochaeta-Larven bezeichnet werden. Die beiden folgenden Bilder (Standbilder aus Videosequenz) zeigen eine Nektochaeta-Larve aus dem Hohwachter Ostsee-Plankton. In auffallender Analogie zu den Sprungstacheln mancher planktischer Gastrotrichen können die Körperborsten bei Störung blitzartig abgewinkelt werden (untere Darstellung) – sicherlich ein wirkungsvoller Fraßschutz.



Vom freien Wasser komme ich nun zum Sediment – angefangen mit einer hübschen Gesellschaft begeißelter, photosynthetischer Algen. Diese waren bei Niedrigwasser auf der Sedimentoberfläche des Sandwatts am Lister Hafen (Sylt) makroskopisch als grün-brauner Film zu erkennen. Unter dem Mikroskop zeigte sich, dass dieser Film praktisch ausschließlich aus Diatomeen (Dia), Dinoflagellaten (Din) und Euglenophyceen (Eug) bestand (Standbilder aus Videosequenz). Als frei bewegliche Flagellaten waren die Algen bei ablaufendem Wasser durch den Porenraum des Sediments an die Oberfläche geschwommen, um auf der sonnenexponierten Sedimentfläche Photosynthese zu betreiben.



Im sauerstoffreichen Grobsand findet man gelegentlich einen Verwandten der bekannten Hydra – nämlich ebenfalls einen Vertreter der Cnidaria (Nesseltiere), die von Adolf Remane in den 1930er Jahren ausführlich beschriebene Halammohydra (linke Teilabbildung). Bei starker Vergrößerung und gequetschtem Gewebe sind die Nesselkapseln (rechte Teilabbildung) gut zu erkennen.



Ebenfalls im Sediment leben die oftmals bizarren macrodasyiden Gastrotrichen. Hier ein Vertreter der Gattung Acanthodasys mit seinen zahlreichen lateralen Haftröhrchen (lHr), der nach der Extraktion auf seiner bewimperten Gleitsohle stetig durch die Petrischale gleitet. Mit der 100fach Ölimmersion und gepresstem Objekt lassen sich unterschiedliche Typen von Schuppen und Nadeln der Kutikula erkennen (untere Teilabbildung).



Dactylopodola spec., vermutlich D. typhle, gehört ebenfalls zu den macrodasyiden Gastrotrichen. Vertreter dieser Gattung tragen am Kopf zwei Augenflecken und haben neben den lateralen Haftröhrchen (lHr) Gruppen von Haftröhrchen am Kopf und Rumpfende (aHr bzw. pHr).



Bei höherer Vergrößerung eines adulten Exemplars zeigen sich Einzelheiten der inneren Organisation (linke Teilabbildung). Bei diesen zwittrigen Organismen reifen Eizellen (Ez) und fadenförmige Spermien (Sp) ungefähr zeitgleich. Im gelb-braun gefärbten Darm erkennt man Reste von gefressenen Diatomeen (Dia), die als wichtigste mikroskopische Primärproduzenten im Nahrungsnetz der Sedimente des Wattenmeers eine Schlüsselstellung einnehmen. Die rechte Teilabbildung zeigt die caudalen Haftröhrchengruppen in höherer Vergrößerung sowie eine markante quergestreifte Muskulatur, eine Seltenheit bei den Gastrotrichen.



Das Sediment ist auch der Lebensraum einer großen Vielfalt unterschiedlicher freilebender Plathelminthen (,,Turbellarien"). Die Bestimmung ist größtenteils schwierig, was insbesondere daran liegt, dass die Literatur sehr zerstreut und teilweise schon Jahrzehnte alt ist. Da mir momentan keine Literatur vorliegt, verzichte ich bei dem folgenden Plathelminthen auf eine nähere Zuordnung. Auffällig ist dieses Tier insbesondere durch den im männlichen Genitaltrakt ausgebildeten Kopulationsapparat, der aus zwei kutikularisierten Hartteilen, einem geraden Speer und einer gebogenen Führungsstruktur, besteht (Teilabbildung im Hellfeld, die kutikularisierte Bildungen häufig besser zeigt als der DIK).



Abschließend zeige ich Details zweier Nematoden-Arten. Trissonchulus benepapillosus zeigt kompakte Zahnbildungen der Mundhöhle und einen stark kutikularisierten Pharynx (linke Darstellung), im weiblichen Genitaltrakt adulter Tiere (rechts) kann man sehr gut die sequentielle Reifung der Eizellen mit Kernen und Nukleoli erkennen.



Monoposthia mirabilis zeigt eine besonders stark ausgeprägt Kutikula, die einer Rüstung gleicht, die aber an den Nahtstellen der einzelnen Ringe flexibel ist und den schlängelnden Bewegungen des Wurmkörpers folgt (links: Kopf mit Kopfborsten und Amphid, rechts Kutikula aus der Körpermitte des Wurmes).



Viele Grüße und Spaß beim Lesen!

Ole



Rene


Herbert Dietrich

Hallo Ole Riemann, 

vielen Dank für den interessanten Beitrag und die wunderschönen Bilder.
Um so einen Urlaub kann man Dich nur beneiden.

Herzliche Grüße
Herbert

KlausB

Hallo Ole,
tolle Dokumentation,
das reizt schon das Mikroskop mal mitzunehmen, allerdings
ist das dann eher, wie du es ja auch schon nanntest, eine meeresbiologische
Studienreise.

Auf jeden Fall - Danke für die tollen Bilder -

Gruß
Klaus
Zeiss Phomi III im Einsatz
Zeiss OPMI als Stereo

Web-Seite:
https://www.freizeit2012undmehr.com/

bernd552

hallo Ole,

wenn diese fantastischen Bilder mit einem Reisemikroskop gemacht wurden, dann möchte ich gar nicht wissen, wie diese mit Deinem stationären Mikroskop aufgenommen aussehen ;).

Einfach nur 1A!

LG
Bernd

anne

Hallo Ole,
das ist so ziemlich das Beste was ich hier seit langem gesehen habe, Hut ab!

lg
anne

Michael Müller

Hallo Ole,
da kann ich mich nur allen Vorrednern anschließen - super!

Wie hast Du die Sandbewohner isoliert?

Viele Grüße,

Michael
Gerne per Du

Ole Riemann

Liebe Kollegen,

vielen Dank für Euer Interesse und die freundlichen Kommentare - schön, wenn die Dokumentation gefällt und vielleicht den einen oder anderen zur eigenen Beobachtung anregt.

@Michael: die Sandlückenbewohner haben wir ganz traditionell mit der Magnesiumchlorid-Methode extrahiert. Dies hatte ich hier schon mal beschrieben: http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=24874.0

@Bernd: beim stationären Axioplan sähe das ganze gar nicht so sehr anders aus. Das kleine Standard ist zwar von den Abmaßen für Reisen ideal, kann aber im Grunde alles, was die aktuelleren, großen Forschungsmikroskope mit Unendlich-Optik leisten. Ich habe über Jahre das kleine Standard nach und nach ausgebaut (DIK, hochaperturige Ölimmersionsobjektive), so dass ich auf Exkursionen bestmöglich dokumentieren kann.

Viele Grüße

Ole

koestlfr

Moin Ole!

Super Bilder und spannende Kurzbeschreibungen ...

Frage: machst du auch einen gezielten Weissabgleich?
Liebe Grüße
Franz

güntherdorn

hallo ole,
kurz und gut beschrieben + super bilder.
danke fürs zeigen. perfekt.
güntherdorn
- gerne per du -
günther dorn
http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=444.0
www.mikroskopie-gruppe-bodensee.de
gildus-d@gmx.de

Päule Heck

Hallo Ole,
ein Feuerwerk an tollen Aufnahmen! Vielen Dank für die informativen und beeindruckenden Fotos. Vor Allem die fantastischen Detailaufnahmen haben mir wieder neue Erkenntnisse vermittelt.
Herzliche Grüße
Päule

Ole Riemann

Moin Moin Franz,

einen gezielten und immer gleich durchgeführten Weißabgleich vernachlässige ich oft. Wenn ich über EOS Utility und das Notebook arbeite, geht der Weißabgleich mit dem Pipettensymbol im Live View Modus ja leicht. Meistens nutze ich jedoch nur den abklappbaren Monitor an der Canon 700D und stelle auf Weißabgleich "AWB" ein. Mal ist ein Blaufilter bei der Aufnahme dabei, mal auch nicht. In PS passe ich den Hintergrund dann noch etwas an, entweder über "Farbbalance" oder "Fotofilter". Ich weiß, dass ich hier nicht besonders stringent vorgehe.

Kann mir eventuell jemand sagen, wie man bei der Canon EOS 700D mit der Funktion "manueller Weißabgleich" bei der Mikrofotografie OHNE Steuerung über den Computer arbeitet? Gibt es eine Möglichkeit, analog zum "Pipettensymbol" bei der Nutzung von EOS-Kameras über das Notebook einen Weißabgleich manuell durchzuführen?

Besten Dank und viele Grüße

Ole

A. Büschlen

Hallo Ole,

danke für deine sehr schöne Doku!
Du fragst nach dem manuellen Weissabgleich (im Handbuch wird er als Custom WB bezeichnet) bei der Canon EOS 700D. Beachte dazu die Anleitung im Handbuch zur Canon EOS 700D unter Custom WB. In meiner Ausgabe auf Seite 137-138.

Für meine Anwendungen vernachlässige ich den Custom WB auch und arbeite mit AWB.

Deine Aufnahmen im Durchlicht / Hellfeld / PH / DIC sind sehr ansprechend ausgeleuchtet. Aus meiner Sicht würde ich da nicht's ändern. Die zusammengesetzten DIC Bilder zeigen einen Schnitt. Ob man den mit einem Custom WB ändern kann ? Dazu habe ich keine Erfahrung.

Gruss Arnold
Schwerpunkt z.Z.:
- Laub- und Lebermoose.
- Ascomyceten als Bryoparasiten.
- Nikon Optiphot I mit HF, DIC.
- Nikon Microphot mit HF, Pol.
- Zeiss Standard Universal mit HF, Ph, Pol.
- Wild M3Z mit Ergotubus.
- Nikon SMZ-U Zoom 1:10 mit ED Plan Apo 1x.

Michael Müller

Hallo Ole,

für PS gibt es ein kostenloses Plugin zum Weißabgleich, das ähnlich wie die "Canon-Pipette" funktioniert: "White Balance" http://www.colormancer.ca/free/download-filters/download.htm.
Ich bevorzuge aber den Weißabgleich in ImageJ, da man hier einen ganzen Bereich als Hintergrund definieren kann und nicht nur ein einzelnes Pixel - ein großer Vorteil bei meinen verrauschten Bildern.

Viele Grüße

Michael
Gerne per Du

koestlfr

#14
Hallo Ole und Arnold!

Aus meiner Erfahrung muss man den Weissabgleich, speziell bei nicht reinem, definiertem Hellfeld, unbedingt mit der Pipette machen - die AWB Einstellungen sind auf "durchschnittliche" Motive optimiert, die es bei der Mikroskopie nicht gibt.

Es ist doch auch so, dass wenn mann den DIC z.B. nicht "hart" einstellt, ist die Farbtemperatur irgendwo ...

Wenn ich das am Display mache, ist das sehr aufwändig, im Lightroom oder im RAW-Converter jedoch nur ein Klick.

Hallo Michael!

Man kann den Messdurchmesser der Pipette bei den Adobe Programmen frei definieren ...
Liebe Grüße
Franz