Embryonalentwicklung beim Bauchhärling Ch. maximus (ergänzt 12.10)

Begonnen von Michael, September 18, 2017, 18:14:19 NACHMITTAGS

Vorheriges Thema - Nächstes Thema

Michael

Hallo, Freunde des Tümpels,

nachdem es mir gelungen war, die Embryonalentwicklung des Bauchhärlings Chaetonotus elegans zu dokumentieren (siehe http://www.mikro-tuemplerforum.at/viewtopic.php?f=46&t=602&sid=d9fc5c1df89cf76129a221ba7d7ad2f2), wollte ich die Ergebnisse bei einer anderen Gastrotrichenart überprüfen. Deshalb erstellte ich mir ein Mikroaquarium mit einigen Tieren der Art Chaetonotus maximus. Leider habe ich die Eiablage und den Schlupf der Tiere jeweils knapp verpasst, aber die Entwicklung des Tieres innerhalb des Eies konnte ich verfolgen. Vielleicht ist das ja auch für Euch von Interesse.

Bereits die reifen, ungelegten Eier bei Ch. maximus zeigen eine ungewöhnlich skulpturierte Eischale:


Bild 1: reifes Ei bei Ch. maximus

Nach der Eiablage erkennt man den Grund für diese ungewöhnliche Form: nach dem Aushärten der Eischale richten sich viele "Säulen" auf der Außenseite des Eis zum Schutz vor Frassfeinden auf. Die Tiere heften die Eier bevorzugt einzeln auf glatten Untergründen ab - netter weise in meinem Fall auf die Unterseite des Deckglases. Auf der Haftseite können sich die "Säulen" nicht voll entfalten und sind deshalb nur auf der anderen Seite erkennbar. Die Eiablage habe ich leider knapp verpasst. Interessant ist, dass die Kernmembran der Eizelle sich kurz nach der Eiablage auflöst und der Kern nicht mehr sichtbar ist. Einige Minuten später kondensiert der Kern wieder an einer anderen Stelle im Ei. Vielleicht kennt jemand den Grund für diese Umstrukturieren des Kerns vor der ersten Teilung?


Bild 2: Ch. maximus nach Eiablage

Erst jetzt beginnt der normale Teilungszyklus: die Kernmembran löst sich vor jeder Teilung auf, die Teilung erfolgt und die Tochterkerne kondensieren erneut. Die weitere Entwicklung entspricht den typischen Lehrbuchdarstellungen. Nach ca. einem Tag sind die Teilungen bereits abgeschlossen und die Ausdifferenzierung des Tieres beginnt. Erste Bewegungen sind zu erkennen. Nach ca. 2,5 Tagen erscheint das Tier voll entwickelt und der Schlupf steht an.


Bild 3: Embryonalentwicklung bei Ch. maximus

Während der Entwicklung haben sich in den Darmzellen des Tieres kleine, doppelbrechende Kristalle gebildet. Diese Kristalle verschwinden bei älteren Tieren wieder. Über die Funktion habe ich in der Literatur keine Angaben gefunden. Ähnlich Kristalle sind aber in Larven von sessilen Rädertieren bekannt und gelten als Energiereserve für die ersten Lebenstage. Es scheint deshalb plausibel, diese Kristalle ebenfalls als "Lunch-Paket" für die ersten - meist mageren - Lebenstage anzusehen.


Bild 4: Doppelbrechende Körper im Darm von Ch. maximus; rechts in POL

Leider habe ich ebenfalls den Schlupf knapp verpasst. Deshalb habe ich keine Informationen darüber, wie das Jungtier die sehr stabile Eischale aufbrechen konnte. Jedenfalls ist ein recht großes Loch erkennbar.


Bild 5: Ch. maximus nach Schlupf

Die Jungtiere bei Gastrotrichen sind in ihrer Gestalt den Alttieren sehr ähnlich. Kopf-, Pharynx-Region und Schwanzgabel sind bereits vollständig entwickelt. Das Wachstum erfolgt ausschließlich in der Darm-Region.


Bild 6: junger Ch. maximus mit doppelbrechenden Körpern im Darm

Auch bei dem geschlüpften Tier sind die doppelbrechenden Kristalle gut zu sehen. Hier erkennt man, dass jeweils ein Reservekörperchen in jeder Darmzelle vorhanden ist.

Ich hoffe, dieser Einblick in die Entwicklung von Gastrotrichen war für Euch von Interesse.

Viele Grüße

Michael
Gerne per Du

plaenerdd

Hallo Michael,
sehr schöne Doku! Wie darf man sich das Mikroaquarium vorstellen?
LG Gerd
Fossilien, Gesteine und Tümpeln mit
Durchlicht: Olympus VANOX mit DIC, Ph, DF und BF; etliche Zeiss-Jena-Geräte,
Auflicht: CZJ "VERTIVAL", Stemi: MBS-10, CZJ SMXX;
Inverses: Willovert mit Ph

Bernhard Lebeda

Hallo Michael

ich bin ein großer Fan Deiner Dokus!

Wieder sehr spannend. Bemerkenswert finde ich das Größenverhältnis adultes Tier/Ei , die Dinger sind ja enorm. So als wenn Hühner Straußeneier legten.  :D

Bitter weiter so!

Viele Mikrogrüße

Bernhard
Ich bevorzuge das "DU"

Vorstellung


Manfred Melcher

Hallo Michael,

eine sehr lehrreiche Doku. Vielen Dank dafür!

Liebe Grüße
Manfred

sushidelic

Hallo Michael

ein wirklich "gehaltvoller" Beitrag mit tollen Fotos - auch mich würde der Aufbau des "Mikroaquariums" sehr interessieren. Wie lange hat denn die gesamte Beobachtung gedauert?

LG Namenskollege Michael

wejo

Hallo Michael,
interessante und tolle Fotos! Auch mich würde die Antwort auf die Frage nach Zeit und Deiner Geduld dafür interessieren. Danke für das Zeigen der Bilder!
Gruß, Werner

Fahrenheit

lieber Michael,

danke für die spannende Doku! Die Bauchhärlinge sind immer interessant zu beobachten, aber um so etwas zu verfolgen, muss man schon vorbereitungen treffen. Daher würde mich Dein Mikroaquarium auch interessieren.
Dass Du die Ablage und den Schlupf verpasst hast, tut Deinem interessanten Beitrag keinen Abbruch.

Herzliche Grüße
Jörg
Hier geht's zur Vorstellung: Klick !
Und hier zur Webseite des MKB: Klick !

Arbeitsmikroskop: Leica DMLS
Zum Mitnehmen: Leitz SM
Für draussen: Leitz HM

Michael

Hallo,

vielen Dank für die positiven Rückmeldungen - mit soviel Interesse hätte ich bei diesem etwas abseitigen Thema nicht gerechnet. Das motiviert!

Bei den von mir verwendeten "Mikroaquarien" handelt es sich um Hohlschliff-Objektträger, bei denen das Deckglas mit einem Vaselinerand luftdicht abgeschlossen wird. Dazu wird etwas Vaseline auf dem Handballen verstrichen und mit den Deckglasrändern jeweils ein schmaler Steg Vaseline abgestreift. Nach Festdrücken des Deckglases ist - wenn alles geklappt hat - das Präparat luftdicht abgeschlossen und trocknet nicht aus.
Ich verwende einen Hohlschliff-OT, da hier ein größerer Wasserpuffer und meist zentral eine große Luftblase im Präparat vorhanden ist. Das stabilisiert die Verhältnisse über eine längere Zeit. Wie lange das Präparat (bei unvermeidlichen Artverschiebungen) intakt bleibt, hängt vom Sauerstoffbedarf der Zielobjekte ab. Am längsten halten Detritus-Proben, da die darin enthaltenen Organismen meist mit wenig Sauerstoff auskommen. Solche Präparate habe ich schon über einen Zeitraum von 4 Wochen beobachtet.
Empfindlichere Arten wie der obige Ch. maximus können über etwa 1-2 Wochen beobachtet werden. Die gezeigten Aufnahmen stammen aus einem Zeitraum von etwa 3 Tagen, in denen ich versucht habe - zumindest tagsüber - regelmäßig (d. h. alle paar Stunden - am Anfang öfter) Fotos zu machen.

@Bernhard:
Gastrotrichen sind die Tiere mit den relativ größten Eiern. Noch beeindruckender ist das Größenverhältnis bei den kleineren Arten:



Viele Grüße

Michael

Gerne per Du

Ole Riemann

Hallo Michael,

spitze - leider komme ich im Moment kaum zu eigenen Beobachtungen, daher freut mich deine Dokumentation umso mehr.

Viele Grüße

Ole

Jürgen H.

Michael, es ist eine Freude, Deine Dokumentation zu lesen und Deine tollen Bilder anzusehen. Vielen Dank für das Einstellen  Deiner Arbeit.

ZitatInteressant ist, dass die Kernmembran der Eizelle sich kurz nach der Eiablage auflöst und der Kern nicht mehr sichtbar ist. Einige Minuten später kondensiert der Kern wieder an einer anderen Stelle im Ei.

Könnte es vielleicht sein, dass Du die Auflösung eines Pronucleus und die Bildung eines Nucleus beobachtet hast?

Schöne Grüße

Jürgen

Michael

Hallo Jürgen,

vielen Dank für Deine nette Antwort.

Ich glaube auch, dass bei der obigen Eientwicklung die Auflösung des weiblichen Pronucleus und die anschließende Bildung des Nucleus der Zygote beobachtet wurde. Bei dem beobachtetem Tier handelt es sich um einen Gastrotrichen in der parthenogenetischen Phase - das Ei ist also unbefruchtet und es ist deshalb nur ein weiblicher Pronucleus zu erwarten.
Vor einiger Zeit habe ich die erfolgreiche Eiablage bei einem Tier in der post-parthenogenetiscehn Phase - als in der Zwitter-Phase - dokumentieren können (http://www.mikro-tuemplerforum.at/viewtopic.php?f=46&t=587). Man glaubt, dass in dieser Phase befruchtete Eier abgelegt werden, obwohl vorher meines Wissens noch nie eine erfolgreiche Eientwicklung in dieser Phase beobachtet wurde.



Befruchtetes Ei bei Ch. elegans?

Hier ist nun - im Gegensatz zum unbefruchteten Ei -  ein zweiter Kernkörper, möglicherweise der männliche Pronucleus, zu erkennen. In der weiteren Entwicklung "lösen" sich beide Kerne auf (sie dekondensieren). Die anschließende Kondensation habe ich leider versäumt zu beobachten, aber das Tier entwickelte sich in den nächsten Tagen normal und schlüpfte schließlich.
Soweit ich weiß, ist noch niemals die Befruchtung eines Eis bei Gastrotrichen direkt beobachtet worden. Deshalb bin ich etwas vorsichtig mit der Behauptung, dass meine Fotos eine Befruchtung dokumentieren. Ich würde mich deshalb über eine Widerlegung meiner Gedankengänge genauso freuen (na ja - fast) wie über eine Bestätigung.

Neugierige Grüße

Michael
Gerne per Du

Michael

Hallo in die Runde,

in einem neuen Präparat konnte ich die Eiablage bei Ch. maximus doch noch beobachten. Da der Bericht darüber thematisch zum obigen Thema gehört, füge ich ihn als Ergänzung des Hauptbeitrags hier hinzu.


Bild 1: trächtiger Chaetonotus maximus

Als ich ein hoch trächtiges Tier der Art Ch. maximus in einem meiner Mikroaquarien entdeckte, beschloss ich, es etwas länger zu beobachten. Nachdem ich es etwa 30 min unter dem Mikroskop verfolgt hatte, begann sich das Tier intensiv für eine Stelle im Präparat zu interessieren. Dabei handelte es sich um eine Stelle, bei der eine sich zersetzende Pflanzenfaser bis fast an das Deckglas reichte, so dass nur ein kleiner Spalt bis zum Deckglas verblieb. Nach einigen Minuten sorgfältiger Untersuchung wurde die Stelle als ideal für die Eiablage beurteilt und das Tier heftete zielgenau das Ei an der Stelle an das Deckglas, an der die Pflanzenfaser die Beobachtung erschwerte. Deshalb sind die folgenden Fotos leider nicht sonderlich gut geworden.


Bild 2: Eiablage und Entwicklung der Eischalen-Ornamentierung bei Ch. maximus

Zur Eiablage krümmt das Tier den Rücken, so dass die Rückenhaut aufreißt und das Ei entlassen werden kann. Anders als bei anderen Gastrotrichen-Arten ist die Eischale bereits im Tier ausgehärtet und das Ei kann sich bei der Ablage nicht mehr verformen. Deshalb ist ein großer Hautriss in Eigröße notwendig.
Bereits während das Ei die Mutter verlässt, beginnen die "Säulen" der Eischalen-Ornamentierung aufzuquellen. Bereits 20 s nach der Eiablage sind diese voll entfaltet und verkeilen das Ei zusätzlich in dem zur Eiablage ausgewählten Spalt. Alle Gastrotricheneier die ich bisher untersuchen konnte, bestehen aus zwei dünnen Lagen, zwischen denen eine säulenartig strukturierte Füllschicht zur Stabilisierung vorhanden ist. Im Falle von Ch. maximus scheint die äußere Eischale in Einzelschollen "zerbrochen" zu sein. Durch den Wasserkontakt bei der Eiablge scheinen die Säulen der Füllschicht aufzuquellen und die "Schollen" der äußeren Eischale nach außen zu schieben.


Bild 3: Ch. maximus nach Eiablage

Trotz der relativ großen Wunde, die das Muttertier bei der Eiablage davongetragen hat, überlebt der Gastrotrich die Prozedur relativ unbeeindruckt. Lediglich die etwas derangierten Form und Schuppenkleid zeugen von der überstandenen Tortur.


Bild 4: Ch. maximus, frühe Eientwicklung; Zeitangaben in Stunden:Minuten nach Eiablage

Bereits ca. eine Minute nach der Ablage hat sich das Ei vollständig abgerundet und der Kern des Eies ist gut zu beobachten. Wie bei Keimzellen üblich, besitzt dieser Kern lediglich einen einfachen Chromosomensatz (haploider Pronucleus). Die Eizellen bei Gastrotrichen entstehen bereits im Ei durch maiotische Zellteilungen und reifen im geschlüpften Tier nur noch aus. Da das Ei unbefruchtet ist (das Muttertier war noch in seiner parthenogenetischen Phase), ist es zur weiteren Entwicklung notwendig den Chromosomensatz zu vervollständigen. Ein im Tierreich weit verbreiteter Weg, dieses Problem zu beheben, ist die sog. Automixis. Hierbei erfolgt eine Reduktionsteilung der Maiose, wobei die entstehenden Tochterkerne nicht auf Tochterzellen verteilt werden sondern sofort wieder zu einem - jetzt diploiden - Kern verschmelzen. Dies glaube ich hier beobachtet zu haben: ca. 20 min nach der Eiablage wird die Kernmembran aufgelöst und der Kern verschwindet optisch. Dies ist der Moment, in dem die Reduktionteilung stattfindet und das dabei entstehende Kernmaterial wieder zu einem Kern verschmilzt. Einige Minuten später kondensiert das Kernmaterial erneut, ohne das eine Zellteilung stattgefunden hat. Der jetzt entstandenen Kern besitzt nun den vollständigen, doppelten Chromosomensatz (ist also diploid) und das Ei kann sich nun durch Mitose zum vollständigen Tier entwickeln.
Etwa 40 min nach Ablage verschwindet dann auch die Kernmembran erneut und die "normale" Zellteilung wird eingeleitet. Bereits während der Abschnürung der Tochterzelle beginnen die Kerne bereits zu kondensieren und die erste Zellteilung ist nach ca. einer Stunde vollständig abgeschlossen. Die folgenden Zellteilungen (Dekondensation der Kerne, Teilung, Kondenstation der neuen Kerne) erfolgt dann im Abstand von ca. einer halben Stunde.

Ich hoffe, Euch ein wenig von meiner Begeisterung für dies winzigen Tiere von der Größe eines Einzellers vermittelt zu haben, die es in ihrer Transparenz erlauben,  das ineinander Greifen des Räderwerks der Natur zu verfolgen.

Viele Grüße

Michael





Gerne per Du

plaenerdd

Fossilien, Gesteine und Tümpeln mit
Durchlicht: Olympus VANOX mit DIC, Ph, DF und BF; etliche Zeiss-Jena-Geräte,
Auflicht: CZJ "VERTIVAL", Stemi: MBS-10, CZJ SMXX;
Inverses: Willovert mit Ph

ruhop

Hallo, Michael.

Eine grandiose Dokumentation! Du solltest daraus eine Veröffentlichung machen, z. B. in "Mikroskopie" oder anderen. Es wäre schade, wenn Deine Beobachtungen im Internet verschwinden.

Denk mal drüber nach.

Holger