Reisemikroskop STANDARD Junior

Begonnen von TPL, Februar 19, 2018, 16:08:46 NACHMITTAGS

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TPL

Liebe Junior-Freunde und -Freundinnen,

das STANDARD-Programm von Zeiss-Winkel und später von Carl Zeiss (West) war vielfältig. Besonders in den frühen Jahren, ab Mitte der 1950er, gab es Bauformen, die vom einäugigen Trichinenmikroskop über schlichte Kursgeräte bis hin zum ausgereiften, binokularen Polarisationsmikroskop reichten. Unter diesen Bauformen sind die Reisemikroskope (es gab davon mindestens vier verschiedene Typen!) eher selten.

Hier möchte ich Euch eines vorstellen, das kürzlich in meinen "Gnadenhof optisch-mechanischer Präzisionsgeräte" eingezogen ist:

Der runde Tisch, der schmale Fuß und der kleine Holzkasten weckten meinen Jagdinstinkt. Trotz eindeutiger Beschriftung auf dem verschließbaren Holzbehälter mit Ledertrageriemen hatten die Anbieter einen eher unscheinbaren Titel für ihre Annonce gewählt – ich war nicht böse drum, denn mit dem richtigen Stichwort hätte ich mich wohl nicht allein auf die Jagd gemacht.

Der erste Eindruck meiner Beute: ein wenig verwahrlost, aber mit ein bisschen Pflege vielleicht schon bald ein Schmuckstück:


Wie man auf meinen etwas nervös geschossenen Bildern nach dem Auspacken erkennt, ist es ein besonders frühes Modell mit Zeiss-Winkel-Gravur. Außerdem hat es einen Polarisationsdrehtisch mit gravierten Winkelteilungen und einen Nonius. Zu einem "richtigen" Pol-Mikroskop fehlen zwar der spannungsfreie Kondensor mit einschwenkbarem Polarisator, ein Pol-Tubus und Pol-Objektive, aber da wollte ich nicht kleinlich sein. Das lässt sich ja auch nachrüsten.

Allerdings waren insbesondere der Holzbehälter und der Lederriemen in einem unschönen Zustand:


Da sich trotz sanfter Reinigung zwar der Lack löste, aber die hässlichen Klebebandreste blieben und auch der Lederriemen nicht mehr zu retten war, entschloss ich mich zu einer gründlichen – und grundsätzlichen – Aufarbeitung. Davon im nächsten Beitrag...

Freundliche Juniorengrüße,
Thomas

TPL

#1
Intermezzo: Grundlegende Aufarbeitung fast schon historischer Instrumente – darf man das?

Diese Frage ist hier bei der Restaurierung, Reparatur, Über- oder Aufarbeitung schon einige Male aufgetaucht: wie weit darf man gehen, um die Spuren der jüngsten Verwahrlosung zu beheben, aber doch ein Instrument seiner Zeit zu bewahren? Ist es statthaft, dabei nicht nur die typischen Spuren der bestimmungsgemäßen Nutzung auszulöschen, sondern – schlimmer – sogar die charakteristischen Merkmale seiner Fertigung einzuebnen?

Das waren Fragen, mit denen ich mich in den Stunden des sorgfältigen Zerlegens, des mehrmaligen Abschleifens mit immer feinerem Schleifpapier, der WD-40-Behandlung und des Putzens der Metallteile beschäftigt habe. Und obwohl wir bisher nur vom Holzbehälter sprechen, habe ich mir die Entscheidung nicht leicht gemacht: Aufarbeiten – ja, aber es werden keine tiefen Scharten ausgeschliffen oder Kanten abgerundet, die Holzfarbe wird erhalten und alle Schrauben und Beschläge kommen wieder an ihren Platz. In dieser beinahe meditativen Beschäftigung mit einem schöden Holzkasten habe ich deshalb erstmal ein Legepräparat gemacht:


Es ist unglaublich, mit welchem enormen Aufwand selbst dieser Behälter hergestellt wurde. Möchte jemand einen Tipp abgeben, aus wievielen Einzelteilen der besteht? Ich meine alle Einzelteile, einschließlich der Filzbeläge, der Nieten im Riemen und des aus mindestens 12 Teilen vernieteten Schlosses? Ein Wunder, dass dieses Kästchen 1959 für gerade einmal 60,– DM angeboten wurde – und damals gab es noch keine Mehrwertsteuer!

Also: durfte ich das? Und darf ich das Mikroskop wieder zu einem Pol-Mikroskop ausbauen und dabei das wilde Durcheinander der mitgelieferten Objektive und Okulare anderweitig nutzen?

Fragende Grüße,
Thomas


TPL

#2
Aufarbeitung – Arbeiten am Holz

Wie geschrieben, habe ich alle Metallteile entfernt, die bei einer gründlichen Aufarbeitung des Holzbehälters stören könnten oder dabei zu Schaden kämen (s. Legepräparat). Den zweiteiligen Holz-Korpus habe ich zunächst an den Scharnieren zusammen gelassen und zweimal mit 80er-Papier vorbehandelt (zwischendurch feucht abgewischt und erneut geschliffen), um beide Seiten möglichst gleichmäßig zu schleifen und später keine Überstände an der "Naht" zu haben. Danach das gleiche mit 120er und 240-Papier aber ohne das Scharnier (kleiner Tipp für die Bauteile-Schätzung: jedes Scharnier besteht aus 9 Teilen ;)).

Danach habe ich mit stark verdünnter Möbel-Lasur grundiert und nach Trocknung erneut mit 240er-Körnung geschliffen:


Das sieht noch ein bisschen scheckig aus, aber nach dem eigentlichen Lasur-Anstrich ähnelte es der früheren Farbe:


Inzwischen ist auch die Lasur noch einmal leicht nachgeschliffen, die Oberfläche intensiv vom Schleifstaub gereinigt und ein letztes Mal gestrichen. Bilder gibt's aber erst später...

Viele Grüße,
Thomas

Bob

Hallo Thomas,

vielen Dank fürs Zeigen Deiner Restauration! Das ist wirklich ein schönes Stück und es sagt einiges über die Zeit aus der es stammt.
Mit dem Restaurieren ist das ja immer so eine Sache, die Kriterien sind vielfältig, und auch die Standpunkte sind sehr verschieden, aus denen man so eine Antiquität betrachten kann. Für meinen persönlichen Geschmack machst Du das genau richtig: Du nimmst den hohen Qualitätsanspruch der ursprünglichen Erbauer auf und sorgst durch Deine Restaurierung dafür, dass das Erleben dieser Qualitätsarbeit auch zukünftigen Generationen möglich sein wird. Man darf sich da ja auch nichts vormachen: Solche Gerätschaften in ungepflegtem, überholungsbedürftigem Zustand werden oft schlecht gelagert auch dadurch nicht besser. Und irgendwann ist mal wieder Sperrmüllabholung... Dann lieber Beizeiten die echten Sahnestücke aufarbeiten, und ihr langfristiges Überleben sichern.

Die aufwändige Kiste sagt viel über die Zeit aus. Heute wäre die Tischlerei ein eigenes Profitcenter und mangels profit zugemacht. Damals, vor Einführung von MS Excel und Controlling, wurden Kosten und Einnahmen sicherlich noch nicht so detailliert betrachtet und man war zufrieden, wenn man pro abgesetztem Mikroskop seinen Gewinn hatte. Ich habe mal nachgesehen: Das durchschnittliche Haushaltsbruttoeinkommen lag bei ca. 800 DM. Da waren 60DM schon Geld.

Zeige unbedingt, wie es weitergeht!

Viele Grüße,

Bob

Dünnschliffbohrer

Hallo Thomas,
das Mik. selbst sieht ja schön aus! Aber wie kommt ein Polarisationsdrehtisch an ein biologisches Kursmikroskop? Ist es am Ende etwa gar nicht in Göttingen, sondern in Wolpertingen hergestellt worden?
"Und Gott sprach: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei; und er schuf um ihn Laubmoose und Lebermoose und Flechten und ein Mikroskop!"
[aus: Kleeberg, Bernhard (2005): Theophysis, Ernst Haeckels Philosophie des Naturganzen,  S. 90]

TPL

Hallo Dsb.,

weit gefehlt: Zeiss-Winkel lieferte auch die Junior-Polarisationsmikroskope mit einem Reisemikroskop-Fuß aus. Und das – laut Katalog – in mindestens zwei Versionen, nämlich entweder mit einfacher Bewegung ("Kombinationstrieb") KR 21-530 oder mit Grob- und Feinbewegung KFR 32-530. Da der Pol-Tisch noch perfekt zentriert ist, glaube ich, das daran nicht 'rumgefrickelt wurde, sondern eher, dass die leichter lösbaren Pol-Zubehöre anderweitig verwendet wurden.

Viele Grüße,
Thomas

TPL

Hallo Bob,

vielen Dank, die Lackiererei ist erstmal geschafft. Jetzt gebe ich dem Lack ein-zwei Tage, bevor ich die Beschläge wieder montiere und schaue, womit es weitergeht. Deine Gedanken darüber, ob eine Tischlerei so etwas heute noch produzieren und verkaufen könnte, gingen mir auch durch den Kopf.

Noch hat ja niemand einen Tipp abgegeben, aus wievielen Teilen der Behälter besteht, aber ich bin mir sicher, dass er bei der schieren Zahl und den vielen, kaum mechanisierbaren (geschweige denn automatisierbaren) Arbeitsgängen heute kaum unter 300 € zu kaufen wäre.

Viele Grüße,
Thomas

Bob

Hallo Thomas,

auf das heutige Haushalts-Bruttoeinkommen bezogen wären die 300€ wieder ziemlich genau das selbe wie damals. Nur damals sagte man eher: "Das muss, das braucht man für die praktische Arbeit", während es heute weggelassen wird, und sich der teuer bezahlte Anwender dann etwas selbst schnitzen darf.

Es gibt auch heute noch Bedarf für solche Transportbehälter, und auch gelegentlich Firmen, die sowas herstellen. Ich hatte mal mit Firma "don't panic" zu tun, die "cases" für Musiker-Equipment bauen. Da ist man viel auf Reisen und hat auch teures Gerät.

Viele Grüße,

Bob

Klaus Henkel

Zitat von: TPL in Februar 19, 2018, 19:14:18 NACHMITTAGS
Zeiss-Winkel lieferte auch die Junior-Polarisationsmikroskope mit einem Reisemikroskop-Fuß aus.

Thomas

Richtig. Das war kein Kurs-, sondern Exlkursionsmikriskop für die wiss. Feldforschung.

KH

Hugo Halfmann

#9
Hallo Thomas,

ich tippe mal: Es sind über 110 Einzelteile, inkl. Schrauben.

Der Kasten des CZJ LrO Reisemikroskops zählt 56 einzelne Holzteile plus Schrauben und Beschläge. Da hatte ich 2016 das Vergnügen, den Koffer wegen feuchter Lagerung komplett zu zerlegen, schleifen, lackieren, neu verleimen. Hat mir sehr viel Freude bereitet; die nächste Station dieser Ruine wäre sicher die Mülltonne gewesen. Eine kleine Fotostrecke dazu findet sich hier

Ein feines, kompaktes Reisemikroskop hast Du da, Glückwunsch!
Viele Grüße aus dem Bergischen Land

Hugo Halfmann

TPL

#10
Hallo Restaurierungsliebhaber!

Zunächst die Auflösung des Bauteile-Rätsels. Obwohl es eine sehr nahe Schätzung per PM gab, ist das Ergebnis klar: Hugo Halfmann lag mit "über 110 Einzelteile, inkl. Schrauben" am nächsten an den insgesamt 163 (einhundertdreiundsechzig!) Teilen. Glückwunsch!

Inzwischen bin ich mit der Restaurierung einige Schritte weiter:


Die Lasurschichten sind ordentlich durchgetrocknet und ich habe nur wenige "Nasen" produziert. Außerdem erkennt man, dass ich die ganz tiefen Scharten nicht weggeschliffen habe. Das wäre sonst auch entweder uneben geworden, oder ich hätte die obere Sperrholzschicht komplett entfernen müssen.



Die Suche nach einem möglichst originalgetreuen – also braunen – Riemen habe ich ein wenig abgekürzt und ein sehr ordentliches Produkt in schwarz gewählt (ich bin weiterhin offen für Hinweise). Immerhin passt das farblich gut zum Inhalt. Dazu mehr in der nächsten Folge...

Viele Grüße
Thomas

TPL

#11
...nach monatelangem Vorgeplänkel mit der Verpackung, packe ich nun mal (absolut jugendfrei) aus:



Inzwischen habe ich den ursprünglich nicht spannungsfreien Kondensor gegen einen solchen ausgetauscht und dem Stativ einen monokularen Pol-Tubus spendiert.



Die Objektive (CZ Plan 2,5/o,o8 Aufl. Pol – ZW 10/o,25 Ph1 – CZ 25/o,45 – ZW 63/o,80) sind zwar wieder eine Mischung, aber allesamt spannungfrei oder -arm. Das lässt sich übrigens leicht bestimmen: bei exakt gekreuzten Polarisatoren und ohne Objekt den Revolver in eine Zwischenstellung bringen, bei der es im Okular absolut düster ist. Dann das jeweilige Objektiv einschwenken: bleibt es ähnlich düster, ist das Objektiv ausreichend spanungsarm, um damit ganz anständig Dünnschliffe zu betrachten.



Mithilfe einer Beifang-Netzleuchte und Blaufilter lassen sich denn auch schon sehr ordentliche Ergebnisse erzielen. In Zukunft soll dort allerdings eine LED-Leuchte ihren Platz bekommen, die der Qualität des Mikroskops nicht nachsteht. Ich schließe mit einer Gesamtansicht, die auch einen hübschen Nebenaspekt des Tragekoffers verdeutlicht: das Okular kommt dadurch in Augennähe ;).



Angenehmen Wochenend-Ausklang und beste Grüße
Thomas

Hugo Halfmann

#12
Lieber Thomas,

das ist traumhaft schön! Aber wenn Du das Mikroskop häufiger auf den Koffer stellen willst, um zu mikroskopieren, besorg dir ein passendes Tuch oder Filz. Wär schade, wenn die Holzoberfläche  unnötig Krater bekommt.
Viele Grüße aus dem Bergischen Land

Hugo Halfmann

TPL

Lieber Hugo,

vielen Dank für den Hinweis. So ein Tuch passt auch gut, um bei dem "Gedränge" im Transportkasten Kollisionen oder Reibungen zu vermeiden. Ich werde bei Herrn Henkel ein mindestens 1000fach gewaschenes Leinen-Herrentaschentuch aus der Epoche des Mikroskops bestellen ;). Bis dahin tun es aber vielleicht auch meine alten Ilford-Antistatik-Tücher.

Herzliche Grüße, Thomas

Übrigens...

Der Transportkasten hat ja sehr schön gebohrte Einsätze, von denen ich glaubte, die seien für Objektivkapseln. Die originalen Zeiss-Kapseln passen da auch rein – aber nur leer! Ist ein Objektiv in der Kapsel, schließt der Kasten-Deckel nicht mehr. War das wirklich nur die Aufbewahrung für leere Kapseln oder mache ich einen Denkfehler?

Hugo Halfmann

Lieber Thomas,

meiner Meinung nach nach ist, wie bei Zeiss Jena, mindestes ein Loch für ein Immersionsölfläschchen im Blechbehälter und mindestens ein Loch für ein weiteres Okular.
Die Objektivdosen sind allerdings auch unterschiedlich hoch, da hilft nur probieren!
Viele Grüße aus dem Bergischen Land

Hugo Halfmann