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Das schwimmende Deckglas

Begonnen von Martin Kreutz, März 17, 2018, 23:01:13 NACHMITTAGS

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Martin Kreutz

Liebes Forum,

bei der diesjährigen Kornrade habe ich im ,,Bären" mit Ole die Technik des schwimmenden Deckglases diskutiert, was mich dazu motiviert hat, hier über ein paar meiner ,,Deckglasfunde" zu berichten. Die Technik ist an Einfachheit nicht zu überbieten und kann zu interessanten Ergebnissen führen, auch bei vermeintlich ,,trostlosen" Fundgebieten. Das schwimmende Deckglas scheint eine magische Anziehungskraft auf Bakterien, Protozoen und Metazoen auszuüben, welche dieses sehr schnell besiedeln. Ich setze diese Technik schon seit vielen Jahren ein und viele andere Forumteilnehmer sicher auch. Ich möchte hier einige meiner Funde vorstellen, um vielleicht auch bisherige "nicht user" zu überzeugen.

Legt man ein Deckglas auf die Wasseroberfläche, so schimmt es dort von alleine durch die Oberflächenspannung. Die wirkt immer! Ich hatte noch nie ein ,,abgesoffenes" Deckglas, auch nach vielen Wochen nicht. Zur Präparation gieße ich meine Proben in Petrischalen (immer schön mit viel Algen, Detritus oder was sonst in der Probe schwimmt). Da ich ausschließlich 32 X 24 mm Deckglaser verwende, passen gerade 3 Deckgläser in jede Petrischale. Das sieht dann so aus:



Ich nehme nach 2-7 Tagen (je nachdem, wie schnell sie besiedelt werden), die Deckglaser mit Hilfe einer gewinkelten ,,Briefmarkenpinzette" wieder ab und lege sie (langsam) auf einen Objekträger, so dass möglichst wenig Luftblasen eingeschlossen werden. Wenn die Deckgläser durch den Bewuchs schon etwas ,,pelzig" sind, noch langsamer auflegen!

Das Ergebnis kann ganz unterschiedlich sein. Von vermeintlich ,,guten" Proben bekomme ich oft gar keinen Bewuchs und von ,,mageren" Proben manchmal Überraschungen. Jedenfalls birgt jedes Deckglas immer wieder ein neues Biotop, welches sich leicht beobachten lässt, weil die Bewohner so schön am Deckglas kleben (Schichtdicke: Null!).

Ich empfehle aus Erfahrung, die Deckglaser sehr sorgfältig zu durchmustern, damit man keine schönen Funde übersieht. Oft sind sie sehr klein!

Wenn sonst nix wächst, Bakterien wachsen immer! Und auch ein schöner, abwechslungsreicher Bakterienrasen ist interessant zu beobachten. Im folgenden Beispiel sind auch gelbgrün gefärbte Schwefelbakterien enthalten, die ich mit ,,SB" markiert habe:


SB = Schwefelbakterien

Ich habe im obigen Bild die Länge eines Bakteriums eingezeichnet, damit man die Größenverhältnisse besser ersichtlich werden und damit man die Dimensionen der folgenden, sehr interessanten Objekte, besser einordnen kann. Sie sind nämlich sehr klein und praktisch immer unter dem 20 µm Level. Es sind die granuloreticulosen Schalenamöben, die man sonst nur schwer zu Gesicht bekommt. Das schwimmende Deckglas zieht sie an und sie setzen sich optimal in Szene, da sie bereits am Deckglas kleben und somit perfekt in der Fokusebene liegen. Sie haben sich meistens auch weit ausgestreckt und bilden ein fotogenes Motiv. Hier einige Beispiele von granuloreticulosen Schalenamöben aus dem Simmelried.

Die erste ist Microgromia longisaepimen. Auf dem Bild erkennt man sehr leicht, woher die Bezeichnung "granuloreticulos" kommt. Die feinen Fädern der Filiopodien sind in mehr oder wenigen regelmäßigen Abständen mit winzigen, hochbrechenden Perlen unbekannter Natur besetzt. Schalenamöben der Gattung Microgromia sind besonders interessant, da sie ein sogenanntes Septum ausbilden, welches das Eindringen von Feinden von außen wesentlich erschwert. Das Septum bildet eine Art Kanal an der Gehäuseöffnung durch welches ein Plasmastrang zur eigentlichen Gehäuseöffnung verläuft, der sich dann in die feinen Filopodien aufspaltet. Man erkennt den Plasmastrang und das Septum auf dem folgenden Bild ganz gut:



Hier die Art Microgromia haeckeliana, welche einen fast geraden Schalenhals besitzt. Das granuloreticulose Netzwerk von Microgromia haeckeliana kann beachtliche Ausmaße annehmen:



Neben Microgromia finde ich in meinen Proben Schalenamöben der Gattungen Ditrema und Heterogromia. Allerdings ist die genaue Zuordnung für mich sehr schwierig, da es außer der Monografie von de Saedeleer (s. Lit.) auch nur wenig Literatur gibt. Da bin ich etwas vorsichtig. Die folgende Art scheint mir zur Gattung Ditrema zu gehören (mit zwei Gehäuseöffnungen), welche jedoch mit 11 µm sehr klein ist. Evtl. handelt es sich um Ditrema mukrous:



Genauso schwierig zu bestimmen ist diese Heterogromia. Vielleicht Heterogromia intermedia? Auch diese Schalenamöbe ist sehr klein und filigran. Mit Hellfeld ist sie auf dem Deckglas schwer zu finden. Hier hilft nur die Durchmusterung mit höherer Vergrößerung (mindestens 20 X):



Noch kleiner ist Microcometes paludosa, die eigentlich nie über 10  µm hinaus kommt. Manchmal ist sie auf meinen schwimmenden Deckgläsern massenweise zu finden. Eine sehr häufige Art, die man in ,,normalen" Probe praktisch nie findet, weil die sich nicht in Ruhe ausbreiten kann:



Neben diesen Zwergen, findet man aber auch wesentlich größere Viecher. Eine der häufigsten Rädertiere auf dem schwimmenden Deckglas ist bei mir Ptygura pilula. Diese gehäusebauende Art kann ca. 1 mm lang werden. Sie hängen oft massenweise kopfüber an meinen schwimmenden Deckgläsern, wie Fledermäuse. Man kann dies mit einer Lupe oder im Stereomikroskop sehr schön beobachten. Legt man das Deckglas mit den hängenden Rädertieren dann auf einen Objekträger und verringert die Schichtdicke langsam, so knicken sie um ein legen sich paralell zum Deckglas. Eine einmalige Gelegenheit, sie genauer zu untersuchen. Ptygura pilula bildet, wie viele andere Ptygura-Arten, ein Gallertgehäuse, welches bei dieser Art jedoch sehr regelmäßig mit den eigenen Kotballen beklebt wird. Dies dient wahrscheinlich der Tarnung. Fokussiert man auf die Gehäusewand, erkennt man die regelmäßige Anordnung der separaten Kotballen sehr schön. Ihre Farbe hängt vom jeweiligen Nahrungsangebot ab. Man erkennt oft ,,Farbsprünge":



Verringert man die Schichtdicke weiter, lösen sich diese Kotballen von der Gehäusewand ab. Meistens ist Ptygura durch die geringe Schicktdicke nicht mehr bereit sich auszustrecken, aber in einer Probe hatte ich Glück und konnte das ,,gestrippte" Exemplar festhalten.



Daneben gibt es auch zahlreiche andere Gattungen und Arten, die am Deckglas siedeln. Hier noch ein koloniebildender Flagellat, der auffällige, baumartige Strukturen aufbaut, die ebenfalls aus Gallerte und den Kotballen aufgebaut werden. Es handelt sich um Rhipidodendron Huxleyi. Diese Art finde ich sehr häufig. Jedoch ist sie schwierig zu fotografieren, da die Kolonie eine dreidimensionale Baumstrukur bildet und weil die Flagellaten sich bei Deckglasdruck zurückziehen, die Geißeln abwerfen und sich abrunden. Wenn man eine angewachsene Kolonie findet, ist die Beobachtung nach dem (sehr) langsamen reduzieren der Schichtdicke wesentlich einfacher und man bekommt Rhipidodendron Huxleyi in voller Aktivität präsentiert:



Pfeile = Flagellaten in ihrer Gallertröhre

Ich hoffe, dies motiviert einige Leser zur Nachahmung, zumal die Technik einfach ist und zu schnellen Ergebnissen führt. Viel Spass beim ausprobieren!

Martin

Lit:

De Saedeleer, H. (1934): Beitrag zur Kenntnis der Rhizopoden: morphologische und systematische Untersuchungen und ein Klassifikationsversuch Verh. Koninkl. nat. Mus. Belge, 60, 1-112.


reblaus

Diesen Tip(p) habe ich begeister aufgesogen!

Vielen Dank!

Gruß

Rolf

Fraenzel

Beeindruckend einfache Präparation und erstklassige Aufnahmen.
Wenn das nicht zur Nachahmung ermuntert ....
Beste Grüße und vielen Dank
sagt Fraenzel
auch ich mag das "Du"

Jürgen Boschert

Lieber Martin,

wieder einmal ein faszinierender, beeindruckender Beitrag.

Danke !

JB
Beste Grüße !

JB

Michael L.

Hallo Martin,

danke für diese wunderbare Dokumentation und den interessanten Tipp, wird sofort nachgemacht.

Viele Grüße,

Michael L.

Herbert Dietrich

Hallo Martin,


Sein Wissen an andere weitergeben ist eine edle Eigenschaft, vielen Dank für die ausgezeichnete Dokumentation.

Das werde ich gleich in die Tat umsetzen.

Herzliche Grüße

Herbert

liftboy

Hallo Martin,

ein hervorragender Tip für alle Tümpler (die sich sonst mit Sandkörnchen und sonstigem Detritus rumschlagen müssen)

Grüße
Wolfgang
http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=785.msg3654#msg3654
LOMO-Service
Das Erstaunen bleibt unverändert- nur unser Mut wächst, das Erstaunliche zu verstehen.
Niels Bohr

bernd552


Peter Reil

Hallo Martin,

super Tipp!
Werde ich auf jeden Fall versuchen. Aber ob bei mir dann auch solche Fotos rausschauen....

Freundliche Grüße
Peter
Meine Arbeitsgeräte: Olympus BHS, Olympus CHK, Olympus SZ 30

Bernhard Lebeda

#9
Hallo Martin

die Technik war mir nicht neu, aber immer wieder toll was Du so findest!! Im Wasse tummle sich Gestalde, des soll mer net für möschlich halde!  ;)

Danke fürs zeigen!!

Viele Mikrogrüße

Bernhard
Ich bevorzuge das "DU"

Vorstellung

WinfriedK

Hallo Martin!

Schön zu wissen, was heuzutage alles an Erkenntnissen und optischer Darstellung  möglich ist.

Aber ich bin fest davon überzeugt (Politikersprech), das Deine Microgromia haeckeliana in Wirklichkeit eine Wasserspinne ist, die ihr Netz nach neugierigen Mikroskopikern ausgeworfen hat.

Meine Aufwuchsträger und schwimmenden Deckgläser ruhen seit Wochen und Monaten auf verschiedenen Böden, in sogenannten Philadelphia-Plastikbrutbehälter-BioReaktoren auf der Fensterbank, z.B.



um aus ihnen die Mikroorganismengemeinschaften herauszulocken, wie z.B. aus dem Beachballspielsand:

http://stiftung-france.de/forum/viewtopic.php?f=31&t=265&sid=d326b59a31022c03b80ca9d8fac4f82e#p2696

Hier ein "BioDom" (neue Worte für olle Kamellen sind immer wichtig) mit schwimmenden Deckgläsern im Inneren eines Deckels eines Kaffebechers und rundem Deckel eines Minitomatenbehälters.



Noch weiß ich nicht, was sich dort drin vergnügt.

Winfried

plaenerdd

Hallo,
auch ich fand diese Doku sehr spannend, auch wenn ich das Verfahren schon kannte und gelegendlich genutzt habe. Rhipidodendron hat sich bisher aber noch nicht darauf niedergelassen, weshalb meine Funde meistens so aussahen, wie Martin sie beschrieben hat: mit abgeworfenen Geißeln und gerundeten oft auch ausgewanderten Einzellern:

Gelegentlich blieben sie aber in ihrem Haus, aber das nur bei hoher Schichtdicke, weshalb die Bilder natürlich auch nicht so umwerfend wurden. Hier einmal eine intakte Kolonie (siehe rechts unten). Dafür marodierender hier eine Amöbe:

Lg Gerd
Fossilien, Gesteine und Tümpeln mit
Durchlicht: Olympus VANOX mit DIC, Ph, DF und BF; etliche Zeiss-Jena-Geräte,
Auflicht: CZJ "VERTIVAL", Stemi: MBS-10, CZJ SMXX;
Inverses: Willovert mit Ph

Michael

Hallo Martin,
vielen Dank für die schöne Dokumentation - mit Deinen Bildern versteht man immer besser, was man oftmals staunend findet!

Einen ähnlichen Effekt erzielt man übrigens auch mit einem Vaseline-abgedichteten Mikroaquarium. Auch hier kann man über einige Wochen das Entstehen des Aufwuchses beobachten.

Viele Grüße

Michael
Gerne per Du

Martin Kreutz

Liebes Forum,

ganz herzlichen Dank für die vielen, positiven Rückmeldungen! Ich sehe schon in vielen Arbeitszimmern oder Kellern hunderte von Deckgläsern schwimmen! Ich hoffe, dass ihr auch was zu sehen bekommt! Ich selbst habe nochmal 30 angesetzt. Sie schwimmen jetzt 2 Tage. Bald ist "Ernte"!

@Michael: Ja, in Mikroaquarien wächst natürlich auch so einiges an der "Decke"! Aber was ist, wenn man die die Schichtdicke verringern will? Tatsächlich ist zwar die Schichtdicke zwischen Deckglas und dem daran klebenden Objekt Null, aber man hat ja noch die Wasserschicht zwischen Objekt und Objektträger! Die darf man nicht vergessen! Bei kleinen Vergrößerungen spielt sie keine Rolle, aber ab dem 60 X Objektiv versaut sie die Beleuchtungsapertur. Man kommt also nicht darum herum, auch hier die Wasserschicht zu verringern, sonst wären die Aufnahmen der kleinen Microgromia in der Auflösung nicht möglich gewesen. Bei einem wenig bewachsenen Deckglas ist es kein Problem weiteres Wasser abzuziehen, aber geht das auch beim Vaseline-Aquarium?

Martin

plaenerdd

Hallo Martin,
vielleicht sollte man mal versuchen, zwei große Deckgläser mit Vaseline zu einem Mikroaquarium zu verbinden, um die Gesammtdicke zu reduzieren. Da kommt man dann sicher mit der Beleuchtungsapertur besser hin, wenn unter 1mm Schichtdicke bleibt, zumal Wasser ja auch einen etwas geringeren Brechungsindex hat als Glas. und der Beleuchtungskegel im Wasser einen etwas spitzeren Winkel haben müsste, wenn mich meine Vorstellungskraft nicht täuscht.
LG Gerd
Fossilien, Gesteine und Tümpeln mit
Durchlicht: Olympus VANOX mit DIC, Ph, DF und BF; etliche Zeiss-Jena-Geräte,
Auflicht: CZJ "VERTIVAL", Stemi: MBS-10, CZJ SMXX;
Inverses: Willovert mit Ph