Unterbrochene Eientwicklung beim Bauchhärling L. zelinkai

Begonnen von Michael Müller, März 31, 2018, 10:58:04 VORMITTAG

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Michael Müller

Hallo in die Runde,

der relativ große und beeindruckende Bauchhärling Lepidochaetus zelinkai (ehemals Chaetonotus zelinkai) kommt in nahezu jedem Teich vor und ist leicht an den langen, die Zehen überragenden Schwanzstacheln und dem charakteristischen, hammerförmigen Kopf zu erkennen. Anfang Oktober letzten Jahres (als vor ca. 6 Monaten) erstellte ich mir ein Mikroaquarium mit einigen Exemplaren dieser Art. Ich wollte die Entwicklung von L. zelinkai vom Ei bis zu der post-parthenogenetischen "Zwitterphase" dokumentieren. Anfangs entwickelten sich die Tiere sehr gut und nach ca. 14 Tagen hatten sich die anfänglich zwei Tieren zu etwa acht vermehrt und eine ganze Reihe von Eiern waren in Entwicklung.


Bild 1: L. zelinkai; Muttertier und Ei kurz nach der Eiablage

Etwa um diese Zeit viel mir auf, dass sich die Entwicklung der Eier verlangsamte und schließlich ganz zum Stillstand kam. Weder die - für diese Entwicklungsphase typischen - Bewegungen des Embryos und der Bauch-Härchen noch die bei den Eiern meist auffälligen Material-Strömungen waren zu erkennen. Gleichzeitig verstarben die geschlüpften Tiere im Präparat. Offensichtlich hatten sich die Lebensbedingung im Mikroaquarium so sehr verschlechtert, dass ein Überleben von L. zelinkai nicht mehr möglich war. Während die Leichen der geschlüpften Tiere von Bakterien und anderen Aasfressern sehr schnell zersetzt wurden, veränderten sich aber die Eier - die ich ebenfalls für abgestorben hielt - nicht. Ich beschloss, das Schicksal der Eier weiter zu verfolgen und kontrollierte das Präparat regelmäßig über die nächsten Monate. Ich konnte keinerlei Veränderung bei den Eiern und den enthaltenen Embryos feststellen.


Bild 2: L. zelinkai; Ei ca. 4 1/2 Monate nach Ablage

Vor ca. einem Monat wollte ich testen, ob die Eieentwicklung fortgesetzt werden würde, wenn sich die Umweltbedingungen verbessern würden. Deshalb habe ich das Präparat geöffnet und mit Frischwasser neu befüllt. Innerhalb der nächsten Woche konnte ich aber keine Entwicklung feststellen und war endgültig davon überzeugt, dass die Eier abgestorben wären. Ich legte das Präparat zur Seite und beachtete es nicht weiter.
Vor einigen Tage wollte ich das Mikroaquarium endgültig auflösen und schaute - wohl in einem Anflug von Paranoia - nochmals hinein. Die Tiere waren geschlüpft!


Bild 3: L. zelinkai; geschlüpfte Tiere, ca. 5 Monate nach Eiablage

Bei Gastrotrichen ist seit langem bekannt, dass die Tiere auch nach ungünstigen Umweltbedingungen sehr schnell wieder eine frische Population aufbauen können. Bei Lepidodermella sqamata sind z. B. Dauereier bekannt, die auch eine Austrocknung des Habitats überleben und erst bei besseren Umweltbedingungen ihre Entwicklung beginnen. Bei den meisten anderen Arten wurden meines Wissens bisher keine Dauereier beobachtet, aber man sah keinen Grund, warum die Bildung von Dauereiern nicht ein allgemeines Phänomen bei allen Bauchhärlingen sein sollte.
Die obigen Beobachtungen, die mir aus der Literatur nicht bekannt sind, zeigen zumindest einen andere Möglichkeit auf, wie der Artbestand bei ungünstigen Bedingungen gewährleistet werden kann. Offensichtlich ist es - zumindest bei einigen Arten (ähnliches habe ich bei Chaetonotus maximus beobachtet) - für die Eier möglich, ihre Entwicklung (zumindest einige Monate) zu unterbrechen und erst bei besseren Bedingungen fortzusetzen. Dadurch ist eine noch schnellere Wiederbesiedlung als über Dauereier möglich, die typischerweise ca. eine Woche bis zum Schlupf benötigen. Das spiegelt sich auch in der Beobachtung wider, dass bereits einige Tage nach dem Wässeren von eingetrocknetem Detritus wieder erste Bauchhärlinge im Präparat auftauchen. Würde die Wiederbesiedelung nur über Dauereier erfolgen, sollte die "Latenzzeit" wenigsten eine Woche dauern.

Ich hoffen, ich habe mit diesem zu Ostern passendem Bericht von ("Schein-") Tod und Wiederauferstehung Euer Interesse für diese kleinen Tiere geweckt.

Frohe Ostern

Michael
Gerne per Du

limno

Hallo Michael,
danke für diesen interessanten Bericht :)
von meiner Beschäftigung mit monogononten Rädertieren weiß ich, dass auch deren Latenzeier eine Reifezeit von etwa 6 Monaten benötigen. Diese "reifen Eier" (eigentlich sind es ja Embryonalstadien) schlüpfen in reinem Wasser innerhalb weniger Tage, im Sediment schlüpfen sie nur bei oxidierenden Bedingungen -je mehr freier Sauerstoff desto schneller, so mein Schluss!
Die Gabe von frischem Wasser hat ihnen wohl gut getan!
Mit lebensfrohen Ostergrüßen
Heinrich
So blickt man klar, wie selten nur,
Ins innre Walten der Natur.

Martin Kreutz

Hallo Michael,

wieder mal eine akribische Untersuchung von Dir! Ich halte Deine Schlussfolgerungen für plausibel. Eine Frage zu Deinem 2. Foto. Man sieht dort im Embryo "dunkle Einschlüsse in Vakuolen"! Sehen fast aus wie kristalline Einschlüsse. Hast Du Informationen dazu was das ist?

Martin

Michael Müller

Hallo Heinrich und Martin,
es freut mich, dass mein Bericht für Euch von Interesse war.

@Heinrich:
Danke für den Hinweis auf die Latenzeier der Rädertiere. Ich habe mich daraufhin ein bisschen in dieser Richtung eingelesen. Wenn ich es richtig verstanden habe, beginnt bei Rädertieren die Embryoentwicklung bereits vor der Eiablage im Mutterleib. Die Dauereier sind dann bei der Eiablage bereits recht weit entwickelt und brauchen - nach der Ruhezeit - nur noch kurze Zeit bis zum Schlupf.
Bei den Gastrotrichen werden die Eier prinzipiell vor der Embryonalentwicklung als einzelliges Ei abgelegt. Die Dauereier bleiben dann in diesem Stadium, bevor sie nach der Ruhezeit ihre Entwicklung beginnen und deshalb relativ lange (ca. eine Woche) bis zum Schlupf brauchen. Die Dauereier sind dunkler gefärbt und haben eine etwas dickere Schale als die Subitaneier:


Eier von Lepidodermella sqamata; links oben: normales, sich sofort entwickelndes Ei; rechts unten: Dauerei

Bei den im Bericht erwähnten Eiern handelte es sich um normale "Soforteier" von L. zelinkai, die sich auch wie üblich entwickelten. Das Erstaunliche war, dass diese "normalen" Eier die Fähigkeit haben, ihre Embryonalentwicklung zu unterbrechen und Monate später wieder fortzusetzen. Dieses Verhalten wurde - meines Wissens - in der Literatur noch nicht berichtet.

@Martin:
Zitat von: Martin Kreutz in April 01, 2018, 18:46:26 NACHMITTAGS
Eine Frage zu Deinem 2. Foto. Man sieht dort im Embryo "dunkle Einschlüsse in Vakuolen"! Sehen fast aus wie kristalline Einschlüsse. Hast Du Informationen dazu was das ist?

Da hast Du wieder zielsicher eine Beobachtung angesprochen, zu der ich in der Literatur keine Informationen (oder auch nur Erwähnung) gefunden habe.
Die Körper in den Vakuolen sind stark doppelbrechend und deswegen wohl kristallin. Diese Vakuolen mit den Kristallen entwickeln sich bei allen von mir näher beobachteten Arten während der Endphase der Embryonalentwicklung in den Darmzellen der Tiere, wobei jeweils eine Vakuole pro Darmzelle entsteht. Bei den frisch geschlüpften Tieren sind sie noch vorhanden und werden in den nächsten Tagen zurück gebildet. Wenn man also ein Tier mit den Kristallen in den Darmzellen findet, kann man sicher sein, dass es erst einige Tage alt ist.


Jungtier von Chaetonotus maximus mit kristallinen Einschlüßen in den Darmzellen

Wie bereits erwähnt, konnte ich keine Angaben über die Funktion finden. In meinen Augen kommen zwei Möglichkeiten in Frage:

1.: Die Kristalle stellen eine Energiereserve dar, die den Jungtieren über die ersten mageren Tage hinweghelfen soll. Etwas Ähnliches wird von den Larven sessiler Rädertiere berichtet. Die Darmzellen wären auch ein logischer Ort für diese "Lunch-Pakete"

2.: Nach dem Schlupf wachsen bei Gastrotrichen nur noch die Darmzellen. Andere Zellen (Kopf, Pharynx und Zehen) haben bereits die Endgröße. Vielleicht benötigen die Darmzellen die in den Vakuolen gespeicherten Stoffe für das abschließende Wachstum

Viele Grüße

Michael
Gerne per Du

Bernhard Lebeda

Lieber Michael

wieder mal ein spannender Bericht!

Welche Literatur benutzt Du eigentlich bzw. empfiehlst Du?

Viele Mikrogrüße

Bernhard
Ich bevorzuge das "DU"

Vorstellung

Jürgen H.

Michael,

könnten die kristallinen Einschlüsse nicht auch Stoffwechselprodukte sein, die während der Embryonalentwicklung entstehen und nicht durch die Eihülle abgegeben werden können, sondern durch den Darm?

Bei Deinem letzten Photo scheinen mir die Einschlüsse kaudal abzunehmen. Stimmt das mit Deinen Beobachtungen überein? Wo findet denn die weitere Drmentwicklung statt?

Tolle Photos!

Jürgen

Michael Müller

Hallo Bernhard und Jürgen,

vielen Dank für Eure lobenden Worte - sowas spornt einen immer wieder an, weiter zu machen!

@Bernhard:
Für spezielle Fragen zu den Gastrotrichen wird hier dankenswerter Weise eine Bibliografie gepflegt:
http://www.gastrotricha.unimore.it/bibliogastro.htm

Eine sehr detaillierte und gute Übersicht ist:
Kieneke, A.& Schmidt-Rhaesa, A. 2014. Gastrotricha. In: Schmidt-Rhaesa, A. (ed.), Handbook of Zoology. Vol.3 Gastrotricha and Gnathifera, pp 1-134. De Gruyter, Berlin, Boston.

Für einen kurzen Überblick kann ich folgendes empfehlen:
Kånneby, T. & Hochberg, R., 2015. Phylum Gastrotricha. In: Thorp, J., Rogers, D.C. (Eds.), Ecology and General Biology: Thorp and Covich's Freshwater Invertebrates, Academic Press, 211–223.

Zur Bestimmung ist immer noch der Schwank unentbehrlich:
Schwank, P. (1990) Gastrotricha. In: Schwoerbel, J. & Zwick, P. (eds), Süsswasserfauna von Mitteleuropa, Band 3.Gastrotricha und Nemertini. Gustav Fischer Verlag, Stuttgart, Jena, New York, 252 pp.


@Jürgen:
Jede Theorie ist so gut wie die andere, solange man keine Belege hat. Jede Hypothese müsste aber eine Erklärung dafür bieten, warum nur die Darmzellen diese Einschlüsse zeigen. Stoffwechselprodukte müssten in allen Zellen anfallen. Die Kristalle könnten auch als Festkörper nicht in das Darmlumen gelangen sondern müssten erst in Lösung gehen. Gelöste Stoffe könnten bequemer über die Protonephridien ausgeschieden werden. Aber letztendlich habe ich keine Ahnung, was hinter den kristallinen Einschlüssen steckt. Vielleicht hast Du mit Deiner Hypothese recht.
Die kaudale "Abnahme" der Einschlüsse scheint mir ein Artefakt zu sein, da die Einschlüsse hier wohl nicht mehr so gut in der Schärfenebene liegen. Zumindest ist mir nie eine räumliche Differenzierung der Einschlüsse aufgefallen. Eine echte Darmentwicklung findet bei geschlüpften Gastrotrichen wohl nicht statt. Die in vier Säulen zu je 7-8 Zellen angeordneten Darmzellen wachsen lediglich in der Größe, so dass nach einigen Tagen die Proportionen der ausgewachsenen Tiere erreicht werden. Zellteilungen finden nach der Embryonalentwicklung (zumindest in der parthenogenetischen Phase) nicht statt.

Viele Grüße

Michael


Gerne per Du

Gerd Schmahl

Hallo Michael,
ZitatZur Bestimmung ist immer noch der Schwank unentbehrlich:
Schwank, P. (1990) Gastrotricha. In: Schwoerbel, J. & Zwick, P. (eds), Süsswasserfauna von Mitteleuropa, Band 3.Gastrotricha und Nemertini. Gustav Fischer Verlag, Stuttgart, Jena, New York, 252 pp.
Gibt es evtl. eine digitale Quelle für dieses Werk?
LG Gerd
Man sagt der Teufel sei, im Detail versteckt,
doch hab' ich mit dem Mikroskop viel Göttliches entdeckt.

Michael Müller

Hallo Gerd,

den Schwank habe ich im Netz leider nicht frei verfügbar gefunden.

Viele Grüße

Michael
Gerne per Du

Gerd Schmahl

Hallo Michael,
da werde ich wohl mal die Fernleihe in Anspruch nehmen müssen ;)
LG Gerd
Man sagt der Teufel sei, im Detail versteckt,
doch hab' ich mit dem Mikroskop viel Göttliches entdeckt.