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Stahlgefüge-Stümperei ...

Begonnen von stefan_, April 09, 2018, 01:14:15 VORMITTAG

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stefan_

Guten Abend liebes Forum,

wie von Alfred vorgeschlagen (https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=30480.msg231699#msg231699) habe ich mich nun mal daran gemacht eine Klinge anzuätzen. Als Testobjekt musste ein einfaches Nakiri herhalten (etwas krumm und auch sonst zu dick, aber aus ganz ordentlichem Stahl):



Die Klinge ist ein Dreilagenkonstrukt, die mittlere Schneidlage ist aus Aogami (Blaupapierstahl, das glänzende). Seitlich sind jeweils Lagen aus weicherem Stahl (das etwas mattere). Bei diesem Messer wurde außerdem die Schmiedehaut am Messer gelassen ("Kurouchi", das ist das dunkle, was den Großteil der Klinge bedeckt).

Um ein Anätzen zu ermöglichen habe ich per Hand wacklig-ballig das Messer geschliffen (Körnungsangaben nach JIS):

- Imanishi Bester 1200 (Bild),
- Naniwa Green Brick ~2000 (Bild),
- Kitayama 8000 (Bild),
- Naniwa Superstone 12000 (Bild),
- Dia-Leder mit 0.25 mü (Bild),
(- mit altem blankem Lederriemen wieder Kratzer drauf gemacht und kurz geflucht, daher: ...)
- Shapton Glass 30000 + häufiges Abziehen auf mit Zahnpasta imprägniertem Filz, welches auf eine plane Aluminiumplatte geklebt wurde (Bild) --> das half sehr gut!

Die Klinge wurde dann mit Wasser+Spüli, Aceton und Ethylacetat entfettet und mit einem Fön getrocknet. Danach wurde mit 3% Nital (Salpetersäure in Ethanol) an verschiedenen Stellen für jeweils 10, 30 oder 90 Sekunden geätzt und die Klinge danach gründlich mit Wasser abgespült, mit Aceton gewaschen und getrocknet.

Als Bilder habe ich nun folgende erhalten (gestackt mit Zerene), die mir als metallgraphischem Laien jetzt nicht wirklich viel sagen - habe lediglich vor längerer Zeit mal das "Verhoeven"-Einsteigerbuch gelesen ...  ;)

Zuerst mal die weichen Seitenlagen, welche anscheinend eine recht grobe Struktur haben (geätzt für 90 s):


Seitenlage, 90-s-Ätzung, 50x + 1.5x, Hellfeld.


Seitenlage, 90-s-Ätzung, 50x + 1.5x, Hellfeld (andere Stelle).


Seitenlage, 90-s-Ätzung, 50x + 1.5x, Dunkelfeld.

Die Schneidlage aus Aogami war bei 90 s und auch bei 30 s schon stark mit roter bzw. blauer "Patina" überzogen, ich fürchte aus dem Bild wird man nicht so viel erkennen:


Aogami-Schneidlage, Übergang Ätzung für 90 s (links) bzw. 30 s (rechts), 50x + 1.5x, Hellfeld.

Bei der 10-s-Ätzung hingegen sah das Bild anders aus:


Aogami-Schneidlage, 10-s-Ätzung, 50x + 1.5x, Hellfeld.

Hier und insbesondere bei der höheren Vergrößerung erkennt man auf dem Bild zahlreiche dunkle Punkte (Carbide???). Insgesamt scheint der Aogami viel feinkörniger zu sein (was ja auch irgendwie logisch/sinnvoll wäre für den Schneidenstahl):


Aogami-Schneidlage, 10-s-Ätzung, 100x + 1.5x, Hellfeld.

Wenn hier jemand etwas Licht ins Dunkel(- und Hellfeld) bringen könnte, ob/was man auf diesen Photos sieht, wäre das toll!  :)

Viele Grüße
Stefan

Alfred Schaller

Hallo Stefan,
Du solltest Dein Licht nicht unter den Scheffel stellen! Die Bilder sind aussagekräftiger, als Du denkst und geben insgesamt einen guten Überblick. Ganz prima für den ersten Versuch!
Eine erste kurze Deutung:
Die Randlagen sind ferritisch-perlitisch. Diese Stähle haben <0,2% C und sind daher nicht härtbar (auch bei schneller Abkühlung des Messers bleiben sie weich).
Die Aogami-Schneidlage ist Stahl mit ca. 1,2%C und zeigt das Härtegefüge Martensit; in Martensit bleibt der Kohlenstoff beim Abschrecken "zwangsgelöst", er führt so zu Gitterspannungen; Martensit ist daher hart und spröde, er hat hier eine nadlige Form.
Die dunklen Punkten könnten nichtmetallische Einschlüsse sein; für Karbide erscheinen sie mir zu groß (das wäre eine falsche Wärmebehandlung).
Viele Grüße
Alfred
- gern per Du  / Vorstellung -

Bob

Hallo Stefan,
tolle Bilder! Ein Mikroskop passt wirklich prima dazu, wenn man sich intensiv mit dem Schärfen von Klingen beschäftigt, eigentlich erstaunlich, dass das so wenig verbreitet ist.
Dein Küchenmesser würde mit dem Schliff sicherlich auch ein tolles Mikrotommesser abgeben!

Die dunklen Stellen im untersten Bild sind wirklich etwas rätselhaft. Wenn sie nicht aus gutem Stahl bestünden, wäre mit er Klinge ja nicht viel los in diesem Bereich. Wenn man sich die dunklen Stellen wegdenken würde, bliebe eine viel gröbere Schneide übrig.
Ist das evtl. etwas, was von der Rückseite durchkommt? Ist die Schneide beid- oder einseitig angefast?

Du könntest die Schneide mechanisch etwas belasten, z.B. von der Seite kommend mit einem Buchenholzdübel mit gleichbleibender Kraft darüberrollen. Evtl. sieht man dann, ob die dunklen Stellen mechanisch weniger belastbar sind.

Viele Grüße,

Bob

derda

#3
Hallo Stefan,

prima Bilder.

Zur weichen Seitenlage: hat Alfred schon gut beschrieben. Die weiß-gräulichen Kristalle => Ferrit, bei den bräunlichen kann man gut spekulieren: tippe ein wenig auf unteren Bainit. Auf jeden Fall sind/waren es die Perlitkörner.

Zur harten Mittellage: die feinsten dunkelbraunen Punkte können, wie du schon vermutest, Karbidausscheidungen sein. Interessanter sind die weissen Flecken im letzten Bild. Das wird Restaustenit sein, der sich nicht zu Martensit umgewandelt hat (hohe Austenitisierungstemperatur vorm Abschrecken).

Die schwarzen Punkte => meistens sind es Ätzeffekte, die sich bevorzugt an nichtmetallischen Einschlüssen bilden. Würde dir einen anderen Ätzvorgang empfehlen: Abspülen mit Ethanol => ethanolnass ins Nital => kurz Abspülen mit Wasser => ohne Trocknen mit Ethanol abspülen und sofort mit einem Fön trocknen. Niemals nach dem Ätzen mit einem Tuch o.ä. darüberzuschreiben!!!

Viele Grüße

Erik


stefan_

Hallo Alfred, Bob und Erik,

vielen Dank für die Erklärungen! :) Also für mich zusammengefasst wäre das Resultat also:

- Seitenlage: helle Ferritkörner (alpha-Eisen, krz) + dunkle Perlitkörner (= Ferrit + Zementit Fe3C), alternativ unterer Bainit;

- Schneidlage: dunkler Martensit (nadelförmiger/Plattenmartensit aufgrund C-Gehalt, Aogami 1) + heller Restaustenit.

Wegen der dunklen Körnchen habe ich gestern nochmal den 10-Sekunden-Bereich abgesucht, im gesamten Areal waren diese Körnchen vorhanden. Bei der Ätzung war es allerdings auch so, dass ich (wie bei 90 s und 30 s) das Messer erst in ein großes Becherglas mit Wasser stellen wollte zwecks Abwaschen, aufgrund der Position/Klingenlänge hat das da jedoch nicht hingehauen. Folglich musste ich zum Spülbecken und da unter den VE-Wasser-Hahn ... möglicherweise ist das Nital da innerhalb der ~3 s eingetrocknet und das hat die Flecken begünstigt?

Im Randbereich der 30-Sekunden-Ätzung habe ich gestern dann noch folgendes Bild machen können (hier war der Tropfen anscheinend erst langsam später hingelaufen, die effektive Ätzdauer dürfte dann wieder um 10 s liegen):


Schneidlage, Randbereich 30-s-Ätzung, Objektiv 100x + Tubuslinse 1.5x, Hellfeld.

Hier sind dann kaum schwarze Pünktchen vorhanden (und auch keine störenden blauen Patinaflecke). Ich werde die Tage die Klinge (ist beidseitig geschliffen übrigens!) evtl. neu polieren und nochmal ätzen, wäre interessant ob die schwarzen Punke im alten 10-s-Bereich wieder auftreten oder nicht.

Viele Grüße
Stefan

Alfred Schaller

Hallo Stefan,
es ist so, dass bei der Probenpräparation oft Artefakte auftreten, also durch Präparationsfehler verursachte "falsche Bilder". Ziel der Metallographie ist immer die Darstellung des so genannten "wahren Gefüges".
Eine Deutung nur anhand der Bilder ist schwer. Vermutlich sind die "dunklen/lila Flecken" solche Fehler, da es offenbar keine nichtmetallischen Einschlüsse sind (was meine erste Vermutung war), da sie im neuen Bild nicht auftreten. Die Ätzzeit mit Nital liegt üblicherweise bei 3-5, max 10 Sekunden. Die langen Ätzzeiten führten zu starken Überätzungen (Bild 4), die sich in Verfärbungen äußern. Dein neues Bild und Bild 5 zeigen korrekte Ätzungen. 
Zur Gefügebewertung:
@ Erik: niedriggekohlte Stähle (Randlage) sind nicht härtbar - es gibt weder Martensit noch Bainit. Nach dem Härten werden die Messer immer angelassen, um brauchbare Zähigkeitswerte zu erhalten (und dabei auch weiche Gefügebestandteile zu entfernen) - d.h. Restaustenit ist weg!
Also Stefan: vergiß Bainit und Restaustenit!
Viele Grüße
Alfred

- gern per Du  / Vorstellung -

derda

Lieber Alfred,

ich will mich aufgrund der Bildsituation nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Deshalb nur kurz als Anmerkung: auch einzelne Perlitkörner können austenitisiert und aufgehärtet werden. Deshalb ist bei niedriglegierten Stählen natürlich kein Durchhärten, wohl aber partielles Aufhärten möglich.
Wenn bei kohlenstoffreichen Stählen die Austenisierungstemperatur sehr hoch liegt, kann der Restaustenitanteil stark ansteigen. Dann hilft auch ein starkes Unterkühlen und nachfolgendes Anlassen nicht mehr unbedingt weiter, um diesen vollständig zu beseitigen.
Aber: trau keinem Schliff den du nicht selbst angefertigt hast.

Viele Grüße

Erik

Alfred Schaller

#7
Lieber Erik,
das ist jetzt sehr spezifisch. Ich stimme Dir zu:
Zitat von: Erik W. in April 11, 2018, 19:31:13 NACHMITTAGS
Aber: trau keinem Schliff den du nicht selbst angefertigt hast.
Aber: Ich gehe nicht davon aus, dass Stefan falsch wärmebehandelte Messer gekauft hat. Deine Erklärung kann ich nicht nachvollziehen. Härten heißt: austenitisieren und anschließend schnell abkühlen. Das bedeutet, sowohl Ferrit als auch Perlit wandeln sich in Austenit um. Beim Abschrecken entstehen dann Martensitnadeln, zwischen denen nicht umgewandelte Austenit-Bereiche verbleiben = der Restaustenit (bei genügend hohen C-Gehalten). Bei diesen C-Gehalten wählt man die Austenitisierungstemperatur meist so, dass der Sekundärzementit (meist kuglig ausgeschieden, hat nichts mit Perlit zu tun) nicht gelöst wird.
Außerdem: Ein Messer mit Restaustenit hätte weiche Stellen. Wer würde so etwas wollen?
Übrigens: Perlitkörner gibt es nicht, da jede Ferritlamelle und jede Zementitlamelle ein eigenes Korn ist. Daher spricht man von Perlitkolonien.

Viele Grüße
Alfred
- gern per Du  / Vorstellung -

derda

#8
Lieber Alfred,

aus akademischer Sicht bestimmt nicht falsch und für Maschinenbauer völlig ausreichend.

Viele Grüße

Erik

Alfred Schaller

Hallo Erik,
möge der geneigte und interessierte Leser sich selbst ein Urteil bilden.
Mit metallkundlichen Grüßen
Alfred Schaller
- gern per Du  / Vorstellung -

Bob

#10
Hallo zusammen,

ich habe ja neulich auch eine Stahlprobe angeätzt. Dazu hatte ich 6,5% Salpetersäure verwendet, Rest Wasser. Welcher Unterschied ergibt sich da zu Nital?

Viele Grüße,

Bob

Alfred Schaller

#11
Hallo Bob,
wie ich schon anmerkte, geht es in der Metallographie um die Darstellung des "wahren" Gefüges, die man nur erreicht, wenn man sich an die bewährten Regeln hält. Üblicherweise bedeutet das: keine Verformung, kein Einbringen von Fremdmaterial, keine Kratzer, kein Schmieren, keine Ausbrüche, kein Relief oder Kantenabrundung, kein falsches Gefüge (Artefakte), keine thermischen Schäden.
Deshalb hat Stefan auch die einzelnen Schritte seiner Präparation detailliert dargelegt.
Solche bewährten Regeln gibt es auf vielen Gebieten, z.B. Färbungen biologischer Präparate.
Die Ätzmittel sind über Jahrzehnte durch "try and error" entstanden; andere Ätzmittel führen oft zu anderen Ergebnissen. Die Ergebnisse der Metallographie wurden durch andere Methoden verifiziert.
Da Salpetersäure auch mit Wasser reagiert, unterscheidet sich die "Ätzfähigkeit" wässriger und alkoholischer Lösungen, d.h. der chemische Angriff auf verschiedene Gefügemerkmale ist unterschiedlich. Siehe http://www.helpster.de/salpetersaeure-und-wasser-einfache-erklaerung-fuer-den-loesungsvorgang_170937
Für Mikroschliffe von Eisenwerkstoffen verwendet man Nital als alkoholische Lösung (meist 1-3%). Wässrige Lösungen (5-10%) verwendet man für Makroschliffe, z.B. Schweißnähte. Für andere Werkstoffe oder andere Zwecke sind andere Ätzmittel erforderlich.
Viele Grüße
Alfred
EDIT  Ein Chemiker kann das sicher noch besser erklären.
- gern per Du  / Vorstellung -

derda

#12
Hallo Bob,

Zitat von: Bob in April 15, 2018, 08:39:08 VORMITTAG
ich habe ja neulich auch eine Stahlprobe angeätzt. Dazu hatte ich 6,5% Salpertsäure verwendet, Rest Wasser. Welcher Unterschied ergibt sich da zu Nital?

Korrektur, habe einen Chemiker gefragt: Salpetersäure dissoziiert in Wasser nahezu vollständig und reagiert mit dem Eisen zu Eisennitrat. In der Ethanollösung ist der Dissoziationsgrad geringer, weshalb die Reaktion insgesamt langsamer verläuft.

Noch ein Nachtrag zum Restaustenit, weil dieser von Alfred kategorisch abgewiesen wurde. Blaupapierstahl hat einen Kohlenstoffgehalt >1% (übereutektoid). Das Auftreten von Restaustenit in solchen Stählen ist nicht selten. Auch durch Anlassen ist dieser nicht immer vollständig zu beseitigen.

Viele Grüße

Erik