Viridiraptor invadens - ein "Amöboflagellat"

Begonnen von RainerM, Mai 20, 2018, 17:50:57 NACHMITTAGS

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RainerM

Liebe Mikrofreunde,

ich möchte auf einen interessanten Einzeller hinweisen, der trotz seines recht häufigen Vorkommens wenig bekannt ist und dessen Morphologie und Lebenszyklus recht ungewöhnlich sind.

Es handelt sich um Viridiraptor invadens, der erst vor wenigen Jahren - 2013 - von Sebastian HESS und Michael MELKONIAN beschrieben und taxonomisch eingeordnet wurde. Lebens- und Ernährungsweise von Viridiraptor sind hoch spezialisiert: Er dringt in Spirogyra-Zellen ein und ernährt sich von deren Zellinhalt. Die Bestimmung meines Fundes erfolgte durch Eckhard Völcker, bei dem ich mich dafür wie für mancherlei Rat und Hilfe in dieser und anderer Sache ganz herzlich bedanken möchte.





Hess und Melkonian konstituieren mit Viridiraptor und dem nah verwandten Orciraptor zwei neue Gattungen innerhalb einer gleichfalls dadurch neu definierten Familie der ,,Viridiraptoridae" (Cercozoa, Rhizara), einer Gruppe räuberisch lebender Amöboflagellaten. Viridiraptor invadens ist der bislang einzige beschriebene Vertreter seiner Gattung.

Wie der Begriff ,,Amöboflagellat" schon sagt, tritt Viridiraptor sowohl in Flagellaten- wie in amöboider Zustandsform auf, der Wechsel zwischen beiden erfolgt innerhalb von Sekunden und ist für das Individuum beliebig wiederholbar. Beide Zustandsformen können im freien Wasser wie auch während der Fressphase im Innern der Wirtszelle auftreten.

In seiner Flagellatenform ist Viridiraptor rund oder länglich bis tropfenförmig, von aufgenommenen Nahrungspartikeln abgesehen farblos und misst 10-20 µ im Durchmesser. Die Zelle trägt am vorderen Ende, an dem sich auch der Nucleus befindet, zwei Geißeln von etwa anderthalbfacher Körperlänge, vor allem im hinteren Teil finden sich Nahrungsvakuolen und granuläre Extrusomen.





Auch in der amöboiden Zustandsform sind die beiden Geißeln noch vorhanden, jedoch inaktiv und oft eng am Zellkörper angelegt, so dass sie nur noch schwer zu erkennen sind. Auch der Aufbau der Zelle bleibt gleich, zusätzlich erscheinen jedoch kleine Pseudopodien am vorderen und hinteren Ende, meist jedoch nicht mehr als ein bis vier.



Der Lebenszyklus von Viridiraptor invadens lässt sich folgendermaßen beschreiben:

Zunächst dockt Viridiraptor an der Spirogyra-Zelle an und bohrt ein Loch in deren Zellwand, was etwa 5-10 Minuten in Anspruch nimmt - wie er dies bewerkstelligt, kann ich leider nicht sagen. Durch diese relativ enge Öffnung zwängt sich der Eindringling in seiner Amöbenform ins Innere und beginnt dort sofort mit dem Verzehren des Zellplasmas, insbesondere der Chloroplasten. Das aufgenommene Material erscheint als leuchtend grüne Nahrungsvakuolen in den Angreiferzellen:



Während oder vor der ,,Bohrphase" umgibt sich die Zelle mit einer Art (Gallert-?)Hülle, die nach dem Eindringen über dem Loch verbleibt und vermutlich verhindern soll, dass Nahrungskonkurrenten auf dem gleichen Weg folgen:



Während der Fressphase wachsen die Zellen rasch an und vergrößern ihr Volumen dabei erheblich. Zudem beginnen sie sich zu teilen (s. oberes Exemplar im folgenden Bild), wodurch die Anzahl der Individuen pro Zelle stark zunimmt.



Das äußere Erscheinungsbild der einzelnen Zellen variiert jetzt sehr, von rund über oval bis amorph, was vor allem der zunehmenden Enge in der Algenzelle, wie sie durch Zellwachstum und anwachsender Individuenzahl entsteht, geschuldet ist. Die Viridiraptor-Zellen drängen sich immer dichter zusammen, bis schließlich jeglicher Raum ausgefüllt wird und die Bewegung der Zellen vollständig zum Erliegen kommt. In dieser Phase erfolgt die Verdauung der aufgenommenen Nahrung sowie die Vorbereitung weiterer Zellteilungen.



Die neu gebildeten Zellen haben nun zwei Alternativen: Entweder bohren sie sich durch die Querwand zur nächsten Spirogyra-Zelle und damit zu neuen Nahrungsquellen durch oder sie verlassen die Wirtszelle durch die äußere Zellwand, indem sie in diese wieder ein Loch bohren, diesmal aber von innen und ohne Ausbildung einer schützenden Gallerthülle. Viridiraptor kann nun nach einer neuen geeigneten Algenzelle suchen, womit der Zyklus neu beginnt.



Beide Vorgänge konnte ich beobachten, nicht aber die Ausbildung von Schwärmern im Anschluss an die Verdauungsphase in den dicht gepackten Wirtszellen. Vielmehr hatte ich den Eindruck, als würden die ruhenden Zellen zunehmend degenerieren, bis sich die Zellgrenzen auflösten und nur noch amorphes Plasma in der Spirogyra-Zelle zu erkennen war (s. folgendes Bild). Dafür fehlt mir eine Erklärung. Möglicherweise haben Deckglasdruck und Austrocknung während der Beobachtung den Fortgang des Zyklus unterbrochen?



Trotz seiner hoch spezialisierten Ernährungsweise konnte ich beobachten, dass Viridiraptor im freien Wasser in seiner amöboiden Zustandsform auch einzellige Algen angreift; in der Literatur findet sich darauf kein Hinweis. Ob auch auf diese Weise Nahrung aufgenommen werden kann, kann ich nicht sagen.



Ab und zu fand ich in meinen Proben auch eine amöboide Form, die sich deutlich von der für Viridiraptor beschriebenen unterscheidet und bei schwacher Vergrößerung an Heliozoen erinnert. Ich vermute, dass es sich dabei nicht um Viridiraptor, sondern um einen Vertreter der Gattung Nuclearia handelt.



Alle Aufnahmen am Zeiss Standard WL mit 63x und 100x.

Literatur: Sebastian Hess und Michael Melkonian, The Mystery of Clade X: Orciraptor ge. nov. and Viridiraptor gen. nov. are Highly Specialised, Algivorous Amoeboflagellates (Glissomonadida, Cercozoa). In: Protist, Vol. 164, 706-747, Sept. 2013

Herzliche Grüße
Rainer

güntherdorn

hervorragende fotos, interessant und gut dokumentiert.
danke fürs zeigen!
güntherdorn
- gerne per du -
günther dorn
http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=444.0
www.mikroskopie-gruppe-bodensee.de
gildus-d@gmx.de

Bernhard Lebeda

Lieber Rainer

vielen Dank für den spannenden Bericht!!

Viele Mikrogrüße

Bernhard
Ich bevorzuge das "DU"

Vorstellung

kare

Hallo Rainer,

kann mich hier anschließen, danke für den interessanten und schön bebilderten Beitrag.

Viele Grüße,
Karl

Peter V.

Hallo,

Danke für den schönen Beitrag.

Du kennst vermutlich auch die beeindruckenden Videos des Entdeckers Sebstian Heß, die er auch schon einmal auf einer Kornrade gezeigt hat:

https://www.youtube.com/watch?v=0a4NhrJ9Erw&t=7s

(Ab 1:35 wird's richtig "brutal"  ;))

https://www.youtube.com/watch?v=7WqitahSw0w

(besonders beeindruckend ab 0:49).

...auch die anderen Videos von Sebastian sind sehr sehenswert.

https://www.youtube.com/channel/UCk5Whxo93JCz4CFzyRj_EvA/videos?shelf_id=0&view=0&sort=dd

Herzliche Grüße
Peter


Dieses Post wurde CO2-neutral erstellt und ist vegan. Für 100 Posts lasse ich ein Gänseblümchen in Ecuador pflanzen.

RainerM

Hallo Günther, hallo Bernhard, hallo Karl, hallo Peter,

vielen Dank für eure netten Rückmeldungen auf meinen Viridiraptor-Beitrag - ich freue mich, wenn ihr ihn interessant fandet.

@Peter: Herzlichen Dank für die Links zu den Videos von Sebastian Heß! Ich wusste zwar, dass es sie gibt, hatte sie aber noch nicht gesehen, da der entsprechende Link in der zitierten Veröffentlichung nicht mehr zum Ziel führt. Wirklich beeindruckend! Das glt auch für die anderen Videos, nochmals meinen herzlichsten Dank dafür.

Ich glaube mittlerweile, dass Viridiraptor ein häufig vorkommender Einzeller ist, ich finde ihn nahezu in jeder Probe, die Spirogyra-Algen enthält. Er befällt nach meinen Beobachtungen vornehmlich geschädigte Algenzellen, vielleicht sind gesunde auch in der Lage, sich gegen den Räuber zu schützen. Allerdings zeigen die Videos von Sebastian Heß erfolgreiche Angriffe auf offenbar gesunde Zellen, sind wohl aber unter Laborbedingungen (Zuchtmaterial) entstanden.

Herzliche Grüße
Rainer

Sebastian Hess

#6
Lieber Rainer

das ist eine phantastische Fotodokumentation von V. invadens in einer Naturprobe. Viele Details des Lebenszyklus sind hevorragend getroffen, inklusive der zarten Reticulozysten und dem Prozess der Zellwandpenetration.

Hierzu möchte ich auf eine nachfolgende Arbeit (inkl. Videos) hinweisen, welche die Zytoskelett-Architektur von Viridiraptoriden in versch. Stadien untersucht hat (mittels Fluoreszenzmikroskopie) und zu dem Schluss kommt, dass das Protein Aktin bei Perforation und Penetration eine große Rolle spielt:
https://doi.org/10.1016/j.protis.2016.10.004
(Sollte frei zugänglich sein)

Rainer, auch möchte ich noch auf deine Frage bzgl. der Degeneration der Viridiraptor-Zellen in Spirogyra antworten: Die Zellen sind meines Erachtens geschädigt worden. Möglicherweise durch zu starke/lange Bestrahlung. Ich sehe in den Fotos, welche Du mir per e-mail gesendet hattest, dass die grünen Nahrungsinklusionen zunehmend blasser wurden (Bleichung durch Licht).

Beste Grüße und vielen Dank für diese wunderschönen Aufnahmen,

    Sebastian