"Zwergenhöhlen"- ein spezieller Lebensraum

Begonnen von Michael Plewka, Juni 12, 2018, 09:02:25 VORMITTAG

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Michael Plewka

Hallo zusammen,

als unsere Tochter  noch im Kindergarten war, hatte die Erzieherin den Kindern bei Wald-Exkursionen des öfteren erzählt, dass in den Baumhöhlen  bzw.  Astlöchern Zwerge wohnen:





Aus naturwissenschaftlicher Sicht ist das natürlich völlig korrekt, allerdings sollten sich Erwachsene  die "Zwerge" nicht als "Zwerg-Gartenzwerge" vorstellen.


Insbesondere in den Wasserpfützen, die sich in diesen "Zwergenhöhlen"  bei Regenfällen ansammeln, aber bei entsprechendem Wetter auch wieder austrocknen, entsteht  ein sehr spezieller Lebensraum mit einer sehr charakteristischen Fauna aus   verschiedenen  Organismen  wie beispielsweise Milben, Crustaceen, Insekten(larven), und auch, was mich natürlich besonders interessiert: Rädertieren.

Faktoren, die das Vorkommen von Arten dort bestimmen, sind u.a. die Größe und Tiefe des Lochs, die wiederum Einfluss auf das Licht und den Sauerstoffgehalt haben, sowie Blätter oder andere Pflanzenreste, die sich dort ansammeln. So kann es dann auch sein, dass im Wasser ein Geruch von Schwefelwasserstoff (H2S) wahrnehmbar ist. Durch sich bildende Metallsulfide sind die Blattreste in solchen Höhlen schwarz gefärbt.

Bisher hatte ich mehrfach in den Baumhöhlen der benachbarten Wälder lediglich eine Art bdelloider Rädertiere gefunden, nämlich Habrotrocha thienemanni, wobei diese Art ein gewisses, geruchsmäßig deutlich wahnehmbares  Maß  an H2S zu tolerieren scheint. Hier ein Bild:




weitere Bilder hier:
http://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Habrotrocha%20thienemanni.html

Neulich habe ich nun eine  zweite Rädertier-Art   in einer Baumhöhle gefunden, in welcher allerdings kein H2S feststellbar war: Habrotrocha tripus. Es war einigermaßen knifflig, überhaupt  erst einmal die Gattung zu bestimmen: Habrotrocha zeichnet sich normalerweise dadurch aus, dass die Nahrung in Form von sog. Pillen im Magen vorliegt, die man m.o.w. deutlich sehen kann, wie z.B. hier bei Habrotrocha collaris

http://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Habrotrocha%20collaris.html

Bei H. tripus jedoch sind die Magenpillen praktisch nicht sichtbar, was schon der Entdecker dieser Art (Murray 1907)  erwähnt hat. Auch sonst ist H. tripus innerhalb der Gattung sehr speziell. Während sich bdelloide Rädertiere (außer die Adinetiden) typischerweise "egelartig" bewegen, heftet sich H. tripus - im Gegensatz zu den anderen bdelloiden- ähnlich wie Adineta nicht mit dem Rüssel fest, um den restlichen Körper nachzuziehen. Statt dessen bewegen die ungewöhnlich langen Cilien des Rüssels die Viecher in einer m.o.w. gleitenden Bewegung über das Substrat.

Hier nun mal ein Bild, das den Vorderkörper im Längsschnitt zeigt. Auffällig sind hierbei die langen Cilien des Rüssels (Rostrum) (CiR).


CiR: Cilien des Rostrums; DA: Dorsaltaster; M: Mund; Mx: Mastax; Oe: Speiseröhre (Oesophagus); TD: Räderscheiben.

Weitere Bilder hier:

http://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Habrotrocha%20tripus.html

Beste Grüße & viel Spaß beim Anschauen
Michael Plewka

limno

Guten Morgen Michael,
ja ich hatte viel Spaß beim Anschauen Deiner wie stets perfekt fotografierten Tierchen, ebenso wie bei den Erläuterungen dazu.Immer wieder schön! Danke :) ! Und Fragen  sowie eine Anmerkung hab' ich auch noch....
Von  Habrotrocha collaris zeigst Du ein Bild des Fußes. Leider strecken die Damen ihre Zehen selten aus. Mit etwas Phantasie kann man im Fuß ein Gesicht erkennen. "Augen" und "Nase" sind die eingezogenen Zehen, darunter der verkehrt trapezförmige Lachmund, oder ?
Weiter unten sind die Trophi des Tieres zu sehen. Du gibst als Zahnformel 7/7 an. Ich aber sehe 8/8. ;D Bei den anderen Zahnformeln der Seite bin ich mit Dir einig.

Im Schlüssel des DONNER zu den Gattungen und auch sonst bleibt die Anmerkung MURRAYs unerwähnt. Lediglich die Zeichnungen auf S.52 könnte man als impliziten Hinweis deuten, aber eigentlich sollte so etwas in einem guten Schlüssel schon erwähnt sein, ansonsten ist man gleich zu Beginn auf dem Holzweg. Danke für diesen wichtigen Hinweis!
Mit rädernden Grüßen
Heinrich
So blickt man klar, wie selten nur,
Ins innre Walten der Natur.

Michael Plewka

#2
Hallo Heinrich,

vielen Dank für den netten Kommentar. Ich weiß Dein Interesse an den Rädertieren zu schätzen!

Allerdings  kann ich deine Frage nach dem "Gesicht im Fuß" nicht wirklich beantworten....;-)

Mit der Frage nach der Zahnformel sprichst Du ein interessantes Thema an. Zunächst: das ursprüngliche Bild vom Kauer, auf das Du dich beziehst, war ein Ausschnit aus dem Bild darüber, welches für die Ausgabegröße im www. "optimiert" ist. Für den kleinen Ausschnitt ist das aber "zuviel des Guten", so dass ich jetzt eine weniger "hart" bearbeitete Version derselben Quelle eingestellt habe.

Die Zahnformel von einem lebenden bdelloiden Tier abzuleiten ist immer problematisch. Das wird besonders beim ersten Kauerbild auf der H. collaris-Seite deutlich: im Uncus, der rechts abgebildet ist, nimmt die Größe der Hauptzähne kontinuierlich ab (hinzu kommt, dass die Unci gebogen sind, so dass nicht alle Zähnchen in derselben Schärfeebene liegen.). Was soll man da als Zahnformel angeben? Ich habe darüber bereits mit einigen Bdelloid-Experten gesprochen: bisher gibt es keinen Standard, nach welchem gezählt wird, außer dass der Kauer  natürlich mittels SEM eindeutiger zu vermessen ist.

Hinzu kommt natürlich, dass es selbstverständlich auch fürs LM besser ist, den Kauer freizulegen und so zu pressen, dass alle Uncizähne in einer Ebene sind, was aber nicht immer gelingt.


Noch ein Wort zu Donner:
Nach eigenen Aussagen hat ihn die Fertigstellung seines Buchs (das nach 50 Jahren immer noch DIE Referenz ist, was Bdelloide angeht)  zwei Herzinfarkte gekostet, was ich mittlerweile angesichts der verworrenen Literatur, die ihm zur Verfügung stand, sehr gut nachvollziehen kann. Hinzu kommt, dass es die Gattung Habrotrocha 1907 noch gar nicht gab, sondern H. tripus zusammen mit anderen Bdelloiden in der Gattung Callidina zusammengefasst war. Ich jedenfalls habe allergrößten Respekt vor dem, was Donner da zusammengeschrieben hat.


Beste Grüße
Michael Plewka

limno

#3
Hallo Michael,

das "Gesicht im Fuß" habe ich für Dich mit rotem Stift markiert und hoffe, dass "Augen" und "Nase" die eingezogenen Zehen sind.Bei der Zahnformel sind es jetzt auch bei mir 7. Danke!
Die "pillenlose" Habrotrocha hätte ich mit Sicherheit nicht als solche erkannt. Daher meine Verwunderung, dass die Problematik nicht im Schlüssel erwähnt ist und Du berichtest ja, dass diese Art selbst für Dich schwierig zu bestimmen war. Einen guten Schlüssel zu verfassen, noch dazu in einer damals kaum systematisch erfassten Unterordnung, war und ist sicherlich ein mühseliges Unterfangen Keinesfalls wollte ich mit meiner Anmerkung zum Schlüssel das Verdienst DONNERs schmälern, das stünde mir nicht zu.

DONNER hat zweifellos Pionierarbeit geleistet. Walter KOSTE hat damals auf eine Monografie über die Bdelloidea verzichtet, weil mit dem "DONNER" schon ein Werk vorfand, das er selbst nicht besser hätte schreiben können. Außer dass DONNER ein Ordensmann gewesen ist, weiß ich leider nichts weiter über ihn.Aus der Reihe "Bestimmungsbücher zur Bodenfauna Europas" habe ich einzig dieses Standardwerk, erschienen im Akademie-Verlag Berlin. Andere Bücher aus dieser Reihe habe ich nirgendwo gefunden. Weißt Du Näheres?
Viele Mikrogrüße
Heinrich
So blickt man klar, wie selten nur,
Ins innre Walten der Natur.

Michael Plewka

hallo Heinrich,

jetzt habe ich verstanden (ich hatte Deine Aussagen auf ein anderes Bild bezogen). Deine Interpretation ist korrekt; allerdings kann ich den trapezförmigen "Mund" keiner realen Struktur zuordnen. Mittlerweile habe ich entsprechende Markierungen auf das Bild gesetzt und den Text verändert, so dass es jetzt leichter verständlich sein sollte.

Zu deiner Frage bezüglich der Reihe "Bestimmungsbücher zur Bodenfauna Europas" kann ich leider nichts weiter beitragen.


Beste Grüße
Michael Plewka

limno

Danke Michael für Deine Antwort! Irgendwie hatte ich sie übersehen und mich gewundert... :) Pardon!

Heinrich
So blickt man klar, wie selten nur,
Ins innre Walten der Natur.