Arachnidiopsis paradoxa - mein bisheriger Kenntnisstand

Begonnen von Martin Kreutz, Oktober 17, 2018, 21:00:04 NACHMITTAGS

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Martin Kreutz

Liebes Forum,

ich möchte hier über meine bisher zusammengetragenen Bilder und Fakten über Arachnidiopsis paradoxa berichten. Diese sehr seltsame Lebensform ist zum ersten Mal 1918 von Eugene Penard beschrieben worden (s. Literaturhinweise unten). Er hat eine sehr genaue Beschreibung geliefert und präzise Zeichnungen:


Abb. 1: Arachnidiopsis paradoxa aus: Penard, E. (1922): Études Sur Les Infusoires D'eau Douce, Genève: Georg et Cie. 

Nach Penards Beobachtungen ist Arachnidiopsis paradoxa 30 – 48 µm lang und besitzt zwei synchron rudernde Tentakel, die ca. 40 µm lang und bandförmig abgeflacht sind (s. Abb. 1, Zeichnung 8 ). Ziemlich genau in der Zellmitte ist ein Konglomerat aus Stäbchenbakterien vorhanden, dem ein kleiner, runder und mit einer deutlichen Membran versehener Zellkern anliegt. Es ist eine KV vorhanden, die terminal liegt. Außerdem konnte Penard amöboide Stadien beobachten (s. Abb. 1, Zeichnung 5). Penards Fundorte waren der ,,Sumpf von Pinchat" und der ,,Teich von l'Ariana". Beide Fundorte lagen bei Genf und sind durch Baumaßnahmen heute nicht mehr existent. In ihnen fand Penard ,,mehrere" Exemplare. Er schreibt auch (übersetzt): ,,man konnte ihn dort nur spärlich finden und der Erfolg war von der Ausdauer des Beobachters abhängig". Den Namen ,,Arachnidiopsis" hat er auf Grund des ,,spinnwebartigen" Konsistenz der Bakterienmasse gegeben, welche dem Kern angelagert ist. Wie man auf den Zeichnungen sieht, besitzt Arachnidiopsis paradoxa zwei lange und kräftige Tentakel zur Fortbewegung. Auch Penard wusste diese Art auf Grund dieser Merkmale nicht recht einzuordnen (deshalb "paradoxa"), erwähnte aber, dass der Zellkern vom Aussehen her typisch für ,,Infusoires" wäre, obwohl er keinen Mikronukleus nachweisen konnte. Diese Bemerkung Penards hat widerum Kahl dazu veranlasst, Arachnidiopsis bei den ,,Ciliaten unsicherer Stellung" aufzuführen (s. Kahl, S. 177). Kahl schreibt dazu: ,,Weitere Untersuchungen müssen zeigen, ob dieser seltsame Infusor den Ciliaten oder den Rhizopoden näher steht". Er selbst hat Arachnidiopsis jedoch nie gefunden, sondern bezieht sich ausschließlich auf die Beschreibungen Penards. Daran mag man erkennen, wo hier das Problem liegt, denn Arachnidiopsis paradoxa ist extrem selten.

Nach Penard gab es nach meinem Kenntnisstand nur noch zwei weitere dokumentierte Nachweise. Der erste Nachweis nach Penard gelang mir im Jahr 2006, als ich zwei Exemplare im Simmelried fand (GPS Position: 47°43'4.20"N/  9° 5'36.16"E). Ich berichtete darüber im Mikrokosmos 2008 (s. Literturhinweise unten). Den zweiten Nachweis nach Penard gelang Joachim Wygasch im Jahre 2007 in seinem Gartenteich bei Paderborn, von dem er mir 2013 berichtete (private Mitteilung). Wygasch hat zwar ein Video von seinem Fund aufgenommen, aber nur von einem frei schwimmenden Exemplar bei hoher Schichtdicke. Eine detaillierte Untersuchung von einem isolierten Exemplaren oder gar gequetschten Exemplar hat er nicht durchgeführt. Einen weiteren Fundort von Arachnidiopsis paradoxa konnte ich 2017 in St. Ulrich am Pillersee lokalisieren. Dort fand ich im Juni 2017 ein Exemplar in einem kleinen, polysaproben Teich mit den Koordinaten 47°31'49.56"N/ 12°34'26.35"E. Weitere Nachweise sind mir nicht bekannt.

Meine erste Begegnung mit Arachnidiopsis erfolgte im Juli 2006, in einer Probe aus dem Simmelried. Dabei habe ich die oberste Schlammschicht in ca. 50 – 70 cm Tiefe beprobt. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits 13 Jahre lang das Simmelried intensiv durchsiebt und in tausenden Proben keine Spur von Arachnidiopsis finden können. Ich fand dann im Juli 2006 nur ein einziges Exemplar und zwar in einem Präparat, bei dem das Deckglas bereits auflag. D.h. ich konnte das 25 µm lange Exemplar nicht mehr isolieren und quetschen. Zudem konnte ich mit meiner damaligen Ausrüstung schnell bewegliche Objekte mit dem 100 X Objektiv nicht blitzen. Daher gibt es von diesem Fund nur 4 Dias, welche alle mit dem 60X Objektiv aufgenommen wurden und von denen ich hier drei zeige:


Abb. 2: Arachnidiopsis paradoxa, amöboide Form, 1. Exemplar, Juli 2006. L = 25 µm. TE = Tentakel, PS = Pseudopodien.

Abb. 3: Arachnidiopsis paradoxa, amöboide Form, 1. Exemplar, Juli 2006. L = 25 µm. PS = Pseudopdien, KV = kontraktile Vakuole.

Abb. 4: Arachnidiopsis paradoxa, amöboide Form, 1. Exemplar, Juli 2006. L = 25 µm. TE = Tentakel, PS = Pseudopodien.

Ich erkannte, dass ich durch viel Glück offensichtlich die amöboiden Eigenschaften von Arachnidiopsis paradoxa dokumentiert hatte, die Penard erwähnt und in seiner Zeichnung 5 abgebildet hat (s. Abb. 1). Durch die Umstände des Fundes konnte ich die Kernverhältnisse leider nicht prüfen. Ich musste jedoch nur 4 Monate warten, als ich im November 2006 ein zweites Exemplar fand. Es war wirklich wie verhext, denn auch diesmal fand ich das Exemplar in einem Übersichtspräparat mit aufgelegtem Deckglas. Einige, mit eingeschlossenen Detritusteilchen verhinderten wieder das Quetschen des Exemplars. Jedoch versuchte ich diesmal mit dem 100X Objektiv zu arbeiten, wobei ich den DIK wegen meiner damaligen Ausrüstung (analog) nur sehr schwach kontrastieren konnte, um genügend Licht vom Blitz passieren zu lassen:


Abb. 5: Arachnidiopsis paradoxa, 2. Exemplar, frei schwimmend. November 2006. L = 30 µm. TE = Tentakel, ZK = Zellkern, KV1 + KV2 = kontraktile Vakuolen.

Abb. 6: Arachnidiopsis paradoxa, 2. Exemplar, frei schwimmend. November 2006. L = 30 µm. BM = Bakteriemasse, ZK = Zellkern, KV = kontraktile Vakuole.

Abb. 7: Arachnidiopsis paradoxa, 2. Exemplar, frei schwimmend. November 2006. L = 30 µm, BM = Bakteriemasse, ZK = Zellkern, KV = kontraktile Vakuole.

Diesmal konnte ich mehr Details festhalten. Man erkennt natürlich die beiden ca. 45 µm langen Tentakel, welche ganz außergewöhnlich unter den Protozoen sind, vielleicht sogar einmalig. Sie vollführen eine schnelle, scheinbar synchrone Ruderbewegung, wodurch  Arachnidiopsis paradoxa recht schnell schwimmt. Sie scheinen im Querschnitt oval zu sein, jedoch nicht bandförmig, wie Penard sie beschrieben und gezeichnet hat (s. Abb. 1, Zeichnung 8 ). In der Zellmitte lokalisiert, erkennt man die Bakterienmasse, welche Penard beschreibt und deutlich einen 6 - 7 µm großen, runden Zellkern. Weil auch ich keinen eindeutigen Mikronukleus entdecken konnte, möchte ich hier nicht von Makronukleus sprechen. Der runde Zellkern ist in der Hinsicht auffallend, das er einen hochbrechenden Rand hat, der dem mancher Amöbenarten mit einem randständigen Nukleolus ähnelt (z.B. die Art Polychaos annulatum). Ich denke, mit diesem Rand hat Penard in seiner Erstbeschreibung die "deutliche Membran" um den Kern gemeint. Bei diesem Exemplar glaubte ich zwei KV's zu erkennen (s. Abb. 5), obwohl Penard nur eine erwähnt hat. Dieser Fund erbrachte die ersten brauchbaren Fotos und eine generelle Bestätigung der von Penard beschriebenen Merkmale. Ich konnte aber leider immer noch nicht die genauen Kernverhältnisse prüfen oder den Ursprung der Tentakel genauer betrachten. Ich musste mich 10 Jahre gedulden, bis ich im Februar 2016 mein drittes Exemplar im Simmelried fand. Auch diesmal stammte das Exemplar aus der obersten Schlammschicht. Diesmal war die Fundsituation in einer Übersichtsprobe ohne Deckglas. So konnte ich das Exemplar diesmal herauspipettieren und isolieren. Nach dem Auflegen des Deckglases musste ich jedoch feststellen, dass das Exemplar ausgerechnet am Deckglasrand zum liegen kam. Ich dachte schon an einen Arachnidiopsis-Fluch und spülte das Exemplar mit etwas Mühe zurück in die Deckglasmitte, ohne es zu beschädigen. Hier konnte ich das Exemplar schließlich festlegen und quetschen. Bei dem Anfangs noch frei schwimmenden Exemplar glückten mir die folgenden Aufnahmen (s. Abb. 8 + 9), auf denen eine tubusartige Struktur festgehalten ist, aus denen die Tentakel zu entspringen scheinen. Sie erinnerten mich etwas an das Staborganell von Entosiphon sulcatum:


Abb. 8 + 9: Arachnidiopsis paradoxa frei schwimmend. 3. Exemplar, Februar 2016. Pfeile = tubusartige Struktur als Ursprung der Tentakel.

Mit abnehmender Schichtdicke ist mir meine bis dahin beste Aufnahme eines frei schwimmenden Exemplare geglückt. Es ist 38 µm lang und 33 µm breit, was exakt zu den Angaben von Penard passt. Vergleicht man diese mit den Aufnahmen von November 2006 (s. Abb. 5-7), so fällt auf, dass die Tentakel bei dem Exemplar von 2016 scheinbar dicker sind als bei dem Exemplar vor 10 Jahren. Sie scheinen eine gewisse Variabilität aufzuweisen:


Abb. 10: Arachnidiopsis paradoxa, frei schwimmend. 3. Exemplar, Februar 2016. L = 38 µm, B = 33 µm.

In der Zellmitte von Arachnidiopsis paradoxa liegt eine Bakterienmasse mit einem Durchmesser von 10-12 µm mit unbekannter Funktion. Bereits Penard hat diese beschrieben (s. Abb. 1, Zeichnung 6 und 7). Man kann aber davon ausgehen, dass es symbiontische Bakterien sind. Sie liegen so dicht, dass man beim durchfokussieren die Form der einzelnen Bakterienzellen kaum erkennen kann. Fokussiert man jedoch auf die Oberfläche der Bakterienmasse, lassen sich einzelne Zellen unterscheiden (s. Abb. 11). Ich konnte eindeutig zwei Arten von Bakterien unterscheiden.


Abb. 11: Arachnidiopsis paradoxa, 3. Exemplar, leicht gequetscht. B1, B2 = 2 Typen symbiontischer Bakterien

Wird nun die Schichtdicke noch weiter verringert, erkennt man deutlich den runden Zellkern (s. Abb. 12), welcher der Bakterienmasse offensichtlich anliegt und zumindest teilweise von dieser umschlossen wird. Einen Mikronukleus, wie für Ciliaten typisch, konnte ich nicht eindeutig ausmachen. Im Gegensatz zu meinem 2. Exemplar von November 2006 (s. Abb. 5-7) konnte ich diesmal nur eine KV erkennen, die terminal lokalisiert ist. Im apikalen Teil der Zelle sind die hochbrechenden Strukturen zu erkennen, aus denen die Tentakel entspringen, ohne das deren genaue dreidimensionale Form erkennbar wird.


Abb. 12: Arachnidiopsis paradoxa, leicht gequetscht. BM = Bakterienmasse, KV = kontraktile Vakuole, ZK = Zellkern.

Im Juni 2017 fand ich das vierte Exemplar einem polysaproben Teich in St. Ulrich am Pillersee in Österreich. Der kleine Teich liegt hinter einem Parkplatz. Leider konnte ich das Exemplar nicht dokumentieren, da ich keine Fotoausrüstung dabei hatte. Aber Ole Riemann war mit seinem Zeiss vor Ort und konnte ein Video und einige Fotos schießen (s. weiter unten in diesem thread). 

Das fünfte Exemplar fand ich wieder im Simmelried im Juni 2018. Ich hatte diesmal Glück. Das Exemplar hatte zwar die Tentakel schon eingeschmolzen, lag aber isoliert und mittig unter dem Deckglas. Der Arachnidiopsis-Fluch schien gebrochen! Ich konnte die Schichtdicke also gut reduzieren um die Bakterienmasse und den Kern mal näher zu untersuchen. Der Kern dieses Exemplares hatte eine Durchmesser von 8 µm:


Abb. 13: Arachnidiopsis paradoxa, 5. Exemplar, Juni 2018, Simmelried. Bakterienmasse (BM) und Zellkern (ZK).

Die Bakterien inder Bakterienmasse konnte ich diesmal auch genauer untersuchen. Die dünneren Bakterien (B1) sind 3 µm lang und die dickeren (B2) 4,5 µm. Genau diese Kombination erinnert mich stark an die Gemeinschaft von symbiontischen Bakterien in Pelomyxa binucleata, Dinamoeba mirabilis oder auch in einigen Ciliaten (Spathidium, Metopus oder Brachonella).


Abb. 14: Arachnidiopsis paradoxa, 5. Exemplar, Juni 2018, Simmelried. Bakteriemasse bestehend aus den dünneren, 3 µm
langen Bakterien B1 und den dickeren, 4,5 µm langen Bakterien B2.

Meine 6. Exemplar, welches ich erst gestern am 16.10.2018 fand, lag wie für mich vorbereitet unter dem Deckglas in der richtigen Schichtdicke und mit intakten Tentakeln. An diesem Exemplar erkennt man auch, dass offensichtlich eine Alge phagocytiert wurde. Es gibt jedoch keine Nahrungsvakuolen, wie bei den Ciliaten. Vielmehr scheinen die Nahrungsbrocken verteilt im Plasma zu liegen.


Abb. 15: Arachnidiopsis paradoxa, 6. Exemplar, Oktober 2018, Simmelried. Im Zellkern erkennt man einen Nukleolus (NU).

An diesem Exemplar konnte ich den Ursprung der Tentakel nochmal genauer untersuchen. Sie scheinen aus einer Art Tubus zu entspringen, der mit einem hyalinen Material (Plasma) gefüllt ist, wie Penard es auch beschreibt.


Abb. 16: Arachnidiopsis paradoxa, 6. Exemplar, Oktober 2018, Simmelried. Ursprung der Tentakel aus einem Tubus (TU).

Wie die Tentakel gebildet werden und wie die (kräftige) Bewegung erzeugt wird, bleibt rätselhaft. In dem stärker gepressten Exemplar erkennt man zudem dass die Tuben verbunden sind, über eine leicht verdickte Kontaktstelle.


Abb. 17: Arachnidiopsis paradoxa. 6. Exemplar, Oktober 2018, Simmelried, verbundene Tuben (TU) als Ursprung der Tentakel. ET = eingeschmolzene Tentakel.

Hier die Zusammenfassung meiner bisherigen Bebachtungen an Arachnidiopsis paradoxa:

Länge Körper: 25 – 38 µm
Länge Tentakel: 35 – 45 µm, apikal, links und rechts entspringend.
Dicke Tentakel: 4-5 µm (an Basis), drehrund bis elliptisch, nicht hohl.
Zellkern: 6- 8 µm mit derber Kernmembran und zentralem Nukleolus.
Bakterienmasse: 10 – 12 µm im Durchmesser mit zwei verschiedenen Bakterienarten (B1 = 3 µm, B2 = 4,5 µm)
Kontaktile Vakulole: 1 terminale KV
Weitere Merkmale: Keine Nahrungsvakuolen, Nahrung wahrscheinlich Algen, amöboide Fortsätze (terminal), keine sichtbare Mundöffnung, schnell schwimmend, synchroner Tentakelschlag, verbundene Tuben als Tentakelursprung, glatte Pellikula, schneller Schwimmer, in Faulschlammzone mit viel Pflanzenmasse, vergesellschaftet mit Loxodes und Metopus-Arten. 

Soviel zu meinen bisherigen Beobachtungen an 6 gefundenen Exemplaren von Arachnidiopsis paradoxa in 25 Jahren am Simmelried. Was kann man aus den bisherigen Erkenntnissen schließen? Ich habe über meine bisherigen Befunde mit Wilhelm Foissner diskutiert. Er glaubt nicht, dass Arachnidiopsis den Ciliaten zugerechnet werden kann, sondern eher zu den Amöben gerechnet werden muss, da weder Cilien noch ein Mikronukleus beobachtet wurden. Außerdem ist Arachnidiopsis zu amöboiden Stadien befähigt (s. Abb. 1, Zeichnung 5 und Abb. 2-4), bildet keine Nahrungsvakuolen und besitzt eine Bakterienmasse unbekannter Funktion. Eventuell stellen die Tentakel eine bewegliche Form von Pseudopodien dar. Man muss auch darüber nachdenken, ob die ,,vegetative" Form von Arachnidiopsis nicht eine ganz andere ist! Vielleicht findet man diese Art nur deshalb so selten, weil es sich bei dem beweglichen Stadium, mit den schnell rudernden Tentakeln, evtl. um eine aktive Erscheinungsform einer Amöbe handelt, die nur unter ungünstigen Lebensbedingungen angenommen wird. Die amöboide, nicht schwimmende Form, mag vielleicht ganz anders aussehen. Wenn dem so ist, dann müsste man diese amöboiden Stadien von Arachnidiopsis paradoxa zumindest an der zentralen Bakterienmasse und der typischen Kernform erkennen. Noch ist mir eine solche Spezies in meinen Proben aber noch nicht untergekommen. Es bleiben also weiterhin genügend Fragen offen. Eine wirkliche Klärung aller Fragen kann wahrscheinlich nur eine molekularbiologische Untersuchung des Erbgut von Arachnidiopsis erbringen, bei der die verwandtschaftlichen Beziehungen und Einordnung in den Stammbaum endgültig geklärt werden könnten. Vielleicht kann ich in zehn Jahren, wenn ich dann ein weiteres Exemplar finden sollte, diese Genanalyse schon an einem Tischgerät zu Hause durchführen, die es bis dahin dann vielleicht geben wird. 

Allen einen schönen Abend!

Martin


Literatur
   
Kahl, A. (1935): Urtiere oder Protozoa (Infusoria). In: Dahl, F. (Hrsg.): Die Tierwelt Deutschlands, Gustav Fischer Verlag, Jena.

Kreutz, M. (2008): Begegnung mit Arachnidiopsis pararadoxa. – Mikrokosmos, 97: 31-34.

Kreutz, M., Foissner, W. (2006): The Sphagnum Ponds of Simmelried in Germany: A Biodiversity Hot-Spot for Microscopic Organisms. Protozoological Monopgraphs, Vol. 3. Shaker Verlag, Aachen.

Penard, E. (1918): A new type of infusorian. Arachnidiopsis paradoxa. J. R. Micr. Soc.

Penard, E. (1922): Études Sur Les Infusoires D'eau Douce, Genève: Georg et Cie. 

Penard, E. (1937): L' Arachnidiopsis paradoxa. Bull. Soc. Fr. Micrc., Paris.

Fahrenheit

Lieber Martin,

danke für diesen sehr interessanten Bericht mit den aussagekräftigen Aufnahmen! Obwohl ich nur selten und dann eher dilletantisch tümple, habe ich ihn mit Spannung gelsen.

Auch wenn ich selbst nichts beitragen kann, drücke ich die Daumen, dass durch den Beitrag hier mehr Sichtungen dokumentiert werden und sich vielleicht Erkenntnisse zusammen führen lassen.

Herzliche Grüße
Jörg
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Arbeitsmikroskop: Leica DMLS
Zum Mitnehmen: Leitz SM
Für draussen: Leitz HM

Michael L.

Hallo Martin,

danke für diesen wirklich hochinteressanten und aufwendigen Beitrag. Erstaunlich was es im Verborgenen sozusagen vor der Haustür noch zu entdecken gibt.

Viele Grüße,

Michael

anne

Hallo Martin,
ein (unfachliches) "toll"!!!

Da die Dimension dieses seltsamen Wesens sich unter 50µm befindet ist es fotografisch eine absolute Meisterleistung.

Danke für diesen wirklich spannenden Bericht.

lg
anne

MichaelGrote

Hallo Martin,

danke für die Dokumentation, ein toller Bericht!

Gruß, Michael

Eckhard

#5
Guten Morgen Martin,

ein toller Fund und natürlich wieder excellent dokumentiert. Ich habe diese Amöbe auch schon einmal unter dem Deckglas gehabt. Erstaunlich ist die Kraft, mit der die beiden Cilien sich bewegen. Ich muss gestehen, das war ziemlich am Anfang meiner Bekanntschaft mit Amöben und ich habe das als Bruchstück eines Ciliaten eingeordnet. Nach deinen Bildern bin ich mir sicher, dass es sich um eine Amöbe handelt, möglicherweise sogar aus Amoebozoa. 

Mittlerweile haben die Molekularbiologen viel Arten aus dem Baum des Lebens ausführlich analysiert. Gerade Amoebozoa hat dabei die deutlichsten Veränderungen erfahren. Ohne auf Hintergründe einzugehen, nur soviel dazu:

Man geht davon aus, der letzte gemeinsame Vorfahre aller Amoebozoa lebte etwa vor 1.2 Milliarden Jahren. Er hatte einen komplexen Lebenszyklus mit Zysten, Troiphozoyten, Flagellatenform, und konnte Sporenkörper erzeugen. Er konnte sich sowohl vegetativ als auch mit Sex vermehren. Überall in Amoebozoa finden wir noch Amöben, die Teile dieser Eigenschaften haben. Auch wenn der Großteil der heute bekannten Amöben diesen komplexen Lebenszyklus stark reduziert hat und z.b. nur noch als Troiphozoyte, der sich asexual vegetativ vermehrt, auftritt, gibt es in den Familien immer wieder Vertreter, bei denen sich Teile des ursprünglichen Lebenszyklus erhalten haben.

Von daher passt dein Arachnidiopsis perfekt ins Bild. Multicilia marina gehört auch zu Amöbozoa und hat auch diese "Tuben" aus denen die Cilien rauskommen. Ich muss mal schauen, ob ich ein paar Aufnahmen von Mulitcilia zum Vergleich bekomme.

Herzliche Grüße,
Eckhard
Zeiss Axioscope.A1 (HF, DF, DIK, Ph, Pol, Epifluoreszenz)
Nikon SE2000U (HF, DIK, Ph)
Olympus SZX 12 (HF, DF, Pol)
Zeiss Sigma (ETSE, InLens SE)

www.wunderkanone.de
www.penard.de
www.flickr.com/wunderkanone

Ole Riemann

#6
Hallo Martin,

herzlichen Dank für Deinen bewunderungswürdigen Bericht über Deine Erfahrungen mit diesem rätselhaften Einzeller.

Der Vollständigkeit halber kann ich noch Exemplar Nr. 4 Deiner Reihe beitragen: Wir hatten damals das von Dir gefundene Exemplar bei mir am Mikroskop filmen können. Leider mit den üblichen Problemen - Lage am Deckglasrand, Sandkörnchen, leichter Probenstress bei der überbordenden Vielfalt des Pillersee-Materials, dazu ein schwer belasteter, schwingender Küchentisch ... Dennoch hier der Beleg mit sehr bescheidener Bildqualität (ein Standbild aus dem damaligen Video). Das arme Wesen war schon wirklich mitgenommen, es fehlte ein - soll ich sagen Tentakel/Cilium? - und es drehte sich hilflos im Kreis.

Beste Grüße

Ole

P.S. Ich sehe gerade, dass ich damals auch einzelne Fotos gemacht habe. Ich ergänze daher noch ein Bild mit Fokus auf dem Zellkern und der Bakterienmasse.


Martin Kreutz

#7
Hallo Zusammen,

herzlichen Dank an alle, für die positiven Rückmeldungen! Ja, an dem Beitrag habe ich etwas länger rumgefrickelt, bis ich alles zusammen hatte!

@ Eckhard: Vielen Dank für diese Hinweise, von denen ich keine Kenntniss hatte. Ich habe gerade mal nach Mulitcilia marina gegoogelt, konnte jedoch keine Abbildung finden. Es wäre interessant zu sehen, ob es vergleichbare Strukturen (Tentakel) bei marinen Amöbozoa gibt.

@ Ole: Richtig, da saßen wir am Küchentisch bei Angie an unseren Mikros als mir Nr. 4 durch die Optik schwamm. Ich kann mich auch erinnern, dass wir das Vieh unter Dein Zeiss gelegt haben, aber ich war mir gar nicht mehr bewusst, dass Du ein Video und auch Fotos aufgenommen hast. Auch auf Deinem zweiten Foto erkennt man die gleiche Anordung von Bakterienmasse und einem runden Zellkern mit deutlicher Membran. Eine sehr gute Ergänzung! Vielen Dank!

In meinem Beitrag erwähne ich, dass mich die symbiontischen Bakterien von Arachnidiopsis an die von Pelomyxa erinnern. Ich habe gerade mal mein Archiv konsultiert und noch diese Aufnahme aus dem Innenleben von Pelomyxa binucleata gefunden. Deren 2 Zellkerne sind von einem "Halo" von symbiontischen Bakterien umgeben. Auch hier findet man die dicken, fast rechteckigen Formen und sehr dünne, fast nadelförmige. Im Foto unten ist das "Bakterien-Halo" vom ersten Kern im Fokus in der Bildmitte und unten rechts findet sich der zweite Kern im Fokus. Die Ähnlichkeit dieser Zusammensetzung ist für mich ein weiteres Indiz, dass Arachnidiopsis paradoxa eine Amöbe ist.

Martin


SB = symbiontische Bakterien
ZK = Zellkern

Eckhard

#8
Hallo Martin,

Vielleicht ist Arachnidiopsis der Gamet einer ansonsten "normalen" Amöbe und gar nicht zur Nahrungsaufnahme fähig? Das wäre zumindest meine Arbeitshypothese.

Ich habe Dir eine Arbeit zu der neu gefundenen Gattung Anaeramoebidae geschickt. Obwohl diese Amöben morphologisch wie eine Flamella sp. aussehen, gehören sie wohl zu einer ganz anderen Gruppe (Metamonada, anaerobe Flagellaten ohne Mitochondrien) und haben mit Amoebozoa nichts zu tun. Anaeramoebidae kann auch Flagellaten bilden, die sehen Deinen Aufnahmen recht ähnlich.

Bei den Bakterien als Kriterium für "Amöbe" wäre ich vorsichtig. Amöben sind Protisten, die zu amöboider Bewegung bzw. Nahrungsaufnahme fähig sind -  das ist keine genetisch zusammenhängende Gruppe. Endosymbiontische Bakterien kommen in vielen Gruppen vor. Anaerobe und mikroaerobe Protisten haben meistens besonders deutlich sichtbar Mitosomen, Reste von Mitochondrien und echte Endosymbionten im Plasma. Von daher würde ich die Bakterien eher als Hinweis auf ein wahrscheinlich mikroaerobes Habitat halten.

Herzliche Grüße,
Eckhard

Ps: Multicilia war als ein Beispiel für Amoebozoa mit vielen Cilien gemeint. Es gibt ein Projekt dazu, was aber etwas eingeschlafen ist. Deswegen sitzen alle Autoren auf den Bildern, Sequenzen etc. Die bisherigen Ergebnisse werfen mehr Fragen auf, als sie Antworten geben.
Zeiss Axioscope.A1 (HF, DF, DIK, Ph, Pol, Epifluoreszenz)
Nikon SE2000U (HF, DIK, Ph)
Olympus SZX 12 (HF, DF, Pol)
Zeiss Sigma (ETSE, InLens SE)

www.wunderkanone.de
www.penard.de
www.flickr.com/wunderkanone

Martin Kreutz

#9
Hallo Eckhard,

vielen Dank für den Artikel, den Du mir geschickt hast! Die Untersuchungen von Táborsky, Pánek und Cepicka an den Anaeramoebidae sind wirklich sehr interessant (s. Literatur unten) und ich hätte nicht geglaubt, dass es ähnliche Lebensformen im marinen Bereich gibt.

Da eventuell nicht alle Leser Zugriff auf diesen Artikel haben, erlaube ich mir einen kleinen Auszug daraus einzustellen, der auch meinen Arachnidiopsis-Beitrag ergänzen soll:

Die Autoren (Táborsky, Pánek und Cepicka) beschrieben in ihrem Artikel 6 neue Arten von marinen, anaeroben Amöben, die sie der Familie der Anaeramoebidae zuordnen. Zwei von diesen neuen Arten bilden schwimmfähige Stadien mit Flagellen, welche den Tentakeln von Arachnidiosis paradoxa sehr ähnlich sind. Auch viele weitere Merkmale scheinen übereinzustimmen. Sie schreiben dazu (übersetzt): "Kulturen von zwei Anaeramoeba-Arten, A. ignava und A. gargantua, produzierten gelegentlich Flagellen-Spätstadien. Die Flagellaten waren in der Kultur immer sehr selten, und die Anzahl der beobachteten Zellen nahm sogar ab, so lange, bis keine Flagellaten für mehr als zwei Jahre beobachtet wurden. .... Sie besaßen zwei vordere Isokont-Flagellen, die subapikal inserierten. Die Zelloberfläche zwischen den Flagellen-Insertionsstellen war konvex. Die Flagellen waren geringfügig länger als der Zellkörper, waren auffällig dick (bis zu etwa 1,3 µm) und verjüngten sich graduell in der distalen Hälfte. Sie schlagen schnell in der lateral-lateralen Richtung mit einem Sinuswellenmuster (vermutlich planar), und die Zellen schwammen schnell ohne Unterbrechungen." Sie haben auch die Ultrastruktur dieser Isokonten Flagellen untersucht: "Es wurden keine Flagellen, Basalkörper oder andere Teile des Flagellenapparates beobachtet."

Hier die Abbildungen von Táborsky, Pánek und Cepickaeiner von einer dieser beiden Arten mit Flagellen (Anaeramoeba gargantua):


Abb. 1: Lebende Flagellaten von Anaeramoeba gargantua sp. Nov. Bilder der gleichen Zelle. Pfeil - mutmaßliches Aggregat von Mitochondrien-bezogenen Organellen und Prokaryotikambionten; Pfeilspitze - Vesikel innerhalb des Aggregats; Doppelpfeil - Kern. Maßstabsbalken: 10 µm

Die Ähnlichkeit mit Arachnidiopsis ist offensichtlich. Die Flagellenstadien scheinen auch eine "Bakterienmasse" zu besitzen, die dem Kern eng anliegt und die von den Autoren als "mutmaßliches Aggregat von Mitochondrien-bezogenen Organellen und Prokaryotikambionten" beschrieben wird. Die Autoren liefern auch eine Abbildung des amöboiden, nicht schwimmfähigen Stadiums von Anaeramoeba gargantua:


Abb. 2. Amöboides Stadium von Anaeramoeba gargantua sp. Nov.

Die amöboide Form von Anaeramoeba gargantua sieht also offensichtlich ganz anders aus (wie Du schreibst ähnlich Flamella) als das Flagellatenstadium. Das macht das Auffinden der amöboiden Form von Arachnidiopsis paradoxa natürlich nicht einfacher, zumal ich derzeit keine Möglichkeit sehe, wie man eine Kultur anlegen sollte.

Martin

Literatur:

Táborsky, P., Pánek, T., Cepicka, I. (2017): Anaeramoebidae fam. nov., a Novel Lineage of Anaerobic Amoebae and Amoeboflagellates of Uncertain Phylogenetic Position. Protist, 168, 495-526.

Michael

Hallo Martin und Eckhart,

vielen Dank für Eure Ergänzungen und vergleichende Einordnung der Funde!
Um die amöboide Form von Arachnidiopsis paradoxa aufzufinden hilft wohl nur eine Langzeitbeobachtung des Flagellatenstadiums - z.B. in einem Mikroaquarium.

Viele Grüße

Michael
Gerne per Du