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Proben aus Faulschlamm-Zone

Begonnen von Ole Riemann, November 20, 2018, 18:05:43 NACHMITTAGS

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Ole Riemann

Liebe Kollegen,

ich möchte hier ein paar Funde der letzten Wochen aus Proben zeigen, die schon einige Zeit bei mir auf der Fensterbank stehen.

Rainer Meisch und ich haben in unserem notorisch wasserarmen Unterfranken im Würzburger Raum lange nach guten Probenahmestellen gesucht, nun scheinen wir durch Rainers Initiative etwas Vielversprechendes aufgetan zu haben. Es handelt sich um einen kleinen baumumstandenen Weiher mit einem schütteren Schilfgürtel, stellenweise mit Lemna bedeckt und von Fall-Laub gespeist. Aufgrund der Trockenheit der letzten Monate ist das Gewässer bis auf einen Zentralbereich geschrumpft. Aus diesem Restweiher haben wir in ca. 30 cm Tiefe kurz über dem Schlamm Proben genommen und dabei wohl die sehr interessante Grenzschicht zwischen belüfteten und gänzlich anoxischen Schichten erwischt. Im Folgenden nun einige Fotos von Objekten aus diesen Proben.

Charakteristisch für die Proben ist der sumpfig-faulige Geruch, bedingt sicherlich durch Schwefelwasserstoff als Abbauprodukt bei der Zersetzung abgestorbener Biomasse. Unter dem Stereomikroskop fallen rosa Flöckchen auf, die Kolonien von Purpur-Schwefelbakterien darstellen. Diese Bakterien sind in der Lage, wie die grünen Pflanzen Photosynthese zu betreiben, nutzen aber nicht Wasser als Elektronenquelle für die Elektronentransportprozesse und Herstellung der Reduktionsäquivalente, sondern u.a. Schwefelwasserstoff. Als Ergebnis entsteht dann nicht Sauerstoff, sondern Schwefel, der in den Bakterienzellen in Form kleiner Granulen abgelagert wird.

Hier ein Ausschnitt aus einer solchen Kolonie, möglicherweise ein Art aus der Gattung Thiocapsa:



Daneben treten charakteristisch grün gefärbte Bakterien auf, die verdrehte Ketten bilden:



Ein typischer Ciliat solcher Habitate ist Loxodes striatus mit einem Kernapparat, der sich aus zwei Makronuklei (Man) und ihnen jeweils angelagerten winzigen Mikronuklei (Min) zusammensetzt:




Ein besonders bizarrer Ciliat ist Caenomorpha medusula, hier mit Fokus auf die Makronukleus-Teile und den caudalen Zellanhang, der sich in typischer Drehung um die eigene Achse im Wasser fortbewegt:



Interessanterweise scheinen auch zahlreiche Metazoen die unwirtlichen Bedingungen des sauerstoffarmen oder fast gänzlich sauerstoff-freien Wassers zu ertragen und sogar hohe Populationsdichten aufzubauen. Insbesondere zwei Gastrotrichen-Arten habe ich in auffälliger Abundanz angetroffen. Beide Arten - Haltidytes crassus und Dasydytes ornatus - zeigen eine für Gastrotrichen eher ungewöhnliche Lebensweise, da sie nicht an Oberflächen gebunden leben, sondern im freien Wasser schweben, also eigentlich Planktonorganismen darstellen. Beide Arten tragen auffallende Stachelanhänge, die sie in eleganter Weise beim Schwimmen mitschleppen, aber auch ruckartig aufstellen können.

Hier zuerst Haltidytes crassus in zwei verschiedenen Schärfeebenen:




Arttypisch für die offenbar seltene Art H. crassus sind drei Paar ventral inserierender Stachelgruppen, die auf dem folgenden Foto mit Pfeilen markiert sind:



Die Stachel-Schleppe von D. ornatus ist besonders prachtvoll:



Charakteristisch für diese Art sind Nebenspitzen an den Stacheln (markiert durch Pfeile), oberhalb derer die Stacheln abgeknickt noch ein Stück weiter verlaufen:



Zum Schluss noch ein Foto eines Exemplars von D. ornatus von der Ventralseite her aufgenommen. Passend zum Lebensraum, dem bakterienreichen Faulschlamm, ist der Gastrotrich mit zahlreichen Gruppen von Bakterien besetzt (Pfeile), die sich inbesondere zwischen den Ansatzstellen der Rumpfstacheln festgesetzt haben: 



Alles in allem also sehr spannende Proben, die sich bei mir erfreulicherweise relativ gut halten ließen. Allerdings nur im abgedeckten Probengefäß mit kleiner Wasseroberfläche: Eine ausgegossene Probe zum Auslesen unter dem Stereomikroskop verarmte sehr schnell, vermutlich bedingt durch die Diffusion von Sauerstoff in das Wasser über die große Oberfläche. Sauerstoff kann auch Gift sein!

Beste Grüße

Ole

MichaelGrote

Hallo Ole,

danke für den tollen Bericht und die exzellenten Bilder!

VG, Michael

anne

Hallo Ole,
unglaublich gute Bilder!!!

Besonders gut gefällt mir Caenomorpha medusula, davon habe ich noch kein besseres Bild gesehen, und dieser Ciliat ist sehr, sehr fix unterwegs und sehr schwer zu fotografieren.
lg
anne

Michael

Hallo Ole,

vielen Dank für die schönen Bilder und den interessanten Bericht!
Dieser sauerstoffarme Lebensraum ist genau das Biotop, das ich im letzten Jahr in meinem Gartenteich näher beprobt habe. Es ist faszinierend, welche reiche und ungewohnte Lebensgemeinschaft sich hier im und über dem "Faulschlamm" findet.
Für die Gastrotrichen stellt der Schlamm - neben dem sauerstoffreichen Periphyton - den zweiten großen und dicht besiedelten Lebensraum mit ganz eigenen Formen dar. Hier finden sich viele Arten, die zwischen und auf den Pflanzen nicht vorkommen. Besonders interessant für mich ist, dass auch Du die "semiplanktischen" Arten wie H. crassus und D. ornatus hier findest. Ich finde diese Arten auch, selbst wenn ich eine Probe direkt aus den Tiefen des Schlamms untersuche - also in einem Bereich, in dem von "freiem Schwimmen" keine Rede sein kann. Ebenso ist hier Stylochaeta scirtetica recht häufig (Dein Einverständnis vorausgesetzt hänge ich ein Bild an, bei der die Darmzellen des Tieres vom Farbstoff der Schwefelbakterien verfärbt sind - ein Hinweis auf deren bevorzugte Diät). Ich frage mich, ob die semiplanktischen Arten vielleicht hier beheimatet sind? Vielleicht hast Du nähere Informationen?

Viele Grüße

Michael
Gerne per Du

Peter Reil

Hallo Ole,

absolut tolle Bilder - Kompliment!

Freundliche Grüße
Peter
Meine Arbeitsgeräte: Olympus BHS, Olympus CHK, Olympus SZ 30

wejo

Hallo Ole,
auch ich möchte mich den Komplimenten der anderen anschließen, einfach tolle Bilder! Besonders gefällt mir H. crassus mit den drei Paar ventral inserierenden Stachelgruppen. Der sollte doch mal wieder zum Friseur!  ;)
Herzliche Grüße
Werner

Ole Riemann

... herzlichen Dank Euch allen für die netten Rückmeldungen.

@Michael: eine prima Ergänzung - Dein Foto zeigt eindeutig, dass S. scirtetica Purpur-Schwefelbakterien frisst. Ich habe bei meinen Funden keinen so eindeutigen Beleg dafür gehabt. Hinsichtlich der Lebensweise der in Frage stehenden Gastrotrichen kann ich Deine Beobachtungen voll bestätigen: Auch ich finde diese Arten im lockeren Schlamm, von Freiwasser im eigentlichen Sinn kann keine Rede sein. Ich vermute wie Du, dass hier der Hauptlebensraum der Dasydytiden zu suchen ist.

Beste Grüße

Ole


Michael Plewka

Hallo Ole,

vielen Dank für den tollen Beitrag!

Diesen Lebensraum muss ich mir in Zukunft auch noch erschließen...

Beste Grüße
Michael Plewka