Griendtsveen (2): Collotheca

Begonnen von Michael Plewka, November 26, 2018, 12:02:59 NACHMITTAGS

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Michael Plewka

hallo zusammen,

Neben einigen anderen Rädertierarten fand ich in den Proben aus Griendtsveen eine Collotheca-Art, nämlich C. coronetta, wo sie an Utricularia-Blättern zu finden war. Das ,,Reusen"-Rädertier Collotheca immer wieder schön  anzusehen, so auch vorgestern  wieder im Forum hier:
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=32828.0

Ich möchte dieses Rädertier aber aus einem besonderen Grund hier vorstellen: offenbar hat die besondere Ausprägung der Corona (d.h.salopp gesprochen: der vordere Wimperkranz der Rädertiere) bei einigen Collotheca-Arten, z.B. C. ornata, die Mikroskopiker schon sehr früh zu der Frage der Funktion dieser sehr langen Cilien (ich behaupte mal: es sind die längsten Cilien aller Lebewesen) gebracht.  Die scheinbar richtige Antwort ist im ,,Wassertropfen" prägnant zusammengefasst: 

Zitat....Fächer langer Wimperborsten, die die Beutetiere blitzschnell in den Fangtrichter hineinschleudern."

Auch der ?von Streble/Krauter? eingedeutschte Name ,,Reusen-Rädertier" legt die Funktionsweise der langen Cilien als Reuse,  sprich einer mechanischen Vorrichtung zum Fang von Beute, nahe.

Offenbar war dieses der Grund, weshalb an dieser Stelle im MikroTümplerforum:
http://www.mikro-tuemplerforum.at/viewtopic.php?f=46&p=2183&mobile_disable=1
die Aspekte, welche auf den Bildern zu sehen sind,  in ähnlicher Weise interpretiert worden sind,  (wobei aber auch andere Interpretationen der Bilder möglich sind).

Auch im ,,amerikanischen Mikroskopie-Forum gibt es einen Beitrag hier:
https://www.photomacrography.net/forum/viewtopic.php?t=38160
der auf ein Video verweist, bei welchem der Kommentar steht:
,,Im Video sehen wir, wie sich die langen Borsten des Collotheca-Rotifers individuell bewegen, um einen kleinen Organismus zu ,,jagen""
(Übersetzung aus dem Spanischen mit ,,google translate")

Auch hier meine ich, dass das Bildmaterial dieses nicht deutlich zeigt.


Ich halte die bisher aufgezeigten Fälle für ein schönes Beispiel dafür, dass wir unbewusst ein mechanistisch geprägtes Weltbild auf biologische Objekte übertragen. Das ist in vielen Fällen sinnvoll, in manchen aber nicht.


Die mir zur Verfügung stehenden Videos sagen zu dieser Frage des Beutefangs etwas anderes.

Zum besseren Verständnis möchte ich zum  Anfang die Morphologie etwas erläutern.

Alle bdelloiden und monogononten Rädertiere (zu letzterer Gruppe gehört die Gattung Collotheca) besitzen am ihrem Vorderende eine Corona, die der Gruppe auch ihren Namen gegeben hat. Die Corona besteht aus aus zwei Cilienkränzen (Cingulum und Trochus), deren Cilien  grundsätzlich nach  dem bekannten 9x2 + 2 Schema aufgebaut sind. Manchmal sind die Cilien zu Cirren kombiniert. Es handelt sich aber in keinem Fall um Axopodien (die völlig anders aufgebaut sind), wie an dieser Stelle behauptet wird.
http://www.mikro-tuemplerforum.at/viewtopic.php?f=46&p=2183&mobile_disable=1

Die Rädertiere der Gattung Collotheca sind u.a. durch ihren speziellen Bau der Corona charakterisiert, die bei den meisten Arten aus einem Mundtrichter und mehr oder weniger langen Cilien   besteht.



Der Mundtrichter kann zu Lappen (Loben) ausgeformt sein wie z.B.  bei C. coronetta,  die hier vorgestellt wird (mit 5 Loben)   oder auch gar keine Lappen haben, wie z.B.  C. pelagica, siehe hier:
http://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Collotheca%20pelagica.html

Auch die Länge der Cilien der Corona kann sich unterscheiden.  So hat die hier vorgestellte C. coronetta auf den Lappen sehr lange Cilien, zwischen den Loben aber relativ kurze. Die Art C. edentata hat am gesamten Mundtrichter dagegen kurze Cilien., siehe hier:
http://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Collotheca%20edentata.html

Wenn man also Aussagen zum Beutefang machen möchte, sollte man zumindest genau untersuchen, welche Cilien überhaupt wo zu finden sind. So ist es z.B. bei dem vorhin angesprochen Video aus dem amerikan. Forum so, dass sich die Bewegung kurzer Cilien erkennen lässt, nicht aber eine Bewegung der langen Cilien.


Das sind aber nicht die einzigen Cilien. Das soll an dem nächsten Foto erläutert werden, das von dem Viech stammt, das auch in den  Video -Ausschnitten weiter unten zu sehen ist. Dieses Bild entspricht  weitgehend funktional der Zeichnung und Beschriftung im KOSTE für die Art C. lobata auf Tafel 223.



Die Loben begrenzen den Fangtrichter (Vestibulum (V)) an dessen Basis sich mehrere Papillen befinden, welche jeweils zwei unterschiedliche Arten von Cilien bzw. Cirren tragen. Da sind zunächst jeweils 3 starre Cillien/Cirren (SC), die sich auch während des Auftretens von Beuteorganismen nicht merklich bewegen. In einer Zeichnung bei REMANE befindet sich an vergleichbarer Stelle das Sinnesorgan des Schlundrohres. Deshalb sind diese 3 Lilien als "Sinnescilien" (SC) markiert. Daneben, d.h. in räumlich nächster Nähe befinden sich bewegliche Cilien, welche vor allem beim Auftreten von Beuteorganismen ziemlich heftig schlagen. Diese sind hier in dem Bild nicht zu sehen, aber im 1. Bild sind sie durch einen Pfeil markiert. Das Vestibulum geht (in diesem Bild nach links) weiter in das Infundibulum (I).
Verwirrend ist die Bezeichnung: bei RUTTNER-KOLISKO (1974), KOSTE (1986) , DE SMET/ FONTANETO (2015) ist es so wie hier bezeichnet; bei  REMANE 1929 und KOSTE (1978)  ist es genau umgekehrt!   
Infundibulum und Vestibulum sind durch  eine Membran (bei REMANE als Diaphragma bezeichnet) getrennt, die in der MItte eine Öffnung hat. Der Durchmesser der Öffnung kann wohl durch Muskelfasern  gesteuert werden, so dass Beuteorganismen am Austritt gehindert werden können, wenn sie erst einmal in das Infundibulum gelangt sind. Dabei hilft auch eine Cilienreihe (CR), die ziemlich stetig einen Cilienschlag in Richtung Infundibulum macht. 
Bei diesem Exemplar deutet der Pfeil auf den Augenfleck; darüber ist hier außerdem die Dorsalantenne (DA) zu erkennen.

Der Übergang bzw. Übertritt der Beute vom Infundibulum zum Mastax mit dem -in diesem Tier rotbraunen- MastaxLumen (ML; bei KOSTE (1978) als Mastax-Sack, 1986 bei KOSTE als Proventriculus bezeichnet) erfolgt über den ,,Rachen" (Pharynx) mit einer charakteristischen undulierenden Membran, die im Englischen als ,,buccal velum" (BV) bezeichnet wird. Diese ist  in Fotos eigentlich immer nur teilweise erkennbar, weil sie sich in ständiger wellenartiger Bewegung befindet und daher ständig aus der Schärfeebene verschwindet. Dieses wird aber an den nächsten beiden Bildern von einem anderen Viech nochmal deutlicher.


In dem folgenden Bild verläuft der Gang der Nahrung von links nach rechts. Hier ist nun der Pharynx bzw. die undulierende Membran des Pharynx (P/BV) deutlicher zu erkennen. Die rotbraune Färbung des flüssigen Inhalts  des Mastax-Lumens legt nahe, dass hier bereits eine Vorverdauung bzw. eine (zumindest auch im Mikroskop sichtbare)  Immobilisierung beweglicher Beuteorganismen stattfindet:



Am Ende des Proventriculus bzw. Mastax-Lumens (d.h. rechts) befinden sich die Hartteile (Trophi) mit den Muskeln. Dort wird die Nahrung entweder zerkleinert, was beispielsweise bei Beuteorganismen mit ,,weicher" Zellwand (z.B. euglenoide Flagellaten) funktioniert, oder aber es wird nur der Teil der Beuteorganismen  in den eigentlichen Magen  (St) weiter rechts befördert, der auch wirklich hindurchpasst, z.B. bei Beuteorganismen mit einem Panzer aus Glas (Diatomeen) lediglich der Zellinhalt wie z.B. kleine Lipidkugeln.

(Dieses wird besonders bei einer anderen Collotheca: C. edentata deutlich.  Bei dieser Art, die sich vorzugsweise von Kieselalgen ernährt, ist der Kauer so klein bzw. schwach, dass er gar nicht in der Lage ist, die -relativ großen Kieselalgenpanzer in den Magen zu transportieren. Hier werden die Zellwände der Kieselalgen im Mastax-Lumen vorverdaut, so dass insbesondere die Lipidtropfen aus der Diatomeenzelle austreten können. Letztere werden dann als energiereiche Nahrung vom  Mastax-Lumen über die Trophi in den Magen transportiert. )
Die Panzer bleiben im Mastax-Lumen zurück. Letztendlich gelangen immer mehr Panzer in den Mastax-Sack, so dass Collotheca dann platzt oder sonstwie zugrunde geht.
http://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Collotheca%20edentata.html


Im folgenden Bild  ist nun -wiederum nur ein Teil- des  Pharynx zu erkennen. Man erkennt parallel verlaufenden Cilien, die zusammen eine bewegliche Fläche bilden. Die Pfeilspitzen markieren einen Bereich, wo die Membran abknickt und deshalb quasi im optischen Querschnitt erkennbar wird. Diese undulierende Membran ist offenbar aktiv am Transport der Nahrung  beteiligt:




Draufsicht auf den Körper bzw. das Integument von C. coronetta. Erkennbar sind einige helle Längsmuskeln. In der Körperflüssigkeit von Collotheca lassen sich -angeblich vom Alter abhängig- unterschiedliche  Mengen von  Körnchen finden. Diese werden durch Veränderung der Volumenverhältnissse bei Bewegung des Tiers  ständig im Pseudocoel umhergespült. Um was es sich bei den Körnchen handelt, ist wohl nicht bekannt:



In manchen Rädertieren, z.B. in Asplanchna, sind schon sehr früh im Pseudocoel frei bewegliche Zellen beobachtet worden, die hier auch zu sehen sind:
http://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Asplanchna%20priodonta.html

Diese Amöbocyten enthalten auch Vakuolen die wohl manchmal Bakterien oder andere Körperchen enthalten. Den Vakuolen ist die Funktion zugeordnet worden, dass sie -ähnlich wie amöboid bewegliche Zellen bei Säugetieren (Makrophagen)-  der Immunabwehr dienen.  Bei Collotheca vermutet man, dass homologe, allerdings unbewegliche Zellen (Exkretophoren),  diese Körnchen aufnehmen .

In dem  Ausschnitt aus dem obigen Bild sind diese Exkretophoren zu sehen. Bei manchen Collotheca-Arten bilden sie regelrechte Muster aus:




Im Zusammenhang mit dem Beutfang ist das folgende Bild von  Bedeutung: Aufsicht auf die Corona von C. coronetta. In einer Probe hatte ich das Glück, dass  ein Viech nahezu senkrecht  zur Objekträgerebene war. Das Foto zeigt die räumliche Ausrichtung der Cilien und entspricht einigen der  Zeichnungen, wie sie z.B. im KOSTE zu finden sind:




Während man in der typischen Seitenansicht (so , wie im 1. Bild gezeigt) den Eindruck gewinnen kann, dass die Cilien ein m.o.w. undurchdringliches Dickicht für Beuteorganismen darstellen, macht diese Abbildung hier deutlich, dass diese Annahme falsch ist. Obwohl die Tiefenschärfe bei dieser Aufnahme gering ist, zeigt sich auch beim Durchfokussieren (Video liegt vor), dass  die langen Cilien m.o.w. nach außen gerichtet sind. Ein gewisser Anteil von kurzen Cilien ist zum Zentrum hin ausgerichtet, so dass   im Zentrum der Corona  ein praktisch ungehinderter Zu-und Austritt der Beuteorganismen in den Fangtrichter stattfinden kann. Das ist zumindest bei C. coronetta so. Insofern ist es zwingend erforderlich, die Morphologie der jeweiligen Arten zu untersuchen, um Aussagen über den Beutefang machen zu können.


Hier nun 3 Bilder aus einem Video von C. coronetta, das die Aufnahme eines heterotrophen Flagellaten zeigt. 
Leider bin ich technisch noch nicht in der Lage, Videos so zu editieren, dass ich sie auf einer Plattforom wie YT präsentieren kann.



Bild 1.
Ein heterotropher Flagellat bewegt sich aktiv mit seiner Geißel in den  und im Mund-/Fangtrichter von Collotheca. Sporadisch sind für Sekundenbruchteile Bewegungen der kurzen Cilien zwischen den Loben zu beobachten. Die beweglichen Cilien auf den Papillen an der Basis des Vestibulums sind in ständiger Bewegung.  Der Flagellat bewegt sich im Fangtrichter (Vestibulum) hin und her, kurzzeitig auch wieder hinaus. Nach ein paar Sekunden gelangt er unter ständiger Bewegung der Cilienreihe (CR) in das Infundibulum (so dass anzunehmen ist, dass diese Cilienreihe den Transport zumindest unterstützt.




Bild 2
Anschließend kontrahiert der Körper von Collotheca im Bereich des Infundibulums,  so dass der Durchmesser des Tiers an dieser Stelle kleiner wird (keine Verkürzung in Längsachse!) , der Pharynxbereich wird schnell nach vorne gestülpt und der Flagellat unter ständiger Bewegung des Pharynx / der undulierenden Membran in das Mastax-Lumen / Proventriculus transportiert.  Die langen Cilien auf den Loben verändern sich nicht.




Bild 3
Sichtbar ist die undulierende Membran des Pharynx (Pfeilspitzen) sowie der aufgenommene Flagellat (Pfeil).
Die Beute wird im Mastax-Lumen / Proventriculus -  auch unter Bewegung des Pharynx ständig hin und herbewegt. (In diesem Video nicht zu sehen, aber ich habe an anderer Stelle oft beobachtet, dass -vor allem Flagellaten- noch einige Minuten im Mastax-Lumen / Proventriculus mit den Geißeln schlagen bzw. sich metabol bewegen, bevor die Bewegungen aufhören.) 

Fazit: zu  diesem gesamten ,,Beutefang" haben  bei dieser Art Collotheca coronetta die langen Cilien in keiner erkennbaren Weise beigetragen; die  Funktion als Reuse ist nicht feststellbar.

Wie schon bei C. edentata zuvor angedeutet und auch hier beschrieben (mit durchaus unterschiedlichen Interpretationen der Beobachtungen),
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=20857.10
sind also  selbst innerhalb einer Rädertiergattung unterschiedliche Verhaltensweisen, wahrscheinlich in Anpassung an unterschiedlicher Lebensräume  zu beobachten.


Prinzipiell kann  natürlich ein solches Einzelereignis, dargestellt in einem Video, im Ergebnis nicht als repräsentativ  angesehen werden. Ich möchte das auch zunächst mal nicht als solches verstehen.  Vielmehr soll es als Beispiel  dafür  hier vorgestellt sein, dass die Videografie  m.E. das einzige Verfahren ist, das in Zukunft überprüfbar !!! Aufschluss darüber geben kann, wie von den verschiedenen Arten von Collotheca die Nahrung aufgenommen wird.


Nun stellt sich natürlich die Frage: wenn die langen Cilien nicht als Reuse fungieren, welche Funktion haben sie dann?
Schon Berzins hat 1952 die Vermutung geäußert, dass die langen Cillien an der Verbreitung chemischer Anlockstoffe für die Beute beteiligt sein könnten. Ich habe meine Beobachtungen zu diesem Thema mal hier im Forum vorgestellt:

https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=9135.0

Viel Spaß beim Anschauen & Beste Grüße
Michael Plewka


















































Kurt

Hallo Michael,

vielen Dank für diesen interessanten Beitrag und die tollen Bilder!!
Ich habe viel Neues über Collotheca gelernt und werde dieses Rädertierchen beim "Beutemachen" mal genauer beobachten...., vielleicht gibt es dann auch wieder schöne Bilder von mir.

MfG
Kurt

Michael

Hallo Michael,

auch von mir ein herzliches Dankeschön dafür, dass Du mir die Gelegenheit gegeben hast, sehr viel über diese interessanten Tiere zu lernen.
Wenn ich es richtige verstanden habe, sind die langen Cilien beim Beutefang starr und formen einen Trichter zum Tier hin. Werden die Beuteorganismen nicht alleine schon durch diese Geometrie in die Nähe der kurzen, beweglichen Cilien geleitet?

Danke für die tollen Bilder und die ausgezeichneten Erklärungen,

Michael
Gerne per Du

Bernd

Hallo Michael,

wieder ein hochinteressanter Beitrag von dir, der zum Nachdenken anregt. Und ein Thema, das dich offensichtlich nicht losläßt (https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=9135.msg64561#msg64561.

Wenn die (langen) Cilien - wie du zeigst - nicht aktiv am Beutefang beteiligt sind, stellt sich die Frage, wozu sie dienen.

Ein wichtiger Aspekt, den du sicher auch schon bedacht und vielleicht auch schon dokumentiert hast, sind meiner Meinung nach die Strömungsverhältnisse. Da die Cilien recht effektiv den seitlichen Zugang von potentieller Beute zum Vestibulum blockieren, gibt es doch eigentlich nur zwei Möglichkeiten: (1) Collotheca wartet passiv, bis eine Beute von oben in den Trichter hineinschwimmt oderfällt und von den Cilien zum Vestibulum geleitet wird, oder (2) das Vieh kann eine Strömung erzeugen, die von oben in den Trichter hinein gerichtet ist und durch die Cilien nach außen abgeleitet wird. Auch dann wird Beute durch die Cilien zum Vestibulum geleitet, aber sicher effektiver als im Fall (1).

Hast du im Bereich der Cilien und des Vestibulums schon mal eine Strömung beobachten können, z.B. an Hand von winzigen Partikeln oder Bakterien? Genaugenommen müßte man eine solche Beobachtung unter einem Stereomikroskop in einem Aquarium beobachten, in dem Collotheca +/- senkrecht stehen kann (die natürliche Situation, nehme ich an). Unter dem Deckglas liegend und evtl noch eingequetscht mag das anders aussehen und nicht richtig funktionieren.

Viele Grüße
Bernd

Michael Plewka

#4
hallo Kurt, hallo Michael, hallo Bernd,

vielen Dank für die Rückmeldungen!

@ Kurt:

dazu -in Verbindung mit Deinem thread- noch ein Hinweis: Collotheca wächst gerne auf Objektträgern (OT). Wir haben im Mai 2018 zig Viecher auf je einem OT gehabt, die 14 Tage zuvor im Wasser ausgebracht worden waren. Das ist möglicherweise eine Methode, die Du in Deinem Biotop auch anwenden kannst, auch im Frühjahr....


@ Michael :

Ich hatte in meinem Beitrag den Begriff "starr" bewusst nicht verwendet.  Das Faszienierende an einigen Collotheca-Arten ist ja, dass genau die langen Cilien im ausgestreckten Zustand nahezu linealgerade erscheinen, was ja den besondern optischen Reiz dieser Tiere auch ausmacht und was -vielleicht wieder intuitiv- dazu verleitet anzunehmen, dass die Cilien starr seien. Das sind sie aber nicht, denn sonst könnten sie nicht bei Kontraktion der Viecher im Mundtrichter verschwinden. Sie sind also definitv flexibel, aber das spannende ist (für mich), dass sie nach einer solchen Kontraktion, bei der sie völlig "verwuselt" sind, quasi "automatisch" und "von selbst" wieder in die gestreckte gerade Form zurückkehren. Ein wiederum mechanistischer Vergleich ist für mich ein Stahl-Rollbandmaß,  welches einerseits ziemlich flexibel ist, aber  ebenfalls aufgrund der Form (i.e. leicht rundlich im Querschnitt, wenn ausgestreckt) und der damit erzeugten mechanischen Spannung im Material "automatisch" in eine gestreckte Form übergehen kann. Insofern sind Parallen anzunehmen. Die im Maßband vorhandenen Kräfte resultieren aus dem Gefüge des verwendeten Stahls und der darin befindlichen Metallatome; in der Cilie sind es die  elektrostatischen Anziehungskräfte zwischen den Tubulin-Molekülen des 9x2 +2 Systems. Die Möglichkeit der geraden Ausrichtung der Cilien lässt darauf schließen, dass zwischen diesen Molekülen eine sehr präzise, quasi kristalline Ordnung bestehen muss.

Neben dieser geraden  Form  und der Formveränderung durch Kontraktion des Tieres lassen sich aber auch andere Verformungen beobachten. So sind z.B.  sind Wellenbewegungen auf den langen Cilien zu beobachten, die aber ?immer?   an der Cilienbasis starten und dann bis zur Spitze laufen. Ich habe das mal hier an einer Cilie im Video aufnehmen können: Hier zwei Aufnahmen davon:

http://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Collotheca%20coronetta.html

Die Schlussfolgerung ist, dass  diese Wellenbewegung  durch kontraktile Elemente (Muskelfasern) in den Loben hervorrufen wird, und die  sich dann nach dem Prinzip einer mechanischen Welle (wie bei einem Seil oder auch einer Wasserwelle) fortpflanzt. Eine solche Bewegung der Cilien bezeiche ich an dieser Stelle als passive Bewegung, da die Energie hierfür woanders (d.h. in den Muskelfasern) investiert wurde. Solche Muskelfasern an der Basis von Rädertiercilien sind für einige Arten, z.B. Trichocerca elektronenmikroskopisch nachgewiesen. Ich muss allerdings betonen, dass ich keine Literatur kenne, die sich mit der Ultrastruktur der Cilien speziell von Collotheca beschäftigt.
Wenn aber diese Wellenbewegung von Collotheca wegführt, wie sollen dann Partikel  hinzugeführt werden?

Damit ergibt sich natürlich die  weitere Frage, nämlich die: können sich die Cilien von Collotheca-Arten auch aktiv verbiegen (so, wie es ja bei den  Cilien der Ciliaten als  Grundlage für deren  Fortbewegung der Fall ist und  die ja einen ähnlichen Aufbau haben) ? Das würde u.a. die Frage aufwerfen: wie kommen die Energieträger, z.B. ATP in die von der Basis weit entfernten Bereich hinein (immerhin reden wir hier bei Collotheca-Cilien von Entfernungen, die ca. 50x länger sind als in einer Cilie eines Ciliaten).

Ich habe das bisher noch nicht beobachten können, und auch für die nächste Fragestellung (s.u.) wäre eine Antwort auf Basis von  VideoAufzeichnungen sehr interessant.

Zu Deiner Frage:
ZitatWerden die Beuteorganismen nicht alleine schon durch diese Geometrie in die Nähe der kurzen, beweglichen Cilien geleitet?

Zum Begriff "geleitet" passt natürlich das Modell der Leitplanke an der Autobahn, die dafür sorgt, dass die KFZ (in Analogie zur Beute) nicht von der Straße abweichen.
Ich wähle dieses Beispiel, weil ein Auto, das nicht fährt, wird nicht geleitet. Soll also heißen: die Beute muss sich bewegen, wenn sie geleitet werden soll. Und das ist ja der Knackpunkt: wie bewegt sich die Beute? Damit komme ich zum Ausgangspunkt dieses Beitrags und dem Zitat aus dem "Wassertropfen": der Behauptung, dass die aktive Cilienbewegung der langen Cilien die Beute bewegt und diese dadurch in den Fangtrichter kommt. Nicht nur in Gesprächen mit anderen Mikroskopikern wurde ähnliches schon behauptet. Des weiteren ist ein Artikel 1960 im Mikrokosmos (über ZoBoDat erhältlich) von Wright (übrigens der Übersetzer des Buchs über Rädertiere in der "Grünen" Kosmos-Reihe ins Englische) erschienen, der ähnliches behauptet, der aber für mich nicht  nachvollziehbar ist.  Auch die Beobachtungen  an Collotheca in dem Beitrag im Mikro-Tümplerforum wurden so interpretiert.

Die von Dir angesprochene  Leitung setzt sich  demzufolge aus zwei Komponenten:  Bewegungsenergie und der Bewegungsrichtung zusammen. Die Cilien könnten m.E. nur dann eine Bewegungsrichtung der Beute zum Fangtrichter hin bewirken, wenn sie zu einer aktiven Bewegung (im Sinne wie oben definiert) fähig wären.


@ Bernd:

Ich habe bisher ausschließlich die Möglichkeit (1) beobachtet. Im Zusammenhang mit den Beobachtungen aus dem von Dir zitierten Thread wird deutlich, dass die Effektivität dieser Methode (1) für die beobachteten Collotheca-Viecher völlig ausreichend ist: ich habe Viecher beobachtet, deren Magen  so voll ist, dass potentielle Beute gar nicht mehr aufgenommen werden kann. Eines der Ergebnisse der ebenfalls bei manchen Collotheca-Arten  zu beobachtenden (Längs-) Kontraktionen ist ja genau dieses:  die potentielle Beute/ Nahrung   wird aus dem Vestibulum, ja sogar aus dem Infundibulum zurück "in die Freiheit" geschleudert. Erst, wenn der Darm entleert ist, findet wieder eine Aufnahme von Beuteorganismen ins MastaxLumen in der beschriebenen Weise statt.


Beste Grüße
Michael Plewka

Martin Kreutz

Hallo Michael,

wieder ein toller Beitrag von Dir! So eine detaillierte Untersuchung von Collotheca habe ich bisher noch nicht gesehen. Auch einige Fotos sind wirklich bemerkenswert. Sehr außergewöhnlich finde ich das dritte Foto von oben, wo das Mastaxlumen praktisch leer ist und nur mit einer Art bräunlichen Flüssigkeit gefüllt zu sein scheint, so dass man den Aufbau gut erkennen kann.

Natürlich habe ich den Beutefang von Collotheca auch schon oft verfolgt, aber natürlich achtet man dabei auf viele Details nicht. Ich hatte auch immer den Eindruck, dass die langen Cilien die Beute aktiv hineindirigieren, indem sie bei Berührung danach "schlagen", um sie zum Mundtrichter zu befördern. Tatsächlich würde ich das aber nicht unter Eid behaupten. Ich werde bei nächster Gelegenheit darauf achten, was wirklich geschieht. Solche Beiträge finde ich sehr interessant, weil sie das scheinbar offensichtliche nochmal hinterfragen. Nebenbei noch viel über den Aufbau von Collotheca gelernt. Das Vieh hat ja mehr "Mägen" als eine Kuh.

Martin

Manfred Melcher

Hallo Michael,

eine sehr interessante Betrachtung. Deine präzisen Beobachtungen bringen immer wieder überraschende Fakten zu Tage und hinterfragen häufig Dinge, die man bislang als gegeben hingenommen hat.

Vielleicht erinnerst du dich an das Video, welches ich vor einigen Jahren hier präsentiert habe: https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=15180.msg117097#msg117097.

Ich glaube darin ist trotz der schlechten Auflösung gut zu sehen, dass die Bewegung der Cilien an der Basis ausgelöst wird, ähnlich einem Peitschenhieb. Diese Erregung setzt sich dann wellenförmig bis zur Spitze fort.

Liebe Grüße
Manfred

Michael Plewka

#7
hallo Martin, hallo Manfred,
vielen Dank für Eure Kommentare!
@ Manfred:
sehr schön, dass Du auf Dein Video hinweist; ich gebe zu: ich hatte es -leider - nicht mehr "auf dem Schirm". Dabei ist es heute noch genauso schön wie vor 5 Jahren! Deine damalige Dokumentation deckt sich genau mit den Beobachtungen, die ich oben beschrieben habe, also eine wechselseitige Bestätigung!

@ Martin:
Genau wie bei Manfred taucht bei Dir der Begriff "hinterfragen" auf. Das ist im  Grunde auch der Leitgedanke hinter diesem thread (jedenfalls aus meiner Perspektive). Genau zu wissen, wie sich Collotheca ernährt, ist wie der Sack Reis, der in China umfällt: es bringt die Menschheit nicht wesentlich weiter. Aber vielleicht die Einsicht in die eigene Wahrnehmung:

Du hast ja Deine eigene Aussage hier selbst relativiert (deshalb bitte nicht böse sein, wenn ich dieses Zitat als Beispiel nehme: ich traue Dir zu, dass Du das richtig verstehst) :

Zitat....indem sie bei Berührung danach "schlagen"


Das, was  ich hier "hinterfragen" möchte, ist m.E. die menschliche Sichtweise: beim Menschen (mit entsprechenden Tastzellen in der Haut ) würde die Wahrnehmung einer Berührung funktionieren. Bei Collotheca aber müssten die langen Cilien demzufolge nicht nur Bewegungsorgan, sondern gleichzeitig auch Sinnesorgan sein. Ich persönlich habe da meine Zweifel, ob das so funktionieren kann. Die Cilien selbst sind ja kein Sinnerorgan. Deshalb müssten dann Strukturen  an der Basis die Bewegung wahrnehmen. Das müsste man dann entsprechend überprüfen. Bei Protisten funktioniert´s ja auch, aber die haben ja "für alles" nur eine Zelle...

beste Güße
Michael Plewka

Michael

Hallo Michael,

Zitat von: Michael Plewka in November 28, 2018, 08:34:08 VORMITTAG
Genau zu wissen, wie sich Collotheca ernährt, ist wie der Sack Reis, der in China umfällt: es bringt die Menscheit nicht wesentlich weiter.

Was für ein trauriges Leben wäre es, wenn wir uns nur für das interessieren dürften, was die Menschheit weiterbringt! Ich jedenfalls finde die Fragestellung spannend.
Mit meiner "Trichterhypothese" hast Du natürlich recht - ein Hinleiten zum "Mund" setzt die Bewegung der Beute voraus (entweder durch Eigenbewegung oder durch eine Strömung).
Die Wellenbewegung der langen Cilien scheint mir nicht passiv zu sein. Wäre die Bewegung analog zu einer Seilwelle, müsste es am Cilienende (auch am offenen) zu einer Reflexion der Welle kommen (wo sollte die Energie auch hin). Das kann ich in Manfreds schönem Video aber nicht sehen. Auch bei den z. T. recht langen Flagellen von Flagellaten ist oft eine Bewegung zu erkennen, die unabhängig von der Basis der Cilie ist.
Eine Sinnesfunktion der langen Cilien halte ich auch für ausgeschlossen. Ich habe schon beobachtet, dass Ciliaten und Flagellaten sich durch den "Cilien-Dschungel" bewegt haben, ohne dass die Cilien reagiert hätten (ich kann aber nicht mehr beschwören, ob die "Beute" wirklich an die Cilien gestoßen ist).

Eine spannende Frage!

Neugierige Grüße,

Michael
Gerne per Du

Monsti

Hallo Michael,

Dein super Beitrag hat mich schwer beeindruckt. Ich muss ihn aber erst mal setzen lassen, um etwas Sinniges (oder auch Unsinniges) dazu schreiben zu können, denn der Beutefang der Collotheca-Arten beschäftigt mich schon seit langem.

Viele Grüße
Angie

Michael Plewka

Hallo Angie, hallo Michael,

vielen Dank für Eure Beiträge.

@ Angie:
Dein Interesse bzw. Beschäftigung mit Collotheca ist mir ja wohlbekannt, u.a. deshalb habe ich ja im oberen Teil dieses Beitrags auf Deinen Thread zu C. edentata hingewiesen. Und natürlich sind Fragen/ weitere Dokumente  über Beobachtungen zu Collotheca hier sehr willkommen...

@ Michael:

Zitat...(wo sollte die Energie auch hin)...

ist womöglich  als Suggestivfrage gedacht, andererseits aber ein wesentlicher Schlüssel zum Verständnis des Ganzen:

Die BewegungsEnergie der Cilien  geht in 2 Formen über:

1. Reibung innerhalb und außerhalb der Cilie
2. Bewegung des umgebenden Mediums (d.h. bei den meisten Organismen: Wasser oder ähnliche Flüssigkeit)

vor allem die 2. Energietransformation ist ja  wahrscheinlich der Grund, weshalb das Prinzip des Cilienschlags innerhalb der Organismenwelt so erfolgreich ist: bei festsitzenden  Organismen  wird die Energie der Cilienbewegung in eine Wasserströmung transformiert; ist der Organismus mobil, bewirkt der Cilienschlag eine Ortsveränderung des Organismus. Das heißt mit anderen Worten: die an der Cilienbasis investierte Energie ist am distalen Ende der Cilie schon weg, (da vor allem in Bewegungsenergie im Wasser  transformiert) , so dass eine Reflexion des Wellenbewegung nicht stattfinden kann. Das erklärt somit auch die  Beobachtungen aus Manfreds Video.

Insofern ist Deine Argumentation für eine aktive Cilienbewegung m.E. nicht stichhaltig.

Dass andere Cilien tragende Organismen, also auch Flagellaten,  dieselben aktiv bewegen, hatte ich bereits erwähnt.

Es ist also m.E. immer noch nicht (durch ein Video) belegt, dass die langen Cilien mögliche Beuteorganismen aktiv in den Fangtrichter bringen. Bernds Vorschläge zur Methode sind dafür sicherlich hilfreich.

Noch am Rand dazu:

ich hatte natürlich vor, selbst Videos zu machen und darauf geachtet, dass meine Collothecas an den Utricularia-Pflanzen nicht austrocknen.
Nicht auf dem Schirm hatte ich dummerweise zwei (anfangs recht kleine) Mückenlarven, die fleißig innerhalb von zwei Tagen den gesamten Aufwuchs an  Utricularia-Sprossachsen   abgeweidet haben; diese sind jetzt blank, die Mückenlarven haben sich gehäutet und die Collothecas sind weg. Das nur als Hinweis darauf, dass man bei Langzeit- beobachtungen auf Fressfeinde achten muss!

Beste Grüße
Michael Plewka