Griendtsveen (3): zwei Ciliaten -Irrungen und Wirrungen

Begonnen von Michael Plewka, Dezember 05, 2018, 13:32:40 NACHMITTAGS

Vorheriges Thema - Nächstes Thema

Michael Plewka

hallo zusammen,

Mittlerweile sind die Proben aus dem Griendtsveen-Gebiet entweder vertrocknet oder vom Regen weggespült; aber hier noch zwei Ciliaten:  der erste stammt aus der "Utricularia-Probe" (1);   der zweite  (2) stammt aus dem Schlamm des im ersten Girendtsveen-thread gezeigten Biotops (Mariaveen).


(1) Einer der häufigsten Ciliaten dort war einer, den ich der Gattung Holophrya zuordne. Hier ein Bild, das die Mundregion (OB), den Macronucleus (MA) und die Kontraktile Vakuole (CV) zeigt:





Faszinierend finde ich, wie komplex die Zelloberfläche dieses Ciliaten gestaltet ist. Das Bild zeigt den hinteren Teil der Zelle. Die Pfeilspitzen weisen auf die Poren der KV, aber es scheinen viele andere kleine Poren vorhanden zu sein.:




Holophrya ist ein großer Räuber. Ich habe einmal beobachtet, wie H. teres ein Rädertier, das genauso groß war wie es selbst, innerhalb von Minuten ausgesaugt hat:
http://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenProtista/01e-protista/e-Ciliata/e-source/Holophrya%20teres-Euchlanis.html

Hierbei spielt natürlich der "Mund" eine entscheidende Rolle.  Dieser liegt an der Vorderspitze (daher der Name der Gruppe: Prostomatida, was soviel wie frei übersetzt "Vormünder" heißt) und ist aus Stäben zusammengesetzt.




Interessant ist, dass diese Stäbe das polarisierte Licht drehen, wie man hier im Vergleich sieht:
http://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenProtista/01e-protista/e-Ciliata/e-source/Holophrya%20sp.1.html




Der zweite Ciliat hat mir viel Kopfzerbrechen bereitet.  Das Bestimmen dieser Viecher ist nicht einfach; das hat Martin Kreutz ja gerade wieder sehr schön  an einem Beispiel dokumentiert:
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=32903.0
Ich versuche möglichst viele Fotos zu machen, um  auch noch später eine Entscheidungsgrundlage zu haben.
Das Übersichtsbild (sowie weitere Bilder anhand der Ventralcirren) lässt  anhand der Mundregion  den Schluss zu, dass es sich um einen hypotrichen Ciliaten handelt. Auffällig ist auch der zentrale "Makronucleus" (mehr dazu weiter unten). Der Ciliat ist wahrscheinlich wegen der Menge an aufgenommener Nahrung außerdem "etwas aus der Form":




Mich hat dabei u.a. die Mundregion fasziniert. Welche Details da in unterschiedlichen Fokusebenen zu beobachten sind!

Man erkennt sehr deutlich 3 unterschiedliche Bereiche: die adorale Membranellenzone (AZM), deren Membranellen  aus  mehreren Cilien zusammengesetzt sind, die endorale Membran (eM; quasi "im Mund") und die undulierende Membran, (uM), die  rechts außen am Oralbereich liegt. Teilweise sind die einzelnen Cilien als "Pünktchen" (da liegen sie im optischen Querschnitt vor) innerhalb der Membranellen zu erkennen. Die Pfeilspitzen deuten auf einige (nicht alle!) der Membranellen, wo die Cilien zu erkennen sind:



Etwas ähnliches konnte ich  in einer der Reihen  der Ventralcirren an deren Basis erkennen.  Die Pfeilspitzen deuten auf einige der Polykinetiden. Man erkennt, dass die Cirren aus ca. 8-10 Cilien zusammengesetzt sind:




Weitere Bilder sind hier zu sehen:
http://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenProtista/01e-protista/e-Ciliata/e-source/Urostyla%20grandis.html


Zusammen mit den subpelliculären Granula  hat mich dieses Viech an Paraurostyla weissei erinnert; aber letztere  Art hat zwei Macronuclei, was  bei "meinem" Viech eindeutig nicht der Fall war.  Ich fand in meiner Bestimmungsliteratur auch keine Hypotrichen mit nur einem Makronucleus. Was war da los?

Mir waren vorher schon einige Strukturen im Cytoplasma aufgefallen, die ich nicht zuordnen konnte.  In einem Bild, auf dem sowohl   diese Strukturen als auch der "Makronucleus"  zu sehen waren wurde dann deutlich: der "Makronucleus " zeigt gar nicht die für dieses Organell typische körnige Struktur, ist also vielmehr eine Nahrungsvakuole. Die mit Pfeilspitzen markierten, vorher "unbekannten" Strukturen sind indessen  kleine Macronuclei (es ist in ihnen auch mindestens ein Nucleolus zu erkennen) , von denen es zig in dieser Zelle gab.



Somit  handelt es sich wahrscheinlich um Urostyla grandis. Ich  habe bisher noch nicht so viele Ciliaten mit derart vielen Macronuclei gesehen (einer davon ist Loxodes magnus siehe hier:
http://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenProtista/01e-protista/e-Ciliata/e-source/Loxodes-magnus.html)

Es war mir also nicht (mehr) bewusst, dass man auch darauf achten muss, dass es Ciliaten mit vielen kleinen Macronuclei gibt, die nicht so einfach als solche zu identifizieren sind. Das wollte ich hier mal weitergeben...


Beste Grüße
Michael Plewka

Martin Kreutz

#1
Hallo Michael,

ich glaube, ich kann hier etwas entwirren!

Der erste Ciliat ist ganz sicher Holophrya teres. Der zweite Ciliat, mit dem scheinbar prominenten Makronukleus in der Mitte, ist Anfangs etwas verwirrend, aber die Interpretation ist recht einfach! Hier sind nämlich 2 Ciliaten auf einem Bild abgebildet! Aber der Reihe nach. Dieser zweite Ciliat ist auch ein hypotricher, die eigentlich recht schwer zu bestimmen sind. Jedoch gibt es hier entscheidende Merkmale, welche die Zuordnung vereinfachen. Die deutliche Gelbfärbung und die zur Körpermitte (schräg) verlaufenden adorale Membranellenzone sind signifikante Indizien für Urostyla grandis. Nach meinen Recherchen zu Rubrioxytricha weiß ich, dass es nur sehr wenige gefärbte hypotriche gibt (6 Arten). Die Zahl der Alternativen ist also begrenzt. Verwirrend erscheint zuerst der scheinbar prominente Makronukleus in der Körpermitte. Es gibt jedoch keinen hypotrichen mit nur einem Makronukleus! Also, was es ist es dann? Hier liegt ein klarer Fall von Parasitismus vor! Der vermeintliche Makronukleus ist der parasitisch lebende Sauginfusor Podophrya urostylae. Auf der letzten Aufnahme in Deinem Beitrag sieht man alle Merkmale, die man für diese Interpretation braucht. Urostyla grandis besitzt über 40, in der ganzen Zelle verteilte Makronuklei (s. Foissner et. al, Revision Band I). Von denen hast Du einige mit weißen Pfeilen markiert (dies bestätigt auch die Zuordnung U. grandis). Der große kugelige Körper unten rechts ist Podophrya urostylae. Es ist ein Exoparasit und kein Endoparasit, auch wenn es so aussieht, als wenn er im Plasma liegt. Aber er sinkt nur in das Plasma ein und erhält eine Verbindung nach außen aufrecht. Den Kanal nach "draußen" erkennt man noch auf Deinem Bild (Ka). Ebenfalls erkennt man die rudimentären Tentakel (TE), die das Plasma des Wirtes absaugen. Ich habe mir erlaubt, Dein Bild ergänzend zu beschriften:


Ma = Makronukleus
Po = Podophrya urostylae
TE = Tentakel
Ka = Kanal

Hier eine Abbildung aus Bergers "Monograph of the Urostyloidea ", in dem ein Exemplar von Urostyla grandis gezeigt wird, welches gleich von mehreren Exemplaren Podophrya urostylae heimgesucht wurde:


Ma = Makronuklei (von Urostyla grandis)
Po = Podophrya urostylae

Da hast mal wieder richtig Schwein gehabt! Ich suche schon seit Jahren nach einem Befall von Urostyla grandis, habe aber noch nie einen gefunden. Dafür konnte ich den gesamten Lebenszyclus des ganz ähnlichen parasitischen Suktors Sphaerophrya parurolepti dokumentieren und habe darüber in diesem Forum vor über 4 Jahren berichtet. In diesem Beitrag sieht man auch den Kanal sehr schön, den diese Exoparasiten nach außen halten:

https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=19767.0

Ich hoffe, damit konnte ich alle Irrungen und Wirrungen begradigen! Unten noch die Lit.!

Martin

Literatur:

Berger H. 2006. Monograph of the Urostyloidea (Ciliophora, Hypotricha). Monographiae biol. 85. i–xvi, 1–1303.

Foissner, W., Blatterer, H., Berger, H. & Kohmann, F. (1991): Taxonomische und ökologische Revision der Ciliaten des Saprobiensystems – Band I: Cyrtophorida, Oligotrichida, Hypotrichia, Colpodea. – Informationsberichte des Bayer. Landesamtes
für Wasserwirtschaft, 1/91: 1–478.

Michael Plewka

Hallo Martin,

das ist ja der Hammer!!!

Recht herzlichen Dank für Deine Mühen!! Es war bestimmt viel Arbeit, die Du mit der Antwort gehabt hast!

Ich glaube mich zu erinnern, dass Du mir den Fall des Ektoparasitismus von S. paraurostylae schon mal erläutert hast (als  Du den Beitrag ins Forum eingestellt hast, war ich allerdings gerade gaaanz weit weg.....) , aber ich wär  im Leben nicht drauf gekommen, dass hier sowas ähnliches vorliegen könnte. Das ist Deine Erfahrung !!!
(Ich hab sogar das Buch vom Berger; hatte allerdings nur bei U. grandis (hinten)  nachgeschaut; auf den Parasitenteil vorne hab ich nicht geachtet.)
Aber so hat der Beitrag hier auf jeden Fall den Effekt, wieder mal auf Parasiten in mikroskopischen Organismen aufmerksam zu machen....

Ich habe mal meine Bilder durchgeschaut und bin sogar auf eins gestoßen, bei dem man die Tentakel besser als auf dem vorliegenden Bild erkennen kann.
http://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenProtista/01e-protista/e-Suctoria/e-source/Podophrya%20urostylae.html

Beste Grüße
Michael Plewka

Michael

Hallo Michael und Martin,

vielen Dank für den tollen Beitrag und die zielgenaue Ergänzung! Das waren für mich faszinierende und hochwillkommene Einblicke in eine unbekannte Welt, da ich mich zur Zeit selbst etwas näher mit (allerdings nicht parasitischen) Suctoren beschäftige.

Viele Grüße

Michael
Gerne per Du

Martin Kreutz

Hallo Michael (P.),

keine Ursache! Es war aber gar nicht so zeitaufwendig. Als ich das letzte Bild Deines Beitrages sah, wußte ich schon Bescheid. Ich habe es öfters mit den ektoparasitischen Suktoren zu tun. Mir ist erst heute eingefallen, dass ich einen weiteren dieser parasitisch lebenden Suktoren, nämlich Sphaerophrya stentoris, hier im Forum mal vorgestellt habe:

https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=30793.0

Nach meiner Erfahrung findet man Wirte, die von Parasiten befallen sind, am ehesten in sehr alten Proben. Darum bewahre ich immer ein paar Gefäße auf und bewahre sie am Nordfenster auf. Manchmal hat man Glück. In einem solch begrenzten Lebensraum kann der Parasit oft die ganze Population des Wirtes befallen. IN freier Wildbahn sind diese Funde aus meiner Erfahrung sehr selten.

Martin


Michael Plewka

hallo zusammen,

@ Michael

Zitat....da ich mich zur Zeit selbst etwas näher mit (allerdings nicht parasitischen) Subtoren beschäftige.....
ich hoffe, wir kriegen hier etwas von den Ergebnissen mit!

@ Martin
vielen Dank für die weiteren Infos! Dann lasse ich mein Proben mal hier weiter "vergammeln".....

beste Grüße
Michael Plewka