Drei Testaceen: Difflugia gigantea, Zivkovicia spectabilis, Arcella dentata

Begonnen von Richard Scholz, Dezember 21, 2018, 16:39:58 NACHMITTAGS

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Richard Scholz

Hallo zusammen,
die Wasserproben aus denen die drei unten dargestellten Testaceen stammen, habe ich ursprünglich auf der Suche nach Desmidiaceen gesammelt. Dazu habe ich wiederholt das Ibmer-Moor und zusammen mit Rupert Lenzenweger die Strawiesen (= ,,saure" Wiese, die Streu für die Viehhaltung liefert)  im Redltal in Österreich aufgesucht. Zu diesen Standorten gibt es einige Arbeiten von Rupert Lenzenweger, in denen eine sehr breit gefächerte Zieralgenflora dokumentiert ist (1). Rund 50 Jahre später muss man leider qualitativ wie quantitativ von einem erheblichen Rückgang der Desmidiaceen sprechen. Im Sommer 2018 war es z.B. auf den Strawiesen kaum möglich, überhaupt ausreichend durchnässte Stellen für eine Probengewinnung aufzufinden. Meine Enttäuschung über die verschwundenen Algen wurde durch zahlreiche Testaceenfunde zumindest teilweise kompensiert.   
Drei Beispiele (Stapel-Aufnahmen):


(Bild 1: Difflugia gigantea, ca. 320µm lang)


(Bild 2: Zivkovicia spectabilis, ca. 150µm lang)


(Bild 3: Zivkovicia spectabilis, Reproduktionsstadium)


(Bild 4: Arcella dentata findet sich im Ibmer Moor, das gezeigte Exemplar stammt aus Mecklenburg, Durchmesser ca. 130µm)

Auf der Seite von Hans (Rothauscher) finden sich interessante Angaben zur  Morphologie von A. dentata
(u.a. Anzahl der ,,Zähne", http://www.hans-rothauscher.de/testaceen/dentata.htm)

Wer in der genannten Region  Exkursionen durchführt, sollte einen Blick in die Arbeit von Bruno Ortner werfen, die eine Übersicht über die Testaceen und Desmidiaceen österreichischer Moore bietet (2). Auf dieses Buch wurde hier im Forum von Klaus (Herrmann) bereits hingewiesen.

Beste Grüße


Richard
(P.S.: Das Einstellen von Bildern im Text muß ich noch lernen. Vielleicht kann mir jemand einen Hinweis geben .........)

(1)   Lenzenweger: Beiträge zur Desmidiaceenflora des Ibmer Moores in 5 Fortsetzungen
       (1965-1971, als PDF erhältlich über https://www.zobodat.at )
(2)   Bruno Ortner: Beschalte Amöben (Testaceen) und Zieralgen Desmidiaceae des Sphagnetums einiger österreichischer Moore
       (2017, https://www.zobodat.at/pdf/BNO_0024_0001-0139.pdf, auch als Broschüre erhältlich)

Klaus Herrmann

Hallo Richard,

wenn du mich schon erwähnst, dann traue ich meine Arcella dentata hier zu zeigen. Aus einem Moor bei Schladming. Die Probe war voll davon!
Mit herzlichen Mikrogrüßen

Klaus


ich ziehe das freundschaftliche "Du" vor! ∞ λ ¼


Vorstellung: hier klicken

plaenerdd

Hallo Richard,
sehr schöne Bilder! Auch ich nehem die Testaceen eher als schönen Beifang unter die Lupe und bin über den Arten- und Formenreichtum immer wieder erstaunt und erfreut.
Um Bilder direkt in den Text einzufügen musst Du die Bilder ersteinmal woanders hosten. Hier in den FAQs ist das ganze Prozeder beschrieben. Ein wenig kompliziert, aber man gewöhnt sich dran.

Wenn ich Deinen Beitrag richtig verstanden habe, ist in diesem 3-D-Bild wohl auch ein Reproduktionsstadium abgelichtet?

Beste Grüße
Gerd
Fossilien, Gesteine und Tümpeln mit
Durchlicht: Olympus VANOX mit DIC, Ph, DF und BF; etliche Zeiss-Jena-Geräte,
Auflicht: CZJ "VERTIVAL", Stemi: MBS-10, CZJ SMXX;
Inverses: Willovert mit Ph

Richard Scholz

#3
Hallo Klaus,
Danke für das schöne Bild eines stolzen 13-zähnigen Exemplars ! Meine Arcella dentata muss mit zwei Zähnen weniger auskommen und ähnelt somit mehr dem sprichwörtlichen zahnlosen Tiger. Noch stärker ist die Reduktion bei folgendem Exemplar ausgeprägt:


(Arcella dentata, reduzierte Form)

Viele Grüße

Richard

Richard Scholz

Hallo Gerd,
zunächst Danke für Deinen technischen Hinweis auf das Einstellen von Bildern in den Text !
Dein raffiniertes Anaglyphenbild (mit Picolay erzeugt?) zeigt wohl den Zeitpunkt kurz vor der Trennung von Mutter und Tochterzelle (,,Zweiteilung als Form der ungeschlechtlichen Fortpflanzung").
Der Schalenbau mit Xenosomen (Sandkörnern, Diatomeenschalen (wie auf deinem Bild)....) setzt auf den ersten Blick Fähigkeiten voraus, die man einem Einzeller nicht ohne weiteres ,,zutrauen" würde. In Schönborn ,,Beschalte Amöben" (S. 35) findet sich der Hinweis auf ein interessantes Experiment:
,,Rhumbler (1898) hat die Gesetze der Bildung der Fremdkörperschalen wiederum am Modell vorgeführt. Früher schrieb man den Difflugien eine besondere architektonische Fähigkeit zu; Rhumbler aber zeigte, daß hier rein physikalische Gesetze beteiligt sind, die auch am leblosen Körper wirksam sind. Er verrieb Chloroform [oder Öl<ergänzt R.S.>] mit winzigen Splitterchen und drückte dieses Gemisch in Form eines kleinen Tropfens durch eine Kapillarpipette in ein Schälchen mit Wasser. Schon nach einer sehr kurzen Zeit ordnen sich die Splitter zu einem lückenlosen Gehäuse um den Tropfen..... .
Rhumbler ahmte auf künstlichem Wege fast alle Fremdkörperschalen der Testazeen nach, ja, viele seiner künstlichen Gehäuse übertreffen an Schönheit noch die natürlichen.
Die Testazeen treffen für den Bau ihrer Schalen keine qualitative Auswahl unter den Xenosomen. Nur die Teilchengröße spielt eine Rolle, bedingt durch die Weite der Schalenöffnung und durch das Verhältnis der Kohäsion der Oberfläche zur Adhäsion der Teilchen. Die Kohäsion der Oberfläche muß immer größer sein als die Adhäsion zu den Teilchen. Aus diesem Grunde trafen Rhumblers Öltropfen auch schon eine Auswahl unter den angebotenen Bauelementen. Daher ist aber die Natur der der Fremdkörper kein systematisch vererbbares Merkmal. Die Testazeen bauen mit dem Material, das ihnen zur Verfügung steht."

Trotz dieses etwas nüchternen Erklärungsversuchs bleibt die Bautätigkeit der Testaceen für mich ein faszinierender Vorgang.

Beste Grüße

Richard

plaenerdd

Hallo Richard,
danke für die interessanten Details zur Schalenbildung!
Ja, das 3-D-Bild wurde mit PICOLAY erzeugt.
Beste Grüße
Gerd
Fossilien, Gesteine und Tümpeln mit
Durchlicht: Olympus VANOX mit DIC, Ph, DF und BF; etliche Zeiss-Jena-Geräte,
Auflicht: CZJ "VERTIVAL", Stemi: MBS-10, CZJ SMXX;
Inverses: Willovert mit Ph

Michael Plewka

hallo Richard,

sehr schöne Aufnahmen!

Besonders interessant finde ich Deinen Hinweis auf das Experiment von Rhumbler. Das kannte ich noch nicht; insofern konnte ich wieder was lernen. Besten Dank dafür!

Beste Grüße & FF (Frohes Fest)
Michael Plewka

Cuxlaender

@Richard

So ausschließlich kann man wohl die Vorgänge der Schalenbildung nicht mit Rhumblers mechanistischen Versuchen erklären, der vor allem die Bildung von Difflugienschalen simulierte. Rhumbler war (Deutsche Enzyklopädie) Anhänger einer mechanistischen Auffassung vom Lebensgeschehen, suchte für elementare Lebensvorgänge eine rein physikalische Erklärung.

2006 veröffentlichten Yu.A. Mazei, A.N. Tsyganov in ihrem leider russischsprachigen Papier Süßwasser Schalenamöben die folgende Zeichnung von Olga Chibisova aus dem Jahr 2000 (deren Originalpapier ich nicht finden konnte):



Text dazu (Googleübersetzung):
Schema der Morphogenese Difflugia S?.: A - eine zur Teilung bereite Zelle; b - Bildung von Zytoplasma Auswuchs; c, d - die Anfangsstadien der Bildung der Tochterschale; d - Fertigstellung Formationen der Tochterschale, Epipodien haben sich noch nicht gebildet; e - Zellen nach Divisionen; k-Xenosomen; n - Pseudopodien, agglutinierendes exogenes Material; R Kern (von: Chibisova et al., 2000).

Im rechten oberen Bild sammelt  die Difflugie offensichtlich während der Bildung der Tochterzelle aktiv weiteres Baumaterial aus der Umgebung. Da ist schon mehr als Oberflächenspannung im Spiel.

Eugène Penard hat sich auf Seite 698 der Faune Rhizopodique sehr kritisch über  Rhumblers Experimente geäußert. In meiner Übersetzung:  "Ohne Zweifel würde es zu weit gehen, die Konstruktion der Hülle einer Euglypha eine Intelligenzleistung zu nennen, aber doch mehr als bei der pflanzlichen Zellteilung stattfindet. Man kann kaum mit einem solchen künstlichen Experiment die symmetrische ziegelartig überlappende Verteilung der Schuppen und die Zähne an der Mündung erklären."

Gemütliche Weihnachten,
Hans

Richard Scholz

Hallo Hans,
vielen Dank für diese interessante und wichtige Ergänzung !
Es ist letztendlich ein denkbar weiter Bogen, von der ,,Descartschen Maschine" bis hin zum Konzept einer ,,beseelten Natur", der weder zwischen den Deckeln eines dicken Folianten, geschweige denn in einem ,,Thread" untergebracht werden kann. Ich finde, das Zitat von Penard (Danke für die Übersetzung!), bringt dieses Spannungsverhältnis wunderbar auf den Punkt.  Die Theorien kommen und gehen, die staunende Bewunderung für die Testaceenschalen unter dem Mikroskop bleibt konstant.

Beste Grüße

Richard