Einige Beobachtungen an Gastrotrichen des Sapropels

Begonnen von Ole Riemann, Januar 05, 2019, 15:26:13 NACHMITTAGS

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Ole Riemann

Liebe Kollegen,

über die Feiertage hatte ich Gelegenheit, mal wieder etwas gründlicher Proben aus meinem aktuellen Fundgewässer zu mikroskopieren. Es handelt sich hierbei um einen kleinen Fallaubtümpel, an dessen Grund sich ein reich besiedelter Schlamm aus teilweise zersetzter organischer Substanz gebildet hat und der von zahlreichen Purpur-Schwefelbakterien an der Basis der Nahrungsnetze bewohnt wird (Sapropel/"Faulschlamm"/"Metabolisierungszone" sensu Kreutz).

Hier hatte ich schon mal über Funde aus diesem Habitat berichtet: https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=33018.0 und https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=32799.0.

Ich möchte noch einige weitere Beobachtungen an Gastrotrichen anfügen, die insbesondere in Proben auftauchen, die schon einige Tage auf der Fensterbank stehen.

Gastrotrichen und hierbei insbesondere kleinere Arten wie der im Folgenden gezeigte Chaetonotus gehören ökologisch zu den Mikroherbivoren, die sich vor allem von Bakterien ernähren und damit die bakterielle Produktion höheren trophischen Ebenen in den Nahrungsnetzen verfügbar machen. Hier sieht man ein Exemplar in ganz typischer Weise mit der Mundöffnung (links) in Detritusflocken, die u.a. runde Purpur-Schwefelbakterien enthalten, sondieren. Wenn man die Tiere längere Zeit beobachtet, kann man immer wieder sehen, wie sich blitzartig das Pharynxlumen weitet und Nahrungsbestandteile eingesaugt werden:



Immer wieder faszinierend in Mischproben mit großen Ciliaten und kleinen Metazoen wie Gastrotrichen sind die Größenverhältnisse. Auf der folgenden Aufnahme sieht man (von links nach rechts) den Ciliaten Dexiotricha granulosa, ein Chaetonotus (Gastrotrich) und den Ciliaten Loxodes striatus. Loxodes als Einzeller übertrifft den aus mehreren Hundert Zellen bestehenden Gastrotrichen in der Länge knapp:



Es geht aber noch bei weitem extremer. Die folgende Aufnahme zeigt ein Exemplar der gleichen Chaetonotus-Art in unmittelbarer Nähe eines vorbeischwimmenden Spirostomum. Allein der bandförmige Makronukleus - lediglich ein Organell des Einzellers! - ist ausgedehnter als der gesamte Gastrotrich (die Pfeile markieren die einzelnen Knoten des Ciliaten-Makronukleus):



Ein weiterer Gastrotrich im Sapropel ist der winzige Aspidiophorus oculifer. Michael hatte vor einiger Zeit in außergewöhnlich schöner und gründlicher Weise die Embryonalentwicklung dieser Art dokumentiert: https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=32718.0. Ich möchte noch ein wenig zur Morphologie dieser Art ergänzen. Schon in Rohproben fallen Arten der Gattung Aspidiophorus aufgrund ihrer eigenartigen Dorsalschuppen auf. Sie sind besonders dicht und bilden in ihrer Gesamtheit einen flexiblen Panzer, der auch die Flanken des Gastrotrichen bis auf die Bauchseite hin umschließt (dorsal ist in der folgenden Abbildung oben):



Will man solche kleinen Gastrotrichen genau untersuchen (und bestimmen), kommt man nicht darum herum, einzelne Exemplare zu isolieren und bei ganz geringer Schichtdicke mit der Ölimmersion zu untersuchen. Dies ist immer wieder nervenaufreibend und meist nicht ohne Materialverluste möglich. Ich gehe immer so vor, dass ich einzelne Exemplare unter dem Stereomikroskop mit einer feinen Pipette bei 20facher Vergrößerung herausfische und unter Sichtkontrolle auf einem Objektträger absetze und anschließend - immer noch unter Kontrolle - das Deckglas auflege. Es gibt hier im Forum Experten, die diese Präparation sogar direkt unter dem Mikroskop bei unabgedecktem Präparat hinbekommen - natürlich bei seitenverkehrtem und umgedrehtem Bild, das das Mikroskop liefert.

Hat man sorgfältig präpariert, ergibt sich für eine kurze Zeitspanne bis zur terminalen Quetschung des Objektes die Gelegenheit, unter Optimalbedingungen bis zur Auflösungsgrenze der Ölimmersion alle wichtigen Details zu checken. Dieser Moment ist typischerweise immer etwas hektisch, da man dann dazu tendiert, alles zur gleichen Zeit machen zu wollen. Am besten ist es, möglichst viele Fotos zu schießen, die anschließend in aller Ruhe gesichtet werden und hoffentlich alle relevanten Merkmale zeigen. Wir Tümpler haben bei solchen Präparaten im Grunde genommen permanent eine Situation, die den Sonnenfinsternisbeobachtern entspricht, die in den maximal 7 Minuten der Totalität zwischen drei Kameras wechseln, mit dem Fernglas beobachten und parallel noch eine Temperaturkurve aufzeichnen wollen.

Die folgenden Fotos zeigen drei Ansichten (Horizontalebene, Dorsalseite, Ventralseite). Bestimmungsrelevant sind insbesondere die gattungstypischen Dorsalschuppen sowie die lichtbrechenden, paarigen Ocellen am Kopf:



(Cb=Cilienbänder, Oc=Ocellen, Se1,2=Setolae 1 und 2, Tp=Terminalplatten)

A. oculifer ist mit ca. 100 µm Länge auch für Chaetonotiden-Verhältnisse ein kleiner Gastotrich. Wirklich winzig sind die feinen Schuppen, die - dicht an dicht stehend - den Körperpanzer bilden. Eine einzelne Schuppe misst lediglich gut 2,5 µm in der maximalen Ausdehung:



Ich finde es immer wieder staunenswert, wie die Natur dieses Maß an Ordnung auf so kleinen Maßstäben hervorbringt.

Beste Grüße

Ole

Michael

#1
Hallo Ole,

wieder ein toller Bericht mit makellosen Bildern aus diesem erstaunlichen Lebensraum! Vielen Dank dafür!
Im Sapropel findet sich ein erstaunlich vielfältiges und interessantes Gastrotrichen-Spektrum, das ganz andere Arten zeigt als der Bereich rund um die Wasserpflanzen. A. oculifer scheint mir ein Wanderer zwischen diesen beiden Welten zu sein.
Deiner Beschreibung von der Zeitnot bei der genaueren Untersuchung und Bestimmung der Bauchhärlinge trifft leider voll und ganz zu. Da ich aber diese "Hetze" beim Hobby hasse, habe ich die Beobachtungszeit von wenigen Minuten auf einige Stunden verlängert, indem ich ein großes Deckglas verwende, bei dem ich vor dem Auflegen an zwei gegenüberliegenden Kanten einen dünnen Vaseline-Steg auftrage. Beim Verdunsten des Wassers wird dann das DG fast nicht mehr auf den Objektträger gezogen - der Wassertropfen trocknet dann von außen nach innen. Um die notwendige Schichtdicke zu erhalten, drücke ich das DG mit einem Holzstäbchen unter Mikroskopkontrolle von Hand an. Da die beiden gegenüber liegenden Seiten des DG frei bleiben, kann man nach den Übersichtsfotos etwas Essig unter das DG ziehen und eine Schuppenanalyse versuchen.
Deine Fotos von A. oculifer sind wirklich bemerkenswert. Das "Kettenhemd" von Aspidiophorus gehört zweifellos zu den interessantesten Schuppenkleidern bei den Gastrotrichen!

Viele Grüße

Michael
Gerne per Du

Jürgen H.

Lieber Michael,

sagenhafte Photos machst Du, die mir eine mir unbekannte Welt näherbringen, herzlichen Dank dafür!

Offensichtlich kannst Du mit der von Dir geschilderten Hektik sehr gut umgehen, die drei Photos verschiedener Schärfeebenen sind perfekt.

Schöne Grüße

Jürgen

Kurt

Hallo Ole,

bin begeistert von Deinen Beitrag, gefällt mir ausgezeichnet. Deine DIK-Bilder sind wie immer sehenswert!

VG
Kurt

Ole Riemann

Hallo Michael, Jürgen und Kurt,

vielen Dank für Eure netten Rückmeldungen!

@Michael: Du bist mir mit Deiner Methode der Präparation sicherlich weit voraus. Ich habe mich aber bisher nicht so recht getraut, es auch mal mit der Vaseline zu versuchen. Erstens bleibt man so gerne bei dem, was man kennt und zweitens bin ich nicht sicher, wie gut man die Schichtdicke damit kontrollieren kann. Ich muss es halt einfach mal probieren, Du hast das Verfahren ja vielfach beschrieben.

Beste Grüße

Ole

Fahrenheit

Lieber Ole,

danke für den interessanten Beitrag und die sehr guten Aufnahmen. Obwohl nicht aus meinem direkten Interessengebiet, habe ich ihn mit Freude gelesen.

Herzliche Grüße
Jörg
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Arbeitsmikroskop: Leica DMLS
Zum Mitnehmen: Leitz SM
Für draussen: Leitz HM