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Resteverwertung

Begonnen von Heiko, Februar 27, 2019, 21:59:07 NACHMITTAGS

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olaf.med

#15
Lieber Heiko, lieber Gerd,

da bietet sich doch wieder einmal ein kleiner Kristallsymmetrie-Exkurs an. Man wird sehen, dass das Oktaeder ziemlich universell ist und sich bestens für "Symmetrieerniedrigung" eignet, denn es hat 4-zählige Achsen (für kubisch und tetragonale Symmetrieen), dreizählige Achsen (für trigonale und hexagonale Symmetrien), zweizählige Achsen (für rhombische und monokline Symmetrieen) plus viele weitere Symmetrieelemente, die hier nicht wichtig sind. 

Hier sieht man in der oberen Reihe links einen kubischen Grundkörper (Würfel), der durch Verzerrung entlang einer vierzähligen Achse zum tetragonalen Grundkörper (tetragonales Prisma, Mitte) und durch Verzerrung entlang zweier vierzähliger Achsen zum rhombischen Grundkörper wird (Quader aus rhombischen Pinakoiden, Rechts). Dabei gehen stufenweise Symmetrieelemente verloren, die ich der Übersichtlichkeit halber nicht eingezeichnet habe. Hier werden z.B. die vierzähligen Achsen zu zweizähligen Achsen.



Machen wir das Gleiche in der selben Orientierung mit einem Oktaeder, entstehen die Körper in der mittleren Reihe. Zur Verdeutlichung habe ich die Verzerrungen ziemlich stark gewählt. Macht man das weniger krass sehen sie immer noch aus wie perfekte Oktaeder, aber sind plötzlich nur noch tetragonal bzw. rhombisch.

Legt man nun ein Oktaeder auf ein Fläche (aus der ja eine dreizählige Achse senkrecht aussticht!), und deformiert es in Richtung dieser dreizähligen Achse minimal, hat man einen trigonalen Kristall. Dies ist unten links in perspektivischer Darstellung gezeigt. Das Kopfbild unten rechts zeigt dann hexagonale Umrisse und entspricht den meisten Kristallen in Heikos schönem Präparat. Alle anderen Formen kann man mit etwas dreidimensionalem Vorstellungsvermögen und Verzerrungen leicht interpretieren.

Übrigens wurden schon sehr früh, im 18. Jahrhundert, Kristallmodelle aus verschiedensten Materialien hergestellt, damit man solche Zusammenhänge besser verstehen lernt. Hier ist ein solcher Satz von Eloffe aus Paris aus Holz:



Herzliche Grüße,

Olaf
Gerne per Du!

Vorstellung: http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=4757.0

... und hier der Link zu meinen Beschreibungen historischer mineralogischer Apparaturen:
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=34049.0

Heiko

Lieber Olaf,

Du weißt, mir fällt die ,,Orientierung im Raum" immer recht schwer. Deshalb eine Nachfrage zu Deinen Ausführungen, den trigonalen Kristall betreffend. Hier ist die Morphe, nicht das System gemeint – liege ich da richtig?

Viele Grüße,
Heiko

olaf.med

#17
Nein, lieber Heiko, dieser Kristall ist tatsächlich trigonal, aber extrem pseudooktaederich, das siehst Du an der Indizierung der Flächen. Meine Formulierung im Text war nicht sauber - ich habe sie geändert.  Bei der Konstruktion des Kristalls habe die Dimension der trigonalen Achsen entsprechend gewählt, sodass praktisch ein Oktaeder entstand. Daher sind optische Untersuchungen oft sehr wichtig, um Scheinsymmetriene von den wirklichen zu unterscheiden.

Herzliche Grüße,

Olaf.
Gerne per Du!

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bergarter

#18
grüß euch

Olaf und Heiko

Ein  " verzerrtes"  Oktaeder ist auch in meinem alten Heft, das heißt aber in meinem Mineralogiebuch ( Rösler ) : rhombische Dipyramide und ist dort viel spitzer gezeichnet.
Deswegen hab ich nicht an so was gedacht.
Was ich aber nicht ganz sehn`n kann, ist wie aus einem auf die Seitenfläche gestellten Oktaeder was trigonales wird.
Unter trigonal verstehe ich jetzt was im Buch  -  trigonales Rhomboeder genannt wird.
Das hat viereckige Flächen, Oktaederflächen sind Dreiecke .
Kann aber sein das es trigonale Kristalle gibt die ich nicht kenne.

Kristallmodelle müssen nicht  aus Holz sein.
Schon mit Pappe läßt sich einiges tun.

Hier noch ein paar rumliegende " Reste " , die ich nie im Gebrauch hatte, aber als " Mobile " gedacht waren.

Eine " Abwicklung " der Fläche , drunter.

Läßt sich alles recht leicht konstruieren,. wenn man Lust und Zeit hat,
und aus Ton zusammengefügt, läßt die sich  sogar brennen.
Glasiert könnt´n gar psychedelische Muster drauf entstehn.

grüß euch
Gerd



olaf.med

#19
Lieber Gerd,

ZitatKristallmodelle müssen nicht  aus Holz sein.
Schon mit Pappe läßt sich einiges tun.

Daher schrieb ich ja:
ZitatÜbrigens wurden schon sehr früh... Kristallmodelle aus verschiedensten Materialien hergestellt...

Papp-Modelle gab es erst später. Neben Holz wurd vor allem Gips und Porzellan benutzt, ganz selten auch Blei und Eisen.

Bezüglich der Morphologie: lass doch einfach mal die Basis (001) rauswachsen:



Kommt Dir das bekannt vor?

Herzliche Grüße,

Olaf
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bergarter

Ja natürlich, Olaf

Aber wer in den kompliezierten Wälzern suchen muß hat halt nicht so den Überblick.
Ja, beim Rösler wird auch das mittlere Übergangsstadium als " verzerrt" bezeichnet, weiter geht`s dort jedoch nicht

grüß Dich
Gerd

Heiko

Lieber Olaf,

danke Dir für die neuerliche Erläuterung. Ich gebe die Hoffnung nicht auf ...
In diesem – vielleicht etwas erweiterten – Zusammenhang erbitte ich Deine Expertise zu diesem ,,Möchtegern-Oktaeder" des Urotropin-Bismutchlorids:



Scheint mir ein Zwilling, der geringen Anisotropie wegen als solcher nicht augenscheinlich gewesen, mit Affinität zum Oktaeder.
Wie war das mit den Zwillingen, Pseudo-Formen und dem Energie- bzw. Entropiegewinn? Du hattest an anderer Stelle hierzu schon einmal etwas ausgeführt, meine ich mich zu erinnern.

Viele Grüße,
Heiko

olaf.med

Lieber Heiko,

zu diesem Aggregat kann ich alleine aus dem Bild natürlich auch weiter nichts sagen, als dass es sich entweder um eine zufällige Verwachsung zweier Individuen oder um einen Zwilling handelt - das verrät uns der einspringende Winkel. Erst wenn so etwas gehäuft in dem Präparat vorkommt spricht das für den zweiten Fall. Endgültige Klärung würde eine genaue morphologische Vermessung oder eine Röntgen-Struktur-Analyse liefern (Du weißt schon... Kanonen und Spatzen  ;D ;D ;D).

Über die Energie-Bilanz bei der Zwillingsbildung weiß ich nichts Genaues, folgende Aussage aus dem Klockmann, meiner Bibel, legt dies aber nahe:

Zwillingswachstum: Solange ein Kristallkeim nur aus wenigen Atomen, Ionen oder Molekülen besteht, kann dessen Wachstumsform von den pro Volumeneinheit ungewöhnlich großen Oberflächenkräften wesentlich beeinflußt werden. So kann beispielsweise statt eines kubooktaedrischen Koordinationskomplexes mit Inversionszentrum i (Abb. a) ein hexagonaler Komplex gleicher Koordinationszahl mit Spiegelsymmetrie m entstehen (Abb. b).



Hier sieht man den Gewinn an Symmetrie, den die Zwillingsbildung grundsätzlich beinhaltet, deutlich.

Herzliche Grüße,

Olaf
Gerne per Du!

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Heiko

Lieber Olaf,

rein spekulativ auf den fraglichen Kristall übertragen wäre also denkbar, dass die beiden rhombischen Individuen pseudokubische Oktaederform anstreben?


Die Pyridin-Variante des Tetraiod(id)obismutats ,,törtelt" auch gerne, wie diese bereits einmal gezeigte Aufnahme demonstriert:



Diesmal meine ich sogar einen Einkristall erwischt zu haben, der ein simples Achsenbild zeigt:



Und wieder einmal faszinieren die Formen und Farben:





Viele Grüße,
Heiko

olaf.med

Lieber Heiko,

ja, das ist denkbar.

Deine Pyridin- Variante ist ja wirklich wild verzwillngt.

Herzliche Grüße,

Olaf
Gerne per Du!

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Heiko

Danke Olaf,

ohne Deine Erläuterungen wär' das ja alles nix.

Viele Grüße,
Heiko