Cephalodella gracilis und Cephalodella forficata

Begonnen von Martin Kreutz, Oktober 02, 2019, 20:12:48 NACHMITTAGS

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Martin Kreutz

Liebes Forum,

von der Rädertier Gattung Cephalodella gibt es sehr viele Arten und ich muss zugeben, dass ich Schwierigkeiten habe, alle zu unterscheiden. Ich gehe meist zuerst nach der ,,äußeren Form". Das ist nicht besonders systematisch und wahrscheinlich sind mir durch diese grobe Betrachtungsweise schöne Funde durch die Lappen gegangen. Vor kurzem fand ich jedoch ein weitere Art, die vergleichsweise klein war (ca. 100 µm), sehr flexibel und schnell beweglich. Trotz meiner groben Kategorisierung kam mir dieser Fund sofort verdächtig und neu vor. Ich habe 15 Bilder aufgenommen, die mir bei der Zuordnung aber erst Mal auch nicht weiterhalfen. In diesen Fällen suche ich immer die ,,plingfactory" von Michael auf und schaue mal, ob ich etwas ähnliches in seiner umfangreichen Sammlung finde. Dies war jedoch nicht der Fall. Also habe ich Michael die Bilder mal zugeschickt, der sie sogleich als Cephalodella gracilis identifizierte (an dieser Stelle nochmal vielen Dank dafür!). Er teilte mir folgende Merkmale mit, woran man Cephalodella gracilis erkennen kann:

- kurze Zehen
- frontaler Augenfleck
- Pleuralstäbe im Kauer vorhanden
- nur 4 Nuclei im Vitellarium

Diese Art hat er selbst bisher auch noch nicht gefunden. Sie scheint nicht sehr häufig zu sein und ich möchte sie deshalb hier im Forum zeigen:



PS = Pleuralstab
Pfeile = 4 Kerne im Vitellarium

Der Fundort von Cephalodella gracilis ist ein kleiner Waldtümpel in der Nähe der Mainau. Ich habe Fotos von diesem Fundort in einem anderen Beitrag gezeigt: https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=35094.0. An dieser Stelle möchte ich noch erwähnen, dass Michael die Bilder dankenswerter Weise in seine Rädertiersammlung in seiner plingfactory aufgenommen hat:http://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Cephalodella%20gracilis%20var_lenticulata.html.

Hier noch eine weitere Cephalodella, die diesmal aus einer Probe aus dem Simmelried stammt. Diese etwas stattlichere Art (L = 160 µm) finde ich zwar häufig, konnte sie bisher aber auch nicht korrekt bestimmen. Auch hier halfen mir die Bilder und Erläuterungen auf der plingfactory weiter. Es handelt sich um Cephalodella forficata. Diese Art besitzt eine orange oder orange-braune Magendrüse und ein auffällig grünlich gefärbtes Retrocerebralorgan, von welchem aus ein Retrocerebraltubus bis zur Stirn reicht. Auf Grund dieser Merkmale bin ich mir bei der Zuordnung ziemlich sicher:


RCT = Retrocerebraltubus
RCO = Retrocerebralorgan
MD = Magendrüsen

Viel Spass beim anschauen!

Martin

M.Butkay

Hallo Martin,

wie immer ein tadelloser Beitrag, von den wir Tümpler immer wieder etwas lernen können und wie von Dir gewohnt, mit erstklassigen Bilder unterlegt.

Danke Dir hier fürs zeigen,

Michael
Captain Kirk (Wächter des Plankton...)

Michael

#2
Hallo Martin,

vielen Dank für diesen lehrreichen und toll bebilderten Beitrag. Es ist beruhigend, dass auch Dich die Vielfalt der Cephalodella manchmal  verwirrt. Um schöner finde ich es, dass die Zusammenarbeit von Forumsmitgliedern solche Früchte trägt. Deshalb auch mein Dank an Michael Plewka,

Viele Grüße

Michael (Müller)
Gerne per Du

limno

Hallo Martin und Michael (Plewka),
auch von mir ein dickes Lob für Eure Co-Produktion. Dank dafür!  8) :D
Die immer noch gängige Bezeichnung "Retrocerebralorgan" deutet wohl an, dass man über dessen Funktipon weiter im Unklarern ist.
Herzliche Mikrogrüße von
Heinrich
So blickt man klar, wie selten nur,
Ins innre Walten der Natur.

Michael Plewka

#4
Hallo Martin,

vielen Dank für die Dokumentation Deiner Funde, wobei der erste Fund m.E. sehr wohl etwas Besonderes ist, allerdings etwas anders als es hier dargestellt ist. Vermutlich habe ich mich unklar ausgedrückt; deshalb hier für alle, die an Rädertieren interessiert sind (Michael und Heinrich: vielen Dank für Eure Rückmeldungen), hier noch eine Klarstellung:

Martin, Du  hast natürlich  Recht, wenn Du die Arten der Gattung "Cephalodella" als schwierig zu unterscheiden kennzeichnest. Wie Du schon geschrieben hast, stehen am Anfang der Bestimmung   zwei Merkmale, die man auch ohne größeren Aufwand erkennen kann:
1. die relative Zehenlänge und
2. Augenflecke: ja/ nein; frontal/ am Gehirn.

Zwar kann man hiermit schon die Artenvielfalt eingrenzen, doch im nächsten Schritt aller Bestimmungsschlüssel dieser Gattung geht es um die genaue  Analyse des Kauers, und da hört dann normalerweise der Spaß auf, d.h. hier hilft nur mazerieren und genaue Beobachtung der Hartteile mittels Immersionsobjektiven. Der Rotiferologist Wulfert hat das im letzten Jahrhundert gemacht; ihm kommt der Verdienst zu, die verschiedenen Kauer dieser Gattung in 6 Typen (A-F) kategorisiert zu haben.

In Deinem  2.und 4.  Bild kann man das (linke) Manubrium erkennen, das am rückseitigen Ende eine T-förmige Krücke hat. Diese Krücke gibt es nur beim Kauertyp B.

Bei der Bestimmung von Organismen kann man grundsätzlich immer einem  (dichotomen) Bestimmungsschlüssel  systematisch "abarbeiten"; andererseits gibt es Arten mit  bestimmten   Merkmalen, welche für diese Arten typisch sind und somit  die eine Bestimmung wesentlich  erleichtern. In diesem Fall hast Du ja sehr schön dokumentiert, dass nur 4 Kerne in den Dotterstöcken sind (bei monogononten Rädertieren sind es normalerweise 8 ), was ein solches typisches Merkmal ist. Das geht ja nur bei komprimierten Tieren, wo alle Nuclei mit Sicherheit in der Fokusebene sind.

Dieses Merkmal zusammen mit den anderen ergibt die Art C. gracilis.


Aber: C. gracilis ist relativ häufig, ich habe diese Art schon mehrfach gesehen und auch schon mal im hier Forum vorgestellt:

https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=13436.0


Was ist also das Besondere?


C. gracilis (gracilis) hat die von mir genannten Merkmale, aber keine Pleuralstäbe !

In Deinen Fotos sind ja diejenigen Gebilde im Kauer markiert , die man als solche Pleuralstäbe interpretieren kann. Der o.a.  Wulfert hat 1938 eine  Form  beschrieben, die sämtliche 4 o.a. aufgeführten Merkmale  und außerdem Pleuralstabe  besitzt. Diese Form hat er als C. gracilis var. lenticulata bezeichnet.

Insofern stimmt Dein Fund mit dieser Form Wulferts überein, nicht aber mit der typischen C. gracilis.

Es kommt aber noch was hinzu: Wulfert beschrieb seine  "Varietät" mit einem pigmentlosen Kristallkörper als Frontalauge, was eindeutig im Gegensatz zu Deinem Fund steht.

Zusammenfassung: Dein Fund ist m.E. noch nicht in der Literatur beschrieben; dieses Statement  basiert aber auf einer unvollständigen Kaueranalyse.
Insofern wäre es  außerordentlich hilfreich, wenn Du noch mehr Tiere finden würdest, damit sie genauer untersucht werden könnnen.



Noch etwas zu Deinem 2. Fund:
normalerweise ist das Retrocerebralorgan farblos.  Ein "auffällig grünlich gefärbtes"  RCO wäre somit ebenfalls  wirklich etwas Besonders. Für mich sieht es allerdings nach dem grünen Mageninhalt aus, der außerhalb der Fokusebene liegt. Hast Du da evtl. noch andere Aufnahmen zur Bestätigung? (Merkwürdigerweise ist des RCO von meinem Fund aus dem Bodensee bei Bodman  mit etwas Fantasie ebenfalls leicht grünlich) .

@ Heinrich: obwohl das RCO  morphologisch (d.h.auch mit EM) sehr wohl untersucht ist, gibt es m.W.  zur Funktion dieses Organs weiterhin nur Vermutungen:

"Schmierung"  der Cilien der Corona bei den monogononten Rädertieren;  bei den Bdelloiden: Sekretion eines Stoffs, der die Anheftung des Rüssels beim Kriechen ermöglicht.


Beste Grüße
Michael Plewka

Heiko

Hallo Martin & Michael,

es ist mehr als interessant, wie Ihr hier die Grenzen der derzeitigen Artkenntnis aufzeigt.

Viele Grüße,
Heiko

Martin Kreutz

Hallo,

herzlichen Dank für euer Lob!

@Michael: Vielen Dank für Deine zusätzlichen Erläuterungen und wie genau man bei der Bestimmung der Arten vorgehen muss. Aber ich kann nur wiederholen, dass ich das ohne Deine Hilfe nicht geschafft hätte. Man muss sich schon länger mit der Materie beschäftigen und die typischen Merkmale öfters gesehen haben, um Details unterscheiden zu können. Natürlich bin ich auch froh, dass ich eher aus einem Gefühl heraus, es könnte etwas Besonderes sein, auf den Auslöser gedrückt habe. Tatsächlich finde ich recht viele Arten von Rädertieren, die derzeit für mich unbestimmt sind. Da wird sich eventuell noch einiges verbergen. Was Cephaloella forficata und das grünlich gefärbte Retrocerebralorgan angeht, so muss ich warten, bis ich wieder am heimischen PC sitze. Ich meine, ich hätte mehrere Aufnahmen gemacht. Aber für mich ist auch ein wichtiges Indiz, dass der Tubus auch grünlich ist, wo eine Überlagerung mit dem Mageninhalt sicher nicht so ohne weiteres möglich ist. Aber ich werde die anderen Bilder noch genau sichten und natürlich hier auch zeigen.

Martin


Martin Kreutz

#7
Hallo Michael und interessierte Mitleser,

ich habe im Archiv von dem gleichen Exemplar Cephalodella forficata weitere Aufnahmen gefunden. Eines zeigt das Retrocerebralorgan in einem Moment, wo sich das Exemplar streckt. Dadurch liegt es frei und ist nicht von Magen oder Magendrüsen abgedeckt (s. unten). Man erkennt deutlich, dass sowohl die "Kugeln" im retrocerebralen Tubus als auch im Retrocerebralorgan fahlgrün gefärbt sind. Die Farben im Bild sind nicht künstlich verändert oder verstärkt. Tatsächlich sieht es so aus, als wenn sich der Tubus bis an den "Scheitel" des Tieres zieht und eventuell nach außen tritt. Vielleicht produziert das Retrocerebralorgan auch eine Art Verdauungssekret, welches mit der eingestrudelten Nahrung vermischt wird und der "Vorverdauung" der Nahrung dient. Wer weiß!

Martin


RCT = Retrocerebraltubus
RCO = Retrocerebralorgan

Michael Plewka

Hallo Martin,

Dein neues Bild ist das "Schwarze-Loch-Foto" der Rädertiere!
Genauso wie eben jenes  preisgekrönte erste "Foto" eines Schwarzen Lochs relativ unspektakulär daherkommt, fehlen bei Deinem Bild hier die im Forum sonst teilweise üblichen "Schönes Foto"-Kommentare, aber dafür ist es m.E. eine kleine wissenschaftliche Sensation: ein RCO mit grünen Körnern!

Es tun sich da sofort einige Fragen auf, die aber (auch bei Nachfrage bei Rotiferen-Experten) noch der Antwort harren:

1. woraus bestehen diese Körner (bei Clement / Wurdak finde ich nur die Angabe: "mucus granules"?
2. Wieso sind sie bei C. forficata grün (Ursache, nicht Funktion!)?
3. steht  diese Farbe möglicherweise im Zusammenhang mit den ebenfalls außerordentlich stark orange gefärbten Magendrüsen dieser Art?
4. Was ist das "Schicksal" dieser Körnchen, die ja auch im Ausführgang zu sehen sind?

Beste Grüße
Michael Plewka

Martin Kreutz

Hallo Michael,

Du hast ja Vergleiche! Das "schwarze Loch Bild" der Rädertiere! Meines Wissens haben für das echte schwarze Loch Foto über 100 Wissenschaftler 2 Jahre gearbeitet, um es zu fotografieren. Dagegen sind meine Bemühungen äußerst bescheiden gewesen. Ich habe die Roh-Fotos nochmal angeschaut. Es sind nur fünf. Laut Zeitstempel alle fünf innerhalb von 45 sec. aufgenommen. Auf 4 Bildern ist der Kopf zu sehen, auf dem 5. der Fuß. Das fünfte Bild brauchte ich, weil die "Totale", die ich hier im Beitrag gezeigt habe, eigentlich aus 2 Bildern zusammengesetzt ist (das Vieh passte nicht auf den Sensor). Nur 2 Bilder zeigen das RCO (beide Bilder hier im Beitrag zu sehen).
Mit war nicht bewusst, dass über das RCO so wenig bekannt ist, so dass jede weitere Information zählt. Über den Zweck des RCO's und des darin gebildeten grünen Sekretes kann ich natütlich auch nur spekulieren. Da ich Cephalodella forficata vergleichsweise häufig finde, werde ich versuchen mehr über die Funktion des RCO's herauszubekommen.

Martin