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Dazwischen

Begonnen von Michael Plewka, Oktober 16, 2019, 11:44:55 VORMITTAG

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Michael Plewka

Hallo zusammen,

wahrscheinlich angeregt durch Ole Riemanns Beitrag hier
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=24874.0

haben zwei Mitglieder der BMG, am Ostseestrand bei Priwall Proben gezogen, um die Sandlückenfauna zu untersuchen. Freundlicheweise haben mir Jürgen Ibs (von ihm habe ich dankenswerterweise auch Literatur bekommen) und Helmut Pfaffmann  ihre Proben zur Verfügung gestellt, so dass ich ebenfalls einige Viecher fotografieren konnte.

Grundsätzlich gibt es zur Extraktion der Proben zwei unterschiedliche Methoden, die auch sehr schön in dem Artikel in der Zeitschrift ,,Mikroskopie" (2/2016), an dem Ole mitgewirkt hat , beschrieben sind: eine chemische mit Magnesiumchlorid als Betäubungsmittel, zum anderen  eine physikalische, bei der die Probe vereist und dann aufgetaut wird. Ich habe bevorzugt Proben aus dem Eiswasser beobachtet.

Ergänzend also zu Oles Beitrag hier einige Bilder.Los gehts mit einem Turbellar, erkennbar an dem auffälligen Statolithen.




Während die meisten (der im ,,Wassertropfen" aufgeführten) Arten lediglich einen Wimpersaum auf der Körperoberfläche aufweisen, findet man bei dieser Form einen ausgeprägten Besatz von Cirren am Kopf. Inwieweit diese Cirren, sowie weitere einzelne Cirren am Körper Anpassungserscheinungen an das Mesopsammon darstellen, ist mir nicht bekannt.


Eine weitere, sehr häufig anzutreffende Gruppe von Organismen, die zwischen den Sandkörnchen leben, ist die der  Bauchhärlinge  (Gastrotrichen), von denen es Gattungen gibt, die  man   in limnischen Gewässern kaum findet.Ein solcher Vertreter ist z.B. Turbanella sp. aus der Gruppe der Macrodasyiden:
Diese Gattung  zeichnet sich durch sehr viele seitlich gelegene Haftröhrchen aus, die es dem Viech ermöglichen,  sich  an Sandkörnchen festzuhalten, so dass die Wahrscheinlichkeit  einer Verdriftung minimiert wird:




Mir sind dabei verschiedene Formen aufgefallen, die sich durch die Anzahl dieser Haftröhrchen unterscheiden. Möglicherweise liegen hier verschiedene (??Jugend-??) Stadien derselben Art vor. Hier ein solches Exemplar, dessen Nahrung aus Kieselalgen besteht:




Auffällig ist auch ein auf jeder Seite vorhandenes Band von Vakuolen / Körperchen, die jeweils in der Nähe der Haftröhrchen sind. Über deren Funktion habe ich leider nichts herausgefunden (?? (Kleb-) Drüsen ??) Typisch ist auch der Pharynx, der zwei Ausführungsgänge zur Außenwelt hat, wie man hier sehen kann:
http://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Gastrotricha/e-Gastrotricha/e-source/Turbanella%20hyalina.html

Bei den Haftröhrchen fällt auf, dass im optischen Längsschnitt  eine Seite des Röhrchens kürzer ist als die andere; es sieht auch so aus, als würde eine Cilie aus dem Rörchen ragen,  anders als bei den Haftröhrchen am Hinterende. Über die Funktionsweise dieser  Haftröhrchen würde ich gern genaueres wissen, habe aber nichts gefunden:




Ein weiterer Gastrotrich ist ebenfalls aus einer Gruppe, die Ole bereits vorgestellt hat. Auffällig ist bei diesen die  Unterseite mit bestimmten Strukturen, die ich als solche Cirren auffassen würde, mit denen sich das Viech zwischen den Sandkörnchen fortbewegen kann. Aufgrund der Anordnung dieser Cirren, sowie des nach vorne glühbirnenartig ausgedehhnten Pharynx ergibt sich m.E. die Gattung Heteroxenotrichula:




Hier noch ein weiteres Bild, das einen Teil der Beschuppung des Hinterteils und der Furca zeigt:






Weitere Bilder dazu hier:
http://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Gastrotricha/e-Gastrotricha/e-source/Heteroxenotrichula%20squamosa.html


Sowohl in Oles Beitrag als auch in dem Artikel in der Zeitschrift "Mikroskopie" über marine Meiofauna werden Protisten nicht erwähnt, wahrscheinlich, weil sie  wegen ihrer Größe nicht in die Defintion der Sandlückenfauna passen.

Dennoch ist mir in den Proben  ein Ciliat aufgefallen, der als ein typischer Vertreter des marinen Sandlückensystems gilt: Trachelocerca sp. welcher  ein merkwürdig granuliertes Plasma aufweist.  Trachelocerca sp:



Als Verteter der Karyorelictea zeichnen sich diese Ciliaten durch einen besonderen Nuklearapparat aus, wobei es mir nicht gelungen ist, die einzelnen Bestandteile dieses Organells von einem geplatzten Ciliaten zu identifizieren:





Weitere Bilder hier:
http://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenProtista/01e-protista/e-Ciliata/e-source/Trachelocerca%20sagitta.html


Viel Spaß beim Anschauen & beste Grüße
Michael Plewka


Michael

#1
Hallo Michael,

vielen Dank für Deinen interessanten Beitrag und die tollen Bilder!
Leider kenne ich mich mit marinen Gastrotrichen nicht aus, aber aus der Literatur weiß ich, dass bei einigen Arten  die Klebedrüsen mit einer Sinneszelle mit einer Cilie assoziiert sind:

ZitatA peculiar exception to the structure described above occurs in the genus Neodasys (Tyler et al. 1980, see also Ruppert 1991; Fig. 1.7 E). Neodasys has, from a general appearance, a distribution of adhesive tubes comparable to macrodasyidan species (however, anterior adhesive tubes are absent in Neodasys), but the fine structure of these tubes is not comparable. The papilliform lateral tubes in Neodasys contain only one glandulocyte per tube, this cell has a rudimentary cilium. A ciliated sensory cell is closely associated with this glandulocyte (Fig. 1.8 C). Tyler et al. (1980) interpret this structure as a kind of forerunner of the duo-gland adhesive tubes of other gastrotrichs. According to this model, the viscid gland cell(s) of the adhesive tubes are derived from ciliated epidermal cells, and the releasing gland cell is derived from the associated sensory cell. Such a scenario also supports the hypothesis of Neodasys as the earliest branch within the phylogenetic system of Gastrotricha as proposed by Kieneke et al. (2008a). The posterior adhesive organs of Neodasys are also of peculiar structure. The paired caudal feet include adhesive tubes similar in ultrastructure to the lateral ones but additionally possess a distal pore lined by a microvillar border of a specialized myoepithelial cell (Tyler et al. 1980, Ruppert 1991).
aus:
Kieneke, A.& Schmidt-Rhaesa, A. 2014. Gastrotricha. In: Schmidt-Rhaesa, A. (ed.), Handbook of Zoology. Vol.3 Gastrotricha and Gnathifera, pp 1-134. De Gruyter, Berlin, Boston.

Zumindest scheinen solche Kombinationen von Kleberöhrchen und Cilie vor zukommen. Möglicherweise gehört Dein "juveniles" Exemplar zur Gattung Neodasys?

Könntest Du die verwendete Extrationsmethode kurz vorstellen? Leider liegt mir der Mikroskopie-Artikel nicht vor.

Auf deiner Webseite zeigst Du auch ein Foto, bei dem Spermienbündel bei Heteroxenotrichula squamosa zu sehen ist. War das Sperma beweglich? Bei limnischen Gastrotrichen sind die Spermienbündel immer unbeweglich und es würde mich interessieren, ob bei marinen Gastrotrichen ebenfalls Stadien existieren, bei denen das Sperma (noch) nicht beweglich ist.
Eine weitere Frage ist, wie alt Deine Proben waren bzw. wie lange man diese sinnvollerweise Aufbewahren kann, bis die Tiere absterben.


Vielen Dank fürs Zeigen und interessierte Grüße,

Michael
Gerne per Du

Michael Plewka

Hallo Michael,

recht herzlichen Dank für Deinen Kommentar und den  Literaturhinweis!

Ich benutze den Key von Todaro:
"An Introduction to the Study of Gastrotricha, with a Taxonomic Key to Families and Genera of the Group" ; demnach kann es sich bei dem 2. Gastrotrichen nicht um Neodasys handeln.
In dieser Arbeit 
https://www.semanticscholar.org/paper/Spatiotemporal-Size-Class-Distribution-of-mustela-a-Hochberg/0532fb171934ec9f3e8d0ff50d9711c4b7bc1867
findet sich eine Abbildung  der Art Turbanella mustela in verschiedenen Altersstufen, die mich zu dieser Vermutung gebracht hat.

In dem von Dir angesprochenen  Werk steht zwar jede Menge zur Morphologie, zur Funktion dieser m.W. einzigartigen Konstruktion einer Cilie in einem Röhrchen, von dem ich ausgehe, dass dort ein Klebesekret  ausgeschieden wird (dazu steht allerdings  bei Kienecke nichts) wird dort allerdings nichts gesagt.

Ich fürchte, ich kann zu Deinen weiteren Fragen nichts Wesentliches beitragen. Wie schon gesagt haben J. Ibs und H. Pfaffmann die Proben extrahiert, aber es gab soviel andere Organismen zu beobachten, dass ich davon nichts mitbekommen habe. Inwieweit  die chemisch behandelten und die Eiswasserprobe sich bezüglich der Haltbarkeit unterscheiden, vermag ich nicht zu sagen.

Zur Beweglichkeit der Spermien: wäre mir diese aufgefallen, hätte ich mit Sicherheit die Dinger genauer in den Fokus gebracht mehr Fotos davon gemacht. So sind mir diese Strukturen (von den ich lediglich annehme, dass es Spermien sein könnten) erst im Nachhinein beim Sichten der Fotos zuhause aufgefallen.

Beste Grüße
Michael Plewka

Bob

Hallo Michael (P.),
danke für den interessanten Bericht! Die Lebewesen der Meiofauna finden ja bei Amateurmikroskopikern sehr wenig Beachtung, obwohl sie vergleichsweise gut zugänglich und bearbeitbar sind. Durch den extremen Lebensraum sind sie gleichzeitig auch interessant geformt, so dass sie eigentlich ansprechende Untersuchungsobjekte darstellen.

Viele Grüße,

Bob

Ole Riemann

Hallo Michael,

vielen Dank für diesen schönen Bericht mit den eindrucksvollen Fotos. Du hast natürlich vollkommen recht; zahlreiche Ciliaten leben im marinen Sandlückensystem, insbesondere lange, fadenförmige Arten.

Beste Grüße

Ole