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Oscillatoria chlorina

Begonnen von Martin Kreutz, Oktober 21, 2019, 20:31:39 NACHMITTAGS

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Martin Kreutz

Liebes Forum,

heute möchte ich eine Cyanophycee vorstellen, die ich schon seit vielen Jahren finde und auf Grund ihrer besonderen Eigenschaften immer wieder gerne anschaue und fotografiere. Es handelt sich um Oscillatoria chlorina. Diese Cyanophycee wurde von H. Skuja ausführlich beschrieben (Skuja 1964, s. Lit.) und sehr gut gezeichnet:



Im Gegensatz zu vielen anderen Vertretern von Oscillatoria lässt sie sich einwandfrei und leicht identifizieren. Die sehr beweglichen, bis zu 2 mm langen Fäden haben einen Durchmesser von 6-7 µm und erscheinen im Hellfeld mit blass gelb-brauner Farbe, manchmal auch fast oliv. Sehr charakteristisch ist eine hyaline Kappe an den terminalen Zellenden. Außerdem besitzt jede Einzelzelle eine deutliche Querstreifung:


HK = hyaline Kappe

Auf Grund meiner eigenen Untersuchungen muss ich annehmen, das Skuja Oscillatoria chlorina ausschließlich im Hellfeld untersucht hat und nie im polarisierten Licht. Sonst wäre ihm die außergewöhnliche, doppeltbrechende Eigenschaft dieser Cyanophycee aufgefallen. Mit selbst ist dieser Effekt erstmals im DIK aufgefallen. Beim Versuch ein Objekt mit dem drehbaren Kreuztisch für ein Mikrofoto auszurichten, sah ich am Bildrand, wie sich die Farbe der Oscillatoria Fäden änderte. Dieser Effekt ist bei O. chlorina sehr stark und ausgeprägt. Je nach Ausrichtung nehmen die Zellfäden dabei eine intensiv grüne, orange oder violette Färbung an. Bei Drehung um 90° kann man die eine Farbe in die andere überführen:



Es ist schon ein paar Jährchen her (2003), als ich das unverschämte Glück hatte, dass sich ein Oscillatoria chlorina Zellfaden in einem Mikroaquarium zu einer perfekten Spirale aufgewunden hatte, als Reaktion auf die immer geringere Wassermenge unter dem Deckglas. Dabei sind mir die beiden folgenden Aufnahmen im DIK und im polarisierten Licht gelungen:




Man sieht sehr schön das Brechungskreuz, welches typisch für doppeltbrechende Materialien ist, die in konzentrischen Schichten aufgebaut sind (wie z.B. Stärkekörner). Was ist nun verantwortlich für die doppelbrechenden Eigenschaften? Die Zellwand von vielen Algen und Pflanzenzellen ist doppeltbrechend durch die eingelagerte Zellulose, jedoch besteht die Zellwand der Cyanophyceen hauptsächlich aus einer Mureinschicht und einer porinhaltigen Membran. Sie kann zwar auch doppeltbrechend sein, aber wesentlich schwächer ausgeprägt als bei den Zellwänden aus Zellulose. Ich halte den Aufbau der Zellwand von Oscillatoria chlorina nicht als die Ursache für die starke Doppelbrechung, zumal dann auch andere Vertreter von Oscillatoria diesen Effekt zeigen, was meines Wissens nicht der Fall ist. Ich weiß von den großen Schleimlagern, die Nostoc bildet, dass auch die Schleimhülle um Cyanophyceen doppletbrechend sein kann, was durch eingelagerte Zellulosemikrofibrillen hervorgerufen wird, wie man an folgenden Foto von Nostoc spec. im polarisierten Licht sieht:




Im Fall von Oscillatoria chlorina kommt das aber nicht in Frage, da diese Cyanophycee keine (sichtbare) Schleimhülle besitzt. Meiner Ansicht nach entstehen die doppeltbrechenden Eigenschaften von Oscillatoria chlorina durch eine sogenannte Formdoppeltbrechung. Diese liegt vor, wenn durch ausgerichtete, regelmäßige und sich wiederholende Strukturen mit Abständen im Bereich der Wellenlänge des sichtbaren Lichtes angeordnet werden. Eine Sonderform davon ist die Lamellen-Doppeltbrechung. Diese könnte durch die auffällige Querstreifung von Oscillatoria chlorina entstehen. Ich habe versucht, diese Querstreifung genauer zu untersuchen:


BGZ= beginnende Zellteilung, mit Apertur in der Mitte.
ZW = ausgebildete Zellwand.
HK = hochbrechende Körner auf Zelloberfläche, besonders an ausgebildeten Zellwänden.

Bei der Querstreifung handelt es sich offensichtlich um Anlagen neuer Querwände, die jedoch ähnlich einer nicht geschlossenen Irisblende in der Mitte eine Öffnung lassen. Diese ,,offenen Querwände" sind ca. 0,2 µm dick und haben mit 0,4 – 0,7 µm recht regelmäßige Abstände. Ich halte daher diese periodische Anordnung von intrazellulären Querwänden für die Ursache der doppeltbrechenden Eigenschaften von Oscillatoria chlorina. Ich selbst sehe mich nicht in der Lage, diese Theorie zu beweisen, aber vielleicht gibt es hier Mitleser, die ein geeignetes Experiment zur Beweisführung kennen.

Martin


Lit.:

Skuja, H. (1964): Grundzüge der Algenflora und Algenvegetation der Fjeldgegenden um Abisko in Schwedisch-Lappland. – Nova Acta R. Soc. Scient. upsal. (Ser. IV), 18: 1–464.



Fahrenheit

Lieber Martin,

vielen Dank für den schönen und spannenden Beitrag!

Mit welchem Objektiv und Kontrastverfahren hast Du die letzte Aufnahme gemacht? In diesem Bild fehlt die entsprechende Beschriftung ...
Die Auflösung dieser Aufnahme finde ich wirklich ganz hervorragend.

Herzliche Grüße
Jörg
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Arbeitsmikroskop: Leica DMLS
Zum Mitnehmen: Leitz SM
Für draussen: Leitz HM

Michael

Hallo Martin,

Doppelbrechung biologischer Systeme ist immer eine sehr spannende Sache. Vielen Dank, dass Du Deine Beobachtungen mit uns geteilt hast.
Doppelbrechung basiert darauf, dass in einem Material die elektrische Leitfähigkeit - und damit letztlich auch der Brechungsindex - bei Lichtfrequenzen unterschiedlich in verschiedenen Raumrichtungen ist. Bei einem anisotropen Kristall ist das leicht einsichtig: unterschiedliche Gitterkonstanten in verschiedenen Raumrichtungen beeinflussen die Leitfähigkeit und es kommt zur Doppelbrechung.
Bei biologischen Materialien kommt es zu Formdoppelbrechung, wenn gleichartige, nicht sphärische Teilchen - z. B. Kettenmoleküle - einer isotropen Substanz mit gleicher Orientierung in ein isotropes Medium abweichender Brechzahl eingebettet sind. Dadurch ist die el. Leitfähigkeit entlang der langen Moleküle anders als senkrecht dazu und es kommt zur Doppelbrechung. Diese molekularen Strukturen werden durch das Wachstum der Organismen aufgebaut und deshalb gibt die Formdoppelbrechung Informationen über die mikroskopisch ansonsten nicht zugängliche Struktur der Materialien im Organismus.
Bei Deinen Bildern ist das gesamte Zellinnere der Oscillatoria doppelbrechend, da sich die Interferenzfarbe der gesamten Alge mit ihrer Orientierung ändert. Bei den "Lamellen" scheint der Effekt nur besonders ausgeprägt zu sein. Die für die Doppelbrechung verantwortlichen Schichten sind (immer?) viel kleiner als die Lichtwellenlänge und mit einem Lichtmikroskop nicht auflösbar. Die Lamellen sind wohl auch aus dem selben Material wie die Zellwand, Ihre Schichtung wäre dann senkrecht zu der Schichtung der Zellwand ausgerichtet und hätte dann die komplementäre Interferenzfarbe zu der der Zellwände - was nicht der Fall ist.
Die Lamellen im annähernden Abstand der Lichtwellenlänge würden bestenfalls als optisches Gitter wirken und das Licht in unterschiedliche Richtungen in sein Spektrum aufspalten. Deshalb halte ich die Lamellen nicht für die Ursache der Doppelbrechung, sondern den submikroskopisch ausgerichteten Inhalt der Zellen.
Ich finde es immer lohnend, biologische Systeme auch mit polarisiertem Licht zu untersuchen, das das oft erstaunliche Informationen z.B. über Wachstumsrichtungen etc. gibt.

Vielen Dank für dieses interessante Beispiel von Doppelbrechung und viele Grüße

Michael
Gerne per Du

Ole Riemann

Hallo Martin,

vielen Dank für diesen farbenfrohen Beitrag. Ich kann mich gut daran erinnern, wie Du mir am Pillersee vor einigen Jahren genau diese Blaualge gezeigt hast ("an der hyalinen Kappe kannst Du die erkennen"). Leider hatten wir damals keine Möglichkeit, polarisiertes Licht einzusetzen.

Danke auch an Michael für die physikalischen Erläuterungen als Hintergrundinformation.

Beste Grüße

Ole


limno

Hallo Martin,
eine ungewöhnliche Cyanophycacee. Beim Artnamen habe ich zunächst gestutzt,  wird doch  'chloros' meist mit "gelbgrün" übersetzt, was bei dieser Blaualge ja gerade nicht der Fall ist. Im "Werner" (S. 159) steht aber der Hinweis, dass 'chloros' auch mit "fahl" oder "bleich" übersetzt werden kann. Man denke hier an die Chlorose als Krankheitssymptom infolge eines Magnesiummmangels. Nur aufgrund des Musters und der Form würde man hier auf ein (vergammeltes) Cyanobakterium tippen. (Fritz Clemens Werner: Wortelemente lateinisch-griechischer Fachausdrücke in den biologischen  Wissenschaften).@Michael: Danke für die aufschlussreiche Erläuterung zur Doppelbrechung.
Farbenfrohe Grüße von
Heinrich
So blickt man klar, wie selten nur,
Ins innre Walten der Natur.

Martin Kreutz

Hallo,

vielen Dank für eure Rückmeldungen! Ich habe Oscillatoria chlorina auch deshalb nochmal gezeigt, um meine alten Dias im Keller nochmal etwas strahlender zur Geltung zu bringen.

@Jörg: Das letzte Bild ist das einzige, welches nicht auf Dia aufgenommen wurde, sondern es ist erst 4 Tage alt und mit DIK-HR aufgenommen (d.h. mit voll immergierten System und Obj. 100 X). Anders erreicht man diese Auflösung nicht. Schichtdicke muss natürlich auch stimmen, also fast Null!

@Michael: Danke für Deine Erläuertungen zur Doppeltbrechung!

@Ole: Echt, hatten wir die auch unter der Optik gehabt!? Dass Du das behalten hast!

Martin

JB

Hallo Martin,

Vielen Dank fuer diese faszinierende Dokumentation. Das ist wirklich aussergewoehnlich.

Respekt fuer die messerscharfe Beobachtungsgabe! Dieser Effekt ist schon andernorts gesehen worden, ohne als solcher erkannt worden zu sein: http://www.wunderkanone.de/Misc/Misc/ (Bild 8)

Beste Gruesse,

Jon