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Grüner Klassiker

Begonnen von Michael Plewka, November 06, 2019, 10:12:41 VORMITTAG

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Michael Plewka

Hallo zusammen,

Hier einige  Beobachtungen von einem grünen ,,Klassiker", der hier m.W. noch nicht im Forum gezeigt worden ist.

Bei Ebbe am Sandstrand der Bretagne befanden sich in kleinen Abflusskanälen  diese dunklegrünen Flecken, die ich vorher noch nie wahrgenommen hatte  und zunächst für (Blau-) Algen hielt:



Bei näherer Betrachtung zeigte sich aber ein für Algen untypisches Gewimmel, und bei Beobachtung unter der Stereolupe wurde deutlich, dass es sich um eine Unmenge  ca. 3mm großer "Würmer" der Art Symsagittyfera roscoffensis handelte:




Da fiel es mir wieder ein: früher hatte es mal an unserer Schule eine Klausuraufgabe zur Ökologie gegeben, die sich mit diesem "Wurm" (der damals noch als Convoluta roscoffensis bezeichnet wurde, da er wohl zunächst Ende des 19. Jahrhunderts an der Biologischen Station Roscoff in der Bretagne entdeckt und untersucht worden war) als einem klassischen Beispiel für eine Endosymbiose zwischen einer Alge und einem Tier beschäftigte.

Betrachtet man einen kompletten plattgedrückten Wurm, so fallen  bei stärkerer Vergrößerung natürlich die grünlichen Gebilde auf, die quasi in 5 Längsreihen im Körper angeordnet sind. In den 4 helleren Streifen dazwischen befinden sich Nerven und Spermienkanäle. Bei den grünlichen Körperchen handelt es sich um "abgespeckte" Algen (Protoplasten)  der Art Tetraselmis convolutae, d.h. solche, denen die  Zellwand, die 4 Flagellen sowie der Augenfleck fehlen:




Bei näherer Betrachtung zeigen sich einige Merkmale am Vorderkörper wie z.B. dieses stark lichtbrechende Gebilde (im Zentrum des Bildes) , das als Statolith bezeichnet  und als Lagesinnesorgan interpretiert wird. Links und rechts davon zwei Augenflecken. Die Pfeilspitzen weisen auf das Frontalorgan (?? Funktion ??):




Der  jetzige Name des Viechs ,,Symsagittifera (= ,,Pfeilträger" )" geht  auf die spindelförmigen Strukturen (Sagittocysten) zurück, die insbesondere im hinteren Teil des Wurms zu finden sind (in diesem Bild  kann man auch die Protoplasten ("abgespeckte" Algen) nochmals deutlich erkennen):



Im letzten Jahrhundert hat man diesen  Organismus der Gruppe  ,,Strudelwürmer", von denen einige auch im Süßwasser zu finden sind (siehe ,,Wassertropfen"),  zugeordnet, und die Tier-Algen-Symbiose  stand im Vordergrund der wissenschaftlichen Untersuchung. Relativ früh hat man  allerdings festgestellt, dass diesem ,,Wurm" im Gegensatz zu den  Strudelwürmern ein Coelom fehlt, d.h. ein Körperhohlraum, der bei den meisten anderen Tieren (d.h. allen sog. Bilateria, zu denen aus biologischer Sicht auch der Mensch gehört) vorhanden ist (ausgenommen Hohltiere).

Symsagittifera gehört also zu den sog. Acoela.  Insbesondere in den tropischen Meeren sind diese Acoela als Epibionten bzw. Parasiten, die teilweise die gesamte Körperoberfläche von festsitzenden Organismen besiedeln, weit verbreitet.  Beispiele hier (Waminoa sp.):

http://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenMarin/Tropical/Acoelomorpha/src/Acoelomorpha.html

Diese Viecher sind  aktuell insofern aus biologischer Sicht ziemlich spannend, als es darum geht, ob das fehlende Coelom als ursprüngliches Merkmal interpretiert werden kann und die Acoela somit  (grob gesprochen)  als Vorfahren der restlichen Tiere aufgefasst werden können, oder ob die Acoela sekundär das Coelom verloren haben und damit als weitere Tiergruppe neben den Bilateria zu einzuordnen  sind.
Weitere Bilder zu Symsagittifera sind über den  link hier zu finden (2. ,,news" von oben):
http://www.plingfactory.de


Viel Spaß beim Anschauen & beste Grüße
Michael Plewka





reblaus

Hallo MW!

Danke für diesen tollen Infobeitrag. Von diesem Organismus hatte man vor 50 Jahren keine Ahnung und ich habe mich gefreut noch was dazulernen zu dürfen!

Viele Grüße

Rolf

Alex H.

Hallo Michael,

ein sehr interessanter Beitrag! Vielen Dank für die Infos und die Bilder!

Grüße
Alex
Botanik, vorrangig heimische Wildpflanzen, die Morphologie der Sporen, Pollen, Blüten, Früchte und Samen, Blütenökologie, Kryptogamen im Allgemeinen;
Stereolupe: optimiertes LZOS MBS-10; Mikroskop: gut ausgestattetes LOMO Biolam;

Bernd

Hallo Michael,

vielen Dank für diesen sehr interessanten Beitrag über diesen wirklich außergewöhnlichen Wurm. Als Ergänzung empfehle ich, unbedingt auch den sehr ausführlichen Beitrag in der englischsprchigen (!) Wikipedia zu lesen. Nach deinem Beitrag und den kürzlich von Ole gepostetenn Beitrag über Nordseediatomeen finde ich es fast etwas bedauerlich, dass die Nordseeküste von meinem Wohnort recht weit entfernt ist.

Viele Grüße
Bernd

Martin Kreutz

Hallo Michael,

vielen Dank für diesen schönen Beitrag. Ich hätte diesen Fund einfach als "irgendeinen" grünen Strudelwurm abgetan. Auf welchen Weg hast Du die Bestimmung geschafft? Ich finde das Bild letzte Bild mit den Sagittocysten spannend. Die Sagittocysten scheinen intrazellulär gebildet zu werden. Man erkennt offensichtlich voll ausgebildete Sagittocysten, aber auch schmale Nadeln, die in einer Art flüssigkeitsgefüllter Vakuole vorliegen. Sind das eine zweite Art von (nadelförmigen) Sagittocysten oder sind es die Bildungszentren der Sagittocysten, in denen man die Sagittocysten im Aufbau sieht? Wären diese "Vakuolen" dann nicht ein Teil des Golgi-Apparates?

Martin

plaenerdd

Hallo Michael,
weiß man woraus die Sagittocysten bestehen (kristallin? Was sagt das Polarisationsmikroskop?)?
Zitat von:  Michael PlewkaDiese Viecher sind  aktuell insofern aus biologischer Sicht ziemlich spannend, als es darum geht, ob das fehlende Coelom als ursprüngliches Merkmal interpretiert werden kann und die Acoela somit  (grob gesprochen)  als Vorfahren der restlichen Tiere aufgefasst werden können, oder ob die Acoela sekundär das Coelom verloren haben und damit als weitere Tiergruppe neben den Bilateria zu einzuordnen  sind.
Können die Genetiker diese Frage nicht klären. Die sind doch mit der Gensequenzierung sonst immer die, die sagen wer da mit wem näher verwandt ist.
LG Gerd
Fossilien, Gesteine und Tümpeln mit
Durchlicht: Olympus VANOX mit DIC, Ph, DF und BF; etliche Zeiss-Jena-Geräte,
Auflicht: CZJ "VERTIVAL", Stemi: MBS-10, CZJ SMXX;
Inverses: Willovert mit Ph

Michael Plewka

Hallo zusammen,

vielen Dank für die netten Kommentare, die Hinweise auf den Wiki-Artikel, sowie  das Interesse an diesem seltsamen Organismus, der weiterhin spannend bleibt.


Noch ein paar Anmerkungen bzw. Ergänzungen:

1.
Zitat...Von diesem Organismus hatte man vor 50 Jahren keine Ahnung...

wie ich schon schrieb, ist dieser "Wurm" schon mehr als  100 Jahre bekannt. Die Entdeckung dieser Symbiose führte 1910 sogar zu einem Buch  "Plant animals, a study in symbiosis"  (Keebles, 1910).

2. @ Martin:
Zitat....voll ausgebildete Sagittocysten, aber auch schmale Nadeln, die in einer Art flüssigkeitsgefüllter Vakuole vorliegen....

sehr gut beobachtet, ich muss allerdings erwähnen, dass die Terminologie hierzu in  der Literatur nicht eindeutig bzw. sogar widersprüchlich ist.  Deshalb hier noch ein Ausschnitt des ursprünglichen Bildes, der die nadelförmigen  Sagittocysten  (Pfeile) in dem sie umgebenden spindelförmigen Muskelmantel (markiert an einem Beispiel durch Pfeilspitzen) zeigt. (siehe Gschwendtner et al 2002); wohingegen Bailly et. al (2014) das spindelförmige Gebilde als Sagittocyste bezeichnen. Möglicherweise ist das mit einem Asterisk markierte optisch leere Berich eine Sagittocyte, in der die Sagittocysten gebildet werden. Diese wandern in den Muskelmantel ein, von dem sie bei Bedarf  durch die Kontraktion hinausgeschossen werden können. Offenbar kann der Muskelmantel wiederholt mit Sagittocysten befüllt werden. Möglicherweise stehen   die Sagittocysten, die nur bei  geschlechtsreifen Tieren zu finden sind, im Zusammenhang mit der Paarung der Viecher. Über die chem. Zusammensetzung habe ich in 3 Arbeiten zur Funktion und Morphologie dieser Sagittocysten nichts gefunden.



3.
Zitat...Die sind doch mit der Gensequenzierung sonst immer die, die sagen wer da mit wem näher verwandt ist....

das ist  m.W. so nicht richtig. Molerkulargenetiker habe zwar mächtige Werkzeuge, aber es wird ja in den seltensten Fällen das gesamte Genom eines Organismus erfasst, sondern zumeist standardisiert bestimmte mitochondriale oder ribosomale Gene, aus denen dann auf der Basis von  Wahrscheinlichkeitsalgorithmen Aussagen zur Verwandtschaft gemacht werden können. Aufgrund der bei Symsagittifera besonderen Fehlertoleranz läßt  sich eine der  beiden   zuvor hier dargestellten Möglichkeiten  nicht ausschließen. (Bailly et. al, 2014)

Beste Grüße
Michael Plewka

reblaus

Hallo Michael -

Zitat
1.
Zitat
...Von diesem Organismus hatte man vor 50 Jahren keine Ahnung...

wie ich schon schrieb, ist dieser "Wurm" schon mehr als  100 Jahre bekannt. Die Entdeckung dieser Symbiose führte 1910 sogar zu einem Buch  "Plant animals, a study in symbiosis"  (Keebles, 1910).

da habe ich mich falsch ausgedrückt - eigentlich wollte ich zum Ausdruck bringen, dass mir das zu meinen Studienzeiten nie nahegebracht wurde und auch in die gängigen Lehrbücher oder Vorlesungen keinen Eingang gefunden hatte. Man stößt ja andererseits heute öfter auf "Neuentdeckungen", die nur auf mangelhaftes Literaturstudium zurückzuführen sind, weil die entsprechenden uralten Publikationen nicht in den aktuellen Onlinequellen zu finden sind.

Viele Grüße

Rolf