Botanik: 9 Jahre und bestens in Schuss - die Große Brennnessel (Urtica dioica) *

Begonnen von Fahrenheit, März 20, 2020, 15:01:55 NACHMITTAGS

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Fahrenheit

Liebe Pflanzenfreunde,

zur Großen Brennnessel (Urtica dioica) wurde hier schon viel geschrieben und auch viel gezeigt. Zuletzt von Nikolai anhand verschiedener Schnitte am Spross und am Blatt:
Brennnessel Spross & Blatt, Nikolai

Bild 1: Die Große Brennnessel


Eine kleine Liste der weiteren Beiträge findet Ihr hier:

Rhizom der Großen Brennnessel, Hans-Jürgen Koch
Rhizom der Großen Brennnessel, Eckhard Völcker
Spross einer Brennnessel, Peter Voigt
Spross einer Brennnessel, Eckhard Voelcker
Alter Spross einer Brennnessel, Klaus Herrmann

Brennnessel Wurzel, Leo
Brennnessel Wurzel, Eckhard Völcker

Ich selbst habe vor gut neun Jahren einen alten, recht kräftigen Spross von Urtica dioica geschnitten und auch hier im Forum gezeigt - sie Link unten. Dort findet Ihr auch eine Beschreibung der Pflanze:
Die gleiche Probe vor neun Jahren.

Bild 2: Illustration zur Großen Brennnessel


Etwas von dem zugehörigen Material habe ich seinerzeit in einer kleinen Glasröhre mit Ethanol 70% konserviert. Die Röhre ist mir die Tage wieder in die Hand gefallen, nachdem ich für Nikolai nach dem Spross der Großen Brennnessel gesucht habe. 9 Jahr in Ethanol! Ich war sehr gespannt und habe gleich Schnitte gemacht, die ich hier auch mit den Aufnahmen aus 2011 vergleichen möchte. Aber seht selbst.


Hier die Informationen zur Präparation

Geschnitten habe ich den seit 9 Jahren in Ethanol 70% gelagerten Spross freistehend auf dem Tempelchen (Zylindermikrotom im Halter als Tischmikrotom) mit Leica Einmalklingen 818 im SHK Halter.
Die Schnittdicke beträgt ca. 50µm.

Nachfixiert wurden die Schnitte für ca. 4 Stunden in AFE. Nach Überführen in Aqua dest. waren die Schnitte dann bereit für die Färbung.

Gefärbt habe ich mit W-Asim III nach Klaus Herrmann für ca. 25 Minuten.
Anschließend habe ich gut mit Aqua dest. gespült, eine Differenzierung ist bei dieser Färbung nicht notwendig.

Eingedeckt wurden die Schnitte nach gründlichem Entwässern mit reinem Isopropanol wie immer in Euparal.

Bild 3: Das neun Jahre alte Sprossstück im Tempelchen



Kurz zur verwendeten Technik

Die Aufnahmen sind auf dem Leica DMLS mit dem 5x NPlan und den PlanApos 10x, 20x, 40x und 100x entstanden. Die Kamera ist eine Panasonic GX7, die am Trinotubus des Mikroskops ohne Zwischenoptik direkt adaptiert ist. Die Steuerung der Kamera erfolgt durch einen elektronischen Fernauslöser. Die notwendigen Einstellungen zur Verschlusszeit und den Weißabgleich führe ich vor den Aufnahmeserien direkt an der Kamera durch. Der Vorschub erfolgt manuell anhand der Skala am Feintrieb des DMLS.

Alle Mikroaufnahmen sind mit Zerene Stacker V1.04 (64bit) gestackt. Die anschließende Nachbereitung beschränkt sich auf die Normalisierung und ein leichtes Nachschärfen nach dem Verkleinern auf die 1024er Auflösung (alles mit XNView in der aktuellen Version). Bei stärker verrauschten Aufnahmen lasse ich aber auch mal Neat Image ran.


Und nun zu den Schnitten

Wie immer von der Übersicht zum Detail! Wo es passt, stelle ich den aktuellen Präparaten die von vor neun Jahren gegenüber.

Bild 4: Die fertig gefärbten Schnitte im Uhrglas


Verschaffen wir uns also zunächst einmal einen Überblick:

Bilder 5a-c: Übersicht mit Beschriftung in Bild 5b




Von Außen nach Innen finden wir die Epidermis mit der dünnen Cuticula und einigen angeschnittenen mehrzelligen Trichomen, gefolgt vom Rindenparenchym, in dem viele sklerenchymatische Fasern liegen. Darunter folgt das Phloem, an der Außenseite zusammengeschoben und disfunktional. Nach dem Cambium dann das Xylem, das bei diesem Schnitt sofort die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Wir sehen viele Tracheen, die in sklerenchymatisches und lebendes Xylemparenchym eingelagert sind. Dabei bilden die sklerenchymatischen Xylemparenchymzellen quasi eine Netzstruktur, die dem Spross zusammen mit dem Fasermantel im Rindenparenchym sowohl Festigkeit als auch Flexibilität verleiht. Weiter nach innen finden wir das primäre Xylem und schließlich das Markparenchym. Dabei ist der Spross als ganzes innen hohl. Die Ränder der Markhöhle weisen dabei auf eine lysigene Bildung hin.
Spannend ist der Vergleich mit dem klassischen, kantigen bis kreuzförmigen jüngeren Spross der Großen Brennnessel, der kantig bis kreuzförmig ausfällt. Siehe die Links in der Einleitung des Beitrags.
Informationen zu den Abkürzungen im beschrifteten Bild 5b findet Ihr wie immer auf der Webseite des MKB: Tabelle mit den Kürzeln und den zugehörigen allgemeinen Erläuterungen.

Zum Vergleich eine Übersichtsaufnahme aus dem Jahr 2011:

Bild 5d: Übersicht des vor 9 Jahren präparierten Sprosses, die Färbung hier ist W3A, also die Sukkzedanfärbung in 3 Färbegängen mit Acridinrot, Acriflavin und Astrablau.


Die folgenden drei Aufnahmen zeigen die äußeren Gewebe des Sprosses bis zum Cambium und dem jungen Xylem in höherer Vergrößerung, jeweils mit Maßstab.

Bilder 6a-c: Die äusseren Gewebe




Und in der Gegenüberstellung wieder eine Aufnahme aus 2011, die diesmal vom Ausschnitt nicht ganz passt:

Bild 6d: So sah es vor neun Jahren aus


Wir sehen, dass sich das Probenmaterial in der langen Zeit im Ethanol kaum verändert hat. Allerdings zeigt sich auch, dass Robin Wacker Acridinrot mit Bedacht gewählt hat.

Nun also zum Xylem, das wirklich sehr photogene Stellen zeigt. Beginnen wir wieder mit den Fotos von den aktuellen Präparaten.

Bilder 7a-h: Das Xylem im alten Spross der Großen Brennnessel









Und einige Impressionen von den Schnitten aus 2011:

Bilder 7i-n: So sah es vor neun Jahren aus







Auffällig ist hier das ausgeprägte "Reaktionsholz" (nach innen verdickte Zellwände, hier grün angefärbt, am besten in den Bildern 7i und 7l), das so im aktuell präparierten Sprossstück nicht mehr zu finden ist. Es stammt von etwas weiter oben im Spross, offenbar gab es dort keine ausreichenden Querkräfte mehr, um die Zellen zu diesen Bildungen anzuregen.

Soweit nun mein Vergleich zwischen dem in der vergangenen Woche und vor neun Jahren präparierten Sprossstück. Wie man sieht: das lange Ethanolbad hat nicht geschadet, die Unterschiede sind der anderen Färbung (Rhodamin b statt Acridinrot) und der anderen Position in der Probepflanze geschuldet.

Vielen Dank fürs Lesen, Anregung und Kritik ist wie immer willkommen.

Herzliche Grüße
Jörg
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Arbeitsmikroskop: Leica DMLS
Zum Mitnehmen: Leitz SM
Für draussen: Leitz HM

Bob

Hallo Jörg,
schöner Bericht und tolle Schnitte!
Wer hätte gedacht, dass so eine lästige Pflanze im Querschnitt so schön aussieht!
Das muss ich auch mal probieren.

Viele Grüße,

Bob

Fahrenheit

Lieber Bob, lieber Adalbert,

vielen Dank für Euer Lob!

ja, die Brennnessel ist ein interessantes Objekt, zumal ihr Spross einfach zu schneiden und sehr vielgestaltig ist.
Zur Zeit ist es noch zu früh: um einen Querschnitt wie hier gezeigt zu erhalten, muss man bis zum Herbst warten, wenn die Pflanzen ausgewachsen und mindestens 70 bis 100 cm hoch sind.
Spannend eben auch, dass der alte Spross dem Rhizom der Urtica dioica sehr ähnlich sieht.

Bei uns in der Siegaue steht die große Brennnessel in direkter Konkurrenz zum Drüsigen Springkraut (Impatiens glandulifera) und dem Böhmischen Knöterich (Reynoutria × bohemica). Da wird eine einzelne Pflanze schon mal 250 cm hoch - bei entsprechend dickem Spross.
Ich werde im Herbst also auch noch mal auf die Jagt gehen und hoffen, dass die Schnitte unters Deckglas passen. Vermutlich werden wir dann einfach noch mehr von den "Leiterstufen" sehen, die die jetzigen Schnitte zeigen.

Herzliche Grüße
Jörg
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Hans-Jürgen Koch

Hallo Jörg,

tolle Bilder.
Ich kann aus eigener Erfahrung bestätigen, dass eine lange Lagerung einer Pflanzenprobe in Ethanol 70% unproblematisch ist.

Gruß und bleib gesund.
Hans-Jürgen
Plants are the true rulers - Pflanzen sind die wahren Herrscher.

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Gerne per "Du"

Fahrenheit

Lieber Hans-Jürgen,

auch Dir vielen Dank!

Ja, Du schneidest ja quasi fast alles aus dem Ethanol-Koma. :)
Ich war trotzdem überrascht, dass sich im direkten Vergleich eigentlich keine Änderungen zum frisch präparierten Material ergeben haben.

Herzliche Grüße
Jörg
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nikolai

Wow Jörg,

das ist ja wunderschön.

XlP l = Xylemparenchym lebend und XlP t = Xylemparenchym tot, oder?

Liebe Grüße Nikolai

Fahrenheit

Lieber Nikolai,

auch Dir vielen Dank für Dein Lob! ich hoffe, Du kannst den Querschnitt bald "live" unter dem Mikroskop betrachten.

Ja,  XlP l = Xylemparenchym lebend und XlP t = Xylemparenchym tot.  ;D

Herzliche Grüße
Jörg
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güntherdorn

hallo jörg,
wie immer grandiose arbeit und scharfe fotos!
danke.
nach dem motto: "scharf - schärfer - jörg"
güntherdorn
- gerne per du -
günther dorn
http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=444.0
www.mikroskopie-gruppe-bodensee.de
gildus-d@gmx.de

Fahrenheit

Guten Morgen Günther,

auch Dir vielen Dank für Dein scharfes Lob.  :D

Herzliche Grüße
Jörg
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